Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Der Morgen war regnerisch in London, als ich gemeinsam mit John durch die Innenstadt ging und meinen freien Tag genoss. Gestern hatten Greg und ich einen besonders brisanten Fall aufgelöst und während ich es mit Humor genommen hatte, war mein Partner natürlich wieder mal kreidebleich geworden und letztendlich sogar in Ohnmacht gefallen. Und dabei hatte ich immer angenommen, dass Detective Inspektoren nichts und niemand umhauen konnte. Tja, da hatte ich bis gestern eindeutig falsch gelegen.

Um euch kurz aufzuklären: wir waren in ein Museum gerufen worden, wo eine Leiche gefunden worden war. Zu Anfang hatte es noch ganz spannend geklungen, aber man hätte uns vielleicht vorher sagen sollen, dass das Opfer in Einzelteilen als Botschaft hinterlassen worden war. Gut, es war eine ziemlich blutige Angelegenheit gewesen, doch ich hatte es hingenommen und die Fakten studiert. Aber Greg hatte beim schaurigen Anblick der Leiche das Bewusstsein verloren und war den ganzen Tag über außer Gefecht gesetzt, sodass ich mich allein auf Mörderjagd hatte begeben müssen. Nicht einmal Sherlock Holmes hatte mir helfen wollen, da er den Fall ohnehin als zu offensichtlich eingestuft hatte und dafür nicht seine Wohnung verlassen wollte. Zumindest hatte er mir aber den entscheidenden Hinweis gegeben und binnen weniger Stunden, hatte ich schließlich den Stiefvater des Opfers festgenagelt. Tja, mit Sherlock Holmes zusammenzuarbeiten, hatte also durchaus seine Vorteile.

,,Evelyn, hörst du mir zu?", riss mich die Stimme von John aus den Gedanken und ich zuckte zusammen.

,,Was?"

,,Du scheinst ja sehr weit weg gewesen zu sein. Verrätst du mir, woran du gedacht hast?", meinte John schmunzelnd und ich zuckte mit den Schultern.

,,Nur an den Fall von gestern. Greg kann ja sagen, was er will...aber diese Leiche war faszinierend."

John sah mich überrascht an und ich musste grinsen. Auch er hatte keinen Blick auf die Leiche werfen wollen, weil ihm schon von meinem Bericht schlecht geworden war.

,,Also in Sachen Begeisterung für Tod und Leichen, kannst du dich mit Sherlock in ein Boot setzen.", murmelte er nur und ich sah ihn kopfschüttelnd an.

,,So schlimm war es gar nicht, John. Die Leiche war doch nur..."

,,Bitte, Evelyn!", unterbrach er mich hastig und hob abwehrend die Hände, während er mir einen flehenden Blick zuwarf. ,,Ich möchte keine Details."

,,Wie du willst.", erwiderte ich, als mein Handy klingelte und ich es aus meiner Jackentasche zog. ,,Du und Greg könnt überhaupt nichts vertragen. Das FBI wäre auf jeden Fall kein Gebiet für euch."

Ich sah noch, wie John die Augen verdrehte und sich von mir abwandte. Doch ich musste grinsen und sah schließlich auf das Display, wo ich den Namen meines Partners erkannte und augenblicklich abnahm.

,,Ah, Partner...wir haben gerade von dir gesprochen. Geht's dir wieder besser?", fragte ich und konnte schon regelrecht hören, wie Greg aufstöhnte.

,,Ja, Evelyn...es geht mir besser und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich nicht an den vergangenen Fall erinnern würdest. Außerdem haben wir ein anderes Problem."

,,Was denn?", wollte ich wissen und nun klang Greg ziemlich angespannt.

,,Ich weiß, dass du heute deinen freien Tag hast, aber ein anonymer Anrufer hat mich eben angerufen und gesagt, dass es wohl Ärger in der King Street 28 gibt. Könntest du schon mal voraus fahren und dir das ansehen? Ich bin auch schon auf dem Weg, aber es wird wohl noch etwas dauern, bis ich ankomme."

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Ärger in der King Street? Für so etwas rückten Greg und ich doch normalerweise niemals aus, da wir zu der Mordkommission gehörten, aber das war mir egal. Ich war immerhin Polizistin geworden, um anderen Menschen zu helfen und das hier klang ernst.

,,Okay...ich mache mich gleich auf den Weg. Wir treffen uns da.", versicherte ich ihm und hörte, wie er erleichtert aufatmete.

,,Danke, Evelyn!"

Dann legte ich auf und sah mich suchend um. Ich entdeckte John an einem Verkaufsstand und ging geradewegs auf ihn zu, während ich mir am Telefon ein Taxi bestellte.

