~ Neunundvierzig ~

Die Location ihres heutigen Konzertes war ein etwas größerer Club in der Stadtmitte. Er war sogar ziemlich groß im Gegensatz zu den heruntergekommenen Schuppen, in denen sie sonst spielten. 
Auch wenn draußen astronomisch hohe Temperaturen herrschten war die Bude voll mit Schaulustigen.
Ob sie wirklich ihr Konzert besuchen wollten oder sich doch nur vollaufen lassen wollten, war nicht ganz klar, aber das überhaupt so viele Menschen da waren, war nicht von Nachteil. Es war sogar so überfüllt, dass die Bar gegenüber der Bühne nicht mehr auszumachen war. 

Niall sog den Duft des Clubs ein. Es war ein nicht ganz zu identifizierender Duft, ein Gemisch aus Schweiß und Alkohol. Es war stickig, die Menschen fächerten sich gegenseitig Luft zu, nur wenige Gespräche waren zu hören, wie ein unterschwelliges Gemurmel zogen sich die Geräusche von einer Raumecke zur Anderen, aber für größere Gespräche war einfach kein Raum mehr. Dicht aneinandergedrängt standen sie alle in kurzen Partykleidern und Shorts.
Keine besonders gute Ausgangsposition für Alis Song, aber vielleicht würden ihre verletzten Worte für die bitternötige mentale Abkühlung verschaffen. 
Niall konnte nur hoffen, dass es so war. 

Die Jungs hatten sich bereits an ihren Instrumenten positioniert und wurden von dem gleißenden Licht der Scheinwerfer geblendet, die für zusätzliche Wärme sorgten. Sofort suchte sein Blick Ali, die sich bereits mit der Gitarre, um die Schulter gehangen an das Mikro stellte, dass man vorher auf ihre Körpergröße angepasst hatte.
Ihre Hände zitterten immer noch ein wenig, doch Niall hatte eher das Gefühl, dass seine Hände eigentlich die Kälte ihrer Hände übernommen hatten, so fühlte es sich zumindest an. 
Er hatte seine persönliche Klimaanlage gefunden, dachte er lächelnd, zügelte sein Lachen aber sofort wieder, als er an die Verletzungen an ihrer Hand dachte. So etwas durfte nie wieder passieren. 
Niall musste besser auf sie achten. Ava hatte recht, Ali war sozusagen sein Schützling und er musste sich um sie kümmern. Und auch wenn es ihn nichts anging, ihm war bewusst, dass nicht allein ihre Leidenschaft für die Musik zu diesen Verletzungen geführt hatte. Das war nicht möglich. 
Die Ereignisse der letzten Woche hatten sie doch mehr aus der Bahn gebracht, als er gedacht hatte. 
Aber wenn er ehrlich war, ging es ihm ähnlich. Nie hätte er vermutet oder geahnt, dass er Ali irgendwann als Teil dieser Band sehen würde und es vielleicht sogar auf eine komische Art und Weise genießen würde, sich mit ihr zu streiten.
Und auf gar keinen Fall hätte er gedacht, dass er jemals ein Duett singen würde. Er war zahm in der letzten Zeit geworden, stellte Niall schmunzelnd fest. 

Der alte Niall hätte sich nicht so einfach überreden lassen, er hätte sich nicht so sehr für eine Sängerin eingesetzt, wie er es für Ali getan hatte. Aber vielleicht ja doch. 
Vielleicht bildete er sich diese Veränderung seines Inneren nur ein und er war im Endeffekt immer noch dieser übellauniger Typ mit einer großen Schwäche für die Musik. 
Niall spürte Alis Blick auf ihm und sofort sah er zu ihr auf, um auf einen fragenden Gesichtsausdruck zu treffen. 

Soll ich anfangen?, es schien fast so, als ob sie diese Frage, die in ihrem Gesicht so klar zu lesen war, wirklich laut und deutlich aussprechen würde. Er nickte.
Sie hatten sich heute dazu entschlossen keine Begrüßung oder Ähnliches abzuhalten und gleich zu spielen. Das würde Alis dramatischen Auftritt nur verstärken. Nicht, dass das unbedingt nötig war. Ali war auch so eine explosive Mischung, die jederzeit dazu bereit war in Flammen aufzugehen.
Schnell drehte sich Niall zu den Anderen um und gab ihnen ein Zeichen. Auch im Publikum wurde es mucksmäuschenstill und alle warfen einen gespannten Blick auf die Bühne. 
Na wartet es nur ab, dachte Niall mit einer vollkommen unangebrachten Gewissheit in seinen Gedanken. Schließlich hatte er den Song noch kein einziges Mal von Ali gesungen gehört. 
Lächelnd registrierte Niall wie sich die anderen Jungs und auch Ali darauf konzentrierten Harrys Drumsticks - Spiel nicht zu verpassen, die den Takt vorgaben. 
Dann war es wieder soweit.

“This town is colder now, I think it's sick of us . It's time to make our move, I'm shakin off the rust 
I've got my heart set on anywhere but here”, began Aleyna zu singen und zu spielen.

