Auf den Spuren der Wahrheit
Auf den Spuren der Wahrheit
Als ich zuhause ankam, warf ich meine Jacke über einen Stuhl meines Esstisches und stellte meine Schuhe in die Ecke. Noch immer schwirrte mir den Kopf von den vielen Fakten, die ich durch Felipe Santana nun hatte und ich versuchte immer noch, meine Gedanken demnach zu sortieren.
Ich begab mich ins Badezimmer und zog mich um, nachdem ich geduscht hatte und ließ mich anschließend erschöpft ins Bett fallen. Obwohl es logisch klang, was Felipe mir da im Verhörraum aufgetischt hatte...irgendwas hatte der Fall an sich, was mich nachdenklich machte.
Allerdings schaffte ich es nicht mehr, mir weitere Gedanken darüber machen, denn die Müdigkeit holte mich schließlich ein und ich schloss meine Augen.
***
,,Strengen Sie sich an, Evelyn! Konzentration und Strategie."
Die Stimme von Sherlock erklang in meinem Kopf und ich sah ihn förmlich vor mir. Seinen eindringlichen Blick, seine aufrechte Körperhaltung und nun tauchten auf einmal sämtliche Details des Falls vor mir auf.
Der Tatort, die Leiche...das verborgene Tattoo...all diese Informationen stürzten förmlich auf mich ein und ich versuchte sie zu sortieren. Die Antwort schien bereits vor meiner Nase zu liegen. Im Unterbewusstsein musste ich also schon längst ahnen, wer der Mörder war und ich versuchte fieberhaft, dies auch in meinen Gedanken zu erkennen.
Für wen hatte sich das Opfer dieses Tattoo stechen lassen? Wer war Richard wichtig genug gewesen, dass er sich dafür diesen Schriftzug hatte verewigen lassen? All diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als Sherlock um mich herumging und mich mit strengem Blick musterte, als wäre er mein Lehrer.
Und mit einem Mal fühlte ich mich wieder als Studentin von der Polizei Akademie, der man soeben das richtige Verhalten am Tatort und die Vorgehensweise für Ermittlungen beibrachte.
Sherlock stand nun wieder vor mir und ich sah ihn schließlich irritiert an, als sein Blick mich wieder zu durchbohren schien. Und dann wirkte er ernster als zuvor, ehe er mich vielsagend ansah.
,,Die Antwort...liegt direkt vor Ihnen!"
***
Ich schreckte hoch und für einen Moment war ich mächtig verwirrt. Das lag vor allem daran, dass mich dieser Traum überaus irritierte und noch viel mehr irritierend war es, dass ich Sherlock in meinem Traum gesehen hatte. Warum um alles in der Welt musste denn ausgerechnet er mich in meinem Traum zurechtweisen? Schon im wahren Leben war er unfreiwillig praktisch mein Windschatten und nun verfolgte er mich auch noch in meinen Träumen. Kein Wunder, dass ich aus diesem Traum hochgeschreckt war.
Aber erstaunlicherweise hatte der Traum mir sogar weitergeholfen und ich sah zur Uhr. Es war gerade mal 2 Uhr in der Nacht, doch das war mir völlig gleich. Ich stand auf und zog mir blitzschnell Jeans, Shirt und Lederjacke an, ehe ich nach meinem Handy und meinem Hausschlüssel griff. Denn ich beschloss, dass ich mir die Wohnung des Opfers nochmal selbst ansehen wollte, obwohl die Spurensicherung dies ja bereits getan hatte. Und obwohl sie nicht sonderlich viele Hinweise hatten finden können, so hatte ich einfach das Gefühl, dass ich genau dort das fehlende Puzzleteil finden würde.
Leise schlich ich durch das Treppenhaus, um meine Vermieterin nicht aufzuwecken und schloss die Tür hinter mir. Zum Glück war gerade ein Taxi in der Nähe, welches ich kurzer Hand für mich beanspruchte und der Fahrer brachte mich zu der gewünschten Adresse.
Als ich an der Wohnung angekommen war, verschaffte ich mir mit Hilfe eines Dietrichs Zutritt und ich schaltete das Licht ein. Es war immer irgendwie merkwürdig, die leere Wohnung eines verstorbenen Opfers zu betreten und ich hatte immer das eigenartige Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Wahrscheinlich handelte es sich dabei in meiner verrückten Annahme um die Seelen der Opfer, die erst Ruhe finden konnten, sobald ihre Todesursache geklärt worden war.
,,Tja, dann wollen wir mal!", sagte ich und zog mir ein paar Latexhandschuhe an.
Die Wohnung war aufgeräumt und dies zeigte ohne Zweifel, dass unser Opfer eindeutig eine sehr ordentliche Person gewesen war. Ich sah mich um und suchte nach einem brauchbaren Hinweis, der mir das fehlende Detail über den Mord liefern sollte.
Es vergingen einige Minuten des Misserfolges, als ich auf einmal eine kleine verborgene Schachtel in der Schublade des Schreibtisches entdeckte, die allerdings verschlossen war.
