~ Sechzig ~

Wo war er? Wieso nahm er keinen einzigen Anruf von ihr war? Wieso war er nicht hier? Was war ihm dazwischen gekommen? War ihm überhaupt etwas dazwischen gekommen oder wollte er sie einfach nicht sehen?

Niall war mittlerweile beinahe eine ganze Stunde zu spät, das war ein neuer Rekord, selbst für ihn, dachte Aleyna wütend und gleichzeitig verzweifelt. 
War sie ihm so unwichtig, dass er sie einfach vergaß? Waren seine Nerven nach dem Feuer des letzten Abends, der widerspenstigen Hoffnung, der unverständlichen Verzweiflung nicht auch zum Zerreißen gespannt, so wie ihre?
Wollte er denn auch nichts anderes als diese Gefühl der Anspannung endlich zu lösen, um zu sehen, was wirklich dahinter steckte? 
Anscheinend nicht, dachte Aleyna ernüchternd und stand von der Bank auf, auf die sie sich gesetzt hatte. Sie würde nicht weiter auf ihn warten, es war sinnlos. 
Und sie verlor nebenbei das bisschen Würde, was ihr nach dem letzten Abend geblieben war. Sie würde nicht wie ein dummes naives Mädchen auf ihn warten. 
Wenn er etwas Besseres vorhatte, dann konnte sie das ebenso gut auch haben.
Nur was?
Aleyna hatte kein Leben außer dem mit Niall und den Jungs. Das was sie vorher hatte konnte man vielleicht als Zweckleben bezeichnen, aber mehr war es auch nie gewesen. Es war ein verzweifelter Versuch gewesen, ein aus den Fugen geratenes Leben, irgendwie zu ordnen.
Stumpfsinnig zu ordnen und in Schubladen zu stecken, nur um wieder von einer Ordnung sprechen zu können. 

Das Leben mit No Name dagegen… tja es war so wandelbar wie das Wetter gewesen. 
Mal war es der strahlende Sonnenschein, wenn sie zusammen harmonierten, lachten und einfach Zeit miteinander verbrachten. Dann war es wieder bewölkt gewesen, wenn Aleyna einen Ton nicht hatte singen können, die Jungs an ihr zweifelten oder auch nur sie selbst ihr Feind gewesen war. Und dann waren da auch ein paar Regentropfen gewesen, die sich zu Regenschauern und Stürmen gesteigert hatten, wenn sie mit Niall stritt, ihre Fassung verlor oder irgendetwas anderes Dummes anstellte. 
Aber sie hätte es niemals eintauschen wollen, gegen nichts auf der Welt. Kein Reichtum, kein Erfolg konnte ihr jemals das Gefühl geben, angekommen zu sein. Einen kleinen Platz im Leben gefunden zu haben. 
Vielleicht war ihm etwas wirklich Wichtiges dazwischengekommen, versuchte sie sich zu beruhigen. Vielleicht gab es Problem im Studium mit Ava, mit den Jungs oder sogar mit seinen Eltern. Vielleicht hatte sein Fehlen einen guten Grund. Aber wieso hatte er sie dann nicht erreichen können?

Er hätte ihr doch einfach eine Nachricht hinterlassen können, er musste noch nicht einmal anrufen. Eine kleine Nachricht hätte gereicht, aber nicht mal das hatte er auf die Reihe bekommen. 
Vielleicht hatte er sein Handy zu Hause liegen gelassen, versuchte das naive Mädchen in ihr, Entschuldigungen für Niall zu erfinden. 
Oder sein Akku war leer…oder er wurde ausgeraubt und hatte nun kein Handy mehr…Natürlich. 
Kein Räuber würde sich jemals freiwillig mit Niall anlegen, nach spätestens fünf Minuten hätte er ihn todgequatscht und er würde ihn schleunigst laufen lassen. 
Sie sollte nach Hause gehen, sofort. 
Bevor sie sich noch weitere dumme Schauergeschichten ausdenken konnte, um Nialls Fehlen zu rechtfertigen. 
Er hatte Mist gebaut, mehr gab es da nicht zu sagen. 
Und dabei hatte sie echt gedacht, dass es noch ein schöner Tag werden würde. Aber dieser Tag würde wohl für immer verdammt sein, danke. 

