Das Spiel des Todes
Das Spiel des Todes
Evelyn PoV
Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich lehnte mich mit dem Rücken gegen sie, während ich verzweifelt zu Boden sank. Meine Gefühle waren ein einziges Chaos, denn ich konnte nicht mehr zwischen Schock, Verzweiflung und Wut unterscheiden, da all diese Emotionen gleichzeitig auf mich einstürzten.
Vincent war zurück! Er hatte mich tatsächlich gefunden und anscheinend hatte er sogar die ganze Zeit über gewusst wo ich war. Und dennoch hatte er sich niemals gezeigt, sondern hatte auf den perfekten Moment gewartet, um mich in die Falle zu locken und mir dann das ultimative Druckmittel zu geben: das Leben meiner Freunde!
24 Stunden! Mehr hatte ich nicht. Nur ein einziger Tag blieb mir, um das Leben von den drei Menschen zu retten, die am wichtigsten in meinem Leben waren. Meine beste Freundin Alicia, die immer zu mir gehalten und mir damals meine Flucht aus New York ermöglicht hatte, mein bester Freund John, der inzwischen wie ein Bruder für mich geworden war und Sherlock...die unwiderrufliche Liebe meines Lebens!
Es hatte viel zu lange gedauert, dass ich mir diese Wahrheit eingestanden hatte und nun war Sherlock zur Zielscheibe für Vincent geworden. Und das nur, weil ich ihn mehr liebte, als mein eigenes Leben.
Ich war am Boden zerstört, denn die Panik um Sherlock und die anderen brachte mich förmlich um den Verstand, aber ich war auch wütend! Wütend auf mich selbst, weil ich zu blind und zu leichtsinnig gewesen war.
Als ich nach England gekommen war, da hatte ich wirklich geglaubt, ich könnte hier ein ruhiges Leben führen, doch das war nicht möglich. Und anstatt meine Freunde zu beschützen, hatte ich sie Vincent direkt auf dem Silbertablett serviert. Ich hatte ihr Schicksal durch mein Handeln und meine Entscheidungen besiegelt.
Doch obwohl ich mich selbst dafür hasste, von Schuldgefühlen überwältigt wurde und immer noch bis ins Mark erschüttert war, so versuchte ich dennoch, einen klaren Kopf zu bewahren. Es half meinen Freunden jetzt gar nicht, wenn ich im Selbstmitleid versank und noch weiter an der Vergangenheit festhielt.
Nein! Ich musste dieses verdammte Rätsel lösen und das ging nur, wenn ich mich voll und ganz darauf konzentrierte. Ich musste nun einfach ein einziges Mal wie Sherlock vorgehen. Musste rational denken und durfte mich nicht von meinen Gefühlen überwältigen lassen. Nur so würde es mir gelingen, dieses Rätsel zu lösen und meinen Freunden das Leben zu retten.
Und genau das würde ich! Ich würde sie alle retten und dieses verdammte Spiel des Todes somit gewinnen. Denn ich würde sie niemals aufgeben und für mich sterben lassen...kostete es, was es wollte.
***
Ein paar Stunden später war es mittlerweile später Abend und ich hatte intensiv über das Rätsel nachgedacht, während ich immer mehr das Gefühl bekam, dass ich der Lösung schon ziemlich nah war. Und während ich darüber nachdachte, musste ich an damals denken, wo Vincent von meinem Bruder zu einem wahnsinnigen Psychopathen geworden war.
Vincent hatte schon immer gerne Rätsel erfunden und Spiele gespielt...das war für ihn schon seit Beginn an ein Riesenspaß gewesen. Und in unserer Kindheit hatte ich das ja auch noch aufregend und faszinierend gefunden, aber heute war es kein Spiel mehr...es war tödlicher Ernst!
Welchen Preis sollte ich bezahlen? Was könnte das Leben meiner Freunde, der Meinung meines Bruders nach wert sein? Er war immerhin ein Wahnsinniger, der gnadenlos Menschen umbrachte und vor nichts zurückschreckte, um seine Ziele zu erreichen. Und wie oft er auch beteuerte, dass er mich lieben würde...ich war eher der Meinung, dass Vincent überhaupt nicht lieben konnte.
Ich konnte es und tat es...wahrhaftig! Zwar sprach ich überhaupt nicht gerne über Gefühle und verdrängte sie auch die meiste Zeit, aber Sherlock und die anderen liebte ich einfach über alles. Ich liebte sie mehr als mein eigenes Leben und was für einen Preis ich auch bezahlen musste, um ihnen das Leben zu retten...ich würde es tun.
