Bonnie und Clyde
Bonnie und Clyde
John starrte perplex auf Liam, während Sherlock ihn ausdruckslos musterte und mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit nun eine Deduktion bei ihm durchführte. Ich wünschte mir eigentlich nur, dass Liam genauso schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war, doch daran schien er gar nicht zu denken. Denn er grinste nach wie vor wie ein Honigkuchenpferd und schien geradezu köstlich amüsiert zu sein.
,,Du hast dich kaum verändert, Evelyn! Allerdings mochte ich deine schwarzen Haare lieber.", meinte er und ich verschränkte die Arme vor der Brust.
,,Tja, jetzt ist Rot eben meine Farbe."
,,Kratzbürstig wie immer! Das habe ich vermisst.", entgegnete er und ich verdrehte die Augen.
,,Was zum Teufel willst du hier, Liam?"
,,Ich bin beruflich in London. Und als ich hörte, du lebst hier und arbeitest mit dem berühmten Sherlock Holmes zusammen...da wollte ich mal vorbeischauen. Apopros...möchtest du uns nicht bekannt machen?"
Liam deutete vielsagend auf John und Sherlock, die mich mittlerweile beide etwas irritiert ansahen. Eigentlich hatte ich ja keine große Lust, dass sich die Drei kennenlernten, aber ich kam wohl nicht mehr drum herum.
,,Liam, das sind Sherlock Holmes und Dr. John Watson. John, Sherlock...das ist Liam Parker! Ein ehemaliger Kollege von mir.", erklärte ich schließlich und John reichte Liam höflicherweise die Hand.
,,Freut mich! Sie waren also auch beim FBI?"
,,Oh, nein! Evelyn und ich waren zusammen auf der Polizei Akademie. Beim FBI bin ich aber nicht gewesen", sagte Liam und ich sah ihn mürrisch an.
,,Das passiert eben, wenn man von der Akademie fliegt. Was treibst du denn jetzt so, Liam? Jagst du immer noch wilden Verschwörungstheorien hinterher?"
Ich sah ihn abwartend an und für einen kurzen Moment verschwand das Grinsen aus seinem Gesicht. Aber dann schien sein Optimismus zurückzukehren, denn seine Augen leuchteten auf und er sah mich vielsagend an.
,,Das sind keine Verschwörungstheorien, sondern die Wahrheit, Evelyn.", meinte er, doch ich sah ihn nur ausdruckslos an.
,,Ach, ist das so? Und...welcher Wahrheit jagst du dieses Mal hinterher?"
,,Entschuldigt, aber könnte mich mal jemand aufklären?"
John schien zunehmend verwirrt zu sein und das wunderte mich natürlich kein bisschen. Liam wollte schon antworten, doch ich verschränkte die Arme vor der Brust und kam ihm zuvor.
,,Liam hat damals behauptet, der Präsident der vereinigten Staaten wäre Mitglied einer geheimen Verschwörung. Nur glaubte ihm niemand, weswegen er um jeden Preis versuchte, es zu beweisen. Allerdings ohne Erfolg und am Ende hat es ihn den Platz auf der Akademie gekostet.", erklärte ich und John sah zu Sherlock, der Liam immer noch kritisch musterte und erstaunlicherweise gar nichts sagte.
,,Damals lag ich vielleicht falsch, aber dieses Mal definitiv nicht. Und genau deswegen bin ich hier...ich brauche deine Hilfe, Evelyn.", gab Liam zurück, doch ich schüttelte den Kopf.
,,Vergiss es! Ich habe keine Zeit für deine Spielchen, sondern muss einen neuen Fall aufklären. Aber sollte ich jemals den Wunsch verspüren, kostbare Zeit meines Lebens zu verschwenden...dann bist du der Erste, der es erfährt."
John sah unsicher zwischen Liam und mir hin und her und obwohl ich Liam soeben eigentlich wieder beleidigt hatte, so kehrte dessen Grinsen zurück und das erinnerte mich nur zu gut an seinen Charakter. Und mit einem Mal brach auch Sherlock sein Schweigen, der ganz offensichtlich zu einer Schlussfolgerung seiner Deduktion gekommen war.
,,Ihr beide hattet eine Beziehung!", sagte er und John schaute überrascht drein.
,,Ehrlich?"
Er schien nicht damit gerechnet zu haben und ich wollte auch gerade schon widersprechen, denn ich kam nicht einmal zu Wort, da Sherlock bereits fortfuhr und seine Erkenntnis vertiefte.