Bis jetzt war noch alles in Ordnung. Ihr Gitarrenspiel laut und überzeugend, nichts zeugte davon, dass sie eine eigentlich verstümmelte Hand hatte, im Hintergrund Harrys Schlagzeug, das den Rhythmus des Songs so gut unterstützte und zu ihr Gesang passend.
Bis jetzt hatte sie auch nur den Anfang geschafft, der Song war noch in seiner Anfangsphase, aber diese Phase war überzeugend. 
Er hoffte nur, dass sie sich nicht erneut überschätzen würde, denn wenn sie weiterhin so stark auf die Saiten ihrer Gitarre einschlug würde sie es nicht mehr lange machen. 
Immer wieder streifte sein Blick ihre Hände. Noch gerade eben waren sie eiskalt und kaum bewegungsfähig gewesen und nun traf sie den Rhythmus des Songs so gut. 
Das war einer der Hürden des Songs, neben dem Transportieren von Gefühlen, es ging darum diesen unverwechselbaren Rhythmus gut zu imitieren, denn sonst war der ganze Song verloren und klang nur wie ein schlechter Abklatsch. 

„I'm staring down myself, counting up the years“, sang sie weiter und traf sogar den nicht ganz einfachen Klang des Wortes „Years“, der selbst im Original schief und hoch klang, aber er war wichtig. 
Er war wichtig, weil jeder diesen Song kannte und diesen abstrahierten Ton erwartete. Niall hatte ihr diesen Song nicht ohne Hintergrund gegeben, er wollte, dass sie Persönlichkeit zeigte und seiner Meinung nach eignete sich „Stop and Stare“, da besonders gut. 

Er und die anderen Jungs hatten abgesprochen, dass Niall Aleyna nicht in ihrem Gitarrenspiel unterstützen würde, es sei denn, sie schaffte es nicht mehr zu spielen. 
Bis dato ging es aber noch ganz gut, aber sie hatte noch mehr als die Hälfte des Songs vor sich.
Und da dieser Song ausnahmsweise etwas schneller war, erforderte er schlichtweg mehr Puste und er wusste nicht, ob Ali dem schon gewachsen war, aber natürlich würde sie hinterher immer sagen, dass sie wusste, dass sie es schaffte. Doch in dem Glitzern in ihren Augen konnte er immer sehen, dass sie Zweifel gehabt hatte. 
Die gleichen Zweifel, die immer in ihrem Blick auszumachen waren, woher auch immer.
Aber sie wollte sich ihm nicht öffnen, dass konnte er sehen, es ging ihr gegen den Strich über ihr Leben zu sprechen, als ob es gar nicht existieren würde und die Band das Einzige in ihrem Leben war. 
Das ist nicht deine Sache, sagte Niall sich immer wieder. Er hatte ihr angeboten mit ihm zu sprechen, sie wollte nicht. 

Harry gegenüber sprach sie wohl offener, auch wenn dieser Feigling nicht zu geben wollte, dass sie ihm gegenüber etwas erwähnt hatte, Niall wusste, dass da etwas war. 
Was er nicht wusste war ,warum ihn diese Tatsache so wütend machte.
Dann verstanden sich Harry und Aleyna nun einmal gut, war ja nichts gegen einzuwenden, aber er schmiss sich ihr auch regelrecht an den Hals. 

„Steady hands, just take the wheel... Every glance is killing me .Time to make one last appeal... for the life I lead”, sang sie und hielt weiterhin die Spannung aufrecht.

Selbst die kleine Pause im Original hatte sie übernommen. Gut so.
Bitte, versau den Refrain nicht, bat er. Erneut überkamen ihn die Ängste. Sonst hassen dich alle. 

„Stop and stare .I think I'm moving but I go nowhere. Yeah I know that everyone gets scared I become what I can't be, oh”, sang sie wütend und unachgiebig und irgendwie verletzt. 
Ja, schrei es raus, fieberte Niall mit. Rock das Ding. 

Und das tat sie, sie bewegte sich, beugte sich zum Publikum vor und nichts war mehr von ihrer Nervosität zu sehen, die sie vorhin noch so bestimmt hatte.
Natürlich war sie immer noch nervös, sie konnte ihm nichts mehr vormachen, er sah selbst jetzt, wo er hinter ihr stand, dass ihre Finger immer noch etwas zitterten, wenn sie auf die Saiten trafen und die Töne deshalb nicht hundertprozentig sauber waren, aber den Laien hier würde es wohl nicht auffallen. 
Auch ihr Schlaggitarrenspiel war noch Ausbau fähig, aber für den Anfang schon mal nicht schlecht. 
Louis oder er würden sich schon darum kümmern. 

„Stop and Stare. You start to wonder why you're 'here' not there . And you'd give anything to get what's fair . But fair ain't what you really need . Oh, can you see what I see”, ging sie in die zweite Runde des Refrains und powerte sich noch einmal richtig aus, sodass Niall Angst bekam sie würde es nicht mehr zum Ende des Songs schaffen. 

