~ Sechsundsechzig ~
Als die Jungs Ali im Proberaum erblickten, erhellten sich ihre Gesichter sofort. Abrupt blieben sie mitten im Raum stehen, die Münder weit und dümmlich geöffnet und sahen auf das Mädchen hinab, von dem sie dachten, es nie wieder zu sehen.
Augenverdrehend ließ Niall sich auf dem Klavierschemel nieder, um die ganze Situation von weitem beobachten zu können. Das war ja besser als Kino, schmunzelte er, als er einen Blick auf die Jungs warf, die versuchten noch irgendwie um Fassung zu rennen.
Ali war die Erste, die etwas sagte. Höchstwahrscheinlich nur, um die Jungs nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, der sie sich noch früh genug bewusst werden würden.
Für Niall hätte sich diese Prozedur noch Ewigkeiten hinziehen können.
„Hey“, sagte Ali, als ob nichts geschehen wäre und sie die Jungs wie jeden Vormittag zur Probe begrüßen wurde.
Aber er hatte auch nichts Anderes von ihr erwartet. Das war Ali wie sie liebt und lebte.
Die Ali, die nach verwirrenden Gesprächen einfach so vor seiner Tür gestanden hatte. Die Ali, die lieber in der Gegenwart, als in der Vergangenheit lebte. Die Ali, an die er höchstwahrscheinlich sein Herz und seinen Verstand verloren hatte.
„Ali!“, stammelten die Jungs unisono und sahen Ali an, als ob sie etwas ganz Unglaubliches wäre. Ein Ufo oder ein Meteorit. Niall lachte süffisant.
Gott, was hatte dieses Mädchen nur mit ihnen gemacht? Einer nach dem Anderen umarmten sie Ali, zwar nicht mehr ganz so in Trance wie gerade eben, aber immer noch herzlich genug, als dass Niall sich nur leise ins Fäustchen lachen konnte.
Louis ließ die Prozedur scheinbar über sich ergehen, doch Niall konnte an der Art und Weise wie er Ali umarmte sehen, dass auch er nicht unglücklich darüber war, dass sie zurück war. Aber für einen Fremden, schmunzelte Niall, sähe Louis nur aus, wie jeder andere Mensch, der eine Bekannte begrüßte. Um hinter seiner lässigen Umarmung die versteckte Herzlichkeit sehen zu können, brauchte es jahrelange Beobachtung. Und die hatte Niall gehabt.
Nachdem Louis erlöst war, machte er sich auf den Weg zu Niall, um sich zu ihm zu setzen.
„Und?“, fragte sein Freund ihn neugierig, während er scheinbar interessiert das Treiben vor sich verfolgte. Niall lächelte. Louis war auch schon mal besser gewesen.
„Und was?“, fragte Niall ihn desinteressiert, während er die gerade etwas verkrampfte Umarmung von Liam beobachtete.
„Wieso ist sie hier?“
„Ich weiß nicht“, sagte Niall und lächelte. „Sie singt wohl einfach ziemlich gern.“
„Du schweigst also wie ein Gentleman“, murmelte Louis und lachte, als ob es sich bei dieser Aussage um etwas vollkommen Abwegiges halten würde.
„Na dann, viel Erfolg. Wir kriegen es ja doch raus.“
Niall zuckte nur mit den Schultern. Viel Spaß.
„Wir sollten anfangen, Leute“, rief er in den Raum hinein. Sofort spürte er wieder alle Blicke der Anwesenden auf sich. Sein Blick blieb jedoch wieder an Ali hängen, die ihn angestrengt zu mustern schien.
Sie wollte wissen, wieso er es auf einmal so eilig hatte zu arbeiten.
Ganz einfach, Leyna, antwortete er ihr in Gedanken. Dank dir und meinem Ausflug in die Vergangenheit haben wir eine Woche einfach mit Nichtstun verschwendet. Und da noch das Abschlusskonzert an stand und wir Songs singen müssen, die wir sonst noch nicht einmal unter der Dusche singen würden, müssen wir wohl proben.
Dazu kommt noch, dass du dich weigerst mir in irgendeiner Art Zutritt zu deinem Leben zu gestatten und sowohl darüber als auch über deine Gefühle den Schleier des Vergessenes gelegt hast. Aber das kriegen wir noch hin.
