Epilog
Hektisches Treiben. Schritte. Ampeln, die schalteten. Autos hupten. Menschen telefonierten lautstark, Gelächter. Absätze, die immer wieder geräuschvoll auf die Straße trafen.
Leben.
Und mitten in diesem ganzen Leben war sie. Aleyna.
Sie hörte all diese Geräusche nicht. In ihren Ohren war nur die Musik. Ihre Beine bewegten sich im Rhythmus des Schlagzeuges. Die Menschen sahen zu ihr rüber. Sie wirkte glücklich, wie sie die dichtbefahrene Straße überquerte.
Die Hände in den Jackentaschen vergraben, in ihren Ohren weiße Kopfhörer.
Welche Gedanken den Menschen wohl durch den Kopf gingen, wenn sie sie sahen? Fragten sie sich, warum sie so glücklich war? Welchen Song sie gerade hörte? Und ob ihre Stimmung etwas mit der Musik zu tun hatte? Würden die Menschen diese Verbindung sehen, oder würden sie sie wie einen ganz normalen Teenager abstempeln?
Und konnten ihr nicht all diese Fragen egal sein?
Aleyna fühlte sich gut, wie immer, wenn die Musik ihr Begleiter war. Sie und die Musik, mehr brauchte es nicht, um sie glücklich zu machen. In diesem Augenblick fühlte sie sich so geborgen und beschützt, dass sie keine Menschen um sich herum brauchte, die Musik genügte.
In ihren Ohren erklangen gerade die letzten Takte von The Cure´s Friday I´m in love nach und sie lachte vor sich hin.
So hatte alles angefangen, dachte Aleyna schmunzelnd und warf einen Blick auf die Menschen neben sich, die schnell die Straße überquerten auf dem Weg zu einem wichtigen Treffen.
Sie alle waren in Eile, hektisch überquerten sie Ampeln ohne nach rechts oder links zu schauen oder sich an der Natur, dem städtischen Klima, der Atmosphäre zu erfreuen.
Aleyna war nicht in Eile. Endlich, sollte sie wohl hinzufügen. Sie hatte Zeit, sagte sie sich immer wieder, weil der Klang dieser Worte ihr immer noch das Herz anschwellen ließ.
Sie hatte Zeit. Selbst, wenn sie zu spät kommen würde, es war egal.
„I don't care if monday's blue ,tuesday's grey and wednesday too. thursday I don't care about you, it's friday I'm in love”, sang The Cure gerade und Aleyna konnte ihnen nur zustimmen. Es war Freitag, der erste Freitag nach den Ferien und sie war verliebt. Was konnte es Besseres geben?
Es war Freitag, sie war verliebt und auf dem Weg zu den Jungs, um einfach so mit dem Auto durch die Gegend zu fahren. Wie sie auf diese Idee gekommen sind?
Angefangen hatte es wohl mit dem Song „Everytime“ von Simple Plan, den Liam, Harry und Louis für sie gesungen hatten.
Es ging darum noch einen letzten Tag mit einer Person verbringen zu dürfen und an diesem Tag setzten sie sich ins Auto, um ziellos durch die Gegend zu fahren. Und da Aleyna dieses Wochenende noch nichts vorgehabt hatte – es stand ausnahmsweise einmal kein Konzert an – war die Sache schnell geklärt gewesen. Sie fuhren weg.
Aleyna war spät dran und die Jungs würden ihr sicherlich die Hölle heiß machen, aber im Moment interessierte sie das herzlich wenig. Sie baute darauf, dass Niall ebenfalls zu spät kommen würde und damit hatte sie schon fast gewonnen. Außerdem wollte sie diesen Moment einfach nur genießen. Sie war einfach nur glücklich, ohne einen bestimmten Grund dafür zu haben und allein diese Tatsache war es wert, gefeiert zu werden.
Manchmal war es so einfach glücklich zu sein. Ein guter Song, die richtige Einstellung und fertig war das Rezept für Glück. Natürlich war es nicht ganz so einfach. Die äußeren Begebenheiten mussten ebenfalls stimmen.
Aber diesmal stimmten sie, zumindest überwiegend.
Die Ferien waren zwar vorbei und Ali hatte weniger Zeit für No Name, wofür sie Niall das ein oder andere Mal gerne lynchte, aber sonst war alles so gut, wie noch nie zuvor.
Die Beziehung zwischen Ali und ihrer Mutter hatte sich verbessert. Sie ging nun zur Therapie, allerdings musste Scott sie mehr als nur dazu nötigen, aber Ali hatte das Gefühl, es half ihr, besser mit den Umständen fertig zu werden.
Ihr Verhältnis war immer noch unheimlich komplex und manchmal waren ihre Unterhaltungen sehr verkrampft, aber es wurde von Tag zu Tag besser.
Und das war der Funken Hoffnung, auf den Aleyna bauen würde. Es war nicht perfekt, aber nahezu.
Und wer wollte schon Perfektion? Das war doch langweilig. Perfektion war etwas für langweilige Menschen.
Für Menschen, die nie zu spät ins Bett gingen, ihre Kaffeetassen nicht morgens stehen ließen und nie vergaßen ihre Ohren zu waschen.
Nichts für sie.
Perfekt waren auch noch nicht ihre Entscheidungen bezüglich ihrer Zukunft.
Aleyna würde ihr Abi machen, aber was danach folgte, stand noch in den Sternen geschrieben. Vielleicht studierte sie tatsächlich klassische Gitarre und wurde Gitarrenlehrerin. Vielleicht würde sie auch einfach etwas Anderes tun, aber egal was sie tat, sie wusste, dass die Musik sie begleiten würde und das war ein unheimlich beruhigendes Gefühl.