,,Sieh mal Einer an...was haben wir denn da.", brachte ich hervor und knackte das kleine Schloss, während ich schmunzelte. ,,Auch ein Anwalt hat Geheimnisse!"
Ich öffnete die Box und als ich einen Blick auf den Inhalt warf, fiel mir im wahrsten Sinne des Wortes die Kinnlade runter. In der Box befanden sich unzählige Fotos und diese zeigten eindeutig das Opfer mit der mysteriösen Person, für die er sich ohne Zweifel das Tattoo hatte stechen lassen. Doch bei der Person handelte es sich keineswegs um Sarah Torey, sondern um ihren Schauspielkollegen David Jenkens!
Ungläubig starrte ich die Fotos an, die Richard und David als Liebespaar zeigten und nun wurde mir so Einiges klar. Und diese Fotos reichten auch aus, um den Fall aufzuklären. Denn für mich stand nun fest, wer Richard umgebracht hatte.
Gerade wollte ich zu meinem Handy greifen, um mir Unterstützung anzufordern, doch so weit kam ich nicht. Denn mit einem Mal vernahm ich Schritte hinter mir und ehe ich mich versah, verspürte ich einen Schlag auf den Hinterkopf und verlor augenblicklich das Bewusstsein.
***
Als ich wieder zu mir kam, brauchte ich ein paar Minuten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Meine Sinne regenerierten sich wieder und schließlich sah ich verwirrt um mich. Ich befand mich auf dem Dach eines Gebäudes und musste schockiert feststellen, dass ich mit den Händen an das Geländer einer Treppe gekettet war. Sofort versuchte ich, mich zu befreien, doch ich hatte natürlich keine Chance und auf einmal ertönte eine Stimme direkt gegenüber von mir.
,,Das ist zwecklos! Ich habe es auch schon versucht."
Mein Blick wanderte rüber und ich erkannte David Jenkens, der ebenfalls angekettet war. Sein Blick war niedergeschlagen und regelrecht verzweifelt, während ich mir hauptsächlich die Frage stellte, wie zum Teufel ich hier hergekommen war.
,,Wo sind wir hier?", fragte ich und sah mich erneut um, als David seufzte.
,,Auf dem Dach des Theaters! Ziemlich poetisch, wenn man bedenkt, dass hier auch alles angefangen hat."
David senkte den Blick und nun empfand ich tiefes Mitgefühl mit ihm. Er hatte durch den Tod von Richard immerhin eine wichtige Person verloren, wenn nicht sogar die wichtigste Person in seinem Leben. Und auch, wenn er es versuchte nicht zu zeigen, so sah ich ihm die Trauer deutlich an.
,,Es tut mir leid, Mr. Jenkens!", sagte ich und er hob den Kopf.
,,Was tut Ihnen leid?"
,,Ich weiß von Ihnen und Richard.", offenbarte ich und er wirkte ein wenig erschüttert.
,,Wie haben Sie es rausgefunden?"
,,Die Fotos in seiner Wohnung! Ich habe nach dem entscheidenden Hinweis gesucht und ich schätze, ich habe ihn gefunden. Sie waren ein Paar, nicht wahr?"
David nickte und sein Blick wirkte nun unendlich gequält. Ich konnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sehr er leiden musste und wünschte, ich könnte ihm helfen. Doch leider stand dies nicht in meiner Macht und gerade konnte ich mich ja nicht einmal von der Stelle bewegen.
,,Richard und ich haben uns vor dem Theater kennengelernt. Er hat sich eine Vorstellung von uns angesehen und naja...es hat gleich gefunkt. Aber wir beide wollten nicht, dass es öffentlich wird. Deshalb haben wir uns immer hier oben getroffen. Niemand wusste davon, außer..."
,,Ich!", vollendete eine andere Stimme den Satz und mein Kopf schnellte nach rechts.
Dort stand Sarah Torey und sie warf David und mir feindselige Blicke zu. Von der liebenswerten Schauspielerin war nichts mehr zu erkennen, stattdessen blickte ich in die Augen einer eiskalten Mörderin!
,,Sie haben Richard getötet!", sagte ich und Sarah wirkte ziemlich ausdruckslos.
,,Hab mich schon gefragt, wann Sie das herausfinden, Sergeant Headley. Lassen Sie mich raten...Felipe hat Sie darauf gebracht."
,,Er hat ein paar Andeutungen gemacht. Zum Beispiel, dass sie mit Richard eine Affäre gehabt hätten.", entgegnete ich kühl und Sarah ging ein paar Schritte auf und ab.
,,Das ist wahr! Wobei, eine richtige Affäre war es nicht einmal. Wir haben uns einige Male getroffen und es lief auch wirklich gut. Sogar so gut, dass ich mich in Richard verliebt habe."
Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen und ich überlegte mir bereits fieberhaft, wie ich die Situation für David und mich zum Guten wenden konnte. Leider kam mir jedoch keine rettende Lösung in den Sinn und Sarah fuhr schließlich fort.
