Dem Tode geweiht

Dem Tode geweiht

Alicia PoV

Evelyn wurde aus dem Raum gezerrt und die Tür wieder geschlossen. Ich war zutiefst erschüttert und John sah so fassungslos aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. Als mein Blick auf Sherlock fiel, war dieser immer noch zu einer Statue erstarrt und obwohl er sich bemühte, keine Emotionen zu zeigen, so konnte ich die Panik in seinem Blick sehen. Er hatte Angst um Evelyn...das stand außer Frage.
Aber uns blieb keine Zeit, darüber zu debattieren oder uns eine Lösung einfallen zu lassen, denn nun sah Vincent Ezra vielsagend an und genau dem warf ich nun einen bitterbösen Blick zu, als die Wut meine Angst überrollte.

,,Du bist also der...brillante Joker!", fauchte ich ihm entgegen und Ezra zuckte nur mit den Schultern.

,,Tja, man möchte ja meinen, man könnte das Team rund um Sherlock Holmes nicht mehr überraschen...aber dafür, dass ihr eigentlich so clever seid, war es erstaunlich einfach, euch meine Rolle vorzuspielen."

,,Du hast...Evelyn die ganze Zeit über benutzt.", brach nun auch John sein Schweigen und Ezra verdrehte die Augen.

,,Das war ja der Sinn der ganzen Sache, John. Und ich bin echt erstaunt, dass es so lange funktioniert hat. Die ganze Zeit über ahnt niemand etwas Böses und dann zack...bricht die Wahrheit über Einen herein. Ihr hättet das Gesicht von Evelyn mal sehen sollen, als sich ihr perfekter sympathischer Verlobter in den boshaften Komplizen verwandelt hat. Sie war schockiert...regelrecht erschüttert.", prahlte er triumphierend, ehe er zu Vincent sah. ,,Obwohl deine Überraschung vorher auch gute Arbeit geleistet hat."

,,Wirklich?", äußerte Vincent und lächelte erfreut. ,,Ich hatte gehofft, dass mein Geschenk noch rechtzeitig ankommt."

,,Oh, das ist es. Und ich muss schon sagen...das Herz der eigenen Tante im Karton...so viel Stil hatte bis jetzt noch keiner.", entgegnete Ezra und ich starrte Vincent fassungslos an.

,,WAS?"

,,Oh, das hätte ich euch vielleicht vorher mitteilen sollen: Tante Maggie weilt nicht mehr länger unter uns! Sie hat ihren Zweck erfüllt, auch wenn er nur von kurzer Dauer und überhaupt nicht geplant war. Aber ihr Überraschungsbesuch hat mir den perfekten Bonus geliefert. Ich hab ja auch eigentlich gedacht, sie würde sich freuen, mich wiederzusehen. Aber ihre Schreie bewiesen wohl doch eher das Gegenteil."

Vincent schüttelte kaum merklich den Kopf und Ezra sah ihn amüsiert an. Ich war sprachlos und wusste gar nicht, wie ich mit dieser Nachricht umgehen sollte. Maggie mochte vielleicht verrückt gewesen sein, aber dennoch war sie gütig und herzensgut gewesen. Ihr Tod erschütterte mich in den Grundmauern und John war ebenfalls vollkommen schockiert.

,,Oh, mein Gott!"

,,Sie haben sie einfach abgeschlachtet.", sagte nun Sherlock und ich vernahm einen bedrohlichen Unterton in seiner Stimme, doch Vincent zuckte nur mit den Schultern.

,,Ja...habe ich. Zuerst habe ich sie niedergestochen und dann habe ich ihr das Herz gestohlen. Nur, um es meiner geliebten Clarissa dann zu Füßen zu legen."

,,Du...Teufel!", platzte es aus mir heraus und nun hob Vincent ermahnend einen Finger.

,,Na, Alicia! Nicht solche Äußerungen hier. Sonst könntest du die Nächste in der Sammlung sein. Obwohl ich dich eigentlich mag. Dein Temperament...deine gütige Art...einfach herzergreifend. Das ist übrigens der einzige Grund, warum du noch lebst und ich dich nicht daran gehindert habe, Clarissa vor mir zu warnen."

,,Soll ich mich jetzt etwa glücklich schätzen?", entgegnete ich ungläubig und Vincent sah mich herausfordernd an.

,,Sieh es wie du willst...das ist mir gleich. Lieber solltest du beten, dass Clarissa das Rätsel rechtzeitig löst und meine Bedingungen erfüllt. Sonst könnte es für dich und die beiden Gentlemen hier ziemlich böse enden."