Genau das hätte er ihr gerne gesagt, aber das wäre wohl nicht ganz dem Anlass entsprechend.
„Niall?“, riss ihn Liam aus seinen Gedanken und musterte ihn genervt. „Ich habe gerade die ersten Songs auf der Liste vorgelesen und du bist kein einziges Mal aufgesprungen, um dich vehement zu wehren, sie zu singen. Das macht mir Sorgen.“
Eigentlich hatte Niall nie besonders viel mit Liams trockenem Humor anfangen können. Wenn er wütend war oder etwas sarkastisch sagen wollte, ging er immer dazu über die Worte besonders deutlich und akzentuiert auszusprechen und zu sprechen, als ob es sich bei dem Inhalt seiner Worte, um Belangloses handelte. Wie Blumen gießen, Einkaufen oder die Wohnung aufzuräumen. Wie gesagt ein sehr eigener Humor, aber heute konnte Niall ausnahmsweise einmal darüber lachen.
„Ich will die Songs glaube ich gar nicht hören. Mir ist bewusst wie schlecht der Musikgeschmack dieser Bevölkerung ist. Ich will nur wissen, ob angegeben ist, wer die Songs singen soll, damit wir abschätzen können wie viel Arbeit auf uns zu kommt.“
Liam nickte beschäftigt und durchstöberte seine Zettel.
„Tja Niall“, begann er lang zu sagen und atmete einmal tief durch. „Du hast wohl nicht so viel zu tun. Mehr als die Hälfte der Songs sind für Ali…und…wow…die wollen sogar einen Song von mir.“
Er lachte triumphierend. Erst als er merkte, dass alle ihn wegen seines Freudenausbruchs musterten, hörte er verlegen damit auf. Was war denn heute mit ihm los? Sonst ging er zum Lachen eigentlich immer in den Keller, heute schien es ihm aber irgendwie gleichgültig zu sein, ob jemand mitbekam, dass er sich amüsierte.
„Gib mal her“, forderte Niall Liam auf, der ihm zögernd das Blattpapier gab.
Schnell überflog Niall die Liste.
Tatsächlich: Sie wollten alle Ali. Und irgendein Trottel wollte auch noch Liam. Das würde ein Spaß werden.
„Dann haben wir viel zu tun“, kommentierte Niall das Ganze nur trocken. „Das wird nicht einfach für dich, Ali“, murmelte er und wandte sich ihr zu.
Sie begegnete seinem Blick mit der Entschlossenheit, die ihm in anderen Angelegenheiten bei ihr fehlten.
„Ich tu das, was ihr sagt“, wandte sie sich an alle. „Das bin ich euch schuldig.“
Und dann mit einem Lächeln im Gesicht, dass ihm galt: „Los fangt schon an mich zu quälen.“
Da musste sie sich ausnahmsweise keine Sorgen machen: Sie würde sich noch wünschen, diese Worte niemals ausgesprochen zu haben.
„You can never say never. While we don't know when but time and time again. Younger now than we were before. Don't let me go. Don't let me go. Don't let me go”, sang Aleyna gerade einen der über 20 Songs auf der Liste, die sie bis zum Sommerabschlusskonzert perfekt spielen können mussten.
Zusammen mit Liam am Klavier und Harry am Schlagzeug powerte sie sich vollkommen aus, ohne Rücksicht auf Verluste.
„Mehr Ali, mehr!“, schrie Niall ihr gerade zum gefühlten hunderttausendsten Mal zu.
Sie würde heute leiden müssen, das hatte er sich vorgenommen. Sie sollte bloß nicht denken, dass er zahmer mit der Zeit geworden war.
„Don't let me go. Don't let me go. Don't let me go”, versuchte Ali es noch einmal, aber heute würde sie Niall wohl nicht mehr zufrieden stellen.
Dabei wusste er noch nicht einmal so genau, ob es am Song oder an Ali selbst lag, dass er so wütend war.
Es war wohl eine Kombination aus Beidem.
Einerseits war er genervt, dass Ali sich ihm nicht öffnen wollte. Andererseits verstärkte der Song seine Wut auch noch. Schon als die ersten Zeilen des Songs , „Never Say Never“ von The Fray, erklungen waren („Some things we don't talk about. Rather do without and just hold the smile. Falling in and out of love. Ashamed and proud of, together all the while”)
hatte er gewusst, dass es definitive der falsche Song zur falschen Zeit war.
