~ Siebzehn ~
Mittlerweile hatte Avril Lavigne das gefühlteste tausendste Mal ein „What the hell“ in ihre Ohren geschrien.
Eigentlich hatte sie gedacht, dass ihre Wut sich nach dem dritten oder vierten Mal hören nachlassen oder vielleicht sogar ganz veflüchtigen würde, aber es wurde nur noch schlimmer. Denn nach dem dritten Mal hören, war Aleyna danach einfach aufzuspringen und irgendetwas oder auch jemanden an die Wand zu werfen und alles zu Kleinholz zu zerhacken.
Sie wollte einfach etwas Unüberlegtes, Gemeines und unter Umständen auch Dummes und Albernes tun.
So etwas wie mit Gegenständen zu werfen, Niall umzubringen, laut und schief zu singen und im Haus herum zu tanzen und allem und jedem mitteilen, dass es ihr egal war, was Niall dachte oder gesagt hatte.
Natürlich war es ihr nicht egal, sonst würde sie sich nicht so albern benehmen, aber Aleyna hatte durchaus einen Drang zum Dramatischen, der genau in diesem Moment ausgelebt werden wollte.
Und wer unterstützte sie jedes Mal dabei?
Genau, Avril Lavigne.
Wann immer sie wütend war, dröhnte ihr ihre Stimme und ihre Songs in den Ohren, wie ein Mantra, dass sie immer wieder daran erinnerte, dass sie wütend war und möglichst diese Wut auch ausleben sollte.
Es war beinahe ein Reflex, dass Aleyna immer wieder ihre Songs anschaltete.
Sie handelte einfach im Affekt, dachte nicht nach und da war die Katastrophe.
Und diesmal war es der Song „What the hell“.
Sie hatte ihn schon lange nicht mehr gebraucht. Sie war auch schon lange nicht mehr so wütend gewesen, wie jetzt.
„All my life I've been good, but now. I, I, I, am thinking what the hell .All I want is to mess around And I, I, I don't really care about”, sang sie gerade und traf dabei ihren Gedankengang so gut, dass ihr fast die Tränen kamen.
Und es war wirklich so:
Jetzt hat sie ein einziges Mal in ihrem Leben einmal etwas anderes getan, etwas, dass man nicht von dem lieben, netten Mädchen von neben an erwartete und schon bekam Aleyna eins auf die Mütze von einem frauenfeindlichen, bösartigen, besserwisserischen, gemeinen Idiot, der noch nicht einmal einen Namen für seine Band hatte.
Wie konnte man denn eine Band gründen, die keinen Namen hatte?
Das ist doch genauso sinnlos, wie ein Kind zu bekommen, aber dann zu faul zu sein, ihm einen Namen zu geben, weil man der Ansicht ist, dass es so ein einzigartiges Kind ist, dass man eigentlich nur „das Kind“, sagen musste und jeder wusste von wem die Sprache war.
Das machte doch auch keiner, aus gutem Grund.
Aber nein, Niall durfte das.
Er durfte sie mit Blicken beinahe erstechen, sie ausspionieren, ihre Musik runter machen und sie dann einfach anschreien, weil sein kleines Musikerherz gebrochen war.
Entschuldigung, das war nicht fair.
Aleyna schlug ein paar Mal aus Frust auf das Kissen, welches auf ihrem Bett lag.
Es war schließlich niemand zu Hause, der sie hören konnte.
Ihre Mutter war nur kurz in der Mittagspause nach Hause gekommen, sie hatten sich verstörte Blicke zu geworfen, als sie Aleynas neues Outfit missbilligend gemustert hatte und war dann wieder zur Arbeit gefahren.
Danach kam noch ihr Onkel Scott, der ältere Bruder ihrer Mutter, der diese Woche den Einkauf für sie besorgt hatte und machte ihr ein Kompliment über ihre Kleidung, die ihr so gut stehen würde und dann war Aleynas Tag eigentlich auch schon gelaufen und sie hatte sich in ihr Zimmer verzogen.
Sie hatte auf Ornellas Anrufe nicht reagiert, die ihr von ihrem super Date mit David erzählen wollte und die SMS von ihrem Gitarrenlehrer, eine weitere Zusatzstunde in den Sommerferien betreffend, hatte sie ebenfalls unbeantwortet gelassen.
Das schlimmste an dieser Sache war, dass ihr das alles nicht „What the hell“, also egal war, sonder sogar ziemlich wichtig.
Sie wollte wirklich, dass die Sache mit der Musik klappte, dass sie endlich ihren inneren Schweinhund überwinden und spielen und singen konnte.
Und natürlich war es ihr nicht egal, dass ihre Mutter immer noch so starr und emotionslos war. Verdammt, es war jetzt zwei Jahre her, dachte Aleyna entmutigt.
Wieso konnte sie die Sache nicht einfach Abhacken?
Schon wieder traten ihr die Tränen in die Augen, die sie schnell zur Seite strich. Sie wollte nicht darüber nachdenken, es ist vergangen und vorbei.
Jetzt zählten nur noch die Zukunft und das hier und jetzt. Leider war das hier und jetzt aber genauso konfliktbeladen.
Aleyna drückte zum tausendsten Mal den Repeat – Knopf und die bekannte Melodie tönte wieder in ihren Ohren.
Sie begann sich, ausgestreckt auf dem Bett, hin und her zu bewegen, einfach dem Rhythmus zu folgen, auch wenn es sicherlich etwas merkwürdig aussah, aber sie fühlte sich besser, als sie spürte, dass sie sich vollkommen auf die Musik konzentrierte und alles andere um sie herum einfach ausblendete.