Mein Hass auf Vincent wuchs und das in jeder Sekunde. Aber ich stand auch am Rande der Verzweiflung, denn ich fürchtete mich vor dem, was geschehen könnte. Doch dabei machte ich mir nicht nur Sorgen um Sherlock, John und mich...sondern ich bangte vor allen Dingen um das Leben von Evelyn.
Was Vincent ihr auch für ein Rätsel gesagt hatte...sie hatte mehr als schockiert ausgesehen und mir war klar, dass es nichts Gutes sein konnte. Aber ich wusste auch, dass Vincent mit einer Sache leider Recht hatte: Evie würde nicht fliehen! Sie würde niemals riskieren, dass ihr Bruder uns wirklich etwas antat und ich betete inständig, dass die ganze Sache gut ausging.
Vincent unterhielt sich gerade mit Ezra und nun spürte ich auf einmal den Blick von Sherlock auf mir, der mich eindringlich ansah und anscheinend aus seiner Starre erwacht zu sein schien.

,,Warum haben Sie uns nichts gesagt? Sie hätten uns über die Vergangenheit von Evelyn aufklären müssen.", sagte er mit einem zischenden Unterton und ich warf ihm einen schuldbewussten Blick zu.

,,Es tut mir leid, Sherlock. Aber Evelyn wollte nicht, dass Sie oder jemand anderes davon erfährt, wer sie wirklich ist. Sie sagte, es wäre zu gefährlich...für uns alle."

,,Und was hat uns das gebracht? Wir sind hier gefangen und können nichts tun, während Evelyn ihr Leben riskiert.", brachte er wütend hervor und ich sah ihn mitfühlend an, als er sich abwandte.

Zwar kannte ich Sherlock Holmes jetzt noch nicht so lange, dass ich seinen vorherigen Charakter hätte beurteilen können, aber auf mich machte er einen viel emotionaleren Eindruck, als man sonst von ihm hörte. Er wurde in den Medien als gefühlskalt und emotionslos dargestellt, doch spätestens jetzt konnte man diese Theorie zerschlagen.
Sherlock war ganz offensichtlich mit den Nerven am Ende und als ich den niedergeschlagenen Blick von John bemerkte, wurde mir klar, dass auch ihm nicht entging, dass Sherlock um das Leben von Evie fürchtete. Und spätestens jetzt musste doch jedem klar sein, was Sherlock für Evelyn empfand, obwohl er es nicht deutlich zeigte: er liebte sie!

,,Sherlock, Evelyn wird einen Ausweg finden. Das hat sie schon immer getan und sie muss kein Genie sein, um sich etwas einfallen zu lassen.", versuchte John ihn zu besänftigen, doch Sherlock sah ihn zweifelnd an.

,,Und wie soll dieser Ausweg aussehen, John? Dass sie England verlässt und unser Leben damit riskiert? Das würde sie nie, das weißt du. Oder soll sie Vincent erschießen, damit uns nichts passiert? Ihr Bruder mag ein Wahnsinniger sein, aber sie würde sich das niemals verzeihen, wenn sie ihn umbringen müsste. Sonst hätte sie das doch auch schon längst getan."

Sherlock fuhr sich durch seine schwarzen Haare und ich wünschte, ich könnte ihm die Panik um Evelyn nehmen. Allerdings war ich ja auch machtlos und auch John konnte nichts tun. Uns blieb nichts weiter als die Hoffnung, dass Evelyn wirklich einen Ausweg fand, der uns allen das Leben rettete und sie nicht in noch größere Gefahr brachte.
Ich bemerkte erst jetzt, dass Vincent und Ezra uns beobachteten. Anscheinend waren sie durch unsere Auseinandersetzung hellhörig geworden und während Ezra unendlich gelangweilt zu sein schien, so musterte Vincent Sherlock nun mit purer Neugier und trat näher an die Scheibe heran, woraufhin Ezra verwirrt die Stirn runzelte.

,,Was machst du denn da?"

