Die Rückkehr und die Fragen

Die Rückkehr und die Fragen

Erschüttert stand ich da und sah Sherlock fassungslos an. Sah ich jetzt etwa schon Gespenster oder hatte Halluzinationen? Anders konnte ich es mir einfach nicht erklären.
Sherlock war tot! Er konnte unmöglich hier sein und mich mit seinem eindringlichen Blick ansehen, wie er es schon immer stets getan hatte. Aber er war hier. Leibhaftig stand er vor mir und schien selbst nicht so richtig zu wissen, was er in diesem Augenblick sagen sollte.

,,Wie...wie ist das möglich?", brachte ich nach einer gefühlten Ewigkeit hervor und er warf mir einen vielsagenden Blick zu.

,,Nun...kurz gesagt...ich bin nicht tot und wieder nach England zurückgekehrt, um einem neuen Fall nachzugehen. Und jetzt bin ich hier!"

Völlig perplex blickte ich ihn an und spürte, wie ich sauer wurde, nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte. Mein Blick verfinsterte sich und ich musste an mich halten, Sherlock nicht auf der Stelle zu ohrfeigen.

,,2 Jahre, Sherlock...zwei Jahre lang dachte ich, du wärst tot. Du bist von einem Dach gesprungen und gestorben.", sagte ich aufgebracht.

,,Nein, das bin ich nicht. Ich meine, ich bin schon gesprungen, aber ich bin nicht gestorben. Was ja wohl mehr als offensichtlich ist."

Wie konnte er jetzt nur seine Scherze machen? Hatte er denn keine Ahnung, was er getan hatte? Er hatte seinen Tod vorgetäuscht und uns alle damit in die persönliche Hölle geschickt. Für mich war es die letzten zwei Jahre so gewesen, als wäre ein Teil von mir damals mit Sherlock gestorben. Und nun stand er hier und dachte, es wäre vollkommen normal nach seinem vorgetäuschten Selbstmord zurückzukehren und so zu tun, als wäre nie etwas gewesen. Aber da hatte er die Rechnung ohne mich gemacht.

,,Wie konntest du nur, Sherlock? Wie konntest du uns das nur antun? John...und...Mrs. Hudson...selbst Lestrade..."

Ich brach ab, denn ich war mit den Nerven gänzlich am Ende. Einerseits war ich natürlich überglücklich darüber, dass Sherlock nicht tot war, aber ich war viel zu fassungslos darüber, dass er seinen Tod vorgetäuscht hatte und uns alle in dem Glauben gelassen hatte, wir hätten ihn für immer verloren.

,,An dieser Stelle sollte ich wohl sagen, dass es mir leid tut.", meinte er und ich schüttelte fassungslos den Kopf.

,,Warum, Sherlock?", brachte ich wütend hervor, doch Sherlock blieb vollkommen ruhig.

,,Weil Moriarty gestoppt werden musste."

,,Das meine ich nicht! Ich meine, warum hast du uns nichts gesagt?"

Aufgebracht sah ich ihn an und zum ersten Mal, schien Sherlock so etwas wie Reue zu empfinden, denn sein Blick wanderte für den Bruchteil einer Sekunde zu Boden, ehe er mich wieder ansah.

,,Wir waren deine Freunde, Sherlock...deine Familie! Wir hätten dir helfen können. Aber anstatt uns einzuweihen, lässt du uns zwei Jahre lang in dem Glauben, du wärst gestorben. Und ich möchte wissen warum."

,,Um euch zu beschützen!", platzte es mit einem Mal aus ihm heraus und ich sah ihn perplex an, als er auch schon fortfuhr. ,,Moriarty hat euch alle bedroht...ich hatte keine Wahl. Die einzige Möglichkeit, um euch alle zu retten war, dass seine Leute sehen, wie ich mich in den Tod stürze. Nur wenn es glaubwürdig war, hätte es sie überzeugt und das hat es. Der Plan ging auf und ihr alle wart sicher. Mehr war nicht von Belang."

Ich war wie erstarrt und für einen Moment nicht fähig, mich zu rühren. Sherlock hatte sich für uns vom Dach gestürzt? Ich wusste nicht, ob dies jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht war, denn die Situation überforderte mich gänzlich. Aber ich war immer noch wütend auf Sherlock und eine einfache Erklärung reichte mir noch lange nicht.

,,Gut...das kann ich sogar verstehen, Sherlock...aber warum hast du danach nichts gesagt? Du hast selbst gesagt: dein Plan ging auf und Moriarty war tot! Warum hast du dich danach nicht gemeldet? Ein Zeichen oder eine Information hätte schon gereicht, aber nein. Du lässt uns alle zwei Jahre lang glauben, du hättest dich in den Tod gestürzt."

