Ein Mord als Weihnachtsgeschenk

Ein Mord als Weihnachtsgeschenk

Sechs Monate später war Irene Adler nach wie vor spurlos verschwunden und es war Weihnachten. Eigentlich hatte ich keine große Sache draus machen und alleine zu Hause Weihnachten verbringen wollen, aber John und Mrs. Hudson hatten darauf bestanden und solange auf mich eingeredet, bis ich zugestimmt hatte, mit allen in der Baker Street Weihnachten zu feiern.

Und damit ich auch wirklich kam und es mir nicht noch anders überlegen konnte, wollte Greg mich abholen und das schon in wenigen Minuten. Ich warf noch einen Blick in den Spiegel und erkannte, dass ein gewisses Maß an Trauer auch nicht durch das Make-up verborgen werden konnte.

Weihnachten war für mich stets eine Zeit gewesen, wo ich meine Eltern mehr denn je vermisste und sie mir herbei wünschte. Wo ich das ganze Jahr über meine Fassade aufrecht erhalten konnte, so konnte ich das heute nur mit größter Mühe und versuchte, stark zu bleiben. Es würde mir nichts bringen, Tränen zu vergießen. Das brachte mir meine Eltern auch nicht zurück.

Ich hatte mich für das dunkelblaue knielange Kleid entschieden und trug einen schwarzen schlichten Mantel darüber. Meine dunkelroten Haare hatte ich mir zu leichten Locken gedreht und ich versuchte nun, nicht ganz so niedergeschlagen zu wirken.
Plötzlich klopfte es an meiner Wohnungstür und ich seufzte, ehe ich hinging und kurzer Hand Greg die Tür öffnete, der mir freundlich zunickte und dann staunend auf mein Kleid sah.

,,Evelyn, wow...du siehst toll aus.", sagte er und ich lächelte kaum merklich.

,,Danke, Greg. Und auch, dass du mich abholst. Aber ich wäre auch alleine gekommen."

,,Sag das nicht mir, sondern John. Der hat daran gezweifelt, dass du wirklich auftauchst.", entgegnete Greg und ich schüttelte den Kopf.

,,John und sein grenzenloser Optimismus."

Der Sarkasmus in meiner Stimme war nicht zu überhören und ich griff schließlich zu meiner Handtasche, ehe ich Greg nach draußen folgte. Es schneite und die Straßen und Häuser waren bereits mit einer Schneeschicht bedeckt, was ein unglaublich schöner Anblick war. London hatte nie schöner ausgesehen, als jetzt zur Weihnachtszeit.

Greg hielt direkt vor der 221b der Baker Street und wir stiegen aus. Kurzer Hand öffnete uns John die Tür, der uns ein strahlendes Lächeln entgegenbrachte und hereinbat.

,,Evelyn! Greg! Schön, dass ihr da seid. Kommt rein."

Wir betraten das Haus und John nahm uns kurzer Hand die Jacken ab. Er wirkte so freudig wie schon lange nicht mehr und als wir nach oben gingen, hörte ich schon, dass Sherlock Geige spielte.
Mrs. Hudson war in der Küche und hatte alles im Griff, als ich zu ihr ging und sie mich freudestrahlend in Empfang nahm.

,,Evelyn, schön Sie zu sehen. Frohe Weihnachten.", sagte sie und zog mich kurzer Hand in eine Umarmung, was ich erwiderte.

,,Frohe Weihnachten, Mrs. Hudson."

Ich überließ sie wieder ihrem Handwerk und lehnte mich dann an den Türrahmen, um dem Geigenspiel von Sherlock zuzuhören. Zwar verstand ich nicht viel von Geigen, aber jedes Lied was Sherlock spielte, schien eine Geschichte zu erzählen und mittlerweile konnte ich mir Sherlock auch gar nicht mehr ohne Geige vorstellen. Es war einfach ein Teil von ihm und heute spielte er für uns alle.

,,Wunderschön.", sagte Mrs. Hudson, die sich mittlerweile in den Sessel von Sherlock gesetzt und ebenfalls gebannt zugehört hatte.

Sherlock verbeugte sich kurz und wir alle klatschten, währen Greg sogar ein paar Pfiffe aus Begeisterung abgab.

,,Großartig.", pflichtete John bei und ich nickte zustimmend.

,,Wirklich toll, Sherlock."

,,Ja, es war gut.", sagte er selbst und ich schmunzelte, da Sherlock mal wieder Bescheidenheit an den Tag legte...im sarkastischen Sinne verstand sich.

Eine Frau, die wohl Johns Begleitung war, verteilte Kekse und ich kam nicht drum herum, die gute Stimmung zu bewundern, die heute in der Baker Street herrschte. Und als es unten klingelte, deutete ich kurzer Hand auf die Tür.

,,Ich gehe schon."

Ich eilte die Treppe nach unten und öffnete die Tür, wo mit Molly entgegen kambeladen mit Weihnachtsgeschenken.