,,Natürlich hatten sie eine Beziehung, John! Angesichts der Tatsache, dass die beiden vergebens versuchen, den jeweils anderen mit ihren Sätzen sprachlos zu machen und diese mit Sarkasmus ergänzen, ist diese Tatsache mehr als offensichtlich. Nur scheint diese Beziehung kein gutes Ende genommen zu haben, da Evelyn nun unverkennbar eine tiefe Abneigung gegen Liam hegt. Ich nehme an, dass es in die Brüche ging, weil Liam sich zu sehr mit Verschwörungstheorien beschäftigte und ganz offenbar ein zu hohes Maß an Selbstverliebtheit vorweist. Doch dies war nicht der auschlaggebende Punkt, sondern zweifellos die Lügen, die er damals täglich auftischte, was seine schuldbewusste Haltung zeigt. Und dennoch macht er sich Hoffnung, Evelyn könnte ihm eines Tages vergeben und jetzt vertraut er darauf, dass sie ihm trotz aller Widersprüche helfen wird."
Sprachlos sahen wir Sherlock an und obwohl ich es nun schon einige Male hautnah miterlebt hatte, wenn Sherlock etwas offenbarte, so war ich jedes Mal aufs Neue erstaunt. Und er hatte mit seiner Schlussfolgerung komplett ins Schwarze getroffen. Zumindest, was meinen Teil anging.
,,Das...das war...", setzte John an, aber offenbar fehlten ihm mal wieder die richtigen Worte und ich vollendete seinen Satz.
,,Ein absoluter Volltreffer!"
,,Sie sind wirklich so gut, wie man sagt.", entgegnete Liam, wirkte aber nun etwas getroffen.
,,Nein!", gab Sherlock zurück und erntete überraschte Blicke von uns. ,,Ich bin fantastisch!"
Nun verdrehte ich die Augen, konnte mir ein leichtes Grinsen aber nicht verkneifen. Manchmal merkte Sherlock gar nicht, dass er ebenfalls geradezu selbstverliebt war und das ließ mich jedes Mal schmunzeln.
,,Also ward ihr beide ein Paar?", schlussfolgerte John und ich seufzte.
,,Bedauerlicherweise!"
,,Wir waren mehr als das. Wir waren Bonnie und Clyde!", sagte Liam und hatte seine gute Laune schnell wiedergefunden.
,,Wie bitte?"
John war mal wieder verwirrt und Sherlock schwieg mal wieder. Ich würde mich wohl niemals an die Eigenschaften der beiden gewöhnen, aber dafür waren sie inzwischen so etwas wie Freunde für mich geworden. Zumindest ansatzweise!
,,Ignoriere es einfach, John. Liam hat schon immer gerne seine Geschichten ausgeschmückt."
,,Manchmal vielleicht, aber dieses Mal ist es wahr und das weißt du genauso gut wie ich. Erinnerst du dich daran, wo wir auf der Akademie unseren ersten Übungseinsatz hatten?", meinte Liam grinsend und ich sah ihn vielsagend an.
,,Oh, du meinst den Einsatz, den du durch deine Darth Vader Imitation komplett ruiniert hast und unser Ausbilder daraufhin vor Wut fast einen Herzanfall bekommen hat? Oh, ja...ich erinnere mich dunkel daran."
,,Die anderen fanden es amüsant!", verteidigte sich Liam und ich seufzte.
,,Mag ja sein, Liam...aber das ist Vergangenheit. Das und alles andere auch. Vielleicht solltest du langsam mal erwachsen werden."
,,Bitte, Evelyn! Ich brauche dieses Mal wirklich deine Hilfe.", erwiderte er, doch ich hob abwehrend die Hände.
,,Nein! Ich habe dir damals schon unendlich viele Chancen gegeben, aber dieses Mal nicht. Dieses Mal mache ich nicht den gleichen Fehler."
Mit diesen Worten wandte ich mich von Liam ab und entfernte mich von dem Gebäude. Ich wollte einfach nur von diesem Ort verschwinden und beschloss, mir ein Taxi nach Hause zu rufen. Doch soweit kam ich nicht, denn auf einmal holte Sherlock mich ein und stellte sich mir in den Weg.
,,Sie sind verletzt!", brachte er hervor und ich sah ihn verdutzt an.
,,Was?"
