Auf eigene Faust
Auf eigene Faust
Ich wusste nicht, wie lange ich da gestanden und auf die geschlossene Tür unseres Reviers gestarrt hatte, aber es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Noch immer versuchte ich zu realisieren, was hier eigentlich passiert war, denn es war alles so schnell gegangen, dass man es für einen Rausch halten könnte, wenn es nicht die brutale Realität wäre.
Greg war verhaftet! Man hatte ihn des Mordes bezichtigt und alle Beweise sprachen gegen ihn. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass mein Partner einen anderen Menschen eiskalt umbringen würde.
Gut, es war der einstige Liebhaber seiner Ehefrau gewesen und Eifersucht war schon so häufig ein Motiv für Mord gewesen, aber die Sache zwischen diesem Michael und Greg s Frau war doch mittlerweile Schnee von gestern. Warum also, hätte Greg ihn umbringen sollen? Das ergab alles keinen Sinn und warum war diese schwarz gekleidete Frau am Tatort gewesen, wenn sie angeblich nichts mit der Sache zu tun hatte?
,,Was sollen wir jetzt tun?", riss mich die Stimme von Donovan aus den Gedanken und Anderson seufzte schwer.
,,Ich fürchte, wir können nicht viel tun. Einzig und allein auf ein Wunder hoffen, dass all dies nur ein schlimmer Irrtum ist."
Nun verfinsterte sich mein Blick. Meine Kollegen wollten also nichts tun. Gar nichts, um das Gegenteil von dem zu behaupten, was anscheinend für alle so offensichtlich war. Aber wenn Anderson und Sally dachten, dass ich mich dem anschloss, dann hatten sie sich geschnitten. Denn ich hatte schon immer für Gerechtigkeit gekämpft und das würde ich auch dieses Mal tun. Ich würde meinen Partner garantiert nicht im Stich lassen und wenn ich dafür auf eigene Faust nach Beweisen suchen musste, dann sollte es so sein.
Ich setzte mich in Bewegung und augenblicklich schienen bei Donovan alle Alarmglocken zu schrillen.
,,Was haben Sie vor, Evelyn?", brachte sie hervor und ich drehte mich zu ihr um.
,,Wonach sieht es denn aus? Ich werde die Unschuld von Greg beweisen."
,,Aber...alles spricht gegen ihn. Jeder hält ihn für schuldig und bisher hat niemand einen Hinweis auf das Gegenteil gefunden.", widersprach Anderson, woraufhin ich mit den Schultern zuckte.
,,Irgendjemand muss der Erste sein! Und ich werde garantiert nicht untätig rumsitzen, während Greg im Knast hockt. Ich werde den wahren Täter suchen...bis ich ihn gefunden habe."
,,Das können Sie unmöglich allein schaffen.", entgegnete Sally und ich lächelte kaum merklich.
,,Keine Sorge, Donovan! Ich werde nicht allein sein."
,,Ach, und wen heuern Sie zur Unterstützung an?", meinte sie skeptisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich sagte nichts, sondern lächelte nur ein wenig breiter und das schien ihr als Antwort zu genügen. Während Anderson mich irritiert anstarrte, stöhnte Sally auf und richtete den Blick gen Himmel.
,,Das kann unmöglich Ihr Ernst sein, Evelyn. Sie wollen den Freak um Hilfe bitten?"
,,Ganz recht, Donovan! Und wenn Sherlock Holmes mir nicht helfen kann, die Unschuld von Greg zu beweisen...wer sollte es dann können?"
***
Wenig später erreichte ich die Baker Street und ging auf die Haustür der 221b zu. Ich wusste nicht einmal, ob Sherlock zu Hause war, aber ich hoffte es und noch mehr hoffte ich, dass er mir helfen würde. Zwar hatte Donovan noch mehrmals versucht, mich von meinem Vorhaben abzubringen, aber sie war erfolglos gewesen.