***
Am nächsten Morgen schlug ich die Augen auf und war überrascht, dass ich überhaupt hatte schlafen können. Allerdings musste meine Erschöpfung mich in den Schlaf befördert haben, denn nach stundenlangem Grübeln war ich fix und fertig gewesen. Auch das Entsetzen und der Schock aufgrund der ganzen Ereignisse, hatten mich meiner Energie beraubt.
Aber nun wurde mir schlagartig bewusst, dass ich nur noch wenige Stunden hatte, um das Rätsel von Vincent zu lösen und die anderen somit zu retten. Erneut kreisten meine Gedanken um die Worte meines Bruders, als ich mit einem Mal das Gefühl hatte, vom Blitz getroffen worden zu sein und innerlich erstarrte.
Konnte es wirklich so einfach sein? Ich hatte die Rätsel meines Bruders stets als kompliziert und unrealistisch beachtet, aber je mehr ich über die Worte nachdachte, die Vincent mir gestern ins Ohr geflüstert hatte, desto mehr wurde mir bewusst, dass die Antwort im Grunde längst im Rätsel vorhanden war.
Und gerade weil es so einfach war, hatte mir Vincent nur 24 Stunden Zeit gegeben. Es war weniger Zeit, um das Rätsel zu lösen, sondern vielmehr, um die Lösung in die Tat umzusetzen.
Mein Herz setzte einen Moment lang aus und es kam mir so vor, als würde die Zeit für einen Moment stehen bleiben. Ich kannte die Antwort! Ich hatte sie schon gekannt, als Vincent mir das Rätsel offenbart hatte und hatte es nur nicht gesehen.
Warum? Weil ich mich vor der Antwort fürchtete und vermutlich immer befürchtet hatte, dass dieser Tag kommen würde. Denn es war unvermeidbar, dass ich diese eine Bedingung ausführen musste, um den Preis für das Leben meiner Freunde zu bezahlen.
Das Klingeln meines Handys riss mich aus der Starre und ich sah auf das Display, wo der Name meines Partners eingeblendet war. Zuerst zögerte ich, aber dann nahm ich ab und versuchte, so normal wie möglich zu klingen.
,,Greg!"
,,Evelyn, endlich! Ich habe die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen. Hast du eine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Du bist gestern einfach verschwunden und als ich bei dir zu Hause war, da warst du nicht da. Wo bist du?", verlangte er aufgebracht zu wisse und ich hätte ihm nur zu gerne alles gesagt, aber ich konnte kein Risiko eingehen.
,,Es tut mir leid, Greg...aber ich kann dir das nicht sagen."
,,Evelyn...hör zu, ich weiß, dass der Tod deiner Tante dich ziemlich getroffen haben muss und du jetzt allein sein willst, aber du bist wahrscheinlich genauso in Gefahr. Also, bitte...sag mir, wie ich dir helfen kann und ich tue es. Ganz egal, was es auch ist."
Mein Partner klang nun aufgelöst und ziemlich besorgt, während ich den Impuls unterdrückte, hier und jetzt in Tränen auszubrechen und ihm die Wahrheit zu gestehen. Aber das würde das Todesurteil für meine Freunde bedeuten und Greg könnte dadurch genauso zur Zielscheibe werden. Und das konnte ich auf keinen Fall zulassen.
,,Du kannst mir nicht helfen, Greg. Ganz egal, was war...das hier...das muss ich alleine tun.", brachte ich hervor und sofort wurde mein Partner misstrauisch.
,,Was musst du tun? Evelyn, was hast du vor?"
,,Nichts, weshalb du dir Sorgen machen musst. Ich verspreche dir...es wird alles gut, Greg. Aber du musst mir jetzt vertrauen...bitte. Um etwas anderes bitte ich dich nicht...nur um dein Vertrauen."
Ich hatte Mühe, die Fassung zu wahren und ich konnte den besorgten Blick meines Partners förmlich vor Augen sehen. Aber er konnte mir nicht helfen und das musste er akzeptieren. Zwar war Greg definitiv nicht davon begeistert, das war mir klar, aber ich ließ ihm keine andere Wahl.
,,Ich vertraue dir...und das weißt du, Evelyn. Aber ich will nicht, dass dir etwas passiert und deshalb bitte ich dich inständig: stell bitte nichts Dummes an!", erwiderte Greg und ich schaffte es, ein wenig entschlossener zu klingen.
,,Werde ich nicht...keine Sorge. Ich bin sicher, bald hat der ganze Spuk ein Ende."
