~ Siebenundvierzig ~
„Also Leute, legt los, wenn ihr soweit seid“, instruierte Ava Ali und Niall gerade.
Ihre Gemeinschaftsprobe hatte gerade begonnen, Niall und sie hatten es während ihres gemeinsamen Trainings heute Vormittag kein einziges Mal geschafft den Song zu singen.
Nachdem sie zu Ende diskutiert hatten, standen auch schon die Jungs und Ava im Raum und wollten loslegen.
Ali war mit gemischten Gefühlen aus dieser Unterhaltung gegangen.
Einerseits war sie erleichtert den Song nicht singen zu müssen, andererseits hatte sie Niall damit bewiesen, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.
Unter normalen Umständen hätte sie ihm auch ohne Probleme zugestimmt. Songs konnten einen verändern, wenn sie die richtige Identifikationsfläche boten.
Es war ein Phänomen, das sie schon so oft miterlebt hatte, dass sie gar nicht alle Songs aufzählen konnte.
Trotzdem hatte sie schwach auf Niall gewirkt.
Aber sie hatte im Verlauf des Gesprächs das Gefühl bekommen, dass Nialm diese Schwäche als nicht schlimm empfand, vielleicht sogar als irgendwie sympathisch und normal.
Er hatte sie mal wieder bis aufs Blut gereizt, aber am Ende hatte es ihr sogar Spaß gemacht mit ihm zu streiten.
Sie hatte endlich wieder das Gefühl jemanden gefunden zu haben, der ebenso gerne stritt wie sie und das auf dem gleichen Niveau. Obwohl sie sich nicht selten, ihm unterlegen gefühlt hatte und deswegen zu Mitteln wie der erhöhten Lautstärke greifen musste.
Aber eins hatte sie während der ganzen Unterhaltung am meisten geängstigt und gleichzeitig auch überrascht.
Sie hatte das Gefühl bekommen, dass Niall sie nun wirklich als Teil dieser Band sah, sie vielleicht sogar gleichwertig ansah. Er hatte ihr gesagt, dass man, wenn man in einer Band spielte, alles übereinander wusste.
Hieß das, dass er normalerweise nicht mit Menschen über seine Eltern sprach? Dass er ihr gegenüber so ehrlich war wie den Jungs gegenüber, oder wenigstens fast so ehrlich?
Und war es nicht so?
Aleyna wusste mittlerweile sehr viel über die Jungs, ihre Vergangenheit, ihr jetziges Leben, während sie beinahe gar nichts über sie wussten, zumindest alle außer Niall.
Aber es gab einfach Dinge, die sie ihnen nicht erzählen konnte, die sie nicht verstanden, die ihr Bild von ihr verändern würde.
Und deshalb, hatte Ali die Tatsache, dass Niall ihr Dinge über sich anvertraute, verängstigt.
Weil sie das Gleiche niemals von sich behaupten konnte. Sie konnte ihm nichts zurückgeben. Sie würde für ihn immer ein unbeschriebenes Blatt bleiben, ein Musikstück ohne Sinn, ein Wort ohne Bedeutung.
Selbst wenn sie diese Tatsache ändern wollen würde, sie konnte nicht. Diese ganze Unterhaltung hatte sie einfach durcheinander gebracht.
Er hatte so wissend gewirkt, als er ihr gesagt hatte, dass sie sich manchmal nicht entscheiden könnte, dass auch sie Fehler machte.
Kurz kam ihr der Gedanke, dass Harry ihm von ihrer Unterhaltung mit ihm erzählt hatte, von Ornellas Besuch.
Aber selbst wenn, Harry wusste nicht, wer sie war.
Und so etwas würde Harry nicht tun.
Und dann war da noch die Sache mit ihren Fingern gewesen. Niall war richtig aufgebracht gewesen, als er sie gesehen hatte.
Aleyna würde ihm nicht unterstellen, dass er sich um sie Sorgen machte, aber zumindest um das Wohl der Band.
Als ob es wirklich von ihr abhängen würde.
Aber vielleicht war es auch so, zumindest ein bisschen, dachte sie und sofort bereitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
Jetzt musste sie nur noch einen neuen Song einüben, und das ohne Hilfe, oder zumindest ohne Nialls Hilfe. Die Hilfe anderer anzunehmen hatte er ihr ja nicht verboten.
Nur wer würde mit ihr üben. Harry, vielleicht, aber er würde nicht ernsthaft genug sein. Liam? Eher nicht, es war ein Song für Gitarre, dem war er sowieso eher negativ gestimmt. Da blieb nur noch Louis?