Greg brauchte immerhin unsere Hilfe und wenn meine Kollegen mir nicht halfen, dann war Sherlock eben meine letzte Hoffnung. Und mit seiner Hilfe würde ich sicher schneller voran kommen, als mit Donovan und Anderson, die meinen Partner offenbar ebenfalls für schuldig hielten.
Als ich klopfte, öffnete mir binnen weniger Sekunden John die Tür und hob eine Augenbraue, als er mich erkannte.
,,Evelyn...was machst du denn hier? Ich dachte, du hättest diesen ominösen Notfall.", murmelte er und ich sah ihn ernst an.
,,Tja, was soll ich sagen, John...kein Tag vergeht ohne Katastrophen. Ist Einstein da?"
,,Ähm, ja! Sherlock ist oben. Ist etwas passiert?", hakte er nach, während ich eintrat und klang sofort alarmiert, ehe er die Tür schloss.
,,In der Tat!", erwiderte ich, ehe ich nach oben eilte.
John folgte mir sofort und ich eilte ins Wohnzimmer. Dort fand ich tatsächlich Sherlock vor, allerdings, und wie sollte es auch anders sein, in der Gesellschaft seines Bruders Mycroft. Dieser hob augenblicklich den Blick, als ich denn Raum betrat und schenkte mir einen amüsierten Blick.
,,Ah, Evelyn...ich hatte mich schon gefragt, wann ich Sie mal wieder zu Gesicht bekomme. Wieder mal im Einsatz?", raunte er mir entgegen und ich sah ihn leicht genervt an.
,,Irgendjemand muss ja die Welt retten."
,,Immer eine Antwort parat. Manchmal glaube ich, sie kann dir in Sachen Schlagfertigkeit bald Konkurrenz machen, Bruderherz."
Ich wusste nicht warum, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Sherlock meine Anspannung spürte. Denn er musterte mich ziemlich intensiv und am liebsten wäre ich ja gleich mit den Neuigkeiten herausgeplatzt, aber Mycroft war mir in diesem Moment einfach eine Person zu viel.
,,Evelyn...was ist denn mit deiner Stirn passiert?", kam es auf einmal von John, der das Pflaster entdeckt hatte und mir nun einen besorgten Blick zuwarf, doch ich winkte ab.
,,Es ist nur eine Platzwunde, John! Nichts Lebensbedrohliches!"
,,Wer hat Ihnen das angetan?", wollte Sherlock wissen und ich seufzte schließlich ergebend.
,,Die Frau in Schwarz!"
,,Faszinierend! Etwa ein neuer Titel für den Blog von Dr. Watson?", warf Mycroft grinsend in den Raum, doch ich warf ihm tödliche Blicke zu.
Und am liebsten hätte ich den Bruder von Sherlock höchstpersönlich rausgeschmissen, wenn Sherlock nicht mal wieder offenbar meine Gedanken gelesen hätte und dies selbst in die Hand nahm.
,,Du gehst jetzt besser, Mycroft!"
,,Ich war noch nicht fertig.", entgegnete dieser empört und Sherlock erhob sich aus seinem Sessel.
,,Dessen bin ich mir bewusst, aber ich habe keinerlei Verwendung für dein Anliegen."
,,Das ist ein Fall von internationaler Bedeutung!", zischte Mycroft, doch Sherlock verdrehte nur die Augen.
,,Das ist es doch immer bei dir. Aber dieses Mal passe ich und irgendwas sagt mir, dass die Neuigkeiten von Evelyn viel interessanter sind, als es deine je sein könnten."
John und ich staunten nicht schlecht, als Sherlock seinen Bruder so trocken abservierte. Auch Mycroft war sprachlos und setzte zum Widerspruch an, doch da öffnete Sherlock schon die Tür zum Treppenhaus und deutete seinem Bruder wortlos an, die Wohnung zu verlassen.
Dieser brummte und kochte offensichtlich vor Wut, doch er ließ es über sich ergehen. Beleidigt zog Mycroft von dannen und Sherlock schloss die Tür, ehe er sich wieder zu seinem Sessel begab und mich schließlich erwartungsvoll ansah.