,,Ich habe Richard gesagt, dass ich ihn liebe und wollte, dass wir ein gemeinsames Leben beginnen. Ich wollte sogar London mit ihm verlassen, um neu anzufangen. Aber er hat sich immer merkwürdiger verhalten und ich wusste einfach, dass er ein Geheimnis vor mir hat. Dann habe ich diese Fotos bei ihm auf dem Handy gefunden und als wir uns am nächsten Tag im Madame Tussauds getroffen haben, da habe ich ihn zur Rede gestellt. Ich wollte ihm klarmachen, dass wir füreinander bestimmt sind, aber er wollte es einfach nicht einsehen.", sagte sie eiskalt und ich war fassungslos.
,,Und dann haben Sie ihn umgebracht!"
,,Tja, wer nicht hören kann, der muss eben fühlen. Und wenn ich Richard nicht haben kanndann sollte ihn auch keine andere haben. Oder besser gesagt, kein anderer.", fügte sie mit einem vielsagenden Blick auf David hinzu, dem sämtliche Fassung aus dem Gesicht gewichen war.
,,Du bist ein Monster, Sarah! Du hast Richard umgebracht! Du hast die Liebe meines Lebens auf dem Gewissen."
,,Du hast ihn mir zuerst weggenommen, David. Ich schätze, wir sind quitt. Aber jetzt haben wir ein anderes Problem. Immerhin wisst ihr beide jetzt, dass ich Richard umgebracht habe und das macht euch leider zu einem Problem. Ein Problem, das ich aus der Welt schaffen muss."
Sarah zog auf einmal eine Waffe aus ihrer hinteren Hosentasche und ich musste feststellen, dass es sich um meine Dienstwaffe handelte. Mein Blick sprach offenbar Bände, denn Sarah sah vielsagend auf die Waffe, ehe sie mir ein kaltes Lächeln zuwarf.
,,Ach, ja! Ich war so frei, sie mir auszuleihen. Sie haben doch sicher nichts dagegen, Sergeant Headley! Immerhin werden Sie ihre Waffe ohnehin nicht mehr brauchen."
,,Das war es jetzt also? Sie wollen uns einfach so erschießen? Das wird seine Spuren hinterlassen und die werden alle zweifellos zu Ihnen führen, Sarah.", entgegnete ich, doch sie winkte ab.
,,Oh, das bezweifle ich. Niemand außer euch weiß, dass ich Richard getötet habe und von den verräterischen Fotos ist nur noch Asche übrig. Und was euch angeht...ich werde euch nicht erschießen."
,,Und was dann?", brachte David hervor und ich hörte den Hass in seiner Stimme raus, als Sarah auf ihn zuging und kurzer Hand die Ketten löste.
,,Was wäre eine grandiose Vorführung, ohne ein spektakuläres Ende? Und unsere Geschichte endet mit besonders viel Epos und Dramatik. Also, Romeo...wenn ich bitten darf!"
Sarah zerrte David auf die Beine und bedrohte ihn mit der Waffe, während sie auch mich losmachte und dazu zwang aufzustehen. Dann richtete sie die Waffe auf uns und drängte uns Richtung Rand des Daches. Mir wurde augenblicklich klar, was sie im Schilde führte.
,,Ein Sprung vom Dach, also...das soll die Lösung sein? Sie wollen uns dazu zwingen zu springen?", meinte ich und Sarah lächelte eiskalt.
,,Ich sagte ja: es wird episch! Und denkt doch nur an die Schlagzeilen: Polizistin bei Überführung samt Mörder in den Tod gestürzt! Ich habe genug Hinweise für die Polizei hinterlegt, die David als Mörder von Richard überführen. Somit bin ich aus dem Schneider und die einzigen Zeugen sind aus dem Weg geräumt. Schade eigentlich! Sie hätten es sicher weit bringen können, Evelyn!"
Fassungslos sah ich Sarah an und konnte nicht einmal die passenden Worte dafür finden, wie sehr mich ihr Charakter schockierte. Und das brauchte ich auch gar nicht, denn David traf es mit seinen Worten ziemlich genau auf den Punkt.
,,Du bist wahnsinnig!"
,,Ich würde es eher ziemlich brillant nennen! Wer hätte gedacht, dass nicht einmal Sherlock Holmes mich durchschauen würde?"
Ich war nicht fähig zu sprechen, denn die Gnadenlosigkeit von Sarah war nicht zu fassen und ich konnte einfach nicht begreifen, wie ein Mensch so grausam sein konnte. Doch Sarah schien wahrhaftig keine Skrupel zu haben, denn sie lud meine Waffe durch und deutete schließlich vielsagend auf den bedrohlichen Abgrund hinter uns.
,,Wie Shakespeere jetzt sagen würde: Ein tiefer Fall führt oft zu hohem Glück! Also, noch ein paar letzte Worte?", sagte sie, doch als weder David noch ich antworteten, seufzte sie und zuckte mit den Schultern. ,,Wie ihr wollt! Also, dann...Zeit für euren Abstieg!"
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