Aber das Publikum tobte, denn wenn sie wollte, dann konnte sie es verdammt nochmal. Nichts war mehr von der anfänglichen Müdigkeit und Bequemlichkeit zu erkennen. 
Er kaufte Ali die Verzweiflung und Enttäuschung ab, die sie vorgab zu fühlen, aber er kannte auch die Hintergründe dafür. Das, was die Anderen so an ihr begeisterten, war, dass man von so einem Mädchen, nicht eine solche Stärke erwarten würde. 
Nicht stimmlich gesehen, denn die war ähnlich zart wie sie selbst, sondern von den Worten, die sie ins Mikro schrie, dem Gitarrenspiel, ihren Bewegungen.  
Aber an ihren Gesang bei “Jar of Hearts” würde sie heute nicht heran kommen, vielleicht auch nie wieder , weil sie dieser Song so geprägt hatte.

„They're tryin to come back, all my senses push. Un-tie the weight bags, I never thought I could... Steady feet, don't fail me now Gonna run till you can't walk”, die nächste Strophe.
Sie würde es schaffen, redete Niall sich immer wieder gut zu. Er fühlte sich beinahe wie eine dieser übersteigerten und arroganten Ballettmütter, die ihre Kinder drillten, wo sie nur konnten. 

Aleyna war aber kein Kind mehr, rief er sich ins Gedächtnis. Sie war jung, aber kein Kind mehr. Sie konnte mit seinem Druck umgehen oder zumindest musste sie es wohl oder übel. 
Er ließ seinen Blick durch die Menge schweifen und entdeckte Ava, die ihn anerkennend lächelnd ansah.
Sie dachte wohl, dass Aleynas gute Leistung sein Verdienst war. Wenn er ihr erzählen würde, dass er den Song noch kein einziges Mal von Ali hatte singen hören, würde sie ausrasten und ihn verfluchen.
Andererseits war ihm Avas Geschwafel relativ egal, solange sie sie nur endlich ihr Album produzieren ließ.
Doch so wie er Ava kannte und manchmal auch hasste, würde sie darauf bestehen, dass Ali und er nicht nur das Duett heute singen würden, sondern danach noch das Andere, dass auf ihrer Liste stand.
Denn mit dem Song „Just A Kiss“ würden sie eine weitere Ebene erreichen und ihre Zielgruppe zudem erweitern und für Ava und ihr Label war das, alles was zählt. Zahlen und Profit. Niall schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf Aleynas Gesang, sie war gleich an der Bridge angelangt und musste ein Gitarrensolo spielen.
Sofort sah er wieder zu ihr hinüber und registrierte schnell, dass sie es nicht packen würde.
Ihre Stimme war nicht mehr ganz so stark, sie hatte vergessen an den richtigen Stellen, zu atmen, sodass ihr nun der Sauerstoff für die nötige Stärke ihrer Stimme fehlte, und ihre Finger wirkten deutlich schwächer. 
Planänderung, dachte Niall nur instinktiv und bewegte sich aus dem Schatten der Band hinaus und rüber zu Ali.
Er nickte ihr kurz zu und schon verstand sie. 
Als sie zu dem Solo kamen, spielten beide es, jedoch Nialls E - Gitarre so laut, dass Ali gar nicht mehr zu spielen brauchte. Sie hätte es auch nicht mehr geschafft.
Es war besser, wenn sie sich jetzt auf den Gesang konzentrierte und das tat sie. 
Sie konnten den Song nicht einfach so den Bach runter gehen lassen, nicht jetzt, wo sie sich die ganze Zeit so gut geschlagen hatte.

Harry, der ausnahmsweise ebenfalls schnell schalten konnte, erhöhte die Lautstärke seiner Drums und schlug fester zu.
Liam und Louis bemühten sich ebenfalls Alis Gitarre zu ersetzen, die das Stück gerade eben noch so gut gehalten hatte. 
Niall konnte in ihrem Gesicht die Enttäuschung über ihr kurzes Versagen lesen, doch da musste sie nun durch. Niall hoffte nur, sie konnte sich fassen. So viel Professionalität musste er ihr zu trauen. So viel Stärke musste er ihr noch zu trauen. 

„Stop and stare I think I'm moving but I go nowhere . Yeah I know that everyone gets scared . I become what I can't be “, erreichte Ali nun endlich den letzten Chorus, und riss sich tatsächlich noch einmal zusammen.
Niall überraschte es, dass sie es schaffte sich so am Riemen zu reißen, denn er sah ihr an, dass es ihr schwer fiel, denn ihre Finger schmerzten und viel Luft zu holen schaffte sie auch nicht. 
Die letzten Zeilen waren zwar deutlich ruhiger und demnach leichter zu singen, als der Rest des Liedes, aber sie musste ihre Stimme dafür unter Kontrolle halten.

„ Oh, do u see what I see...”, sang sie die letzten sehnsüchtigen Töne und hätte sich ihr Gesicht nicht von allein vor Schmerzen verzehrt, wäre es perfekt gewesen. 
Als sie schließlich endetete, war nicht nur die Erleichterung anzusehen.

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Was sagt ihr zu Nialls Gedanken gegenüber Harry? Etwas feindselig, oder?
Im nächsten Kapitel dann das langersehnte Duett von Ali und Niall.

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