Weil er einfach ziemlich niederschmetternd und zugleich unglaublich aufbauend die Situation beschrieb, in der Ali und er sich gerade befanden.
Und wenn Ali dann „Don´t let me go“ sang, hatte er einfach immer das Gefühl, dass sie es nicht ernst meinte.
Es war nicht fair sie wegen seiner Unsicherheit leiden zu lassen, aber er konnte einfach nicht anders.
Lieber ließ er es so an ihr aus, als sie vor der versammelten Mannschaft zur Schnecke zu machen und sie beide in Verlegenheit zu bringen.
„Da geht noch mehr!“, rief er ihnen erneut zu, während er Alis vor Anstrengung oder Wut rot angelaufenes Gesicht sah.
Sie verlangte sich wirklich alles ab, aber selbst wenn sie heute perfekt singen würde, wäre es für Niall nicht genug gewesen. Und das schien auch sie gerade zu verstehen.
„We're pulling apart and coming together again and again. We're growing apart but we pull it together, pull it together, together again.”
Sie wollte ihn wirklich überzeugen, sie gab alles. Ihre Stimme sang all die hohen Töne, vor denen sie sich vor kurzem noch so vehement ferngehalten hatte, ohne Murren, sie wippte im Rhythmus des Songs mit, versuchte ihn mit ihren Blicken zu bannen, aber manchmal war es einfach so:
Alles war nicht genug. Und genau so ein Tag war heute.
„Liam! Harry!“, herrschte er seine Bandkollegen an. „Lauter spielen. Ali! Du musst sie übertönen können!“
Er sah die Jungs, ihre Augen verdrehen, und wetterte sofort wieder auf sie ein.
Ali war bereits so erschöpft, dass sie seinen Tiraden nicht mehr standhalten konnte und sich einfach versuchte an seine Anweisungen zu halten. Sehr klug.
„Meinst du nicht, du übertreibst es?“, murmelte Louis, der neben ihm stand. „Ich weiß, Ali hat gesagt, dass wir sie quälen können, aber so ernst hat sie es wohl doch nicht gemeint.“
„Ich glaube, ich kann gut einschätzen, was ich ihr zumuten kann und was nicht, danke“, erwiderte Niall hart, während er neue Instruktionen in den Raum rief.
„Don't let me go. Don't let me go. Don't let me go”, sang Ali die letzten wehmütigen und zugleich unglaubliche kräftigen Zeilen des Songs, um seine Meinung noch einmal zu kippen, aber heute würde sie gegen ihn nur verlieren.
Sie konnte ihn einfach nicht überzeugen.
Lass mich nicht gehen, waren die Worte, die sie immer und immer wieder sang und trotzdem niemals ernst meinen würde. In einem unbeobachteten Moment würde sie gehen, weil sie einfach nicht ehrlich mit sich selbst war.
Lass mich nicht gehen.
„Wer´s glaubt“, murmelte Niall hart, während Louis ihn besorgt musterte.
Doch Niall begegnete seinem Blick nicht und sein Freund zog seine eigenen Schlüsse daraus.
„Jungs!“, wandte er sich an Harry und Liam. „Ich glaube wir sollten, etwas zum Mittagessen besorgen.“
Liam und Harry sahen Louis befremdlich an, freuten sich aber augenscheinlich über die Pause und standen leicht verwirrt auf, um ihm nach draußen zu folgen.
Kurz bevor sie den Raum verlassen hatten, drehte Louis sich noch einmal um und warf ihm einen mehr als deutlichen Blick zu:
Klär das gefälligst, bis wir wieder kommen.
Er würde sein Bestes geben.
Nachdem die Jungs verschwunden waren, setzte Ali sich scheinbar ermattet an Liam Klavier.
Niall beobachtete, wie sie ihre schmalen Finger über die Tasten gleiten ließ, ohne sie zu berühren.
Fast als ob sie sie streicheln würde. Niall lächelte, stand aber immer noch unschlüssig in der Gegend herum, bevor er sich einen Ruck geben konnte und sich zu ihr setzte.
Als sie ihn neben sich sitzen sah, hob sie kurz ihren Kopf, um ihn anzulächeln, bevor sie sich wieder den schwarzen und weißen Tasten vor ihr zuwandte.