,,Hey, John...ich muss los. Es gibt einen neuen Fall."

,,Ich dachte, du hast heute frei.", erwiderte er irritiert und ich wandte mich schließlich ab.

,,Daraus wird nichts. Scheint ernst zu sein. Wir sehen uns später."

                              ***

Zum Glück war das Taxi schnell vor Ort gewesen und nun erreichte es die King Street. Nachdem ich den Fahrer bezahlt hatte und dieser wegfuhr, sah ich zu dem Haus mit der Nummer 28 und hielt wachsam meine Augen offen.
Es war mehr als abgelegen und ich fragte mich, was es um alles in der Welt hier für Ärger geben sollte. Streit schien es schon mal nicht zu sein, da ich keinerlei Geräusche vernehmen konnte. Zuerst wollte ich auf Greg warten, doch dann zögerte ich. Wann würde er hier eintreffen? Das wusste ich nicht und bis dahin konnte es bereits zu spät sein.
Also zog ich kurzer Hand meine Waffe und näherte mich langsam dem Haus...ließ meine Umgebung jedoch keine Sekunde lang aus den Augen. Allerdings schien alles ruhig zu sein.

,,Sergeant Headley vom Scotland Yard! Öffnen Sie die Tür!", rief ich, nachdem ich geklingelt hatte und niemand öffnete.

Doch ich bekam keine Antwort und nachdem ich es noch geschlagene 3x versucht hatte, fand meine Geduld ein Ende. Kurzer Hand trat ich die Tür auf und begab mich in das Haus.
Es war totenstill und ich sah mich aufmerksam um. Ich ertappte mich manchmal schon selbst dabei, dass ich mittlerweile meine Umgebung genauso gründlich inspizierte wie Sherlock, was wohl zweifellos von ihm auf mich abgefärbt hatte. Doch ich konnte bis jetzt keinerlei Hinweise auf ein Verbrechen entdecken, denn das Haus wirkte völlig normal und verlassen, also schien im Moment zumindest niemand zu Hause zu sein.

Mehr und mehr irritierte mich diese Situation, während ich nun die Treppe nach oben ging und das obere Stockwerk des Hauses durchsuchte. Weit und breit war keine Menschenseele hier zu sehen und auch oben fand ich keinerlei Hinweise, die auf ein Verbrechen oder Ärger in diesem Haus hinwiesen. Hatte sich dieser mysteriöse Anrufer von Greg möglicherweise in der Hausnummer geirrt? Wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass dies vorkam.
Aber noch mehr verwirrte mich, warum ausgerechnet Greg direkt angerufen worden war. Normalerweise rief man doch beim Notruf an und diese schickten dann dementsprechend die Leute raus.
Ich bekam immer mehr das Gefühl, dass an dieser ganzen Sache etwas faul war und ich ging schließlich wieder die Treppe nach unten. Zur Sicherheit begab ich mich noch einmal ins Wohnzimmer, wo ich auf einmal eine schwarz gekleidete Person entdeckte und augenblicklich meine Waffe auf sie richtete.

,,Hey, Sie da...mein Name ist Sergeant Headley vom Scotland Yard. Hände hinter den Kopf und langsam umdrehen.", befahl ich mit energischer Stimme, als die Person den Kopf hob.

Sie trug eine Kapuze und daher konnte ich nicht wirklich etwas erkennen. Als sie sich jedoch umdrehte, erkannte ich eine Frau mit kurzen roten Haaren und diese sah mich ausdruckslos an, während ich irritiert die Stirn in Falten legte.

,,Wer sind Sie denn?"

Doch anstatt mir zu antworten, ging diese Frau in Schwarz mit einem Mal auf mich los und schlug mir mit einem einzigen Tritt die Waffe aus der Hand. Schockiert sah ich sie an und wich dem nächsten Tritt von ihr aus, ehe ich begann, mich zu verteidigen.
Auch für solche Fälle war ich ausgebildet worden und hatte es auch bereits einige Mal als Vergnügen im Einsatz gehabt, doch von einer Frau hätte ich es wirklich nicht erwartet. Aber diese hier schien besonders hartnäckig zu sein, denn mit gezielten Tritten und Schlägen holte sie nach mir aus und ich hatte große Mühe, ihr immer wieder rechtzeitig auszuweichen.

,,Hey, Lady...wir können über alles reden. Gewalt ist keine Lösung!", brachte ich hervor, doch meine Worte schienen sie überhaupt nicht zu interessieren.

