Der Maskenball

Der Maskenball

Alicia PoV

Am nächsten Tag fügte sich Evelyn ihrem Schicksal und begab sich mit Maggie auf eine Stadtrundtour. Ihren Partner Greg hatte sie um spontanes Frei gebeten und da dieser ohnehin mit Papierkram bezüglich des neuen Falls beschäftigt war, hatte er es ihr genehmigt.
Ich hingegen, hatte den Nachmittag damit verbracht, mir ein Kleid unter denen auszusuchen, welche Evelyn mir von sich rausgesucht hatte. Natürlich hatte ich zwar Klamotten mitgebracht, aber an ein Abendkleid hatte ich nun wirklich nicht gedacht. Allerdings hatte ich auch keineswegs damit gerechnet, auf einen Maskenball während meines Aufenthalts in London zu gehen.

Und ich war wirklich gespannt, wie der Abend mit Sherlock und John Undercover verlaufen würde. Irgendwie konnte ich Evelyn nicht so richtig abnehmen, dass Sherlock jemanden mit seinen Methoden erschüttern konnte, aber ich würde es trotzdem mit Vorsicht genießen.
Doch auch, wenn ich Sherlock gerade mal einen Tag kannte, so hatte ich dennoch eine Tatsache sofort bemerkt: er war nicht so emotionslos, wie er es nach außen hin zeigte! Bei seinem Gespräch mit Evelyn am Tatort hatte er zwar versucht es zu verbergen, aber ich hatte mitbekommen, wie er sie angesehen hatte. Mir konnte er nichts vormachen...Sherlock empfand etwas für Evelyn!

Was John anging...der war völlig anders als alle anderen, denen ich bisher begegnet war. Er machte auf mich einen unglaublich sympathischen, gütigen und ehrlichen Eindruck, aber ich hatte auch eine gewisse Spur von Trauer in seinem Blick sehen können. Ohne Zweifel musste er jemanden verloren haben, der ihm sehr am Herzen gelegen hatte. Aber ich hatte ihn nicht danach fragen wollen, denn dazu kannten wir uns ja noch nicht gut genug. Aber er faszinierte mich und ich hatte schon bei unserer ersten Begegnung das Gefühl gehabt, dass ich ihm vertrauen konnte.

Als es bereits zum Abend hinging, begab ich mich schließlich in die Baker Street. Ich hatte mich bereits fertig umgezogen und hatte mich für ein dunkelblaues langes Abendkleid aus Evelyns Sammlung entschieden. Meine blonden Haare hatte ich zur Seite gesteckt und natürlich hatte ich auch die Maske dabei, welche Sherlock Holmes für mich und Evelyn besorgt hatte.
Ein bisschen schade fand ich es schon, dass Evelyn uns nicht begleiten würde. Immerhin hatte ich sie schon so weit bekommen, dass sie sich ihre Gefühle für Sherlock wahrhaftig eingestanden hatte und der Maskenball wäre ja, trotz der Undercover-Mission, immerhin eine gute Gelegenheit gewesen, die beiden einander näher zu bringen. Aber das Schicksal hatte wohl andere Pläne.

Als ich an der Tür 221b klopfte, öffnete mir eine fremde Frau die Tür und diese brachte mir ein sympathisches Lächeln entgegen, ehe sie mich kurzer Hand hereinbat.

,,Ah, Sie sind bestimmt Alicia. Ich bin Mrs. Hudson. John und Sherlock sind noch oben, aber Sie können gerne zu ihnen. Einfach die Treppe rauf.", sagte sie und ich sah ihr verdutzt nach, als sie in einer anderen Wohnung verschwand.

Dann zuckte ich mit den Schultern und ging die Treppe hoch. Und noch bevor ich überhaupt in der Wohnung angekommen war, vernahm ich bereits die Stimme von Sherlock, der den Maskenball wohl als regelrechtes Abenteuer der Kriminalität einzustufen schien.

,,Wenn wir präzise und scharfsinnig an die Sache rangehen, dann müssten wir Erfolg haben. Aber natürlich müssen wir dabei so unauffällig wie möglich bleiben."

,,Du und unauffällig? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.", erwiderte John und ich musste grinsen.

