~ Fünfzehn ~
Niall Drapierte sich leise im Nebenraum, der mit dem anderen durch eine Glasfront verbunden war, die etwa zwei Drittel der Wand einnahm.
Das bedeutete, wenn die Kleine sich mit dem Rücken zu dieser Wand hinsetzte, konnte er sie beobachten, und das war ihm eigentlich nur Recht.
Er wollte sehen, wie sie sich verhielt, auch anderen Menschen gegenüber. Leider konnte er dann nicht ihr Gesicht sehen.
Wie es rot anlief, wenn ihr etwas peinlich war oder wie sie entsetzt die Augen weitete, wenn man sie überrumpelt hatte. Aber vielleicht hatte auch dies seine positiven Seiten, so konnte er sich nur auf ihren Gesang konzentrieren und sich nicht weiter über ihr Verhalten pikieren.
Dann hörte er plötzlich Schritte, eine Tür die geöffnet wurde und High Heels, die auf das Parkett trafen.
Vorsichtig steckte er seinen linken Arm hoch, um den Knopf zu drücken, um alle Geräusche aus dem Nebenraum mitzubekommen.
Dabei verdrehte er seine Hand so, dass er den Schmerzenslaut, der ihm auf den Lippen lag, unterdrücken musste, was nicht unbedingt zur Verbesserung seiner Laune führte geschweige denn, zu der Linderung seiner Qual.
„Okay Aleyna“, sagte Ava gerade gedehnt.
„ Kann ich dich auch Ali nennen?“, fragte sie dann interrupt weiter.
Sie mochte es Menschen Spitznamen zu geben oder sie bei diesem zu nennen, vielleicht ein weiterer Grund, warum Ava Niall nur bedingt mochte.
Viel kürzer als fünf Buchstaben ging es bei ihm nicht. Vielleicht konnte sie noch Ni sagen, und sich Das andere einfach wegdenken, aber das war sicher nicht wirklich in ihrem Sinn gewesen, dachte Niall gerade belustigt.
Niall hatte bereits ein Lächeln auf den Lippen, und freute sich gespannt auf die Abfuhr der Kleinen bezüglich des Spitznamens. Zwar würde es die Situation und die Demütigung in die Ava ihn gebracht hatte nicht lindern, aber wenigstens fühlte er sich besser.
„Klar“, sagte die Kleine dann aber, und Niall konnte den empörten Ton, dem ihm über die Lippen kam nicht unterdrücken.
Die Kleine kannte Ava gerade mal ein paar Minuten und sie durfte ihr schon einen Spitznamen geben und er derjenige, der sie hier gerade unterstützte und ihr die Chance ihres Lebens gab, musste ihren vollen Namen aussprechen.
Vielleicht sollte er sie einfach zusammenstauchen und nach Hause schicken.
Niemand legte sich mit ihm an.
Allerdings blieb sein kleiner Ausbruch nicht unbemerkt, also beschloss er es einfach dabei zu belassen.
Niall hörte wie Ali- entschuldigt, Aleyna – hörbar nach Luft schnappte und Ava sich ärgerlich räusperte, die Art, wie sie es tat, wenn sie äußerst wütend war.
Er wünschte er könnte den Beiden jetzt ins Gesicht sehen. Es wäre sicherlich der größte Spaß seit Tagen gewesen.
„Na dann“, sagte Ava gerade und ignorierte Nialls Geräuschkulisse vollkommen, was ihm im Moment nur Recht war, denn er war, auch wenn er sich das ausreden wollte, gespannt auf Aleynas Stimme, die in diesem Raum bestimmt viel klarer und deutlicher heraus zu hören war. Vielleicht würde aber auch genau das, alles nehmen, was er im Flur der Musikschule an eine dicke Wand gepresst, gehört hatte, den leichten Zauber den er gehört hatte.
Hier stand sie praktisch nackt vor ihm.
Nur ihre Stimme, und eine wirklich gute Akustik.
„Ich habe gehört, dass du Gitarre spielst. Vielleicht willst du dich selbst begleiten, wenn es dir leichter fällt“, sagte Ava gerade.
Der freundliche, beinahe behutsame Ton mit dem sie zu der Kleinen sprach, überraschte ihn.
Er kannte ihn einfach nicht, da Ava den meisten Menschen gegenüber eine sehr kühle und reservierte Haltung einnahm.
Natürlich konnte sie so Aleyna besser aus der Reserve locken, aber es ärgerte ihn auch.
Die Kleine war schließlich sein Projekt – sollte sie wirklich so gut sein, wie er es sich eingebildet hatte.
