~ Sieben ~
„Wie konntest du nur, Ornella!“, schrie Aleyna ihre Freundin an, als sie gerade zur Tür hinaus waren. Sie war so unglaublich wütend. Wie konnte Ornella sie nur so bloßstellen, und dann dem Typen auch noch die Telefonnummer zu stecken?
Und wie konnte das David so rein gar nicht interessieren?
In Ordnung, der letzte Punkt ging sie nichts an, aber sich selbst und Aleyna noch dazu vor diesem Typen, Niall, zur Schau zu stellen, war doch wirklich das Letzte.
Aleyna wollte gar nicht wissen, was er jetzt dachte. Wahrscheinlich etwas in die Richtung: Was sind das nur für dumme Mädchen, die tatsächlich glauben, singen zu können?
Oder: Wie kann man nur so naiv sein? Es war egal, was er dachte, schalte Aleyna sich selbst. Es war alles egal. Er war ein Idiot. Ein überheblicher, besserwisserischer, vorurteilsbeladener Idiot.
„Oh, Aleyna, jetzt dreh doch nicht so ab, ich wollte uns nur ein bisschen Spaß organisieren“, versuchte sich Ornella rauszureden. Spaß? Wenn das Spaß war, konnte es ja nur noch besser werden.
Genervt zog sich Aleyna ihre Jacke enger um den Körper, da der Wind schneidend war.
Die kühle Abendluft, die sie aufgrund ihres undefinierbaren Duftes liebte, hüllte sie in eine düstere Stimmung, die ihr Gespräch zu untermalen schien. Neben ihnen verlief eine Straße, auf denen die Autos auch noch zu dieser späten Uhrzeit in Scharen auf und ab fuhren.
Immer wieder strömten vereinzelt Menschen aus dem Club und durchkreuzten ihre Wege, sodass Aleyna und Ornella immer wieder, einen Schritt zur Seite treten mussten, um ihr Gespräch fortführen zu können.
„Ornella, wir haben uns da vollkommen zum Affen gemacht. Als Spaß würde ich das nicht bezeichnen und zurückrufen, wird er dich sicherlich auch nicht, zumindest nicht nach diesem Abgang.“
„Warum sollte er mich denn anrufen?“, fragte Ornella und sah sie verwundert an.
„Jetzt, tu doch nicht so“, antwortete Aleyna hart.
Wenn sie eins nicht ausstehen konnte, dann war es, wenn Ornella sich dumm stellte. Denn was Beziehungsangelegenheiten anging – wenn man es denn so nennen konnte-, war Ornella alles andere, aber nicht unbedarft. Aleyna kannte ihre Masche mittlerweile so gut, dass sie ihr nichts mehr vormachen konnte. Sie hatte Gefallen an Niall gefunden und ihm das auch mehr als deutlich – selbst für einen Blinden -, gezeigt.
„Was denn? Ich weiß gar nicht, was du von mir möchtest, Aleyna.“
Ornella warf ihr einen säuerlichen Blick zu und zuckte dann scheinbar hilflos mit den Schultern.
„Dann hast du ihm also nicht deine Telefonnummer zugesteckt?“, fragte sie ihre Freundin herausfordernd. Aber da war ein Zettel gewesen, dass wusste sie hundertprozentig, und Niall hatte besagten Zettel auch definitiv erhalten.
Was war es also dann gewesen, wenn nicht Ornellas Telefonnummer?
„Ach, das meinst du!“, rief Ornella erleichtert aus. „Bist du tatsächlich neidisch, Leyna? So kenne ich dich gar nicht.“ Sie schmunzelte vor sich hin und schüttelte dann verwundert den Kopf. Jetzt war sie wieder in ihrem Element. Nur leider hatte sie mit ihrer Vermutung, meilenweit danebengeschossen. Neid war wohl das Letzte, was sie empfand.
Hass, Wut, Enttäuschung, Abneigung trafen den Nagel wohl auf den Kopf, aber Neid nicht.
„Nenn mich nie wieder so“, entgegnete Aleyna ihr und funkelte sie wütend an.
Aleyna erinnerte sich an den genauen Tonfalls, den Niall an den Tag gelegt hatte, als er ihr diesen dummen Spitznamen gegeben hatte. Es klang eine Spur gönnerhaft und herablassend, zugleich aber auch amüsiert und belustigt.
Und dann hatte er sie angesehen, als ob er sie bereits durchschaut hätte. Als ob es kein Geheimnis mehr gäbe, dass sie ihm anvertrauen könnte, dass er nicht längst kannte.
Er hatte sie für ein dummes, kleines Mädchen gehalten, das nichts über Musik wusste. Und das war das Schlimmste an ihrer Begegnung mit ihm gewesen.
Nicht, dass es nicht schlimm genug war, dass er sie für unbedarft und nicht besonders intelligent hielt, nein, er zweifelte auch ihre Musik - Kenntnisse an.
Dabei war doch eher er derjenige, der sicherlich die mangelhafteren musikalischen Kenntnisse hatte. Er war schließlich Rock – Musiker. Wissen über Musiktheorie, Harmonielehre und dergleichen war bei einem solchen Menschen, wohl als letztes zu erwarten.
„Was hast du ihm dann gegeben?“, fragte Aleyna weiter. Sie würde jetzt nicht lockerlassen. Ornella verschwieg ihr eine Information. Und, wenn sie ihre Menschenkenntnis nicht ganz im Stich ließ, handelte es sich bei der fehlenden Information um etwas elementar Wichtiges.