Stumm formte sie die Lyrics mit ihren Lippen nach und verzog ihr Gesicht den Texten enstprechend, manchmal bewegte sich auch ihr Kopf hin und her.
Irgendwann hatte sie ihre Umgebung vollkommen vergessen und es gab nur noch den Song und sie.
Die Musik ging ihr ins Blut über, sie spürte, wie sie eins mit ihr wurde, beinahe mit dem Song verschmolz. Es war ein fantastisches Gefühl.
Da war nur ihre Wut, die in der Musik so wunderbar betont wurde und endlich die nötige Aufmerksamkeit bekam, die ihr zustand.
Plötzlich hörte sie ein dumpfes Geräusch, als ob ein schwerer Gegenstand gegen einen Fremdkörper stieß.
Der kurze Lärm klang ab, aber wenige Sekunden später folgte ein weiteres Geräusch und dann noch eins.
Aleyna dachte schon, dass ihre Kopfhörer den Geist aufgaben, es wäre schließlich nicht das erste Mal gewesen, aber sie schienen intakt zu sein.
Auch an der Qualität des Songs schien es nicht zu legen, denn diese war einmalig gut. Irgendwann, als der Lärm einfach nicht aufhörte, sondern nur zunahm und öfter wurde, stand sie genervt auf, trat zum Fenster, um es zu öffnen und wurde beinahe von einem Stein getroffen, der auf sie zuflog.
Schnell wich sie aus und fiel prompt auf ihre vier Buchstaben. Aleyna schrie erst vor Schreck auf, denn es folgte ein weiterer Stein, dann rief sie wütend:
„Hast du noch alle Tassen im Schrank?“
Ihr war nicht bewusst, wer dort draußen stand und sie attackierte, aber in diesem Fall musste sie wohl oder übel auf die höflichen Umgangsformen verzichten.
Vorsichtig richtete sie sich auf – man konnte ja nie wissen, was für ein Psychopath dort draußen stand, der nur darauf wartete, dass sie wieder auf die Beine kam- und näherte sich dem Fenster. Dort draußen stand unter ihrem Fenster Niall, der sie vermutlich noch nicht gesehen hatte, da ihr Zimmer im zweiten Stock lag.
„Willst du mich jetzt umbringen?“, schrie sie wütend zu ihm hinunter und bückte sich weit über das Fenster hinaus, um sich selbst in sein Sichtfeld zu bringen.
Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, um nicht noch ein „Du, Idiot“ dranzuhängen.
„Oh, habe ich dich getroffen“, rief er irgendwann, als er sich meine Frage zusammengereimt hatte. Der Höhenunterschied war schon nicht ohne.
„Ja“, antwortete sie einfach nur, weil ihr keine passende Beleidigung einfiel.
Dann trat sie vom Fenster weg und griff nach dem erst besten Gegenstand, der ihr in die Hand fiel und warf ihn nach unten, während sie Niall fokussierte.
Es gab einen dumpfen Aufprall und Aleyna war sich fast sicher, dass der Gegenstand Niall genau auf den Kopf getroffen hatte, denn er fluchte laut auf und rieb sich den Hinterkopf.
„Hast du sie noch alle?“, reif er wütend zu ihr hinauf, während sie nur vor sich hin grinsen konnte.
Das geschah ihm recht.
Dann sah sie wie er den Gegenstand näher begutachtete, es war eine CD.
Wie konnte sie nur eine CD nach ihm schmeißen?
Sie hatte doch so viel überflüssiges Dekorationszeug, aber eine CD? Das war nicht fair gewesen. Die arme CD.
„Wow, Avril Lavigne“, rief Niall gerade.
„Welches Album?“, fragte Aleyna aufgebracht.
„Goodbye Lullaby“, schrie er zurück.
Das war das Album gewesen auf welchem der Song war, der ihr Mantra geworden war.
Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie den Song auch auf CD hatte.
Sie musste es wiederhaben!
„Gib es mir sofort wieder!“, rief sie hinunter.
„Sprichst du dann mit mir?“, antwortete Niall.
„Ganz sicher nicht“, zischte sie.
Was dachte er sich bloß?
„Na gut, dann behalte ich sie halt“ , antwortete er und pfiff fröhlich vor sich hin.
„Das ist dann Diebstahl, ich könnte dich anzeigen“, antwortete Aleyna triumphierend.
„Du hast die CD doch nach mir geworfen, das nennt man Körperverletzung. Außerdem schien es nicht so auszusehen, dass du die CD unbedingt haben wolltest. Du hast sie schließlich weggeworfen.“
„Du sprichst von Körperverletzung?“, schrie ich energisch. „Du hast mir schließlich den Stein beinahe ins Gesicht geworfen.“
„Aber nicht vorsätzlich“, antwortete er. „Es war ein Versehen. Aber deine Tat war geplant.“
„Das stimmt nicht! Ich habe im Affekt gehandelt, ich wusste also gar nicht, was ich getan habe.“
Wow, da hatte sie sich beinahe selbst übertroffen.
„Kann ich nicht einfach hochkommen und wir sprechen in normaler Lautstärke miteinander. Ich gebe dir dann auch deine CD wieder“, bot Niall an.
„Nein“, erwiderte sie resolut. „Ich komme runter.“
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Auf in ein neues Gefecht 😂
Na was denkt ihr?
Wird das Gespräch gut laufen oder wieder in eine Katastrophe enden?
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