Und nun krallte Ava sie ihm, allein durch ihre vollkommen überholte weibliche Freundlichkeit gegenüber Gleichgeschlechtlichen.
Und dann sprach man auch noch von Gleichberechtigung, er war der Kleinen gegenüber, doch auch oft genug nett gewesen oder zumindest ansatzweise freundlich.
Er hatte sie zumindest nicht ignoriert.
Das war doch schon mal etwas.
Außerdem sollte sie gleich lernen, dass sie nichts geschenkt bekommen würde und Ava verzog sie vollkommen!
Er spürte wie er innerlich wieder dem Ausrasten nah wahr, wo war seine Gelassenheit geblieben?
Bald würde er schon zum Lachen in den Keller gehen. Dass musste er unbedingt verhindern!
Niall konzentrierte sich nun wieder auf die Geräusche im Nebenraum, die Antwort der Kleinen hatte er nicht mitbekommen, aber er hörte nun wie etwas hinübergereicht wurde, vermutlich die Gitarre und spitzte gespannt die Ohren.
Aleyna spielte ein paar Takte, eines Stückes. Es war vermutlich Klassisch, aber nichts Besonderes. Nur ein paar Variationen des G – Dur Akkords. Aber der Song hatte trotzdem etwas Schönes an sich: Einen melodischen Verlauf, der einen an den Sommer erinnerte, aber ihm fehlte etwas.
Text und eine richtige Melodie und nicht nur Akkorde.
Er hörte wie sie andere Anschlagsarten des Akkords aus, die sich gar nicht mal so schlecht anhörten.
Wenn das hier aber etwas werden sollte, würde er sie auffordern ein anspruchsvolleres, klassisches Stück zu spielen. Vielleicht ließ sich daraus ja etwas machen.
Er hätte jetzt gern in das Gesicht der Kleinen blicken wollen.
Niall wollte sehen, ob ihr Körper sich dem Verlauf der Töne beugte. Ob sie ihre Augen schloss, wenn sie sang.
Oder ob sie sie weit geöffnet hatte und ihn mit ängstlichen Blicken ansehen würde.
Letztere Variante hätte ihm besonders gefallen.
„Wenn du so weit bist, fang einfach an“, sagte Ava gerade einfühlsam und Niall hörte wie sie sich auf einen Stuhl setzte und ihre Arme in den Schoss legte. Ihre vielen Armbänder klimperten dabei ganz furchtbar.
Auch Schmuck war nicht so wirklich sein Ding, aber er würde heute freundlicherweise darüber hinwegsehen.
Zum Musik machen war es aber einfach hinderlich, der Kleinen würde er so etwas nie durchgehen lassen. Seine Musik, seine Regeln.
Auch wenn das nicht ganz stimmte, sagte ihm eine Stimme im Kopf, die er gleich niederschlug.
„Well I've heard there was a secret chord .David played and pleased the Lord. But you don't really care for music, do ya ?”, sang sie plötzlich und er fuhr überrascht hoch.
Er hatte nicht wirklich erwartet sie jetzt zu hören – Ja, auch er konnte seine Schwächen haben – und ihre Stimme nun so klar und laut zu hören, war ein vollkommen neues Erlebnis.
Es war "Hallelujah", die Version von Kate Voegele. Sein Kopf forstete sofort die verschiedenen Genres durch und entschied sich letztendlich für eine Mischung von Indie, Pop – Rock und Akustischer Musik.
Er hörte sofort, dass Aleyna versuchte ihre Stimme in gewisser Weise nachzuahmen, aber ihre Stimme war so viel höher, dass das tiefe „Hallelujah“ wie Kate Voegele es sang, nicht ganz die gewünschte Wirkung erzielte.
Das merkte sie aber auch beim zweiten „Hallelujah“ - Nialls Meinung nach noch gerade rechtzeitig- und verbesserte sich.
Nun war es einfach höher und passte gut zu ihrer glasklaren Stimme.
Er war nicht enttäuscht, dass sie diesen Song gewählt hatte, er war einfach auf Gitarre zu spielen und ein Klassiker.
Aber das war auch Kansas – Dust In The Wind gewesen.
Niall hatte gehofft, dass sie etwas mehr von ihrer Musikwelt preisgeben würde, aber sie war verschwiegen geblieben.
Jetzt wusste er genau vier Dinge von ihr, stellte er überrascht fest.
Erstens: Sie hatte Angst ihre Singstimme zu benutzen, konnte es aber eigentlich ganz gut, wenn sie musste.