Sie wandte sich innerlich. Einerseits war Louis in letzter Zeit eigentlich immer nett gewesen, aber trotzdem, die Vergangenen Erfahrungen mit ihm waren ihr immer noch im Gedächtnis. Vielleicht würde sie es auch alleine schaffen.
Obwohl der Song durchaus anspruchsvoll war.
Er war zwar lauter und etwas stärker als „Jar Of Hearts“, aber hatte immer noch eine verletzten Unterton. Typisch Niall eigentlich. Er wollte sie fordern, so wie immer.
„Ali?“, riss Louis sie gerade aus den Gedanken und sah sie lächelnd an. „Können wir?“
Sie nickte ihm kurz zu und registrierte, dass alle Anderen im Raum kurz lachten. Sie schüttelte kurz den Kopf und versuchte sich wieder zu konzentrieren.
Sie musste ihre Gedankenlosigkeit unbedingt unter Kontrolle bekommen. Sie warf Niall einen kurzen Blick zu, der ihr aufmunternd zu nickte. Aleyna fühlte sich zwar besser, aber das mulmige Gefühl verschwand nicht.
Sie hatte Angst.
Louis spielte einige Takte Vorspiel mit der Gitarre und dann begann Niall zu singen:
„Alles was wir sehen, wohin wir gehen, nur dieser Moment bleibt in der Sanduhr stehen, wenn er echt ist. Ich erwarte nicht viel von diesem Moment, ich will, dass er perfekt ist, dass er echt ist.“
Ali ertappte sich dabei, wie sie ihn bewundert beobachtete. Er war einfach ein ziemlich guter Sänger. Er konnte innerhalb eines Songs sowohl hart und unnachgiebig klingen, als auch sanft und irgendwie überzeugend.
Sie glaubte ihm alles, jedes einzelne Wort, dass er sang. Echt, halt.
Auch die anderen Jungs schienen zufrieden mit ihm zu sein, inklusive Ava, die es sich auf ihrem Chefsessel bequem gemacht hatte, der genau vor den Instrumenten stand.
Niall warf ihr einen kurzen Blick zu und lächelte.
Gleich war sie dran. Ali begann wieder zu hyperventilieren und schaffte es gerade so den Mikrofonständer fest zu umfassen, um nicht umzukippen, da erhaschte sie einen kurzen Blick auf Niall, der sie versuchte beruhigend aus seinen blauen Augen anzusehen. Blaue Augen hatten ja den unbezwingbaren Ruf nur kalt sein zu können, aber dieser Blick war warm. Warm und wissend und irgendwie anders.Sie konnte diesen diffusen Blick nicht wirklich einordnen, er machte sie vollkommen wuschig.
Sie nickte ihm kurz zu, und holte tief Luft. Sie würde es schaffen.
„Und ich kann es noch gar nicht so richtig glauben, doch du stehst hier direkt vor meinen Augen“, sang sie laut und überzeugend.
Die Füße fest auf dem Erdboden verankert und den Blick auf Niall gerichtet, der seine Augen ebenfalls nicht von ihr löste. Manchmal konnte sie auch nicht glauben, dass sie hier war, dass sie sang, dass Niall auch anders sein konnte. Seine „nette“ Art verwirrte sie so sehr, dass sie überhaupt nicht wusste, wie sie mit ihm umgehen sollte.
Manchmal änderte er sich und seine Einstellung ihr gegenüber wie andere ihre Kleidung.
Er blaffte sie an, kritisierte wo es nur ging, und dann lächelte er sie einfach an, und sprach normal mit ihr.
Klarer Fall von Schizophrenie.
„Ich will, dass es zwischen uns nicht nur so ein Effekt ist. Ich will, dass es alles hier echt perfekt ist“, sang sie und war selbst ganz überrascht davon, dass es sich so gut anfühlte, dass es sich echt anfühlte.
Sie hoffte wirklich, dass Nialls vorübergehender Anflug von Nettigkeit zu etwas Dauerhaften wurde, und nicht nur durch Mitleid bedingt war.
Aber das war jetzt nicht wichtig, dachte sie, während ihr Blick im Raum umherschweifte.
Neben Ava, konnte sie an jeweils einer Seite Liam und an der Anderen Harr stehen, beide lächelten sie zufrieden an.
Harry zwinkerte ihr sogar kurz zu, sie lächelte.
Dann konzentrierte sich wieder auf Niall, um einen gemeinsamen Einsatz zu finden.