,,Ich weiß zwar nicht, was das bedeuten soll...aber ich hoffe, du hast Recht! Und wenn du doch Hilfe brauchst, dann ruf mich sofort an. Ich bin immerhin dein Partner und du kannst jederzeit auf mich zählen.", legte er mir ans Herz und seine Worte ließen mein Lächeln für einen kurzen Moment zurückkehren.
,,Das weiß ich, Greg! Und ich danke dir dafür."
Greg murmelte noch so viel wie Pass auf dich auf!, dann legte er auf und ich konnte nicht fassen, dass ich meinen eigenen Partner eben angelogen hatte. Aber es war die einzige Möglichkeit gewesen, um ihn zu beschützen und eine Sache war die Wahrheit: Greg konnte mir nicht helfen!
Es gab nur eine einzige Person, die das konnte und ich hätte nie gedacht, dass gerade dieser Mensch einmal meine letzte Hoffnung sein würde. Ich öffnete die Nachrichten auf meinem Handy und tippte eine SMS ein, welche die Rettung für meine Freunde bedeuten könnte.
Mycroft,
ich brauche deine Hilfe! Bitte triff dich mit mir in 2 Stunden und komm auf jeden Fall allein. Sag niemandem, dass ich dich kontaktiert habe und wir uns treffen. Und stell keine Fragen! Ich werde dir alles erklären, wenn wir uns sehen. Wir treffen uns am Ort des Reichenbachfalls.
Evelyn
Ich schickte sie ab und nur wenige Minuten später erhielt ich die Zusage von einem ziemlich verwirrten Mycroft. Er schien zwar überrascht zu sein, aber er versicherte mir, meine Bitte zu erfüllen und zum Glück wusste er auch sofort, welchen Ort ich mit unserem Treffpunkt anstrebte.
Langsam stand ich auf und hoffte, dass Mycroft mir helfen würde. Zwar würde es nicht ganz leicht werden, ihn zu überzeugen, aber nur so konnte ich meine Freunde retten und das war alles, was zählte.
Bevor ich mich jedoch zu dem Treffpunkt mit Mycroft begab, fuhr ich noch einmal in die Baker Street. Es gab noch etwas, was ich erledigen musste und das wollte ich sofort tun, bevor ich womöglich keine Gelegenheit mehr dazu hatte. Dieses Mal benutzte ich jedoch nicht meinen Schlüssel, sondern klopfte an und eine verdutzte Mrs. Hudson öffnete mir die Tür.
,,Oh, Evelyn...mit Ihnen habe ich heute gar nicht gerechnet. Gibt es schon Neuigkeiten wegen Sherlock und den anderen? Hat man sie schon finden können?"
Besorgt sah sie mich an und ich schluckte schwer. Mrs. Hudson war ein herzensguter Mensch und nicht einmal ihr konnte ich sagen, was los war. Sie kannte ja nicht einmal die Wahrheit über mich und ich würde es ihr nicht erklären können.
,,Nein, leider nicht. Aber keine Sorge, Mrs. Hudson...sie sind sicher bald zurück. Aber...könnten Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?", fragte ich und sie nickte eifrig.
,,Natürlich, Evelyn. Worum geht es denn?"
Ich griff ins Innere meiner Jacke und zog einen Umschlag hervor, den ich ihr entgegenstreckte. Sie beäugte ihn irritiert und nahm ihn schließlich zögernd entgegen, während sie mich verwirrt ansah, doch ich versuchte so zuversichtlich wie möglich zu wirken.
,,Wenn Sherlock und die anderen zurück sind...könnten Sie ihnen das hier von mir geben?"
,,Was ist das denn?", fragte sie und ich rang mich zu einem Lächeln durch.
,,Nennen wir es einfach...eine Antwort auf viele offene Fragen.", setzte ich an, ehe mein Blick unsicher und zögerlich wurde. ,,Sorgen Sie dafür, dass sie es bekommen?"
,,Selbstverständlich, Evelyn!"
,,Danke!", erwiderte ich und wandte mich ab, ehe ich mich noch einmal zu ihr umdrehte und Mrs. Hudson einen dankbaren Blick zuwarf. ,,Mrs. Hudson...danke, für alles!"
Sie schien etwas irritiert über meine Wortwahl zu sein, doch sie dachte sich wohl nichts dabei. Denn sie lächelte nun zuversichtlich und war wieder einmal von ihrem Optimismus erfüllt, den ich so sehr an ihr bewunderte.
,,Jederzeit, Evelyn. Und machen Sie sich nicht zu viele Sorgen...alles wird gut. Das wird es doch immer."