Sein Humor gefiel mir jetzt schon und auch ich konnte mir nur schlecht vorstellen, dass Sherlock in irgendeiner Weise unauffällig sein konnte. Er musste ja auch etwas Außergewöhnliches an sich haben, sonst hätte sich Evie keineswegs in ihn verliebt.
Ich betrat das Wohnzimmer und merkte, dass Sherlock gerade zum Widerspruch gegenüber John ansetzen wollte, aber er brach ab, noch bevor er das erste Wort herausgebracht hatte und sah mich vielsagend an, während John mir ein freundliches Lächeln zuwarf.

,,Hey, Alicia!"

,,Hallo, John!", sagte ich und Sherlock musterte mich.

,,Sie sind pünktlich...eine erfreuliche Tatsache."

,,Sicher! Wieso? Haben Sie gedacht, ich würde mich verlaufen?", meinte ich, doch Sherlock zuckte nur mit den Schultern.

,,Sie stammen aus New York. Von daher muss Ihr Orientierungssinn ausgezeichnet sein. Und davon abgesehen hat Evelyn Ihnen ohne Zweifel die Adresse gegeben und mit einem Taxi war das Ziel ohne Schwierigkeiten zu erreichen."

Ich erwiderte nichts, denn nun wurde mir so einiges klar. Das nannte man also die Deduktionen des berühmten Sherlock Holmes. Und ich dachte erst, das alles wäre übertriebenes Gerede gewesen.
Allerdings musste ich zugeben, dass Sherlock in dem schwarzen Smoking wirklich gut aussah. Aber auch John machte in seinem ordentlich was her und nun schien Sherlock wahrlich seinen Strategien gerecht zu werden, denn er wirkte mit einem Mal hochkonzentriert und professionell.

,,Wir brechen gleich auf. Ich muss nur noch unsere Einladungen einpacken.", sagte er und ich hob eine Augenbraue.

,,Sie haben Einladungen für uns?"

,,Ja, natürlich! Ohne die kommen wir nicht rein.", entgegnete Sherlock und verschwand im Flur.

Ich sah ihm perplex nach und seufzte dann kaum merklich. Als ich zu John sah, bemerkte ich, wie dieser sich ein Grinsen verkniff und anschließend nickte, da ihn mein fassungsloser Blick zu amüsieren schien.

,,Tja, ich hatte dich ja gewarnt."

,,Hmm...ich sollte deine Warnungen in Zukunft ernster nehmen.", meinte ich und John grinste ein wenig.

,,Naja, was soll ich sagen...das ist Sherlock. Es wird niemals langweilig mit ihm! Aber...ganz egal, wie lange man ihn schon kennt...er schafft es trotzdem noch immer, Einen zu überraschen."

,,Das glaube ich gern."

Ich warf John einen amüsierten Blick zu und musste schmunzeln. Wahrscheinlich hätte ich wirklich ernst nehmen sollen, was er und Evelyn gesagt hatten, aber naja...hinterher war man ja bekanntlich immer schlauer. John zog sich seine Fliege zurecht und warf einen geradezu erstaunten Blick auf mein Kleid.

,,Du siehst...toll aus.", brachte er hervor und ich lächelte ein wenig.

,,Danke! Evie hat mir das Kleid geliehen. Auf einen Maskenball war ich ja auch nicht wirklich vorbereitet."

,,Das war wohl niemand von uns.", erwiderte John, als Sherlock in dem Moment mit schnellen Schritten ins Wohnzimmer zurückkehrte.

Er hielt Umschläge in der Hand, die wohl unsere Einladungen beinhalteten und es war mir ein Rätsel, wo er diese so schnell aufgetrieben hatte. Aber ich stellte keine Fragen, denn sonst fand ich mich sicher wieder in einer Deduktion wieder und für das hatten wir heute Abend nicht wirklich Zeit.
Sherlock sah zwischen John und mir für einen Moment verdutzt hin und her und hob prüfend eine Augenbraue, ehe er wieder eine ausdruckslose Miene aufsetzte und uns kurzer Hand jeweils einen Umschlag reichte.

,,Also, dann! John, heute Abend bist du Henry Alexander Pierce und Alicia, Sie sind Penelopé Valentina Wintersberg.", erklärte Sherlock und meine Augenbrauen schnellten in die Höhe.

,,Ach, du Schreck!"

,,Und wer bist du?"

,,Ich bin dein werter Bruder, John! Nicolae Jonathan Pierce!", erwiderte Sherlock und nun schaute ich etwas irritiert in die Runde.

,,Und was für eine Rolle habe ich?"

,,Die Verlobte von Henry...also, von John. Ihr müsst nichts weiter tun, als möglichst verliebt und glücklich zu wirken, während ich nach unserer Zielperson Ausschau halte. Und so wie ich das sehe...dürfte euch das ja nicht allzu schwer fallen. Wollen wir?"