,,Oh, ich versuche mich mal an der Sherlock Holmes Strategie. Allerdings muss ich gestehen...ich fand Deduktionen schon immer langweilig. Sie sind viel zu simpel...zu offenkundig und das Ergebnis ist fast immer das Gleiche: ermüdend! Wo liegt denn dabei der Spaß, wenn es keine Herausforderung gibt?", meinte Vincent und grinste, doch dann wurde sein Blick fast schon ein wenig bewundert und er starrte Sherlock an, der ihm einen verachtenden Blick entgegen brachte und wieder zur Statue mutierte. ,,Aber ich muss zugeben...Sie sind faszinierend, Sherlock Holmes! Ich habe schon viel von Ihnen gehört und brannte regelrecht darauf, Sie persönlich kennenzulernen. Ihr Ruf eilt Ihnen immerhin voraus. Man sagt, Sie wären brillant...unschlagbar...ein regelrechtes Genie. Ja, manche bezeichnen Sie sogar als einen echten Helden. Aber man sagt auch, Sie seien gefühlskalt wie ein Stein, Sie halten nichts von Gefühlen...sehen in ihnen einen chemischen Defekt...eine Last. Die Schwäche der Menschheit, wenn man so sagen will. Und doch...ist Amor auch nicht an Ihnen vorbeigezogen, nicht wahr? Verraten Sie mir...wann haben Sie erkannt, dass Clarissa Ihnen mehr bedeutet, als Sie je zugeben würden? War es vor Ihrem Sprung des Hochhauses...oder doch erst, als Sie zurückkehrten, nachdem Sie alle Ihre Freunde für 2 Jahre im Stich gelassen haben?"

Sherlock starrte Vincent erschüttert an und ich konnte nicht fassen, dass Evelyn s Bruder so gnadenlos vorging. Aber das war eben seine Natur und jemand, der fast seine gesamte Familie ermordet hatte, musste wohl so handeln.

,,Hören Sie auf damit!", fauchte John Vincent entgegen, doch dieser sah ihn nur amüsiert an.

,,Wieso sollte ich, Dr. Watson? Es wird doch gerade erst so richtig interessant."

Vincent schien sich sicher zu sein, dass er gewinnen würde. Und wenn ich ihn nicht so genau kennen würde, dann hätte ich vermutlich auch darauf vertraut, dass er keine Chance hatte. Aber leider war er uns bisher immer einen Schritt voraus gewesen und so war es auch dieses Mal. Allerdings schien unser Gespräch eben etwas bewirkt zu haben, denn nun war es Sherlock, der wieder zu seinem Ehrgeiz zurückgefunden hatte und Vincent wütend ansah.

,,Was Sie auch tun...Sie werden nicht gewinnen. Evelyn hat es schon so lange geschafft, Ihnen zu entkommen...Sie wird es auch dieses Mal schaffen.", sagte er kalt, aber Vincent hatte nun dieses gefährliche Glitzern in seinen Augen.

,,Oh...ja...das könnte sie. Keine Zweifel! Meine Schwester wäre durchaus in der Lage, mir erneut zu entwischen und sich abzusetzen, sodass ich wieder viel zu lange nach ihr suchen müsste. Aber ich dachte, Sie würden sie inzwischen gut genug kennen, Mr. Holmes. Glauben Sie etwa wirklich, dass Clarissa verschwindet, wenn sie weiß, dass ich Sie und ihre Freunde in meiner Gewalt habe? Oh, nein! Das würde sie niemals! Denn der größte Schwachpunkt meiner Schwester ist und war schon immer: ihre Loyalität und ihre Liebe zu den Menschen, die ihr am Herzen liegen! Sie wird nicht fliehen, Sherlock Holmes...sie wird alles tun, um euch zu retten. Und genau das...wird sie vernichten. Sie wissen vielleicht noch, was Moriarty einst zu sagen pflegte: der Vergangenheit kann man nie entkommen. Irgendwann holt sie Einen immer ein und wenn es soweit ist...dann werden alle Helden fallen."

,,Sie kannten Moriarty?", brachte John hervor und Vincent grinste.

,,Natürlich! Ich habe ihn vor ein paar Jahren kennengelernt und er wurde meine perfekte Quelle für Informationen. Hat es mir sogar möglich gemacht, euch alle zu beobachten. Und ich muss schon sagen...es war ja so aufregend, euch allen zuzusehen. Die ganzen Fälle...die Abenteuer...einfach fantastisch! Das fand Jim Moriarty übrigens auch! Der war völlig aus dem Häuschen, als ich ihm das Geheimnis von Clarissa verraten habe. Wirklich schade, dass er nicht mehr mit ansehen kann, wie das Spiel des Todes nun in die letzte Runde geht. Er war mir so eine große Hilfe und Sie sollten mir dankbar sein, Sherlock Holmes. Dank mir ist Clarissa noch am Leben, denn Moriarty wollte sie eigentlich töten, um Sie zu brechen...aber ich habe es ihm verboten und am Ende fand er es viel faszinierender, euch alle durch die Hölle gehen zu lassen. Ich muss schon sagen...Moriarty war wirklich eindrucksvoll. Der perfekte Verbündete! Und er hat mich so gut unterstützt, sodass ich nun endlich dabei zusehen kann, wie Clarissa vernichtet wird."