Doch bevor er in die Verlegenheit kam, sich vor ihr mit laschen Entschuldigungen zu rechtfertigen, hörte er sie eine bekannte Melodie auf dem Klavier spielen.
Andächtig, vorsichtig, als ob sie Angst hätte die Tasten zu verletzten, ließ sie ihre Finger auf ihnen hin und herleiten. Ehrfürchtig beugte sie sich zur Melodie und hüllte sie beide in eine andere Welt.
Wie in Trance lauschte er ihrem Klavierspiel, das sie sicherlich seit den letzten Malen die sie geprobt hatten, verbessert hatte.
Es war keine schwere Melodie, nur ein paar Akkorde, aber dafür war die Art, wie sie sie spielte unglaublich.
„Kiss me out of the bearded barley. Nightly, beside the green, green grass. Swing, swing, swing the spinning step”, sang sie leise und geheimnisvoll, ihren Blick starr auf das Instrument vor ihr gerichtet.
Kiss Me in der Version von Jason Walker.
Als sie weiterspielte hob sie schließlich ihren Blick, um ihn mit glühenden grünen Augen anzusehen.
„I wear those shoes and You will wear that dress“, sang sie ihm direkt ins Gesicht, bis sie merkte, dass die Worte wohl nicht ganz passend waren.
„Oh“, murmelte sie und lachte, hörte aber nicht auf zu spielen. Auch Niall huschte ein Lächeln über das Gesicht.
“Oh, kiss me beneath the milky twilight. Lead me out on the moonlit floor. Lift your open hand. Strike up the band and make the fireflies dance, silver moon's sparkling”
Er konnte nicht anders, als auf ihren geöffneten Mund zu starren. Ihre Lippen, mit denen sie die Worte formte, die ihn beinahe um den verstand brachten. Es war wie Magie.
Niall reichte es sie zu sehen, sie, ihren Körper, der sich der Musik beugte, ihre Lippen, die schöne Worte sangen.
Er hörte weder ihr Klavierspiel noch ihren Gesang. Sie brauchte ihn einfach nicht mehr, um ihn zu faszinieren.
Ihn wieder nur dazu zu bringen, zu handeln wie er wollte und nicht wie er sollte.
Er musste es sich hoch anrechnen, sie nicht sofort an sich zu reißen, um sie zu küssen.
Aber er beherrschte sich, der Ausfall heute Morgen war schon schlimm genug gewesen.
Eigentlich wollte er sie solange schmoren lassen, bis sie es war die einen Ausfall hatte.
Stattdessen war er es gewesen.
Gerade er! Er, der immer rational dachte, die Argumente entscheiden ließ und nicht seinen Bauch, sein Herz.
Als er hörte, dass sie sich verspielt hatte, legte er, als ob es ein natürlicher Instinkt wäre, den ihn trieb, seine Hände auf ihre und half ihr weiterzuspielen.
Sie lächelte und ließ sich führen. Er spürte ihre, wie immer kalten Händen, unter ihm und wärmte sie.
Weiche, filigrane Hände mit immer noch leicht rauen Fingerspitzen, auf denen sich die Gitarrensaiten abgezeichnet hatten.
„So, kiss me“, beendete Ali die Strophe bittersüß und drehte ihren Kopf ihm zu, sodass ihre Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.
Sie wusste gar nicht, wie gerne er ihrer Aufforderung nachkommen würde. Sie spielte den letzten Akkord und sah ihn dann abwartend an.
Nein, noch einmal würde er ihr nicht verfallen, versprach sich Niall und rang um Fassung.
Wenn sie mehr wollte, sollte sie auch dazu ansetzten und nicht ihn die letzten Schritte machen lassen.
Die Schultern straffend, setzte er ein süffisantes Lächeln auf und sagte:
"So einfach, lass ich mich nicht um den Fingern wickeln.“
Ali, die von seinen ehrlichen und direkten Worten überrascht war, senkte den Blick um kurz zu lachen.
„Das hast du dir wohl einfacher vorgestellt, oder Leyna?“, kommentierte er das Debakel nur. „Ich weiß, du bist die Königin des defensiven Küssens, aber so kommst du mir nicht mehr davon.“
„Idiot“, sagte Ali nur und sah ihn feindselig an. Der hatte gesessen.