Ohne auf eine Antwort zu warten, warf sich Sherlock seinen Mantel über und eilte ins Treppenhaus. Mir war die Kinnlade aufgrund seiner letzten Bemerkung heruntergefallen und ich wüsste nur zu gerne, was er damit gemeint hatte. Aber John fügte sich dem Ganzen und reichte mir galant seinen rechten Arm.

,,Nun, Miss Wintersberg...wir sollten besser aufbrechen, sonst wird mein werter Herr Bruder noch ungeduldig."

Ich musste ein wenig lachen und hakte mich bei John ein. Dann gingen wir ebenfalls die Treppen herunter und als wir aus dem Haus traten, staunte ich nicht schlecht. Denn vor uns parkte eine luxuriöse Limousine, was auch John die Sprache verschlug.

,,Ist die etwa für uns?", brachte ich hervor und Sherlock sah mich vielsagend an.

,,Natürlich ist sie für uns. Mein Bruder hat sie uns besorgt. Hat wohl doch Vorteile, einen Bruder als Regierung zu haben."

Mit diesen Worten stieg Sherlock ein. John und ich tauschten einen kurzen Blick, ehe wir ebenfalls einstiegen. Sherlock nannte dem Chauffeur die Adresse und die Limousine setzte sich und Bewegung.

Als wir unseren Zielort erreicht hatten und ausstiegen, kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Das Gebäude war gigantisch und kam einem Palast gleich, der mich geradezu überwältigte. Die Lichter funkelten wie Sterne und die anderen Gäste waren ebenfalls elegant und prächtig gekleidet.
Ich wurde aus den Gedanken gerissen, als John mir meine Maske hinhielt, die ich mir kurzer Hand aufsetzte. Er trug seine bereits und Sherlock setzte sich seine ebenfalls auf, wodurch er gleich noch ein Stück mysteriöser aussah, als er es ohnehin schon tat.

,,Nach wem suchen wir eigentlich?", fragte John und Sherlock rückte sich seine Fliege zurecht, während er uns mit seinen blauen Augen entschlossen musterte.

,,Wenn ich das wüsste, würden wir nicht Undercover gehen. Aber keine Sorge...ich habe einen Plan."

,,Und wie sieht der aus?", sagte ich sofort alarmiert, aber Sherlock winkte ab.

,,Unwichtig für euch. Ihr beide habt nur eine Aufgabe: die Augen offenhalten!"

Sherlock marschierte nun geradewegs auf den Eingang zu und ich schüttelte den Kopf, ehe ich ihm mit John folgte. Und während wir unsere Einladungen vorzeigten, die uns den Eintritt verschafften, zückte ich mein Handy und schickte eine Nachricht an Evelyn.

Hey, Evie!

Wir sind jetzt angekommen und bin gespannt, wie unauffällig Sherlock Holmes bei diesem Event bleiben kann. Ich hoffe, Tante Maggie nimmt dich nicht zu sehr in Anspruch. Wenn was ist, dann melde dich bei mir.

Gruß, Alicia!

Ich steckte mein Handy zurück in meine Handtasche und wir gaben unsere Jacken bei der Garderobe ab. Sherlock wirkte immer noch hochkonzentriert, während John ziemlich gelassen wirkte. Bei mir zeigte sich allerdings ein wenig Anspannung, denn ich hoffte wirklich, dass der Maskenball von Erfolg gekrönt sein würde und wir mit Antworten bezüglich des Opfers nach Hause gehen konnten. Andernfalls hätten wir uns vollkommen umsonst zum Affen gemacht!
Mein Handy vibrierte und ich zog es heraus, als ich die Antwort von Evelyn auch schon öffnete.

Hey, Alicia!

Naja, Tante Maggie ist eben wie sie ist...ich werde es aber schon überleben. Über Voodoo und Wahrsagung weiß ich immerhin jetzt bestens Bescheid. Sag Sherlock, er soll sich benehmen, sonst kriegt er es mit mir zu tun und viel Glück bei dem Maskenball. Passt auf euch auf!

Evelyn

,,Alles in Ordnung?", fragte John, als ich mein Handy wieder wegsteckte und nickte.

,,Ja! War nur eine Nachricht von Evelyn."

,,Was schreibt sie?", hakte Sherlock nach und ich schenkte ihm ein freches Grinsen.