Schleppend bewegte sie sich nach Hause, sie wollte dort nicht wieder hin. Nicht jetzt. Sie wollte nicht die Stille hören, die sie umgab wie ein Dichter Schleier aus Trauer und Enttäuschung. Sie wollte nicht all diese Ordnung sehen, die ihr nicht mehr das Gefühl gab alles im Griff zu haben, sondern nur noch einen Kontrast zu ihrem wüsten Inneren darstellte. 
Sie wollte nicht, dass all die Erinnerungen wie Speere auf sie einschlugen. Aber wohin sollte sie sonst?
Glücklicherweise war der Weg vom Park bis zu ihrem zu Hause nicht besonders weit, sonst hätte sie Niall im Nachhinein noch eine Blase am Fuß verdanken können. Binnen 10 Minuten war sie zu Hause angekommen und erschrak, als sie das Auto ihres Onkels vor der Haustür stehen sah.
Er hatte es sich doch nicht nehmen lassen, nochmal nach ihr zu sehen.
Seufzend stieg sie die Treppen hinauf, sie war es leid mit ihm zu diskutieren, es würde nichts an ihrer Einstellung ändern. 

„Onkel Scott?“, rief Aleyna, als sie die Türschwelle überquert hatte und ihre Schuhe achtlos in eine Ecke kickte. 

„Aleyna?“, erwiderte dieser erstaunt und stand keine Minute später ihr gegenüber im Flur. „Was machst du denn schon hier?“ 

„Das gleiche könnte ich dich auch fragen“, witzelte Aleyna, während ihr ein Lächeln über das Gesicht fuhr. 
Auch wenn er als Handwerker sein Geld verdiente, manchmal kam er ihr wie ein zerstreuter Professor vor.

„Oh entschuldige, ich konnte es mir nicht nehmen lassen, dich nochmal zu besuchen“, erklärte er sich reuevoll. 
Sie nickte, das hatte sie erwartet. Allerdings hatte sie auch erwartet, dass sie zu dem Zeitpunkt seines Besuches bei Niall sein würde. Ironie des Schicksals. 
„Aber ist ja auch egal“, beeilte Scott sich zu sagen, bevor Ali ihn für seine Aussage lynchte. „Wo ist denn dein Freund?“

„Welcher Freund?“, fragte Aleyna verständnislos.

„Na, der Gitarrist, denn du aus der Musikschule kennst und der sich heute mit dir treffen wollte.“ 

Wie bitte? Hatte sie etwas nicht mitbekommen? Aber sie ahnte bereits Böses. 

„Niall hieß er, oder?“, bestätigte er Alis böse Vorahnung. „Er war vor einer halben Stunde hier, um dich abzuholen."

„Niall war hier?“, fragte Aleyna panisch. Das ging nicht. Das war nicht möglich. Wieso war er hierher gekommen? Hätte er sie nicht einfach wie jeder normale Mensch an dem vereinbarten Ort treffen können, ohne ihre ganze Verwandtschaft in Aufruhr zu versetzen?

„Ja, er wollte dich überraschen und dich abholen…glaube ich…aber dann ist er ganz plötzlich aufgebrochen…“ 
Oh nein…bitte nicht, bat Aleyna still. Nein bitte nicht. 

„Hast du dich mit ihm unterhalten?“, schoss es aus ihr heraus, bevor sie es verhindern konnte. 

Natürlich hätte sie sich erst einmal darüber Gedanken machen müssen, dass Scott wütend auf sie war, weil sie ihm nichts von Niall erzählt hatte oder ob er ihn gemocht hatte, aber das war alles jetzt nicht wichtig.  

„Ja, das habe ich…Aleyna?“

„Mmmh“, antwortete Ali angespannt.

„Ich bin sehr stolz auf dich, dass du dich Niall anvertraut hast. Ich weiß, dass es dir sicher schwer gefallen ist, aber ich bin froh, dass du es getan hast. Das war wichtig.“

„Ich habe was?“, fragte Aleyna laut, doch obwohl ihre Stimme mehr von Wut als von allen anderen Emotionen getränkt war, spürte sie wie in ihrem Inneren Stück für Stück alles in ihr zusammenfiel. 
All ihre illusionären Träume, all die dummen Mädchenträumen, fielen in Scherben auf sie herab, um sie zu verspotten.

