Carpe Noctem
Carpe Noctem
Evelyn PoV
Ungläubig starrte ich Sherlock an, der vielsagend auf die bewusstlosen Männer sah, die ich außer Gefecht gesetzt hatte und nun am Boden lagen. Ich hingegen, konnte einzig und allein Sherlock anstarren, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und obwohl ich ihn ein ganzes Jahr lang nicht gesehen hatte, so kam es mir vor, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Er hatte sich kaum verändert und hatte noch immer diesen eindringlichen Blick, mit dem er mich jetzt wieder musterte. Natürlich trug er auch wieder einen Anzug und seinen Mantel, samt dem blauen Schal.
,,Undercover Missionen als Möchtegern- Geheimagentin bekommen dir eindeutig nicht. Du solltest wieder zu deinem gewohnten Job zurückkehren und Verbrechen aufklären.", sagte er und trat etwas näher an mich heran.
,,Sherlock!", erwiderte ich, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte und er sah mich vielsagend an.
,,Hast du jemand anderen erwartet?"
Ich konnte nicht anders, als ihn fassungslos anzusehen. Wie konnte er wissen, dass ich am Leben war? Ohne jeden Zweifel hatte Mycroft mir versichert, dass auch Sherlock meinen vorgetäuschten Tod geglaubt hatte und von daher konnte er es nicht geahnt haben.
Sherlock bemerkte meine Irritation und natürlich schien ihn das etwas zu amüsieren, denn seine Mundwinkel zuckten und er legte den Kopf leicht schräg.
,,Du scheinst überrascht zu sein. Freust du dich gar nicht, mich zu sehen?", wollte er wissen und endlich schaffte ich es, meine Fassungslosigkeit in den Hintergrund zu schieben.
,,Was um alles in der Welt tust du hier, Sherlock? Wie kannst du wissen..."
,,Dass du am Leben und nicht tot bist, wie wir alle es ein Jahr lang angenommen haben? Das war nicht schwer! Man muss nur die Schlüsselfigur finden und schon hat man die Antwort.", erklärte er und ich schlussfolgerte die einzig logische Erklärung daraus.
,,Mycroft! Natürlich! Hätte ich mir ja denken können, dass er es euch früher oder später doch erzählt."
,,Mach ihm keinen Vorwurf. Er hat sich an eure Abmachung gehalten und es ein Jahr lang geschafft zu schweigen. Bis Alicia den entscheidenden Hinweis gefunden und ihn damit konfrontiert hat. Der Rest dürfte sich von selbst erklären."
Na, ganz hervorragend! Ich war bei meinen Freunden nun also aufgeflogen und Sherlock war, nachdem Mycroft alles gebeichtet hatte, ganz offenbar auf die Suche nach mir gegangen. Und weil er eben Sherlock war, hatte er natürlich auch nicht lange gebraucht, um mich aufzuspüren. Zwar bewunderte ich Sherlock nach wie vor für seine außergewöhnlichen Talente, aber für den Moment wünschte ich sie zum Teufel.
,,Das beantwortet immer noch nicht meine Frage, was du hier willst, Sherlock. Du solltest gar nicht hier sein. Geh zurück nach London!", sagte ich schroff und wollte mich abwenden, als Sherlock mich am rechten Arm zu fassen bekam und meinen Fluchtversuch vereitelte.
,,Zuerst will ich Antworten! "
,,Worauf?", fragte ich, doch er sah mich ernst an.
,,Das weißt du ganz genau!"
Für einen Moment verharrten wir so und Sherlock hielt nach wie vor meinen Arm fest. Dabei wünschte ich mir wirklich, dass er nach London zurückkehren würde, denn dort war er wenigstens sicher. Oder zumindest für Vincent außer Reichweite. Denn, wenn der erfuhr, dass Sherlock mich gefunden hatte, dann erfuhr er auch, dass ich am Leben war und soweit durfte es nicht kommen.
,,Sherlock...bitte geh jetzt.", brachte ich nun hervor und sah ihn bittend an, doch er schüttelte den Kopf.
,,Nicht, bevor du mir nicht alles gesagt hast."
Er sah mich eindringlich an und ich spürte, wie meine Gefühle für ihn mit einem Schlag wieder zurückkehrten. Die ganze Zeit über hatte ich sie verdrängt, da sie mir meine Mission sonst unmöglich gemacht hätten. Aber jetzt, wo ich Sherlock wieder direkt gegenüber stand, da war ich machtlos. Mein Herz schlug schneller und jede Faser von mir sehnte sich nach ihm.