,,Dass Sie sich benehmen sollen, sonst gibts Ärger."

,,Tue ich das nicht immer?", entgegnete Sherlock ein wenig empört und nun sah John ihn vielsagend an.

,,Die Frage stellst du gerade nicht wirklich, oder?"

Sherlock brummte etwas vor sich hin und ich musste grinsen. Auch John war amüsiert und ich fühlte mich gleich viel euphorischer. Tja, Evelyn musste eben nicht einmal anwesend sein, um die Stimmung aufzulockern.
Als wir nun auf den, ich konnte es kaum glauben, Tanzsaal zugingen, wurde mein Staunen immer größer und ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinsehen sollte. Alles war prächtig geschmückt, überall liefen Kellner mit Champagnergläsern herum und ein kleines Orchester sorgte für die entsprechende Musik. Auf einmal drehte sich Sherlock zu uns um und deutete vielsagend auf den Saal.

,,Wir teilen uns auf. Ihr beide versucht Kontakte zu knüpfen, die mehr über die Gästeliste und unser Opfer wissen. Ich werde meinen geheimen Plan in die Tat umsetzen.", erklärte er und John sah ihn misstrauisch an.

,,Was hast du vor, Sherlock."

,,Wenn ich dir das sagen würde, wäre der Plan ja nicht mehr geheim. Kümmere dich um deine Verlobte, Bruderherz. Überlass den anspruchsvollen Teil des Abends mir.", scherzte Sherlock und ich spielte das Spiel mit.

,,Na, dann viel Erfolg, Nicolae! Und denken Sie immer daran: Haltung wahren und höflich sein!"

Sherlock starrte mich ungläubig an, ehe er die Augen verdrehte und das Weite suchte. Ich grinste und John schüttelte amüsiert den Kopf. Doch dann fing er sich wieder und reichte mir mit einem Mal seine rechte Hand, ehe er mich gespielt ganz Gentlemen like ansah.

,,Darf ich bitten, Miss Wintersberg?", fragte er und ich legte den Kopf schräg.

,,Sie wollen also wirklich ein Tänzchen wagen, Mr. Pierce?"

,,In der Tat! Allerdings müssen Sie nun auch Ihr Versprechen einlösen, mir bei diesem Part behilflich zu sein.", sagte John und ich lächelte, ehe ich ihm meine Hand reichte.

,,Es wird mir ein Vergnügen sein."

Gemeinsam betraten wir den Tanzsaal und ich bemerkte, dass auch John über den Anblick staunte. Es war auch einfach überwältigend und viel größer als alles, was ich bisher gesehen hatte. Schließlich stellten John und ich uns in Tanzposition und fingen langsam an, gemeinsam zu tanzen. Seine ersten Schritte waren zwar etwas holprig, aber mit jedem Schritt wurde er besser und ich sah ihn anerkennend an.

,,Na, siehst du...das klappt doch schon ganz gut."

,,Na, ich glaube, das liegt nur an der Tanzpartnerin.", widersprach er und ich musste lachen.

,,Viel zu bescheiden, Dr. Watson."

,,Na, muss ich dich daran erinnern, dass wir Undercover sind, Penelopé?", korrigierte er augenblicklich und ich machte ein gespielt schämendes Gesicht.

,,Oh, ja...tut mir leid. Ich gelobe sofortige Besserung!"

John schmunzelte und ich war froh, dass er heute Abend den traurigen Ausdruck in seinem Gesicht verloren hatte. Er schien sogar ein wenig Spaß zu haben und ich spürte, wie ich jeden Augenblick genoss. Es war der schönste Abend seit langem, auch wenn ich keineswegs die Umstände vergaß, wegen denen wir wirklich hier waren.

,,Darf ich dich was fragen?", unterbrach John auf einmal unser Schweigen und ich nickte.

,,Sicher!"

,,Warum hat Evelyn nie etwas von dir erzählt? Ich meine...ihr beide seid die besten Freunde...das sieht man sofort. Aber dein Name ist bisher noch nie gefallen."

John sah mich abwartend an und ich zögerte einen Moment. Weder er noch sonst jemand hier in England kannte die Wahrheit...und ich hatte Evelyn versprochen zu schweigen. Aber dennoch konnte ich ihm eine Antwort geben, die nicht einmal gelogen war.