„Na ja…ich habe mich mit Niall ein wenig unterhalten über…du weißt schon...deinen Vater…er hat sehr verständnisvoll und ruhig reagiert deswegen habe ich mir schon gedacht, dass du es ihm erzählt hast. Aber ich glaube, dass es da noch ein paar Dinge gibt, die ihm nicht ganz so bewusst waren, aber das ist verständlich. Ich habe sie ihm dann erzählt, um dich nicht weiter zu belasten. Es ist sicher schwer für ihn, dass nachzuvollziehen, auch wenn er schon etwas älter ist. So etwas ist nicht immer einfach für Außenstehende zu verstehen.“ 

„Oh Gott“, stieß Aleyna atemlos aus. 
Wieso jetzt? Wieso heute? Wieso Niall? Wieso verdammt nochmal jetzt? 

Er wusste alles. Alles. Und er wusste es von Scott. Einem für ihn vollkommen unbekannten Menschen. Einem Fremden. Ein Fremder hatte ihm die Wahrheit erzählt, zu der sie – das Mädchen mit dem er die letzten Wochen rund um die Uhr zusammen war – nicht fähig war. Aus gutem Grund.
Er hasste sie. 

„Nein, bitte nicht“, murmelte Akeyna leise vor sich hin. 

Sie wollte ihn nicht verlieren. Es war dumm so zu empfinden, schalte sie sich selber. Und selbst wenn er sie hasste, war es kein Grund sie einfach so sitzen zu lassen. 
Sie hatte ihm nicht die Wahrheit erzählt, aber man erzählte auch nicht jedem x – beliebigen, dass der eigene Vater gestorben war. Er hätte Verständnis haben müssen. 
Gerade er! Er hielt sich doch auch sonst so verantwortungsbewusst und verständnisvoll.
So eine Reaktion hatte sie von einem sechzehnjährigen Typen mitten in der Pubertät erwartet, einem Mensch wie ihren Ex – Freund, aber nicht von Niall. 

Es hätte sie eigentlich nicht überraschen müssen. Niall hasste es, wenn ihm Dinge verschwiegen wurden und sie hatte ihm eine Menge verschwiegen. 
Aber wieso war es wichtig für ihn, was sich in ihrem Privatleben abspielte? Es konnte ihm eigentlich egal sein, solange sie weiterhin pünktlich zu allen Proben erschien.

„Ich muss mit ihm reden“, stieß Aleyna plötzlich, mehr an sich selbst als an Scott gewandt, aus. 
Anders würde es nicht funktionieren. Und wenn er zu feige war mit ihr zu reden, dann musste sie es machen.

„In Ordnung“, erwiderte Scott befangen. „Ich gehe dann.“ Aleyna nickte und lief sofort die Treppe nach oben, ohne ihn vernünftig zu verabschieden. 

Sie wusste auch nicht, ob sie es konnte. Natürlich konnte Scott nichts dafür, er war mutiger als sie gewesen, aber sie wusste auch, dass er dazu neigte mehr als nötig auszuplaudern, ohne es wirklich zu wollen. 

Als sie Nialls Nummer wählte, hörte sie noch die Haustür zu fallen, dann konzentrierte sie sich nur noch auf das Gespräch mit Niall. Er ging nicht dran. Natürlich nicht. 
Sie versuchte es gar nicht erst ein zweites Mal, sondern schrieb ihm eine Nachricht: 
"Ich weiß, dass du Bescheid weißt", schrieb sie mit zitternden Händen. Ihre Welt durfte noch nicht auseinander brechen, nicht jetzt, nicht schon wieder. Nicht wenn sie gerade wieder das Gefühl hatte am Leben zu sein. „Ruf an“, fügte sie hinzu.

Aleyna setzte sich auf ihr Bett, um sich wieder zu beruhigen. Es würde nichts bringen in Tränen auszubrechen, es war absolut sinnlos. 
Ruf an Niall, bat sie trotzdem insgeheim, während sie sich gleichzeitig wünschte, dass er es nicht tat und sich alles als ein blöder Albtraum entpuppen würde. Sie mussten es klären. Niall erlöste sie nach fünf endlosen Minuten von ihren Qualen und rief zurück. 
Als sie seinen Namen auf dem Display ihres Handys vernahm, konnte ihre Hände nicht anders, als erneut zu zittern. Beinahe hätte sie es fallen gelassen.