Ich nickte kaum merklich und wandte mich dann von ihr ab. Nun kehrte ich der Baker Street den Rücken und machte mich auf den Weg zu jenem Ort, der über das Schicksal meiner Freunde entscheiden würde.
***
Die Aussicht auf London war überwältigend und ich war gebannt davon, während es mir regelrecht die Sprache verschlagen hatte. Ich stand nun auf dem Dach des Barts Hospitals. Dem Dach, von dem Sherlock einst gesprungen war, um seinen Tod vorzutäuschen und Moriarty selbst nach dessen Tod noch zu bezwingen.
,,Interessanter Ort für einen Treffpunkt. Und dabei dachte ich, nur Sherlock hätte einen Hang zum Dramatischen. Aber ihr scheint euch ähnlicher zu sein, als man annehmen mag.", erklang nun die Stimme von Mycroft und ich war erleichtert, dass er gekommen war.
Allerdings drehte ich mich noch nicht um, sondern warf einen weiteren Blick auf London und erinnerte mich an den Tag, an dem ich Sherlock für immer verloren glaubte, ehe ich mein Schweigen brach.
,,Ich habe mich immer gefragt, warum Sherlock sich damals ausgerechnet dieses Dach ausgesucht hat. Aber wo ich jetzt hier stehe...kann ich es absolut verstehen...die Aussicht ist unglaublich! Man könnte also deutlich schlimmer abtreten.", brachte ich hervor und nun wandte ich mich Mycroft zu, der ein paar Meter von mir entfernt stand.
Er war natürlich wieder in seinem Anzug gekleidet, allerdings war er ohne seinen Regenschirm gekommen. Aber seine ausdruckslose Miene war geblieben und nun sah der Bruder von Sherlock mich abwartend an.
,,Ich glaube kaum, dass du mich hergebeten hast, um in Sentimentalität auszubrechen und über die Aussicht von London zu sprechen. Also, was willst du von mir und was soll diese ganze Top Secret Nummer?", fragte er und ich zögerte, ehe ich ihm die Antwort lieferte.
,,Ich brauche deine Hilfe, Mycroft! Du musst mir einen Gefallen tun und mir versprechen, dass du ihn auf jeden Fall ausführen wirst."
Nun wurde der Blick von Mycroft skeptisch und ein gewisses Maß an Misstrauen lag in seinen Augen. Aber er musste mir einfach helfen, denn alleine war ich dazu nicht im Stande und Mycroft war nun einmal der Einzige, der das tun konnte.
,,Du musst schon etwas genauer werden, Evelyn!", meinte er und ich seufzte.
,,Ich kann dir jetzt nicht alles erzählen, Mycroft, dafür fehlt mir die Zeit. Nur so viel: mein Bruder ist in der Stadt und er hat Sherlock, John und Alicia in seiner Gewalt. Und um sie zu retten, muss ich die Lösung seines Rätsels befolgen."
,,Moment...du hast einen Bruder?", wiederholte Mycroft und ich nickte.
,,Ja, habe ich. Aber glaub mir, er ist keineswegs ein Freund. Also, wirst du mir nun helfen?"
,,Wenn er Sherlock und die anderen hat, sollten wir dann nicht lieber die Polizei informieren?", entgegnete er, aber ich schüttelte den Kopf.
,,Nein, auf keinen Fall! Wenn wir das tun, dann wird er sie alle töten. Es gibt keinen anderen Weg...nur diesen und dabei musst du mir helfen."
Entschlossen sah ich Mycroft an und dieser schien mehr als skeptisch zu sein. Aber zum Glück war er rational genug, um alles sachlich zu betrachten und zum ersten Mal dankte ich Mycroft Holmes innerlich für seine eiskalte Art.
,,Was für einen Gefallen soll ich dir denn tun?", wollte er nun wissen, woraufhin sich mein Blick in Verzweiflung verwandelte und ich ihn niedergeschlagen ansah.
,,Du musst mich töten, Mycroft!"
Eindringlich sah ich den Bruder von Sherlock an, der mich nun völlig perplex anstarrte und offenbar nicht glauben konnte, was ich ihm gerade gesagt hatte.
,,Wie bitte?", fragte Mycroft und ich sah ihn bittend an.
,,Es ist die einzige Möglichkeit, um Sherlock und die anderen zu retten. Töte mich!"