Ich war erneut erschüttert und konnte mich nicht rühren. Genau wie Sherlock, stand ich wie eine Statue da und starrte fassungslos auf Vincent, der das alles unglaublich amüsant zu finden schien. Der Einzige, der seine Fassung aufrecht erhalten konnte, war John und dieser forderte Vincent nun geradezu heraus.

,,Ich denke, Sie lieben sie. Wie können Sie da ihre Vernichtung wollen?", meinte er und Vincent seufzte.

,,Oh, Dr. Watson...ich liebe Clarissa mehr als alles andere. Aber sie hat mich betrogen...mich verraten und mich verlassen, als wir hätten zusammen sein können. Deshalb will ich sie leiden sehen. Sie soll den gleichen Schmerz fühlen, den ich einst fühlen musste, als sie geflohen ist. Und dieses Mal...wird sie nichts und niemand vor mir retten können."

,,Fahr zur Hölle!", platzte es aus mir heraus und Vincent grinste.

,,Liebend gern! Aber Ladies First."

Wütend funkelte ich ihn an, doch Vincent ließ das völlig kalt. Er mochte ja vielleicht beteuern, dass er Evelyn liebte, aber in meinen Augen war dieser Mensch unfähig zu lieben. Sonst hätte er doch kaum seine Familie auf brutalste Weise ermordet.

,,Sie werden nicht gewinnen...niemals!", sagte Sherlock überzeugt, doch Vincent hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust.

,,Und wer soll mich aufhalten? Etwa Sie? Ich glaube kaum. Es ist ein Jammer! Die Gefühle, die Sie für Clarissa empfinden machen all das Besondere an Ihnen zunichte. Unter anderen Umständen wären Sie der perfekte Verbündete. Aber so...Sie sind verdorben...zu schwach...zu emotional...zu menschlich. Meine Schwester...hat Sie ruiniert. Zu schade...aber naja. Es macht Spaß, Ihnen beim Leiden zuzusehen, Sherlock Holmes. Es ist irgendwie...erfrischend!"

Jetzt hatte ich eindeutig genug. Vincent musste doch einfach in der Hölle für seine Taten schmoren und ich war kurz davor, vollkommen auszuflippen und schlug vor Wut gegen die Scheibe.

,,Ich schwöre dir, wenn ich hier rauskomme, Vincent...dann bringe ich dich um. Dann hast du die längste Zeit andere Menschen gefoltert."

,,Uhh, ich zittere vor Angst, Alicia. Aber bevor du dich weiter vollkommen lächerlich machst, werde ich euch allen ein Geheimnis verraten. Wollt ihr wissen, mit welchem Rätsel Clarissa um eure Leben spielen muss? Nun...ich werde es euch sagen, um die Spannung noch etwas zu schüren: Helden siegen-Schurken fallen! Doch wenn die Schurken triumphieren, bleibt den Helden nichts als Hoffnung. Hoffnung, dass sie den Preis rechtzeitig bezahlen, bevor sie drohen zu fallen. Und der Preis entspricht dem größten Opfer, welches jeder Held stets bringen muss. Doch kann er dies nicht über sich bringen, so wird er alles hier und jetzt verlieren. Die Frage ist: wie weit gehen Helden, um nicht im Kampf zu fallen und was sind sie bereit zu opfern, um jenen Schurken zu bezwingen?", erklärte Vincent und ich schnaubte verächtlich.

,,Was soll das? Das ist vielmehr eine Metapher als ein Rätsel."

Aufgebracht funkelte ich Vincent an, doch dieser ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Stattdessen schenkte er uns ein grausames Lächeln und seine nächsten Worte ließen mir einen eisigen Schauer über den Rücken laufen.

,,Das Rätsel, liebe Alicia...steckt in der Metapher. Vielleicht kann Sherlock Holmes es ja lösen, aber ich gebe euch einen Tipp. Clarissa muss herausfinden, welchen Preis sie für eure Freiheit zahlen muss und erst, wenn sie ihn bezahlt hat...dann werdet ihr frei sein!"

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