„Ich weiß nicht, vielleicht deine Nummer?“, sagte sie grinsend und zuckte scheinbar unschuldig mit den Schultern. Trommelwirbel, bitte, dachte Aleyna augenverdrehend, für Ornella, die illusionierte Verkupplungskünstlerin.
„Aleyna, jetzt raste bitte nicht aus“, fügte Ornella hinzu, als sie in Aleynas fassungsloses Gesicht sah, und musterte sie eingehend. „Du wirst ja ganz rot, du freust dich, dass ich es getan habe, oder?“
Fröhlich hüpfte sie auf und ab in der Erwartung, dass Aleyna es ihr gleich tun würde.
Da hatte Ornella sich allerdings geschnitten. Ornella mochte vielleicht die Verkupplungskünstlerin schlechthin sein, aber Aleyna war ihr Opfer wider Willen.
Das würde sie nicht mit sich machen lassen.
„Bist du vollkommen…..“, Aleyna ließ den Satz in der Luft hängen und versuchte sich selbst zu beruhigen- so würde das nichts werden. „Ich bin oft rot im Gesicht, wenn dir das noch nicht aufgefallen ist …..und außerdem ist mir die Situation unglaublich……peinlich!“
„Das ist doch nicht schlimm, er hat uns bestimmt schon vergessen. Mal abgesehen davon, war es doch ganz witzig, so zu tun, als ob wir wirklich an diesem Casting teilnehmen wollen“, antwortete Ornella achselzuckend und sah sie beschwichtigend an.
Aleyna versuchte währenddessen, ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen, um Ornella nicht den Kopf abzureißen.
Insgesamt war es doch ein ereignisreicher Abend gewesen. Ein ereignisreicher Abend, der nicht weiter von Bedeutung war. So würde sie das von nun an betrachten. Ein ereignisreicher Abend, und sonst nichts.
Und ihre Chance, endlich wieder zu leben, dachte Aleyna wehmütig, aber das passte so gar nicht zu ihrem vorherigen Mantra von dem ereignisreichen, aber bedeutungslosen Abend.
„Das heißt…“, fing Aleyna vorsichtig an und hob ihren Blick, um ihrer Freundin in die Augen sehen zu können „...du wolltest gar nicht zum Casting gehen?“
Ornella lachte kurz auf und begegnete ihrem Blick entschlossen.
„Doch natürlich, aber du würdest das niemals tun, also habe ich es gelassen.“
Aleyna wurde einen Moment lang ruhig. Schätzte Ornella sie wirklich so ein?
Wie ein Mädchen, das sich nichts traute und keinen Spaß verstand?
Aleyna wäre vielleicht sogar zum Casting gegangen – wem spielte sie hier eigentlich etwas vor? – aber Niall hatte sie davon abgehalten.
Die Art, wie er sie ansah, als ob sie ein kleines Mädchen war, das von nichts eine Ahnung hatte, hatte sie sowohl angespornt als auch kleinlaut werden lassen.
Aber wollte sie sich tatsächlich selbst demütigen, indem sie zu einem Casting ging? Nein.
Allein das Wort ließ Aleyna, abgeneigt die Mundwinkel verziehen. Nein, selbst wenn sie so verzweifelt wie jetzt war, würde sie nicht zu einem Casting gehen. Niemals.
Zumindest, wenn man es als 'Casting' bezeichnete.
„Aleyna? Ist alles in Ordnung?“, sprach Ornella sie vorsichtig an und beugte sich zuvorkommend etwas zu ihr herunter. Sie hatte wohl gemerkt, dass sie sie nachdenklich gemacht hatte.
Aleyna sammelte sich schnell wieder und antwortete: „Ja, natürlich.“
Schnell strich sie sich eine lose Strähne unwirsch aus dem Gesicht und glättete ihr T – Shirt. Dann wechselte sie das Thema: „Wo ist eigentlich David?“
Ornella fing an, zu lachen und hielt sich die Hand vor den Bauch.
Es war witzig, sie dabei zu beobachten, dann wirkte sie für einen Moment wieder so jung, fast so wie früher, als Jungs nur ein Synonym für „Idioten“ war und Begriffe wie „Date“ und „Flirten“ Fremdwörter für sie waren.
War es eine bessere Zeit gewesen?
Aleyna wusste es nicht mehr, sie hatte sie verdrängt. Die Vergangenheit ist geschehen, sie konnten sie nicht mehr zurückbekommen. Und in manchen Fällen war das auch gut so.
Was jetzt zählte, war die Gegenwart, das Hier und Jetzt und nichts weiter.
„David ist gleich gegangen, nachdem du angefangen hast, mich anzuschreien“, informierte Ornella sie belustigt. „Er hat sich verabschiedet, aber du hast es wohl nicht mitbekommen.“
Auch Aleyna begann, ein falsches Lachen zu lachen, um ihre Freundin nicht weiter zu beunruhigen, und fragte sie dann:
„Du hast diesem Typen doch nicht wirklich meine Nummer gegeben, oder?“
Doch bevor Ornella antworten konnte, fuhr ein Auto an ihnen vorbei, aus dem in voller Lautstärke „What the Hell“ drang. Avril Lavigne.
Als es endlich so weit von ihnen entfernt war, dass sie die Musik nicht mehr hören konnten, antwortete Ornella ihr schmunzelnd: „Ich glaube, da hast du deine Antwort, oder?“
What the hell? Was soll´s, das Leben ging weiter.
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Ornella macht es ganz schön spannend.
Seid ihr auch gespannt was nun auf den Zettel stand?
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