,,Nun, als Evelyn aus New York weggezogen ist, da ist unser Kontakt irgendwie abgerissen. Aber das war auch nicht verwunderlich. Ich meine, jeder von uns hatte sein eigenes Leben und da war nicht wirklich Zeit, sich groß zu melden. Aber jetzt bin ich ja hier und ich bin froh, dass ich mich zu diesem Überraschungsbesuch entschieden habe.", erwiderte ich und John nickte verständlich.

,,Hmm...das leuchtet ein."

,,Was ist mit dir?", entgegnete ich und nun sah John mich irritiert an, woraufhin ich mit den Schultern zuckte. ,,Mir ist aufgefallen, dass du eher der ruhigere Typ bist- das komplette Gegenteil von Sherlock. Aber es ist nicht die einfache Zurückhaltung...irgendwas macht dir zu schaffen. Ich kann es dir ansehen."

John schien etwas überrascht über diese Frage zu sein, aber er schwieg. Und ich merkte, dass er sich etwas anspannte, woraufhin ich mich innerlich selbst ohrfeigte. Eigentlich hatte ich ihn gar nicht darauf ansprechen wollen, aber meine Neugier war mal wieder stärker gewesen. Daher winkte ich schnell ab und sah John entschuldigend an.

,,Ach, vergiss es. Das geht mich ja auch gar nichts an. Bitte entschuldige, ich hätte dich das nicht fragen sollen.", brachte ich hervor, doch dann brach John sein Schweigen.

,,Nein...ist schon okay. Du hast Recht!", setzte er an und als ich die Stirn runzelte, fuhr er fort. ,,Es ist nur...ich habe meine Frau verloren und es ist...es ist nicht so einfach das zu verkraften."

Wir blieben stehen und nun sah ich John mitfühlend an. Das war also der Grund, warum er so still und zurückhaltend war...er trauerte! Und obwohl ich wusste, dass ich ihm damit nicht helfen konnte, verspürte ich den augenblicklichen Wunsch, ihm den Schmerz und die Trauer zu nehmen.

,,Das tut mir leid!", sagte ich und John schluckte.

,,Danke! Es ist nicht einfach...aber es wird besser. Und es ist, was es ist."

Ich nickte und John brachte nun ein mattes Lächeln zustande. Tja, unseren Tanz hatte das Thema leider offenbar ruiniert, aber ich war dennoch froh darüber, dass sich John mir anvertraut hatte. Aber es war ebenso merkwürdig, denn wir kannten uns ja kaum. Wie konnte ich denn da dieses Gefühl haben, als würde ich ihn schon ewig kennen?

Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter und ich zuckte zusammen, als John und ich herumfuhren und erleichtert aufatmeten. Es war Sherlock, der uns nun vielsagend ansah und kaum merklich auf den Flur deutete.

,,Mein Plan war erfolgreich. Kommt mit! Wir haben eine Verabredung."

,,Eine Verabredung?", wiederholte John und sah Sherlock verdutzt an. ,,Mit wem?"

,,Mit der Person, die sich eigentlich mit unserem Opfer treffen wollte."

,,Echt? Wie haben Sie das denn bewerkstelligt?", wollte ich wissen, aber da schob Sherlock uns auch schon aus dem Tanzsaal.

,,Keine Zeit für Erklärungen! Jetzt zählt nur, dass wir einen wichtigen Zeugen oder möglicherweise Tatverdächtigen treffen. Beides ist möglich und auch notwendig, um etwas Licht in diesen Fall zu bringen."

Sherlock ging nun voraus und wir folgten ihm. Obwohl er natürlich Recht hatte, verspürte ich auf einmal ein ungutes Gefühl. Wir hatten keine Ahnung, mit wem wir uns gleich trafen und auch nicht, ob dieser jemand gute oder schlechte Absichten hatte. Ich hoffte nur, dass der Schuss nicht nach hinten losging und wir wirklich Antworten auf unsere Fragen bekamen.

Unser Weg endete in einem abgelegenen Raum, der wie eine Art Arbeitszimmer aussah. Sherlock schloss die Tür hinter uns und ich spürte, dass meine Anspannung wuchs. John schien das zu merken, denn er berührte mich an der linken Schulter und nickte mir zuversichtlich zu, was ich mit einem schwachen Lächeln quittierte.

,,Ich habe Ihre Nachricht erhalten!", erklang auf einmal eine männliche Stimme und Sherlock betätigte den Lichtschalter, der jedoch nicht das erhoffte Licht ins Dunkel brachte.

,,Und Sie sind gekommen.", erwiderte Sherlock und ich ahnte, dass er genauso auf der Hut war wie wir. ,,Allerdings würde ich es bevorzugen, wenn ich Sie sehen könnte, während wir miteinander sprechen."