Sie senkte sofort wieder ihren Blick, um die Konzentration nicht zu verlieren und verlor sich kurz in der Betrachtung von Nialls stahlblauen T - Shirt, dass mit seiner Augenfarbe beinahe übereinstimmte. Er trug es oft, ob er wohl wusste, dass es ihm so gut stand?
Gleich würde es soweit sein, rief sich Aleyna wieder ins Gedächtnis.
Niall, der das erneute aufkommen ihrer Nervosität spürte, versuchte sie beruhigend anzusehen.
Dann war es soweit.
„Und ich glaub daran, dass es besser ist, wenn ich es fühlen kann, für diesen einen Augenblick sind alle meine Zweifel weg, weil es echt ist“, sangen sie.
Aleyna versuchte sich nur auf Nialls Stimme zu konzentrieren, passte sich seiner Stimme an.
Sie überlagerte sie nicht, versuchte aber durch ihre hohe Stimmlage Akzente zu setzen. Es passte.
Das Zusammenspiel ihrer Stimme klang immer besser.
Der Kontrast zwischen seinen tiefen und ihren hohen Tönen war einfach unglaublich. Es beflügelte sie vollkommen.
Die Akustik tat ebenfalls ihren Beitrag dazu, um dieses Gesangserlebnis zu perfektionieren.
Na gut, die Perfektion war sicherlich noch weit entfernt, dafür fehlte ihnen die ausreichende Übung und Präzesion, aber dieser klitzekleine Augenblick war perfekt. Auf seine Weise.
Als sie schließlich ihren Blick von Nialls Augen lösen konnte und in die Wiederholung des Chorus ging, strahlte sie die ganze Runde an.
Louis' Gitarrenspiel wurde zur Nebensache, denn ihre Stimme überlagerten sie. Dann war wieder Niall an der Reihe:
„Egal wo wir stehen, wohin wir gehen, in diesem Moment wird sich die Welt nicht drehen. Ich erwarte nicht viel von diesem Moment, ich weiß, dass er perfekt ist, dass er echt ist.“
Um ehrlich zu sein, seine magische Stimme war fast zu Schade für einen solchen Gesangsteil.
Es fiel Niall beinahe zu einfach ihn zu singen.
Ihr Teil hingegen war deutlich komplexer, sie trug die Spannung des Songs.
Als sie zu ihrem Part kamen, wurde Louis' Gitarrenspiel wieder lauter und sie konnte Liam, Harry und Ava laut rufen hören:
„Ali, du schaffst das. Rock das Ding!“
Sie nickte entschlossen:
„Und ich kann es noch gar nicht so richtig glauben, doch du stehst hier direkt vor meinen Augen.“
Die Worte flossen nur so über ihre Lippen, wie ein Wasserfall, der kaum zu bremsen war.
Sie nahm das Mikro vom Ständer, riss es beinahe an sich und ging in die Knie, um die Töne noch besser zu treffen.
Sofort konnte sie Applaus von den Anderen hören und Jubelrufe.
„Ich will, dass es zwischen uns nicht nur so ein Effekt ist, ich will, dass es alles hier echt perfekt ist.“
Manchmal war es so einfach, wie atmen. Fast zu schön, um wahr zu sein.
Als sie schließlich zum Ende des Songs kamen, waren die Jungs und Ava kaum noch zu halten.
Harry hatte sich an das Schlagzeug gesetzt und Liam spielte wieder Klavier, sogar Ava war aufgestanden, obwohl sie einen wirklich engen Stiftrock anhatte.
„Und ich glaub daran, dass es besser ist, wenn ich es fühlen kann, für diesen einen Augenblick sind alle meine Zweifel weg, weil es echt ist“, beendeten sie den Song und falls es vorher irgendwelche Zweifel gegeben hatte, nur waren sie ausgeräumt.
Ali war Teil dieser Band und sie hatte endlich etwas gefunden, was ihr Spaß machte und sie wirklich gut konnte. Nachdem sie geendet hatten, klatschten alle, inklusive ihr und Niall, Beifall.
Obwohl der Song so einfach und eingängig war, sie, diese Band hatte sie zu etwas ganz Besonderen gemacht.
„Na endlich!“, rief Ava befreit aus.
Sofort warfen ihr alle Anwesenden einen leicht verwirrten und teilweise spöttischen Blick zu.
Ihre Begeisterung war etwas übersteigert gewesen, wenn auch wahrhaftig. Sofort glättete sich ihr Gesichstaudruck wieder und sie zog streng die Augenbrauen zusammen.
„Das war die Pflicht, aber jetzt kommt die Kür.“
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Yeah, sie hat es geschafft. Erstmal. Ob es so bleibt?
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