Ich redete mich in Rage, ehe ich abbrach und für einen Moment den Blick von Sherlock abwandte. Das alles war zu viel für mich und ich fragte mich, was hier eigentlich gerade passierte. Es wirkte immer noch wie ein schlechter Traum, dass Sherlock wahrhaftig am Leben war, aber es war die Realität. Und es verletzte mich, dass er anscheinend nicht genug Vertrauen zu uns gehabt hatte, um uns in seinen Plan einzuweihen.
Auf einmal spürte ich, wie sich eine Hand auf meine rechte Schulter legte und ich hob den Kopf, als ich Sherlock erkannte. Sein Blick wirkte mitfühlend und irgendwie...verletzlich. So, wie ich ihn noch nie zuvor bei Sherlock gesehen hatte.

,,Hast du eigentlich eine Ahnung, wie das war, Sherlock? Zu glauben, du wärst tot?", setzte ich an, während ich mich langsam wieder zu ihm umdrehte. ,,Es war, als wäre ein Teil von uns allen auch gestorben. Weißt du, wie wir uns gefühlt haben? Wie ich mich gefühlt habe...oder John...oder Mrs. Hudson?"

Kurz hielt ich inne und sah ihn abwartend an. Sherlock sagte nichts und ließ seine Hand von meiner Schulter sinken, woraufhin ich vielsagend den Kopf schüttelte.

,,Nein, das kannst du nicht wissen. Du warst ja nicht da."

Nun herrschte Stille zwischen uns und ich war in dem Moment schon fast so verzweifelt, wie ich es vor zwei Jahren gewesen war. Damals, als ich glaubte, Sherlock hätte sich selbst umgebracht. Zwar war es tröstlich zu wissen, dass er am Leben war, aber er war dennoch ganze zwei Jahre fort gewesen. Und zwei Jahre waren eine lange Zeit.

,,Ich wünschte, es wäre anders gekommen.", entgegnete Sherlock und ich sah, dass er es ernst meinte, aber dann schlich sich auf einmal ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht und er sah mich amüsiert an. ,,Aber deine Reaktion war schon bemerkenswert. Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen."

Das war zu viel des Guten. Anstatt Sherlock darauf zu antworten, verpasste ich ihm eine Ohrfeige und sah ihn wutentbrannt an. Sherlocks linke Hand wanderte zu seiner Wange und er sah mich etwas zerknirscht an.

,,Ich schätze, das habe ich verdient."

Ich war viel zu wütend, um etwas zu erwidern und im Moment ertrug ich es keine Sekunde länger, in seiner Nähe zu sein. Erfüllt von Wut und Fassungslosigkeit wandte ich mich ab und stürmte Richtung Ausgang.

,,Evelyn...warte!"

Es war die Stimme von Ezra, aber ich ignorierte es. In Sekundenschnelle hatte ich die Tür erreicht und verließ das Gebäude. Ich wollte nur noch weg! Weg von diesem Ort und weg von Sherlock Holmes.

                             ***

Zu Hause angekommen platzte ich in meine Wohnung und wollte schon die Tür hinter mir zuschlagen, aber Ezra, der mir gefolgt war, kam mir nach und versuchte verzweifelt, mich wieder zur Besinnung zu bringen.

,,Evelyn...beruhige dich!"

,,Mich beruhigen?", platzte es aus mir heraus und ich fuhr wutentbrannt zu ihm herum. ,,Sherlock Holmes, der vor 2 Jahren vom Dach gesprungen ist und sich somit in den Tod stürzte, stand eben quicklebendig vor mir, Ezra. Entschuldige bitte, dass ich gerade nicht die Ruhe in Person bin."

Es tat mir eigentlich leid, dass ausgerechnet mein Verlobter nun meine Wut zu spüren bekam, denn ihn traf ja überhaupt keine Schuld. Allerdings kannte Ezra mein aufbrausendes Temperament und er hob beschwichtigend die Hände, während er mich verständnisvoll ansah.

,,Du bist aufgebracht und das verstehe ich. Und ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie du dich gerade fühlen musst...aber ich glaube, du solltest nochmal mit Sherlock reden.", meinte er und erntete dafür ungläubige Blicke von mir.

,,Mit ihm reden? Worüber denn? Wie er es gemacht hat? Das will ich gar nicht wissen. Gott...was ist hier eigentlich los?"