„Was ist gestern Abend bei dir zu Hause passiert?“, sprach Niall die Frage aus, die ihm schon die ganze Zeit lang auf der Zunge gelegen hatte.
„Ist nicht so wichtig“, nuschelte sie und senkte den Blick.
„Natürlich ist es wichtig!“, rief Niall wütend.
Manchmal hatte er bei Ali das Gefühl, nur Gast in ihrem Leben zu sein. Ein entfernter Bekannter, dem sie die Tür einen Spalt weit öffnete, aber wenn er dann ihr Haus betreten wollte, die Tür vor der Nase zuschlug.
„Wieso ist dein ganzes Leben ein Geheimnis für mich?! Bin ich es nicht wert, dass du mich in dein Leben lässt?“, fragte er sie aufgebracht und stand ruckartig auf.
Sali musterte ihn verwirrt und niederschlagen.
„Das stimmt nicht“, murmelte sie nur.
„Und wenn es nicht stimmt“, sagte Niall immer noch wütend. „Wieso dann diese Geheimniskrämerei?“
„Weil ich gerade einfach nur glücklich sein möchte“, sagte Ali letztendlich kleinlaut.
Niall stöhnte gequält auf. Sie machte es ihm auch nicht besonders einfach, wütend auf sie zu sein.
Natürlich tat es ihm leid für sie und er wünschte sich, dass sie es nicht so schwer hatte. Andererseits brachte es aber auch nichts vor der Vergangenheit weg zu laufen oder sie schlimmer noch zu verdrängen.
Ali merkte, dass ihm die ganze Situation mehr als unangenehm war und erlöste ihn von seinem Leid.
„Als ich nach dem Konzert nach Hause gekommen bin, stand meine Mutter in meinem Zimmer. Sie hat es vollkommen verwüstet auf der Suche nach Beweisen, oder so“, begann sie. „Na ja irgendwie hat sie sich wohl ein paar Dinge zusammengereimt und den Rest, der ihr gefehlt hatte, habe ich ihr erzählt, weil ich sie nicht weiter belügen wollte.“
Sie stoppte kurz, um ihm einen Blick zu zu werfen. Aleyna schien auf eine Reaktion seinerseits zu warten, aber er würde ihr einfach nur schweigen zu hören. Das hatte er sich versprochen, falls sie einmal so ehrlich zu ihm sein sollte.
„Sie hat mich natürlich mit Vorwürfen bombardiert, die sicherlich gerechtfertigt waren und irgendwann bin ich einfach ausgetickt. Ich habe ihr gesagt, dass ich leben möchte und mich nicht weiter verstecken möchte. Und am Ende“
Ihre Stimme zitterte.
„Habe ich ihr vorgeworfen, dass sie mich nicht lieben kann, weil ich meinem Vater so unähnlich wäre. Den Rest kennst du.“
Niall nickte langsam und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen. Er wusste, dass es sie mitnahm, nicht mehr nach Hause zu können. Aber er wusste nicht wie sehr, es sie mitnahm. Sie hielt ihr Gesicht vor ihm verborgen.
„Jetzt wäre der der richtige Augenblick für Vorwürfe“, informierte sie ihn knapp.
Niall schmunzelte.
„Ich glaube, du wurdest schon genug dafür bestraft“, murmelte er.
„Wie bitte?“, sagte sie und sah ihn ungläubig an. Niall zuckte lässig mit den Schultern.
„Außerdem bin ich…“, flüsterte er leise und nahm ihre Hände, die sie vor Aufregung nicht stillhalten konnte, in seine, „...was Eltern angeht nicht unbedingt die richtige Ansprechperson.“
Sie nickte zwar, aber Niall konnte sehen, dass nun sie es war, die in seinen Bann gefallen war.
Ohne jede Chance auf Besserung hing sie an seinen Lippen und egal, was er sagen würde, sie würde ihm glauben.
Es war unglaublich, dass sie Beide in der Lage waren, solche Gefühle beim jeweils Anderen hervorzurufen.
Eigentlich musste diese Tatsache sie ängstigen, aber sie schienen sich in dieser Magie nahezu zu wälzen.
Es war so einfach loszulassen dann und zu tun, was man wollte. Es war zu einfach.