Und schließlich gab ich nach. Ich kannte Sherlock schließlich gut genug, um zu wissen, dass er wirklich nicht gehen würde, bevor er seine Antworten hatte. Und obwohl ich ihm eigentlich nichts erzählen wollte, so hatte ich keine Wahl. Nur dann würde er nach England zurückgehen und in Sicherheit sein.
,,Also, gut! Aber nicht hier. Komm mit.", sagte ich und er ließ schließlich meinen Arm los, ehe ich voraus ging und er mir wie mein eigener Schatten folgte.
***
Kurze Zeit später kamen wir schließlich im Hotel an, wo ich unter falschem Namen wohnte und ich führte Sherlock zu meinem Zimmer. Ich öffnete die Tür und ließ Sherlock den Vortritt, ehe ich nach ihm das Zimmer betrat und die Tür schloss. Mein Blick wanderte wieder zu Sherlock, der sich umsah und mal wieder anscheinend alles in Augenschein nahm, um sich selbst Informationen zuzulegen. Schließlich drehte er sich zu mir um, legte seinen Mantel und Schal über die Lehne meines Stuhls und schob seine Hände in die Hosentaschen.
,,Also...ich bin ganz Ohr."
Abwartend musterte er mich und ich seufzte ergebend. In Gedanken verfluchte ich Mycroft für seine geringe Widerstandsfähigkeit, denn hätte er dicht gehalten, dann würden mich Sherlock und die anderen immer noch für tot halten. Und das wäre bei weitem besser gewesen, als diese komplizierte Situation.
,,Was willst du wissen? Warum ich meinen Tod vorgetäuscht habe? Das kannst du dir sicherlich denken.", setzte ich an und Sherlock nickte kaum merklich.
,,Dass Vincent der Grund ist, das ist unverkennbar. Viel eher frage ich mich, warum du uns nicht eingeweiht hast."
,,Es musste glaubwürdig sein, Sherlock. Ich wusste, dass Vincent mich und jeden meiner Schritte beobachtet. Mein Tod war die einzige Möglichkeit, um ihn in Sicherheit zu wiegen und euch alle zu retten. Ich hatte keine Wahl!"
,,Man hat IMMER eine Wahl!", fuhr mich Sherlock auf einmal an und ich sah ihn erstaunt an.
,,Ach, ist das so? Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Vincent hatte dich, John und Alicia in seiner Gewalt und er hätte euch ohne zu zögern getötet. Also musste ich einen Weg finden, um euch als Geiseln nutzlos für ihn zu machen."
,,Und deshalb bringst du meinen Bruder dazu, dich zu erschießen?"
Sherlock sah mich vorwurfsvoll an und ich war irritiert darüber, dass er so wütend zu sein schien. Natürlich hatte ich nicht erwartet, dass er meinen vorgetäuschten Tod einfach so hingenommen hatte, aber diesen Ausbruch hatte ich nun wirklich nicht erwartet.
,,Mycroft wusste, was auf dem Spiel stand und er hat seinen Teil eingehalten. Ich konnte mich schlecht selbst umbringen und Mycroft war der Einzige, der das tun konnte. Du solltest am besten verstehen, warum ich diesen Weg gewählt habe. Schließlich hast du auch mal deinen Tod vorgetäuscht.", argumentierte ich nun und Sherlock s Miene verfinsterte sich.
,,Das war was anderes, Evelyn!"
,,Wieso war das etwas anderes? Du hast deinen Tod vorgetäuscht, um Moriarty zu stoppen. Ich habe es getan, um euch alle vor Vincent zu beschützen. Wo liegt da der Unterschied?"
Sherlock sagte nichts, aber er wirkte mit einem Mal sichtlich angespannt. Er fuhr sich mit den Händen durch seine dunklen Locken und wandte den Blick von mir ab. Zwar wusste man ja nie, was in Sherlock vor sich ging, aber im Augenblick kam es mir so vor, als versuchte er sich gegen etwas zu wehren. Als würde ihm etwas zu schaffen machen und ich fragte mich, was es war.
,,Sherlock...es tut mir leid. Aber es gab keinen anderen Weg. Wenn es Einen gegeben hätte, dann hätte ich das niemals getan. Aber es gab keinen und ihr alle wart somit sicher. Das war für mich das Wichtigste gewesen...dass ihr in Sicherheit seid.", brachte ich hervor und Sherlock klang mit einem Mal niedergeschlagen, als er mit dem Rücken zu mir gewandt sprach.
,,Ja, aber du warst tot!"