,,Wegen Liam! Er hat Ihnen einst das Herz gebrochen und deswegen sind Sie immer noch verletzt. Deswegen wollen Sie ihm nicht helfen."
,,Ich will ihm nicht helfen, weil er ein Idiot ist und nur unsinnige Theorien verfolgt, die einzig und allein dem Schwachsinn einiger Gerüchte entspringen.", verteidigte ich mich.
Sherlock jedoch, zog nur eine Augenbraue hoch und musterte mich nun eindringlich. Ich hasste es, wenn er das tat und offenbar wieder versuchte, meine Gedanken zu deuten. Zum Glück gelang ihm das nur manchmal und die Male, wo es ihm nicht gelang, schien es ihn zu ärgern. Offenbar war er es einfach nicht gewohnt, dass es auch Menschen gab, die er eben nicht durchschauen konnte.
,,Sie wissen, dass dies nur ein unbedeutendes Detail ist. Wären es einzig und allein seine Vorlieben für metaphorische Theorien, so wären Sie längst darüber hinweg. Aber Hass entsteht durch Gefühle...Hass entsteht durch Liebe!", sagte Sherlock und nun sah ich ihn sauer an.
,,Ich liebe Liam nicht!"
,,Aber Sie haben es getan und diese Tatsache ist es, die Sie so unglaublich wütend macht. In der Tat sind Sie eher ein Mensch, der seine Gefühle verbirgt und Mauern um sich herum baut. Liam war allerdings im Stande, Gefühle in Ihnen hervorzurufen. Dann hat er Sie verletzt und deshalb verachten Sie ihn. Auch heute noch, obwohl die Sache lange Zeit zurückliegt."
Sherlock warf mir nun einen vielsagenden Blick zu und ich schwieg. Ich hasste es, wenn er Recht hatte und er hatte Recht...mit jedem einzigen Wort. Wahrhaftig hatte ich Liam geliebt und er hatte mich enttäuscht. Er gehörte zu den Dingen, die ich unbedingt vergessen wollte und bis heute war es mir auch ganz gut gelungen. Aber wie hieß es so schön? Das Schicksal holte Einen immer wieder ein!
,,Wie auch immer! Er gehört zu meiner Vergangenheit und ist jetzt definitiv nicht mehr mein Problem. Und zu Ihrem sollte er auch nicht werden, Sherlock. Glauben Sie mir...ohne Liam sind wir alle besser dran. Wir sollten uns lieber auf unseren neuen Fall konzentrieren."
,,Wir? Heißt das etwa, Sie streben wieder gemeinsame Zusammenarbeit an?", meinte Sherlock und grinste leicht, woraufhin ich auch ein wenig schmunzelte.
,,Solange ich nicht schon wieder Gräber schänden und einzelne Körperteile in Ihrem Kühlschrank oder der Mikrowelle begutachten muss."
,,Das sind überaus wichtige Experimente!", widersprach Sherlock und ich nickte vielsagend.
,,Dann lassen Sie es aber auch Ihre Experimente bleiben und nicht meine. Die gestrige Nacht auf dem Friedhof hat mir gereicht."
,,Das war doch ein äußerst vielversprechendes Ereignis und Sie haben sich als tatkräftige Hilfe erwiesen. John flüchtet immer, wenn ich ihn bei solchen Angelegenheiten um Hilfe bitte."
,,Wahrscheinlich, weil er genau weiß, was ihn erwartet. Ich wünschte, er hätte mich mal vorgewarnt.", murmelte ich und Sherlock zuckte mit den Schultern.
,,Er wollte nur ganz sicher die Überraschung nicht verderben."
,,Ganz bestimmt!", meinte ich, als ich Sherlock nun einen erwartungsvollen Blick zuwarf. ,,Also, worauf warten wir noch? Begeben wir uns auf Mörderjagd!"
,,Noch nicht!", widersprach Sherlock und ging an mir vorbei, woraufhin ich ihm verdutzt nachsah und perplex dastand.
,,Wo wollen Sie hin?"
,,Es gibt noch etwas Wichtiges zu tun.", raunte mir Sherlock entgegen.
,,Was ist denn bitte wichtiger, als den Mörder unseres Opfers zu finden?"
Sherlock drehte sich nochmal zu mir um, grinste vielsagend und schob schließlich ganz typisch seine Hände in die Taschen seines Mantels.
,,Einen Blick auf diese erstklassige Leiche zu werfen!"
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