Niall spürte Alis Atem auf seiner Wange. Wenn er jetzt wollte, konnte er sie einfach küssen, ohne jegliche Probleme. Ali sah das wohl genauso, denn sie sah ihn abwartend an, während ihre Augen mit sich selbst um die Wette funkelten.
Ihr Mund stand ein wenig offen und wirkte dadurch nur noch einladender. Er sah sich schon dabei, sie an sich zu ziehen, seine Hände in ihren Haaren zu vergraben und seine Lippen fest auf ihre zu drücken, um jeden Zweifel in ihr zu vernichten. Aber auch wenn er ihre Zweifel vielleicht für den Moment vernichten konnte, sobald die Nachwirkungen seines Kusses nachgelassen hatten, würde sie unsicher wie eh und je sein. Sie musste sich selbst für ihn entscheiden.
„Leyna“, murmelte Niall scheinbar zärtlich in ihr Ohr.
„Mmmh“, sagte sie nur und sog seinen Duft in sich auf. Er musste sich auf die Unterlippe beißen, damit er jetzt nicht anfangen musste zu lachen.
„Ich werde dich nicht küssen, solange du nicht weißt, was du willst.“
Und dann, als ob ein lautes Geräusch, das Zuschlagen einer Tür oder das Herunterfallen eines Gegenstandes, sie unterbrochen hätte, war auf einmal die Magie zwischen ihnen dahin. Ali sah ihn an, als ob sie gerade auf den Boden der Tatsachen gefallen wäre. Irgendwie enttäuscht und wütend zugleich.
„Manchmal hasse ich dich einfach nur“, murrte sie entnervt und drehte sich von ihm weg.
„Beruht manchmal auf Gegenseitigkeit“, antwortete Niall ihr schmunzelnd.
Sie würden sich wohl niemals normal unterhalten können.
„Was soll ich machen?!“, fuhr sie an und drehte sie ruckartig wieder zu ihm um. „Soll ich jetzt auch einen Song singen, damit du zufrieden bist?“
„Das ist dir überlassen“, erwiderte Niall süffisant. „Das gesprochene Wort würde mir auch reichen, aber tu dir keinen Zwang an“, fuhr er fort und wies auf die Instrumente vor ihnen.
„Na gut, gleiches Recht für alle“, murmelte sie sauer. „Ich singe.“
Niall musste sich zurückhalten, um sie nicht auf den wahren Grund anzusprechen, warum sie lieber singen wollte:
Es war einfacher die Worte auszusprechen, wenn eine Melodie von ihnen ablenkte und sie in einer anderen Sprache ausgesprochen wurden.
Kurz warf sie einen Blick auf die Songliste, seufzte auf und schnappte sich dann eine Westerngitarre, um sich auf einen Barhocker zu setzen.
„Der Song ist auch bei uns auf der Liste, das heißt, dass ich dir eigentlich einen Gefallen tue, wenn ich ihn singe. Ich will keinen einzigen Kommentar oder Zwischenruf hören“, wies sie ihn zurecht.
Das war die Retourkutsche für vorhin. Gut, das hatte er verdient. Doch obwohl Ali augenscheinlich so ruhig wirkte, verriet ihr Körper sie doch das ein oder andere Mal. Die zitternden Hände und Beine, der unsichere Blick, die Lippen, die sie fest aufeinander gepresst hatte.
Niall drehte sich zu ihr um, um nichts zu verpassen. Keine einzige Reaktion ihrerseits würde ihm abhandenkommen. Um ihre Nerven wieder in den Griff zu bekommen, spielte sie zuerst ein kleines Intro.
Niall schloss die Augen, als er den Song erkannte. Sie sang tatsächlich mal etwas von Avril Lavigne: Fall To Pieces. Sie startete nicht gleich mit der ersten Zeile, sondern setzte erst zum Ende der Strophe ein.
Wahrscheinlich, weil der erste Teil eher irrelevant für ihn waren.
„Today's the day I pray that we make it through. Make it through the fall, make it through it all”, sang sie laut, um das Zittern in ihrer Stimme zu übertönen.
Sie hatte recht mit den Zeilen, die sie sang. Natürlich hatte sie das. Manchmal fiel es auch ihm schwer zu glauben, dass sie trotz all der Widrigkeiten hier war. Hier bei ihm. Dann endlich warf sie Niall einen Blick zu. Sie wirkte entschlossen. Gut.