Mycroft war geradezu fassungslos, was ich ihm nicht verübeln konnte, aber es war der einzige Weg. Er schüttelte jedoch den Kopf und sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
,,Ich werde dich nicht töten, Evelyn! Wieso glaubst du, dein Tod würde meinen Bruder und die anderen retten? Was hätte dein Bruder davon, wenn du stirbst?"
Seine Fragen waren berechtigt und obwohl ich diese Angelegenheit eigentlich so schnell wie möglich hinter mich bringen wollte, beschloss ich, sie zu beantworten.
,,Es ist die Bedingung, die ich erfüllen muss. Ich dachte, ich kenne die Lösung des Rätsels nicht...dabei wusste ich sie von Anfang an. Er will wissen...wie weit ich gehen werde, um die zu retten, die mir am Herzen liegen. Welchen Preis ich bezahlen würde, damit er sie verschont."
Mycroft sagte nichts. Er stand nur da und starrte mich wie versteinert an. Ich selbst hatte Angst vor dem Tod, aber ich wollte um jeden Preis Sherlock und die anderen retten. Sie durften nicht auch noch wegen mir sterben. Deshalb sah ich Mycroft weiterhin an, ehe ich nun meine Dienstwaffe aus der Jackentasche zog, ein paar Schritte auf ihn zuging und sie ihm schließlich in die rechte Hand drückte.
,,Du sollst sterben, um sie zu retten? Das ist die Lösung?", wiederholte er mit einem Mal und ich nickte, als ich von ihm abließ und wieder an meine ursprüngliche Stelle zurücktrat.
Mycroft hielt nun meine Waffe in der Hand und sah auf mich, als ich vielsagend auf meine Dienstwaffe deutete.
,,Und deshalb musst du mich erschießen!"
,,Das kann ich nicht tun, Evelyn!", widersprach er, aber ich sah ihn bittend an, während mir nun die Tränen über die Wangen liefen.
,,Bitte, Mycroft...ich habe schon meine Familie nicht retten können...ich kann sie nicht auch noch sterben lassen."
Die Verzweiflung brach aus mir heraus und ich dachte an meine Freunde. An John...an Alicia...an Sherlock! Sie waren die drei wichtigsten Menschen in meinem Leben und ich konnte sie nicht verlieren. Das würde ich nicht überleben! Und wenn ich sie durch meinen Tod retten konnte...dann würde ich es tun.
Und als ich Mycroft mittlerweile regelrecht flehend ansah, bemerkte ich, wie sein Widerstand schwächer wurde. Er realisierte offenbar, dass es mir ernst war und, dass es keine andere Möglichkeit gab, um seinen Bruder und die anderen zu retten.
,,Verdammt!", brachte er schließlich hervor und richtete die Waffe auf mich.
Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er es nicht tun wollte. Dass sich alles in ihm dagegen sträubte, aber Mycroft war der Einzige, der dazu fähig war. Er war der Einzige, der stark genug war, um mich zu töten. Er wollte es nicht tun und ich wünschte, er müsste es nicht...aber er hatte keine Wahl! Deshalb nickte ich und warf ihm einen zuversichtlichen Blick zu.
,,Schon okay...tu es!"
Er zögerte noch und mir fiel ein, dass ich noch etwas sagen wollte. Bittend sah ich ihn an und nutzte die letzte Gelegenheit, um die Worte loszuwerden, die wohl meine Letzten sein würden.
,,Mycroft...kannst du mir noch was versprechen?"
Ich sah ihn abwartend an und als er nicht widersprach, fuhr ich schließlich fort, während mir wieder Tränen über die Wangen liefen.
,,Kümmere dich um die anderen! Beschütze Alicia...John...und Sherlock! Bitte sag ihnen, dass es mir leid tut und...dass ich nicht wollte, dass es soweit kommt. Versprich es mir!", bat ich ihn und nach einem weiteren Augenblick des Zögerns nickte er kaum merklich.
,,Ich verspreche es!"
Mycroft warf mir einen niedergeschlagenen Blick zu und ich glaubte fast, dass er den Tränen nahe war. Meine Gedanken kehrten noch einmal zu meinen Freunden und zu Sherlock zurück...zu allen, die ich liebte und immer lieben würde.
Dann drückte Mycroft ab!
Die Kugel traf mich mit voller Wucht in die linke Brust...mitten ins Herz. Durch den Schuss wurde ich zurück katapultiert und landete mit dem Rücken auf dem Boden. Mein Blick richtete sich zum Himmel, als ich spürte, wie mein Bewusstsein mich verließ. Nicht mehr im Stande, mich zu bewegen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, schloss ich meine Augen und mich überkam unendliche Finsternis.
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