,,Molly...hey! Soll ich Ihnen was abnehmen?", fragte ich, doch sie schüttelte nur lächelnd den Kopf.

,,Oh, nein danke, Evelyn. Das geht schon."

Bevor ich noch Widerspruch einlegen konnte, war die Pathologin bereits nach oben verschwunden und ich schüttelte grinsend den Kopf. Molly war schon einmalig auf ihre eigene Art und Weise und ich ging schließlich selbst wieder nach oben.

Dort nahm John Molly gerade den Mantel ab und ich staunte nicht schlecht, denn Molly sah einfach umwerfend aus. Sie trug ein edles schwarzes Kleid und ihre Haare waren zurückgesteckt. Greg fiel die Kinnlade runter und brachte nur ein Wow zustande, während auch John staunte und Mrs. Hudson trällerte fröhlich vor sich hin.

Molly stellte jeden von uns mit ihrem Outfit in den Schatten und ich fühlte mich augenblicklich underdressed, war aber froh, dass sie somit mehr auffiel als ich. Sherlock murmelte irgendwas, was sich mal wieder grimmig anhörte, aber heute regte ich mich nicht über seine Kommentare auf. Generell hatte ich es mir nach und nach immer mehr abgewöhnt, deshalb an die Decke zu gehen und ließ ihn einfach gewähren. Sherlock war eben Sherlock und das würde sich auch niemals ändern.

,,Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu treffen. Wollten Sie nicht wegfahren?", fragte Molly an Greg gewandt.

,,Morgen fahre ich...gemeinsam mit meiner Frau. Wir haben uns wieder vertragen."

,,Wirklich, Greg? Das ist toll! Ich freue mich für euch.", entgegnete ich und Greg lächelte.

,,Danke, Evelyn!"

,,Nein! Sie schläft mit einem Sportlehrer.", bemerket Sherlock beiläufig und jeder von uns rollte mit den Augen.

,,Und John, ich hörte, Sie fahren zu Ihrer Schwester?", meinte Molly, woraufhin John nickte und schließlich wandte sie sich an mich. ,,Und was ist mit Ihnen, Evelyn? Fahren Sie auch zu Ihrer Familie?"

Alle Blicke wanderten zu mir und ich erstarrte bei Mollys Frage. Natürlich stellte sie diese Frage, denn sie wusste ja nichts von den Umständen und ich zwang mich zu einer halbwegs gefassten Miene.

,,Würde ich gerne, nur wird das etwas schwierig."

,,Wieso? Feiert Ihre Familie kein Weihnachten?", hakte Molly nach und ich senkte leicht den Blick.

,,Meine Familie ist tot, Molly."

Kurz lag Stille im Raum und ich fühlte mich elend, dass ich die Stimmung verdorben hatte. Molly selbst, sah mich entsetzt an und ich konnte die Erschütterung förmlich spüren, die sich in ihr ausbreitete.

,,Oh, Evelyn...das...das tut mir so leid. Ich wollte nicht...", setzte sie an, doch ich winkte ab.

,,Schon in Ordnung, Molly! Sie konnten es ja nicht wissen."

Glücklicherweise schafften es John und Mrs. Hudson, dass die optimistische Freude binnen weniger Minuten wieder zurückgekehrt war und ich war mehr als erleichtert darüber. Als ich zufällig zu Sherlock sah, stellte ich fest, dass er mich ansah und anscheinend beobachtete. Ich wusste nicht, ob er wieder mal versuchte, mich zu deduzieren, aber ich fragte auch nicht. Und als ich in die Küche ging, um mir Orangensaft zu holen, erschrak ich mich fast zu Tode, als Sherlock plötzlich direkt neben mir stand.

,,Haben Sie gar keine Verwandte mehr?", fragte er und ich sah ihn überrascht an.

,,Wie bitte?"

,,Ich frage mich nur, ob wirklich alle Ihre Familienmitglieder verstorben sind, oder ob es noch Lebende gibt.", wiederholte er und ich seufzte.

,,Ich habe noch eine Tante, die lebt in New Mexico. Und ihre Tochter Annabelle...meine Cousine. Sie studiert in Washington. Aber ich habe beide seit Jahren nicht mehr gesehen."

,,Sonst niemand?", hakte Sherlock nach und ich schüttelte den Kopf.

,,Nein, Sherlock. Sonst gibt es niemanden mehr. Deswegen rate ich Ihnen auch...egal, wie Mycroft manchmal auch sein mag...er ist Ihr Bruder und das sollten Sie niemals vergessen. Familie...ist das Wichtigste und man sollte so viel Zeit wie möglich mit den Menschen verbringen, die man liebt. Denn niemand weiß, wie viel Zeit uns miteinander bleibt."