„Hey“, nahm sie den Anruf atemlos entgegen. 

„Was möchtest du?“, fragte Niall sie kurzangebunden und wütend. Dann halt keine Begrüßung. 

„Ich möchte nur ein paar Dinge klären“, erwiderte Aleyna ebenso. 

„Dinge nennt man so etwas heutzutage“, spottete Niall. „Tut mir leid, dass ich das erst so spät verstanden habe.“

„Niall…es ist...es ist…“, stotterte Ali vor sich hin. Sie war nicht mehr an seinen rauen Ton gewohnt und dieser hier war mehr als rau. Er war hasserfüllt. 

„Was ist es...?“, fragte er sie wütend, ließ sie aber nicht ausreden. 
„...Nicht einfach mir mitzuteilen, dass dein Vater tot ist? Dass dein Vater Musiker war und eine verblüffende Lebensgeschichte hat, die komischerweise mit meiner nahezu gänzlich übereinstimmt? Oder dass deine Mutter absolut gegen Rockmusik und dich lynchen würde, wenn sie erfahren würde, dass du Sängerin einer solchen Bands bist. 
Aber da kommt es doch eigentlich ganz passend, dass sie auf Tagung ist, oder Ali? 
Du konntest dir also weder ihre Einverständnis für die Band noch für den Plattenvertrag einholen und nächtelang wegbleiben, während dein Onkel glaubt, dass du fleißig in der Musikschule für deine Zukunft als engagierte Musiklehrerin arbeitest? Ist es dir schwer gefallen ihnen nicht von den Jungs und mir zu erzählen…das kann ich mir lebhaft vorstellen. Oder ist es schwer geworden wieder aus dieser Bandsache heil rauszukommen, nachdem du gemerkt hast, dass wir dich brauchen?
Du hast gedacht, dass du dich nach ein paar Wochen Spaß einfach wieder verziehen kannst um deiner Mutter vorspielen zu können, dass du während ihrer Abwesenheit die brave Tochter warst, die du niemals sein wirst? 
Wie konntest du das nur tun! Du weißt verdammt nochmal, dass die Band unser Job ist, wenn wir keine Aufträge haben, landen wir auf der Straße oder besser noch unter der Brücke. Aber nein, die kleine Aleyna wollte nur mal kurz in die Fußstapfen ihres Papas treten, ein bisschen Bühnenluft schnuppern, um dann einfach abzuhauen, wenn es dir zu viel wird.“ 

Aleyna musste kurz schlucken, um ihm antworten zu können. Vielleicht würde er gleich wieder von vorne anfangen. 

„Du hast dir das ganz schön einfach gemacht“, stieß sie wütend aus. „Du kennst doch nur ein paar Fakten und hast dir die Geschichte zusammengereimt, die mich im schlechtesten Licht dastehen lässt. Und das nur, weil du wütend bist, weil ich dir ein paar Dinge vorenthalten habe.“

„Du hast mir ein paar Dinge vorenthalten?“, stieß Niall empört aus. „Du hast nicht nur mich, sondern auch all die Anderen, von vorne bis hinten nur belogen. Angefangen bei: Nein, meinen Eltern ist es vollkommen egal, was ich in meiner Freizeit mache bis hin zu: Meine Eltern unterstützen mich bei der Musik. Aber soll ich dir etwas sagen, Leyna? 
Deine Eltern, deine Mutter unterstützt dich vielleicht bei deiner klassischen Ausbildung, aber die duldet sie auch nur, aber ich denke eine Rockband wird nicht nach ihrem Geschmack sein, wo doch dein Vater ebenfalls Mitglied dort war.“ 

„Was hätte ich denn sonst sagen sollen?“, schoss es wütend aus Aleyna heraus, während sie vom Bett aufstand.
„Hallo ich bin Ali, meine Mutter hasst Rockmusik und mein Vater ist tot? Du verstehst wirklich überhaupt nichts, da ist nichts, was ich jemandem einfach so erzähle, okay. Das sind meine Eltern, ihr Leben, aber nicht meins. Und ich will nicht, dass man mich aufgrund ihrer Vergangenheit beurteilt.“ 