,,Ich höre, Evelyn!", forderte er mich auf und auch John warf neugierige Blicke in meine Richtung.
,,Es geht um Greg!", setzte ich an und als niemand von den beiden antwortete, seufzte ich. ,,Er wurde verhaftet!"
,,Verhaftet? Weswegen?", brachte John schockiert hervor und ich schaute vielsagend in die Runde.
,,Mord! In dem Haus, wohin mich Greg geschickt hat...da hat der einstige Liebhaber seiner Frau gelebt und der ist jetzt tot. Alle Beweise deuten darauf hin, dass Greg ihn ermordet haben soll, aber er würde so etwas niemals tun. Er ist unschuldig...da bin ich mir sicher."
Mein Blick wanderte zu Sherlock, der mich nachdenklich musterte und schwieg. Er schien meine Worte zu verinnerlichen und durch seinen Gedächtnispalast zu jagen, wie er es gerne bezeichnete. John wirkte sichtlich erschüttert und schließlich brach Sherlock sein eisernes Schweigen.
,,Das ist noch nicht alles, oder? Was ist in dem Haus passiert? Irgendjemand hat Ihnen diese Platzwunde sicherlich zugefügt und in Anbetracht dessen, dass Sie sich in der Regel ganz gut verteidigen können, müssen sie ohne jegliche Vorwarnung in die brenzlige Situation geraten sein. Meinten Sie damit diese Frau?", meinte er und ich nickte.
,,Als ich das Haus durchsucht habe, da habe ich zuerst nichts gefunden. Aber dann kam ich ins Wohnzimmer, wo die schwarz gekleidete Frau war und die hat mich angegriffen."
,,Wer ist sie?", hakte John nach und erntete einen ungläubigen Blick von mir.
,,Tina Turner! Woher soll ich das wissen, John? Bevor ich Fragen stellen konnte, ist diese Wahnsinnige auf mich losgegangen."
,,Und sie hat nicht gesagt, was sie will?", erwiderte John und ich konnte kaum fassen, dass er mir solche unnützen Fragen stellte.
,,Nein, hat sie nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt, mich außer Gefecht zu setzen. Sie hat mich niedergeschlagen und ich habe das Bewusstsein verloren. Und als ich wieder zu mir kam, war Greg da und die Leiche...wie aus dem Nichts. Aber von der Frau fehlte weit und breit jede Spur. Und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sie dort gewesen ist. Als ob es sie überhaupt nicht gegeben hätte."
Ich wusste selbst, dass dies im Grunde total dämlich klang und rechnete schon damit, dass Sherlock mir kein einziges Wort abnahm. Diese Geschichte klang immerhin zu verrückt, um wahr zu sein. Aber der Detektiv belehrte mich eines Besseren, denn ihm schlich auf einmal ein Lächeln über das Gesicht, was John sichtlich irritierte.
,,Sherlock?"
,,Das klingt doch nach einem aufregenden Fall, John. Worauf warten wir noch?", brachte er hervor und sprang regelrecht von seinem Sessel auf, woraufhin ich ihn skeptisch ansah.
,,Sie glauben mir?"
,,Natürlich! Sie würden nicht wegen einer Kleinigkeit hier herkommen und mich regelrecht um meine Hilfe anflehen, Evelyn. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Sie niemals auf einen so lächerlichen Gedanken kommen würden, sich so eine Geschichte auszudenken, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich würde vorschlagen, wir sehen uns den Tatort noch einmal an.", erwiderte Sherlock und John sah ihn verdutzt an.
,,Jetzt noch? Es ist schon dunkel, Sherlock."
,,Wenn Sie Angst haben, dann können Sie ja bleiben, John. Allerdings sollten Sie sich das nicht entgehen lassen. Ein mysteriöser Mord...Detective Lestrade unter Mordverdacht und noch dazu diese Frau in Schwarz...das kann nur gut werden. Und Sie haben auch gleich den perfekten Titel für Ihren Blog.", neckte Sherlock seinen Mitbewohner und warf sich seinen Mantel über.