„And I don't want to fall to pieces. I just want to sit and stare at you.”
Der Song hätte von Ali persönlich stammen können. Egal, was passierte, Ali blieb immer stark. Und er konnte sich zu gut an die Momente erinnern, an denen sie sich gewünscht hatte zu schweigen und er mit ihr reden wollte. Manchmal fragte er sich, ob sie überhaupt eine Frau war wie sie im Buche stand oder nur eine Mogelpackung.
Aber auch das würde ihm egal sein. Er wollte Ali, genauso wie sie war. Nur manchmal etwas redseliger ihm gegenüber.
„I don't wanna talk about it and I don't want a conversation”, sang sie weiter und Niall schmunzelte vergnügt.
Er wartete auf ein Lächeln ihrerseits, aber sie blieb weiterhin ernst.
Und dann beendete sie den Song schlicht mit den Worten:
„ I don't wanna talk about it 'cause I'm in love with you.“
Bevor er etwas sagen oder tun konnte, stellte sie die Gitarre weg und blieb genau vor ihm stehen.
„Du weißt schon, dass du eine Zeile vergessen hast?“, brachte Niall schließlich heraus.
Da sie den Song auch auf dem Konzert spielen würden, kannte Niall den Text und wusste auch, dass Ali die Zeile aus gutem Grund nicht gesungen hatte.
„I just wanna cry in front of you“, zitierte Niall schließlich die verlorene Zeile.
Sie nickte niedergeschmetternd.
Auf einmal wirkte sie unglaublich verloren. Wie ein Häufchen Elend stand sie vor ihm und obwohl Niall es war, der saß, wirkte sie trotzdem kleiner für ihn.
"Ich will das einfach nicht, nicht jetzt", murmelte sie.
Na gut, gab Niall sich schließlich geschlagen. Es war unfair sie noch länger leiden zu lassen.
Schnell, ohne dass sie es sofort mitbekam, legte er einen Arm um sie und zog sie zu sich herunter. Sie stellte sich zwischen seine Beine, während er bereits seine Lippen auf ihre drückte. Ihre Hände bekamen seinen T – Shirt Kragen zu fassen und hielten sich daran fest, während er seinen Arm um ihre Hüfte schlang.
„I´m in love with you, too“, murmelte Niall zwischen zwei Küssen, in denen Ali die Initiative ergriff.
Er konnte die Gefühle, die während ihres Kusses in ihm tobten kaum beschreiben.
Mit ihr fühlte er sich einfach wie ein anderer Mensch. Alle anderen Dinge, die ihm früher wichtig gewesen waren, traten auf einmal in den Hintergrund und alles was er wollte, war sie. Nur sie.
Zärtlich strich er über ihre Wange und konnte doch tatsächlich mit ansehen, wie sie errötete. Er lächelte glücklich.
Um es ihm heimzuzahlen, stieß Aleyna ihn weiter nach hinten, sodass er gegen das Klavier stieß. Damit war aber nicht genug. Sie küsste ihn in Grund und Boden, bis er nicht mehr wusste, wo oben und unten war.
Und genau das hatte er die ganze Zeit doch eigentlich nur gewollt. Dass sie genauso wie bei einer Diskussion hitzig das Wort ergriff und alle Anderen damit schockte.
Als er dachte, dass diese Situation nicht mehr verrückter werden konnte, riss sie plötzlich die sich laut öffnende Tür aus ihrer Trance.
Erschrocken ließen sie blitzschnell voneinander ab und wichen zurück.
Vor Überraschung hatte Ali ihm auf die Lippe gebissen. Niall schmeckte Blut, während er zur Tür sah, an der Ava und Cole mit offenen Mündern und verblüfften Gesichtsausdrücken standen.
Ali flüsterte ihm noch eine kurze Entschuldigung zu, doch Niall winkte lächelnd ab. Das war einer dieser Momente, die nur Ali ihm bescheren konnte und er würde jeden Einzigen genießen, ohne Ausnahme.
„Ich wusste es doch!“, rief Ava noch triumphierend aus, aber Niall konnte nur noch lachen.
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Na endlich sind die Fronten geklärt zwischen den beiden.
War das nicht eine süße Liebeserklärung? 😍
Und zu guter letzt erwischt von Ava. Aber sie hatte es wohl im Gefühl.
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