Ich erstarrte und sah Sherlock an, der sich nun langsam wieder zu mir umdrehte. Und nun war sein Blick nicht länger von Wut oder Enttäuschung gezeichnet...er war von Verzweiflung und von einem gewissen Maß an Trauer erfüllt.
Ich konnte mein Erstaunen darüber nicht verbergen, denn es machte mich sprachlos, dass Sherlock ganz offensichtlich meinen Tod so betrauert hatte. Zwar waren wir Freunde gewesen, das war klar, aber ich hätte nicht gedacht, dass mein Tod ihn so aus der Fassung gebracht hatte.
Jetzt verstand ich auch, warum Mycroft mich letztens gebeten hatte, dass ich nach London zurückkehren sollte. Doch hätte ich nie im Leben angenommen, dass ich der Grund für Sherlocks Verhalten gewesen war.
,,Ein Jahr lang warst du tot.", brach Sherlock wieder sein Schweigen und kam ein paar Schritte auf mich zu. ,,Warum hast du mir nie die Wahrheit über dich gesagt? Du kennst mich jetzt schon lange genug, um zu wissen, dass ich dir hätte helfen können. Und spätestens, als das mit Mary rauskam, hättest du wissen müssen, dass du mir vertrauen kannst.", sagte er und er schien verletzt zu sein, aber ich sah ihn nur ungläubig an.
,,Glaubst du etwa, ich würde dir nicht vertrauen? Sherlock, ich vertraue dir...mehr als irgendjemand anderem. Du wärst der Erste, dem ich mein Leben anvertrauen würde, wenn mir nicht auch klar wäre, dass dein Eigenes dadurch in Gefahr geraten würde. Und glaube mir...es ist mir unendlich schwer gefallen, England und euch alle zu verlassen. Aber es ging bei der ganzen Sache niemals darum, mein eigenes Leben zu retten...nur darum, euch alle zu beschützen. Und es tut mir unendlich leid, dass ihr alle wegen mir in Gefahr geraten seid. Das habe ich niemals gewollt.", brachte ich hervor und obwohl ich am Boden zerstört war, ließ ich meine Trauer darüber nicht zu. ,,Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich niemals nach England gekommen wäre."
Sherlock schien diese Aussage vor den Kopf zu stoßen, denn er sah mich entsetzt an. Aber ich durfte mich ihm nicht wieder annähern, das würde ihn nur in Gefahr bringen und das durfte ich nicht zulassen. Ich musste Sherlock beschützen und wenn es das Letzte war, was ich tat. Niedergeschlagen sah ich ihn an, ehe ich den Blick auf die Tür richtete und mich zwang, hart zu bleiben.
,,Du solltest jetzt besser gehen, Sherlock!"
Eigentlich wollte ich nicht, dass Sherlock ging, aber es war besser so. Ich musste für die Außenwelt tot bleiben und wollte ihn nicht in meine Probleme mit reinziehen. Sherlock jedoch, sah mich auf einmal mit einem Blick an, den ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte und er schüttelte kaum merklich den Kopf.
,,Vorher muss ich noch was tun.", sagte er und ich sah ihn irritiert an.
,,Das wäre?"
Er schwieg und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Es geschah jedes Mal, wenn Sherlock in meiner Nähe war und jetzt auch wieder...selbst nach so langer Zeit. Manche Dinge änderten sich wohl nie.
Dann kam Sherlock langsam auf mich zu und sah mich mit einem so eindringlichen Blick an, als wollte er durch mich hindurchsehen. Als er direkt vor mir stehen blieb, vergaß ich für einen Moment fast das Atmen und plötzlich beugte sich Sherlock zu mir, ehe er seine Lippen auf meine legte und mich küsste.
Zuerst war ich verwirrt und überrumpelt über sein ungewohntes Verhalten und erstarrte für einen Moment, weshalb er stoppte und mich zögerlich ansah. Doch dann überbrückte ich wieder den Abstand zwischen uns und dieses Mal küsste ich ihn. Und jetzt machte keiner von uns beiden einen Rückzieher...im Gegenteil!
Ich spürte, wie Sherlock seine Arme um mich legte und ich vergrub meine Hände in seinen dunklen Locken. Noch nie zuvor war ich ihm so nahe gewesen, denn vorher hätte er das auch niemals zugelassen. Aber jetzt gerade in diesem Moment, schien er seine Abneigung gegen Gefühle gänzlich vergessen zu haben und ich war mit einem Mal unglaublich froh, dass er mich in Paris aufgespürt hatte.