„Aber ihre Vergangenheit ist nun mal auch deine“, entgegnete Niall ihr. „Und du weißt genau, dass es nicht darum geht, dass du uns das zu Anfang verschwiegen hast. 
Wir haben dort auch nicht alle Karten offen gelegt, aber mittlerweile, kennst du die Vergangenheit von jeden von uns, jeden. Die Jungs haben dich in die Band aufgenommen und Freundschaft mit dir geschlossen und du hast sie alle einfach belogen. Ohne mit der Wimper zu zucken.“ 

„Meinst du es ist einfach gewesen euch zu belügen?“, explodierte Aleyna und gestikulierte wild mit den Händen in der Luft.
„Denn ich kann dir versprechen, dass war es nicht. Ich hatte jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ihr mir etwas über euch erzählt habt, jedes Mal.
Die ganze Zeit über habe ich mir gesagt, dass ich es irgendwann schaffe, es euch zu erzählen, aber ich konnte es einfach nicht. Ich wollte, dass ihr mich so seht, wie ich bin. Einfach nur Alu. Und nicht das Mädchen dessen Vater gestorben ist. Denn genau das ist jetzt passiert. 
Nachdem Scott es dir erzählt hat, hast du jede meiner Entscheidungen auf meinen Vater bezogen. 
Meine Entscheidung Teil eurer Band zu werden, Musik zu machen, aber so ist das nicht. Ich habe rein gar nichts von ihm.“

„Ach dann war dein Vater also nicht zufällig Musiker?“, spottete Niall weiter. 

„Doch, das war er“, stimmte Ali ihm bitter zu. Sie wusste, worauf das hinauslaufen würde.

„Und war er Teil einer Rockband?“

„Für eine kurze Zeit“, versuchte Aleyna sich zu rechtfertigen. 

„Na und? Das reicht. Du kannst mir nicht erzählen, dass dein Vater nichts damit zu tun hat, Ali. 
Alles, was du getan hast war seinetwegen, du wolltest einfach nur seine Geschichte nachleben, und hast einfach von uns profitiert. Wahrscheinlich war deine Mutter auch Sängerin, oder? Und dein Vater Gitarrist und als sie einander auf einem Konzert getroffen haben, hat er sie sofort engagiert. Sie sangen zusammen und dann wurden sie ein Paar. Irgendwoher kenne ich diese Geschichte, sie kommt mir verdammt bekannt vor.“ 

„Mein Vater war Bassist, okay!“, schrie sie. „Und das auch nur für ein paar Jahre, als er meine Mutter kennengelernt hatte – sie arbeitet übrigens bei irgendeiner Firma im Büro und hatte in Musik ihre einzige Vier – ist er auf Jazzmusik umgestiegen und hat gelernt Trompete zu spielen, weil sein Leben mit ihr so ruhiger verlaufen würde. 
Das hatte er zumindest gehofft. Aber natürlich konnte man auch in dieser Szene Ärger bekommen, wenn man es darauf anlag. Mein Wunsch Musik zu machen und Gitarre zu spielen haben rein gar nichts mit ihm zu tun, nichts. Mein Vater wollte, dass ich Bass spiele, meine Mutter, Klavier. 
Ich habe Gitarre spielen gelernt. 
Meine Mutter wollte, dass ich einen vernünftigen Job bekomme, meinem Vater war es ziemlich egal, das waren schon seine schlechteren Zeiten.
Ich habe mich für die Musik entschieden. Keiner von beiden konnte singen, ich tue es. Alles, was ich getan habe, war meine Entscheidung gewesen und nie die meiner Eltern.“ 

„Du kannst mir einfach nicht erzählen, dass dein Vat…“, versuchte es Niall erneut. 

„Ich will nicht mit ihm verglichen werden, nie wieder“, stieß Aleyna zwischen den Zähnen hervor. 