,,Oh, ich fürchte, daraus wird nichts werden, Mr. Holmes. Ihre Methoden und Fähigkeiten sind mir durchaus bekannt und ich möchte lieber, dass meine Identität geheim bleibt. Tut mir leid, aber da gehe ich kein Risiko ein.", widersprach der Fremde und nun begann John langsam aufzutauen.

,,Sie kannten Lucinda von Canterville und Sie waren eigentlich mit ihr heute Abend verabredet."

,,Das ist richtig!", stimmte der Unbekannte zu und ich brach nun ebenfalls mein Schweigen.

,,Dann trifft es Euch sicher zu hören, dass Sie tot ist."

,,Ja, davon habe ich schon gehört. Schlimme Sache, aber die Reporter reißen sich drum. Ist in allen Nachrichten zu sehen.", entgegnete er und John wirkte etwas überrascht.

,,Ihr Tod scheint Sie ja nicht wirklich mitzunehmen."

,,Ach, wissen Sie, Dr. Watson...wir alle müssen eines Tages sterben. Die Einen tun es früher...die anderen eben später. Es hat keinen Zweck, sich diesbezüglich den Kopf zu zerbrechen."

Der Mann klang tonlos und mir war jetzt bereits klar, dass Lucinda und er keine sehr enge Verbindung zueinander gehabt haben konnten. Aber das war nicht das Einzige, was mir ein ungutes Gefühl verschaffte.
Irgendwoher kam mir die Stimme des Fremden bekannt vor und ich zerbrach mir fieberhaft den Kopf, wo ich sie schon einmal gehört hatte. Sherlock und John entging das, denn die konzentrierten sich voll und ganz auf den Unbekannten, der immer noch im Schatten verborgen stand.

,,Sie waren demnach also kein Freund des Opfers. Was für Gründe hatte Ihr Treffen mit Lucinda dann?", verlangte Sherlock zu wissen und auf einmal lachte der Mann ein wenig.

,,Oh, Mr. Holmes...Sie sind wirklich so fanatisch wie man es über Sie sagt. Da lässt man Sie eine einzige Spur finden und schon jagen Sie genau dieser nach, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich führt. Aber so sind Sie eben, nicht wahr? Immer auf der Suche nach der Wahrheit und je geheimnisvoller und verstrickter der Fall, desto besser...habe ich Recht?"

Sherlock erwiderte nichts und John stand ebenfalls stumm neben mir. Aber ich hatte nun das Gefühl, vom Blitz getroffen worden zu sein und mir wurde schlagartig bewusst, dass wir direkt in eine Falle getappt waren. Eine Falle, die ich hätte kommen sehen müssen.

,,Sherlock, John! Wir müssen gehen und zwar sofort.", sagte ich und John wirkte etwas überrumpelt.

,,Was? Wir haben noch keine Antworten über Lucinda."

,,Ja und die werdet ihr auch nicht bekommen.", sagte ich, was nun auch die Aufmerksamkeit von Sherlock erregte.

,,Woher wollen Sie das wissen? Diesen Mann werde ich schon zum Reden bringen. Egal, welche Methoden ich dafür einsetzen muss."

Gerade wollte ich zum Widerspruch ansetzen, aber da kam mir der Unbekannte schon zuvor und seine nächsten Worte versetzten mir eine Gänsehaut am ganzen Körper.

,,Haha...furchtlos und gerissen...ganz der Consulting Detektiv. Ich sehe schon...wir werden eine Menge Spaß haben, Sherlock Holmes."

,,Wir gehen!", zischte ich, doch auf einmal vernahm ich einen ganz eigenartigen Geruch und langsam aber sicher, begann sich alles zu drehen.

,,Oh, ich fürchte, das kann ich nicht zulassen, Alicia. Du weißt doch...ich bekomme immer, was ich will.", erwiderte er und nun gaben meine Knie nach.

Langsam aber sicher ging ich zu Boden und auch Sherlock und John blieben von dem Gas nicht verschont. Ich wollte noch etwas sagen, aber ich war wie gelähmt und ich vernahm nur benommen, wie Sherlock sich an den Fremden wandte.

,,Wer sind Sie?", brachte er hervor und unser Gegenspieler hatte einen triumphierenden Unterton in seiner Stimme, als ich bereits in die Bewusstlosigkeit hinab glitt.

,,Euer schlimmster Albtraum!"

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