Sie verpasste mir einen Tritt und ich knallte gegen die Arbeitsplatte der Küche. Kurz war ich entsetzt darüber, doch dann stürmte sie erneut auf mich los und ich entging einem weiteren Tritt von ihr. Ich griff kurzer Hand zu einer Billardqueue und wehrte mit dieser ihre Schläge ab.
Doch diese Frau war raffiniert und unglaublich stark. Ich wusste nicht, ob sie möglicherweise Kung Fu oder dergleichen ausübte, aber trainiert war sie auf jeden Fall. Und mit einem Mal, entriss sie mir die Queue und brachte mich mit einem weiteren Tritt zu Fall.
Ich taumelte zurück und konnte mich gerade so auf den Beinen halten. Aber bevor ich erneut zur Verteidigung ansetzen konnte, schlug mir die Frau die Queue gegen die Stirn und ich sank zu Boden. Vollkommen benebelt warf ich noch einen letzten Blick auf die Frau in Schwarz...dann verlor ich das Bewusstsein.

                            ***

,,Evelyn...wach auf!"

Eine Stimme holte mich in die Wirklichkeit zurück und ich blinzelte verwirrt. Als ich die Augen langsam öffnete, erkannte ich Greg, der mich besorgt musterte und ich hatte das Gefühl, als würde jemand mit einem Presslufthammer in meinem Kopf hantieren. Langsam setzte ich mich auf und Greg warf mir einen eindringlichen Blick zu.

,,Sei vorsichtig! Dich hat es ganz schön erwischt. Ich habe schon einen Krankenwagen und die Spurensicherung gerufen."

,,Greg? Was ist passiert?", brachte ich hervor und seine Augenbrauen hoben sich.

,,Tja, ehrlich gesagt hatte ich gehofft, du sagst es mir. Als ich angekommen bin, war das Wohnzimmer verwüstet und du lagst bewusstlos auf dem Boden. Wer hat dich so zugerichtet, Evelyn?"

,,Diese Irre in Schwarz. Zuerst war sie nicht da, als ich ins Haus gegangen bin, aber dann stand sie auf einmal im Wohnzimmer und bevor ich große Fragen stellen konnte, hat sie mich attackiert und niedergeschlagen. Wo ist sie hin?", wollte ich wissen und sah mich suchend um.

,,Keine Ahnung! Wer es auch war...sie ist längst weg. Aber dass sie dich niedergeschlagen hat, überrascht mich nicht. Du hast sie ja auf frischer Tat ertappt."

,,Was meinst du?", entgegnete ich irritiert.

Greg sah mich überrascht an, denn offenbar hatte er eine andere Antwort erwartet. Einen Moment zögerte er noch, doch dann half er mir aufzustehen und deutete kurzer Hand auf den Boden des Wohnzimmers.

,,Naja...der Mord, den sie verübt hat. Du musst ihr ohne Zweifel dazwischen gefunkt haben."

Ich folgte seinem Blick und erst jetzt entdeckte ich den toten Mann, der auf dem Boden lag. Die Billardqueue ragte aus seiner linken Brust und mir fiel die Kinnlade runter. Vorhin war der aber noch nicht da gewesen.

,,Ähm, Greg...der war vorhin aber noch nicht da.", brachte ich hervor und er sah mich verdutzt an.

,,Wie?"

,,Na, die Leiche...als diese Frau mich angegriffen hat, da war die Leiche noch nicht da."

,,Aber, weswegen sollte sie sonst auf dich losgegangen sein?", fragte er und ich sah ihn unschlüssig an.

,,Woher soll ich das wissen? Auf jeden Fall war dieser Mann noch nicht hier."

Ich ging mit wackeligen Schritten auf die Leiche zu und Greg folgte mir. Das Opfer war ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren und er schien ungefähr im Alter von Greg zu sein. Vielleicht ein bisschen jünger, aber auf jeden Fall älter als ich.

,,Oh, mein Gott!", sagte Greg und wirkte sichtlich erschüttert, weshalb ich ihn irritiert ansah.

,,Was ist, Greg?"

,,Das Opfer...ich...ich kenne ihn.", entgegnete er und ich starrte Greg perplex an.

,,Was? Aber woher?"

Mein Partner starrte vollkommen schockiert auf das Opfer und mit jeder Sekunde, in der er schweigsam blieb, wurde ich unruhiger. So kannte ich Greg gar nicht und das gefiel mir überhaupt nicht.

,,Greg, spricht mit mir. Wer ist dieser Mann?", flehte ich schon geradezu und dann brach er endlich sein eisernes Schweigen.

,,Der ehemalige Liebhaber meiner Frau!"

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