„Aber das wirst du nun mal unwillkürlich, Ali dagegen kannst du nichts tun und wenn du ehrlich bist, die Parallelen sind nicht zu übersehen.“

„Na und? Dann war er halt Musiker, Niall. Du willst nur einen Grund finden, um mich zu demütigen. Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, weil ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe und ich weiß auch, dass es nicht fair war, Teil eurer Band zu werden, obwohl ich eigentlich wusste, dass es sowieso nie wirklich möglich war.
Aber es ist auch nicht gerecht, dass du dir meine Worte so im Mund zu recht legst, wie es dir gerade passt. Was mein Vater getan hat ist schrecklich, ich schäme mich jeden Tag dafür und streite mich mindestens genauso oft mit meiner Mutter deswegen. Sie hat ihn mehr als alles andere geliebt und hätte ihm alles verziehen. Ich habe mich frei von meinem Vater gemacht und versucht mein eigenes Leben weiterzuleben, ich glaube du weißt wovon ich spreche.“ 

Sie wusste nicht mehr, ob sie wütend, verzweifelt oder nur enttäuscht war. Vielleicht war es auch eine Mischung aus Beidem. 

„Ach du meinst meine Eltern…hast du mir nicht genau das Gegenteil geraten? Dass ich ihnen wieder näher kommen sollte? Und das gerade von dir, Aleyna? 
Vielleicht lügst du sogar jetzt nicht mehr, vielleicht stimmt es, dass du wirklich nicht so bist wie sie. 
Aber wie soll ich dir jemals wieder vertrauen können? Wie soll ich denn bitte nicht das Gefühl haben, dass alles, was du mir jemals erzählt hast, nur gelogen war?“, widersprach ihr Niall ruhiger als zuvor. Wenigstens schrie er nicht mehr. 

„Weil alles andere wahr ist“, antwortete Aleyna ihm hoffnungslos. Er würde sie niemals verstehen.

„Ach, dann hattest du also diesen Ex – Freund, der dich wie Dreck behandelt hat. Wieso? Um nachzuvollziehen, wie sich deine Mutter bei deinem Vater gefühlt haben musste?“ 

Jedes Wort von ihm war wie ein Peitschenhieb, immer wieder drosch er mental auf sie ein, ohne es überhaupt zu bemerken. 

„Ja ich war mit ihm zusammen, ein halbes Jahr nachdem mein Vater gestorben war…habe ich…“, sie konnte es nicht sagen, alles in ihr sträubte sich, diesem Menschen die Wahrheit anzuvertrauen, die sie so gut versteckt gehalten hatte. Sie wollte sich nicht so demütigen lassen. 
„Ich habe mich einsam gefühlt, okay…Ich wollte endlich wieder Wärme spüren, eine Berührung, eine Umarmung, Hände in Meinen. Meine Mutter zu Hause hatte es schon schwer genug irgendwie am Leben zu bleiben, jegliche Kommunikation oder gar eine Unterhaltung wäre zu viel für sie gewesen.“ 

Ihre Stimme war dabei zu brechen, deswegen hörte sie lieber gleich auf. Nur keine Schwäche zeigen. 

„Und wieso hat der Kerl dann keinen Namen?“, entgegnete Niall ihr. Seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.
„Mal ehrlich Ali, mit dieser Mitleidsnummer kommst du bei mir nicht durch.“ 

„Sein Name ist Joshua Conner, okay? Er ist eine Klasse über mir, die Straße, in der er wohnt ist mir leider entgangen, aber wenn du willst kann ich gleich mal nachgucken.
Du sprichst von einer Mitleidsnummer? Genau das wollte ich niemals: Mitleid. Deswegen habe ich es dir nie erzählt, weil ich wusste, dass du mir niemals glauben würdest.
Aber eigentlich wäre es auch egal gewesen, ob ich es dir erzählt habe oder nicht. 
Du suchst doch nur eine Ausrede, um mich schlecht dastehen zu lassen. Du hast mich von Anfang an gehasst, du wolltest mich doch eigentlich nie in der Band haben. Im Grund war ich nur ein Mittel zum Zweck von dem du profitiert hast. Glückwunsch, du hast dein Ziel erreicht. Du hast den Plattenvertrag, ich bin raus. Schönes Leben, noch.“

Dann brach ihre Stimme endgültig und sie brach in Tränen aus. 

„Ali…?“, hörte sie Niall plötzlich ruhig flüstern. „Es tut mir…“, versuchte er erneut einen Satz zu bilden, doch Aleyna ließ ihn nicht ausreden. 
Sie wollte ihm nicht mehr weiter zu hören, seinen Lügen, seinen Ausreden, allem. 

Stattdessen legte sie auf.

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Es war klar das er sauer ist. Oder?
Aber nun scheint ja alles raus zu sein. Wird es nun wieder bergauf gehen?

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