John sah mich sprachlos an und ich zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte es mittlerweile aufgegeben, Sherlock zu widersprechen. Denn er würde die Diskussion ohnehin gewinnen und dieses Mal hatte ich nichts hinzuzufügen. Denn Sherlock würde mir helfen, die Unschuld von Greg zu beweisen und somit hatte ich mein Ziel erreicht.
,,Sherlock!", ertönte die Stimme von Mrs. Hudson und die erschien ganz hysterisch im Wohnzimmer. ,,Polizeiwagen haben das Haus umstellt und sie wollen Evelyn verhaften."
,,Mich? Aber warum das denn?", brachte ich ungläubig hervor und Mrs. Hudson sah mich eindringlich an.
,,Oh, Liebes...ich fürchte, die denken, dass Sie eine Komplizin sind. Im Fernsehen haben die doch diese schlimme Sache über Ihren Kollegen gesagt. Und ich fürchte, sie kommen jetzt, um Sie auch noch zu holen."
Die Worte von Mrs. Hudson jagten mir Angst ein, denn nun war nicht nur Greg im Visier der Staatsanwaltschaft...sondern auch ich. Aber wenn sie mich für eine Komplizin hielten...warum hatten sie mich dann nicht schon auf dem Revier mit Greg zusammen verhaftet?
,,Sie werden Sie verhaften, Liebes!", platzte es aus Mrs. Hudson heraus, doch Sherlock sah seine Vermieterin ernst an.
,,Die werden Evelyn nicht kriegen. Mrs. Hudson...halten Sie sie hin...wir verschwinden."
,,Und wie?", warf ich verwirrt in den Raum, denn soweit ich wusste, hatte die Wohnung von Sherlock und John keinen Hinterausgang.
John und Sherlock tauschten einen kurzen Blick und schienen, sich in Gedanken abzustimmen. Und ehe ich mich versah, zückte Mrs. Hudson auf einmal einen Schlüssel und warf ihn John kurzer Hand zu.
,,John...mein Auto!"
,,Danke, Mrs. Hudson!", erwiderte John und als es unten wie wild an der Tür hämmerte, eilte die Vermieterin des Ermittler-Duos schon nach unten, um die Polizei aufzuhalten.
Sherlock eilte währenddessen auf das Fenster zu und öffnete es, ehe er sich zu mir umdrehte und mich kurzer Hand zu sich winkte.
,,Darf ich bitten, Miss Headley?"
,,Das ist doch jetzt hoffentlich nicht Ihr Ernst!", entgegnete ich und er deutete vielsagend auf das Treppenhaus.
,,Wollen Sie auch noch in Handschellen abgeführt werden? Oder suchen wir jetzt nach dem wahren Täter?"
Sherlock sah mich eindringlich an, während John bereits durch das Fenster stieg und ich zögerte schließlich keine Sekunde mehr. Ich stürmte auf das Fenster zu und begab mich mit Sherlock auf den Weg nach unten. Und das genau im richtigen Augenblick, denn wir hörten, wie die Polizei in diesem Augenblick die Wohnung stürmte.
Ich landete auf dem Boden und ehe ich mich versah, zog Sherlock mich mit sich und wir rannten auf die Garage zu. John saß bereits im Wagen und ich musste schon sagen, dass Mrs. Hudson für eine ältere Dame echt Stil hatte. Denn vor uns stand ein feuriges Gefährt, welches einem Ferrari locker Konkurrenz machen konnte.
Doch mir blieb keine Zeit, das Auto von Mrs. Hudson zu bestaunen, denn Sherlock öffnete die hintere Tür und wies mir an, einzusteigen und ich kam der Aufforderung nach. Und als er die Tür hinter mir geschlossen hatte, jumpte er regelrecht auf den Beifahrersitz, als John auch schon das Gaspedal durchtrat. Mit quietschenden Reifen und einem rasanten Tempo, preschten wir aus der Garage und John riss den Wagen nach links rum. Ich vernahm noch, die Schüsse ertönten und Sirenen von Polizeiwagen aufheulten, als wir die Baker Street hinter uns ließen.
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