Zweitens: Sie scheint Simple Plan zu hören, zumindest, war sie vollkommen begeistert von dem Song gewesen und konnte nicht mehr stillhalten. Tja, ein guter Song bewegte entweder dein Herz oder deinen Arsch. Was hier vorlag war vollkommen klar.
Drittens: Sie wollte das hier wirklich.
Und das brachte ihn zu viertens: Er hatte sie damit vollkommen in der Hand.
Niall hörte an ihrer Stimme und am Verlauf des Stückes, dass sie sich steigerte, ihre Stimme wurde immer sicherer und klarer.
Sie nutzte die Akustik nun aus, weil sie erkannt hatte, dass diese nicht nur ihr Feind sondern auch Freund war.
Aber sie konnte noch mehr, zumindest sah er in ihr etwas Potenzial.
Denn was dem Song noch etwas fehlte war Herz und Hingabe.
Aleyna traute sich nicht ihre Gefühle in diesen Song zu legen, den Schmerz zu spüren.
Auch wenn er ihr Gesicht nicht sah, war er sich sicher, dass er dort Angst sehen würde, aber keine Trauer oder Verlust.
Nun war nur noch die Frage, wer sie dazu bringen konnte genau das alles zu tun.
Ava würde er diese Aufgabe nicht anvertrauen.
Natürlich würde sie mit ihr üben müssen– das musste seine ganze Band –, wenn Ava sie annahm, aber bei ihr würde es in männerfeindlichem Geplänkel ausarten.
Aber die Band würde es auch nicht hinbekommen, dafür würden sie alle viel zu enttäuscht und wütend auf ihn sein, dass Niall ihnen keine richtige Frau mitgebracht hatte, sondern eine kleine Schwester.
Mal abgesehen davon, sang keiner von ihnen wirklich ernsthaft.
Das hieß er würde das übernehmen müssen.
Doch so wie es gerade aussah und sich anhörte, brauchte sie alle ihre Tipps auf sanfte Tour beigebracht.
Und das würde er nicht können, aber damit musste sie sich abfinden.
Vielleicht würden sie es ja alle zusammen schaffen, aus diesem verängstigten Mädchen, eine Sängerin zu machen.
Wenn Ava zustimmen würde, denn sonst war das hier alles umsonst gewesen und noch dazu ein großer Reinfall und eine Demütigung für ihn und seine musikalischen Kenntnisse..
„Well maybe there is a God above. But all I've ever learned from love. Was how to shoot somebody who outdrew you .And it's not a cry you that hear at night. It's not somebody who's seen the light. It's a cold and it's a broken Hallelujah”, sang die Kleine nun die letzten Takte des Stückes und Niall bettete still mit ihr.
Bitte, eine Chance.
Eine verdammte Chance nur, damit er es sich endlich selbst beweisen konnte!
Aleyna sang die letzten, verzweifelten „Hallelujahs“ und Niall wünschte sich sie hätte die Lyrics des Songs nicht ganz so ernsthaft studiert und befolgt.
Nachdem sie geendet hatte, kauerte sich Niall weiter in die Ecke und hörte auf zu atmen, um alles mitzubekommen.
Doch es passierte nichts.
Er konnte hören wie im Nebenraum ein und ausgeatmet wurde.
Ein normales Ein – und Ausatmen war zu vernehmen, vermutlich war das Ava.
Doch einen zweiten Atem hörte er nicht. Entweder er war einfach doch zu weit entfernt, oder die Kleine war wirklich genauso aufgeregt wie er immer dachte.
Und einmal würde er sich nicht irren. Sie war aufgeregt und er konnte sie zum ersten Mal in der kurzen Zeit, in der sie sich kannten, ihre Angst nachvollziehen und verstehen.
„Tja, Aleyna“, sagte Ava nun langgezogen.
Nicht jedes Wort musste betont werden, Ava, dachte Niall wütend.
Nicht mal in der Lyrik und das hier war die alltägliche Sprache also: Komm zur Sache!
„Ich würde sagen, du bist dabei und hast Niall ganz schön den Hintern gerettet.“
Und dann konnte er sich nicht mehr halten, auch wenn Ava einen ziemlichen Seitenhieb auf ihn losgelassen hatte, und sprang erfreut auf und jubelte.
Was er dabei nicht bedacht oder erwartet hatte, war, dass im Nebenraum nun eine kleine - etwas wütende, aber teilweise auch überraschte – Aleyna stand und ihn nun aus großen Augen musterte.
Avas Anblick ersparte er sich zu diesem Zeitpunkt.
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Aleyna hat es geschafft. Sie ist über ihren Schatten gesprungen und hat Niall ganz schön überrascht. Hihi
Was sagt ihr zum Kapitel?
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