Denn die Zeit, die ich ohne Sherlock hatte verbringen müssen, war die Schlimmste meines ganzen Lebens gewesen und jetzt, wo er hier war, da fühlte ich mich wieder vollständig. Schon damals, als ich ihn zwei Jahre lang für tot gehalten hatte, hatte ich diese entsetzliche Leere verspürt und als ich England verlassen hatte, da war es mir genauso ergangen. Ich hatte mich leer und verloren gefühlt...bis heute!
Die Hände von Sherlock umfassten auf einmal meine Lederjacke und er streifte sie mir, wenn auch etwas zögerlich, langsam von den Schultern, ehe sie zu Boden fiel. Meine eigenen Hände wanderten nun zu den Knöpfen seines violetten Hemdes und ich knöpfte es auf, während wir unseren Kuss jedoch keine Sekunde lang unterbrachen.
Sherlock befreite sich selbst von seinem Jackett und als ich den letzten Knopf seines Hemdes geöffnet hatte, wanderte es samt Jackett zu Boden und wurde in eine Ecke des Zimmers verbannt. Und ehe ich mich versah, zog Sherlock mir mein schwarzes Oberteil über den Kopf über aus und warf dies ebenfalls achtlos von sich fort.
Ich wusste nicht, warum Sherlock auf einmal nicht mehr so zurückhaltend war und was sein Verhalten so verändert hatte, dass er mit einem Mal offensichtlich Gefühle zuließ, aber das war mir im Moment auch vollkommen egal. Denn meine Gefühle für ihn waren immer noch da und sie waren auch niemals weg gewesen. Selbst zu der Zeit, als ich noch mit Ezra verlobt gewesen war, hatte ich insgeheim Sherlock geliebt...in jeder einzigen Sekunde. Und ich würde ihn immer lieben...nichts würde daran je etwas ändern.
Sherlock umfasste nun mein Gesicht und küsste mich erneut, ehe er mich etwas enger an sich zog und ich ließ es zu. Während ich meine Arme in seinem Nacken verschränkte, spürte ich auf einmal, wie ich gegen das Bett stieß und es den Weg versperrte. Doch da fiel ich bereits rückwärts auf die Matratze und zog Sherlock mit mir, der daraufhin schmunzelte und ich unterbrach den Kuss, um ihn irritiert anzusehen.
,,Was ist so witzig?", fragte ich und er strich mir abwesend eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
,,Nun...vor ein paar Wochen dachte ich noch, du wärst tot und nun sind wir beide hier...in einem emotionalen Kontext."
Etwas überrascht sah ich ihn an, ehe mir ein leichtes Lächeln entwich und ich ihm einen erwartungsvollen Blick zuwarf.
,,Was ist mit dem Vorsatz des chemischen Defektes?", wollte ich wissen und Sherlock beugte sich langsam wieder zu mir herunter.
,,Nicht länger von Belang!"
Seine Lippen streiften meine und schließlich verschloss er sie wieder zu einem Kuss. Er verschränkte seine Hände mit meinen und jede Berührung von ihm löste einen elektrischen Schauer in mir aus. Mein Herz raste und ich hatte das Gefühl, als würde es jeden Augenblick aus meiner Brust springen.
Sherlock und ich hatten uns ja schon geküsst...aber das hier war anders. Seine Küsse waren nun nicht mehr zögerlich und unsicher, sondern entschlossen und leidenschaftlich. Und ich erwiderte jeden Einzelnen von ihnen, während ich immer noch kaum glauben konnte, dass Sherlock wirklich hier war.
Aber er war hier! Er hatte nach mir gesucht und natürlich hatte er mich gefunden. Und nun waren wir endlich zusammen, was mich unendlich glücklich machte. Ein Kribbeln fuhr durch meinen Körper, als Sherlock mit seinen Lippen meinen Hals streifte und über mein rechtes Schlüsselbein fuhr, ehe sie wieder meine fanden und sie zu einem weiteren Kuss verschlossen.
Nach und nach wanderten auch unsere restlichen Kleidungsstücke zu Boden, doch davon nahm ich kaum Notiz. Meine Konzentration reichte einzig und allein für Sherlocks Körper auf meinem aus und für das Gefühl, was das in mir auslöste. Ich wollte Sherlock...genau hier...genau in diesem Moment! Und ich wünschte mir hier und jetzt, dass dieser Moment niemals endete.
~~~~~
So, das war es für heute :D Einen schönen Abend euch allen, bald geht's weiter ;)
Lg, eure Hela
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top