Ich fuhr mir durch meine langen Haare und konnte immer noch nicht fassen, welche Wendung der Abend genommen hatte. Das alles konnte doch nur ein schlechter Scherz sein, aber leider war es dieses Mal zweifellos die Realität.

,,Naja...ich hatte mir den Abend unserer Verlobung auch anders vorgestellt, aber man nimmt ja, was man kriegen kann.", entgegnete Ezra, woraufhin ich ihm einen fassungslosen Blick zuwarf und er schluckte. ,,Entschuldige...ich wollte nur die Stimmung auflockern."

Diese Geste wusste ich zwar zu schätzen, aber der Versuch schlug fehl. Nichts würde mich im Moment zur Besinnung bringen, da ich viel zu wütend und schockiert war. Nur wusste ich noch nicht, welches der beiden Gefühle überwog. Unsere Konversation wurde unterbrochen, als das Handy von Ezra klingelte und er zog es aus seiner Hosentasche, ehe er seufzend auf das Display sah.

,,Meine Mutter! Sie wird nicht aufhören anzurufen, um Fragen zu stellen. Ich hatte keine Zeit, sie und Dad aufzuklären."

,,Schon okay!", sagte ich und winkte ab. ,,Du solltest zu ihnen zurückfahren und ihnen alles erklären."

,,Kann ich dich denn alleine lassen?", fragte Ezra und sah mich besorgt an, aber ich hob abwehrend eine Hand.

,,Mach dir keine Sorgen um mich. Es ist ja nur Sherlock Holmes, der mein Leben wieder vollkommen auf den Kopf gestellt hat."

Mein Verlobter musterte mich noch einen kurzen Moment und schien noch unsicher zu sein, ob er wirklich gehen sollte. Aber dann nickte er schließlich und seufzte leise.

,,In Ordnung! Ich komme zurück so schnell ich kann. Melde dich, wenn etwas ist."

,,Ist gut!", sagte ich und Ezra verschwand schließlich, sodass ich allein zurückblieb.

Was war heute passiert? Die Wohltätigkeitsgala hatte eigentlich ganz schön angefangen und nach dem Antrag von Ezra hätte ich nicht glücklicher sein können. Aber genau in diesem Moment, als ich einmal vollkommen glücklich gewesen war, schickte mir das Schicksal einen netten Gruß in Form eines wieder auferstandenen Sherlock Holmes vorbei.

Wieso? Wieso hatte Sherlock uns zwei Jahre lang in dem Glauben gelassen, er wäre tot? Er hatte damit ja nicht nur eine Lücke bei uns allen hinterlassen, sondern uns alle auch in die persönliche Hölle geschickt.
Nächtelang hatte ich mich in den Schlaf geweint und in meinen Träumen hatte ich immer wieder erlebt, wie Sherlock vom Dach gesprungen war und sich in den Tod gestürzt hatte. Und jedes Mal waren John und ich zu spät und alle Hoffnung auf Rettung war vergebens gewesen. Es war ein Schmerz gewesen, wie ich ihn noch nie zuvor verspürt hatte und ich hatte jedes Mal verzweifelt versucht, ihn irgendwie zu betäuben oder zu begraben.

Und die Rückkehr von Sherlock machte mich nicht nur wütend und schockierte mich zutiefst...sie brachte mich auch vollkommen durcheinander. Als er lebendig und unversehrt vor mir gestanden hatte, da wäre ich ihm am liebsten einfach nur um den Hals gefallen und hätte ihn nie wieder losgelassen, aber dann hatte ich die Tatsache seiner Rückkehr realisiert und meine Wut hatte die Oberhand gewonnen.

Und jetzt? Jetzt wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich wusste weder, was ich denken, noch, was ich fühlen sollte. Sollte ich nun weiterhin sauer sein und Sherlock aus dem Weg gehen? Oder sollte ich wirklich noch einmal mit ihm reden, wie Ezra es vorgeschlagen hatte? Für gewöhnlich war mein Verlobter ja die Stimme der Vernunft in unserer Beziehung und bei Sherlock war ich es in manchen Situationen gewesen, wenn er vollkommen durchgedreht war.

Aber es war nicht wie damals...es lagen zwei Jahre dazwischen. Zwei Jahre, die wir alle ohne Sherlock verbracht hatten und der Alltag konnte keineswegs einfach so zurückkehren. Es fühlte sich an, als wär eine Bombe in meinem Leben eingeschlagen und ich stand vor dem, wovor ich auch schon vor zwei Jahren am vermeintlichen Todestag von Sherlock gestanden hatte: vor einem emotionalen Scherbenhaufen!

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