Sherlock sah mich an und ich fragte mich, was ihm gerade durch den Kopf ging. Ich wusste nicht einmal, ob er meine Worte ernst nahm oder sie für unwichtig hielt. Doch als ich ins Wohnzimmer gehen wollte, legte er mir urplötzlich seine linke Hand an den rechten Arm und sein Blick war...ja...geradezu mitfühlend.

,,Sie haben Familie, Evelyn. Sie müssen nur genauer hinsehen."

Ehe ich etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verschwand ins Wohnzimmer. Perplex sah ich Sherlock nach und fragte mich, ob das gerade wirklich passiert war oder ob ich es mir nur eingebildet hatte. Das war genauso merkwürdig gewesen, wie der Abend, an dem Moriarty John und mich entführt und Sherlock sich bei mir für sein Verhalten entschuldigt hatte.

,,Alles in Ordnung, Evelyn?", fragte John und holte mich in die Wirklichkeit zurück.

,,Wie? Oh...ja. Mir geht's gut, John. Ich war gerade nur in Gedanken."

,,Habe ich gemerkt. Ich meine nur, wegen dem, was Molly vorhin gesagt hat...", setzte er an, doch ich tätschelte ihm die Schulter.

,,John, es ist wirklich alles in Ordnung. Mir geht's wirklich gut. Es ist nur...Weihnachten ist nicht gerade ein Fest, an dem ich Freudensprünge mache. Aber dank euch allen fühle ich mich besser."

John lächelte und ich erwiderte es. Dann widmeten wir uns wieder den anderen und ich fühlte, wie ich mit der Zeit immer gelassener und entspannter wurde. Unsere Weihnachtsfreude breitete sich untereinander aus und kannte keine Grenzen.

Zumindest, bis auf einmal ein erotisches Stöhnen ertönte und all unsere Blicke zu Sherlock wanderten. Ohne Zweifel schien Irene Adler auch der Ansicht zu sein, dass man Weihnachten Grüße verschicken sollte.

,,Was war das?", fragte Greg irritiert und Sherlock griff in die Innentasche seines Jacketts.

,,Mein Handy!"

,,57?", warf John in den Raum und Sherlock sah ihn fragend an.

,,Wie bitte?"

,,57 SMS! Die, die ich gehört habe.", erklärte John und ich staunte nicht schlecht.

,,Zählst du etwa mit?"

John zuckte nur mit den Schultern und ich schüttelte den Kopf, als Sherlock zum Kaminsims ging und ein rotes Geschenk in die Hand nahm. Es war totenstill und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass die Nachricht von eben nichts Gutes zu bedeuten hatte.

,,Entschuldigt mich!", sagte Sherlock auf einmal und John sah ihn irritiert an.

,,Was, was ist denn los, Sherlock?"

,,Ich sagte, entschuldigt mich!"

,,Antworten Sie auch mal?", drängte John weiter, aber ich warf ihm einen ernsten Blick zu.

,,John...nicht jetzt!"

Während alle anderen munkelten, was mit Sherlock los war, nutzte ich die Gelegenheit und folgte ihm zu seinem Schlafzimmer. Die Tür stand einen Spalt offen und ich hörte, wie Sherlock gerade mit jemandem telefonierte, von dem ich vermutete, dass es Mycroft war.

,,Ihr werdet, glaube ich, heute Nacht Irene Adler finden.", sagte Sherlock und nach einem kurzen Zögern fuhr er fort. ,,Nein! Ich meine, ihr werdet sie tot auffinden."

Irene Adler war tot? Das erklärte natürlich, warum Sherlock so, nun ja, getroffen gewirkt hatte. Er legte auf und ich sah, dass er das Handy von Irene in der Hand hielt, welches ohne Zweifel der Beweis für Sherlocks Theorie war.

Ich betrat das Zimmer und setzte mich neben Sherlock auf das Bett. Er starrte vor sich hin und ich konnte nur erahnen, wie er sich fühlen musste. Immerhin war Irene Adler die einzige Frau gewesen, für die er anscheinend so etwas wie Gefühle gehegt hatte.

,,Alles in Ordnung?", fragte ich und Sherlock rührte sich keinen Millimeter.

,,Ja!"

Ich wusste, dass das eine Lüge war und auch, dass er jetzt sicher lieber alleine wäre. Deshalb legte ich ihm kurz eine Hand auf die Schulter und sah ihn mitfühlend an.

,,Es tut mir leid, Sherlock."

Dann stand ich auf, verließ das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter mir. Es war die Wahrheit, dass es mir leid tat. Zwar hatte ich Irene Adler nicht besonders gemocht, aber Sherlock hatte das. Und die Worte von Sherlock von vorhin, waren nicht einmal so verkehrt gewesen.

Alle meine Freunde hier, waren inzwischen zu einer Familie für mich geworden und das schloss auch Sherlock mit ein. Und wenn jemand aus meiner Familie Leid spürte, dann war es, als würde es mir genauso gehen. Ich wusste nicht warum oder weshalb, aber ich wünschte inständig, Irene Adler wäre noch am Leben.

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