Aber nicht alle ihre Beziehungen verliefen so harmonisch, wie die mit der Musik.
Ornella war immer noch wütend auf Ali und ignorierte sie in der Schule geflissentlich. Aber auch das bekümmerte sie nicht mehr.
Nicht, weil sie endlich verstanden hatte, dass sie ihr nichts Gutes wollte, das war ihr immer bewusst gewesen, sondern weil sie sich ohne sie nicht mehr einsam fühlte.
Das Einzige, was sie empfand, wenn sie Ornella begegnete, war Scham. Scham darüber, dass sie nicht mutig genug gewesen war sich von Ornella abzuwenden und allein zu sein. Scham darüber, dass sie ihr nicht schon vorher ihre Meinung gegeigt hatte.
Aber im Nachhinein war man immer schlauer. Aber wie hieß es so schön: Mutig ist nicht, wer keine Angst hat – mutig ist, wer trotz seiner Ängste handelt. Und das hatte sie letztendlich doch getan, wenn auch in der letzten Minute.
Aber von der Einhaltung eines gewissen Zeitrahmens war in dem Zitat nicht die Rede gewesen, dementsprechend konnte man ihr auch nichts vorwerfen.
„Ali!“, hörte sie plötzlich jemanden vor ihr rufen und sah ertappt auf.
Keine fünf Meter von ihr entfernt standen die Jungs – alle Jungs – und hielten nach ihr Ausschau.
Mist, Niall war pünktlich. Blödmann. Wenn man sich einmal auf jemandem verlassen wollte.
„Oh, hallo!“, erwiderte sie verlegen und trottete auf die vier zu, die sie bereits amüsiert musterten.
Während Liam, Louis und Harry sie herzlich willkommen hießen, blieb Niall nur noch, „Du bist zu spät“, zu sagen.
Ali verdrehte die Augen, während sie gleichzeitig still in sich hinein lächelte.
So hatte er sie begrüßt, als sie zu der ersten Bandprobe gekommen war. Irgendwie staute sich heute ein Déjà-vu Gefühl nach dem anderen in ihr an. Alles kam ihr so bekannt und gleichzeitig so fremd vor. Merkwürdig.
„Komm, lass uns fahren“, wandte sie sich an die Anderen und ignorierte Niall einfach. Es tat seinem Ego sowieso nicht besonders gut, wenn er so viel Aufmerksamkeit bekam. Dann fühlte er sich unbezwingbar. Und das war schließlich niemand.
„Wer fährt?“, wandte sich Liam an die anderen Jungs und brach damit eine riesige Diskussion vom Zaun.
„Ich, natürlich“, erwiderte Niall überzeugt. „Es ist mein Auto.“
„Und meins“, warf Harry ein, verstummte aber, nachdem Niall ihm einen vernichtenden Blick zu warf.
„Du sitzt auf dem Beifahrersitz“, gab Niall etwas nach.
Seine Güte hatte heute wohl keine Grenzen.
Harry verdrehte die Augen, lachte aber unbekümmert und setzte sich auf den Beifahrersitz ohne zu murren.
Louis und Niall diskutierten noch ein paar Minuten, während Liam und Ali sich schon einmal nach hinten setzten. Aleyna hatte nicht damit gerechnet, dass sie den exklusiven Sitz vorne ergattern würde, dafür war sie erst zu kurz dabei.
Mal abgesehen davon, handelte es bei allen vier Jungs, um Chauvinisten der feinsten Art.
„Erzähl mal, wie deine erste Klavierstunde lief, Liam“, wandte sie sich neugierig an ihn.
Auch Harry widmete seine Aufmerksamkeit Liam, der nicht so recht wusste, was er von der neu aufgeflammten Neugierde für ihn halten sollte.
„Ganz in Ordnung, denke ich“, erwiderte er achselzuckend.
„Du hast doch das kleine Mädchen unterrichtet, oder?“, bohrte Aleyna weiter. „War sicherlich nervig ihr bei ihren Anfängen zu helfen, weil sie erst einmal alles falsch gemacht hat, oder?“
„Na ja“, druckste Liam herum, doch Ali kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er ein Pendant war, wenn es um das Klavier spielen ging.
Es war ihm sicherlich schwer gefallen, sie nicht vom Schemel zu schubsen und selbst zu spielen.
„Das Klavier musste schon ganz schön leiden, sie war nicht gerade zimperlich, aber der Job ist besser, als irgendwo Pizza auszuliefern. Wenigstens kann ich etwas machen, dass ich gern tue. Und für das Klavier habe ich auch schon eine Lösung gefunden – das Keyboard benutze ich für den Unterricht und nächste Woche wird mein Klavier von zu Hause zu uns in den Proberaum gebracht.“
Ihre Augen weiteten sich ein Stück, als Aleyna hörte, was er sagte.
Hatte er tatsächlich von dem Klavier bei seinen Eltern gesprochen? Das konnte doch nicht wahr sein.
„Du warst bei deinen Eltern“, schoss es aus Ali heraus, bevor sie darüber nachdenken konnte.
„Ja“, erwiderte Liam ruhiger, als sie gedacht hatte. „Es ist schließlich mein Klavier und ich musste lange genug darauf warten.“
„Und deine Eltern waren damit einverstanden?!“, fragte sie ihn weiterhin verwundert.
„Ja, sie wollten es mir schon lange geben, haben sich aber genauso wie ich nicht getraut anzurufen.“
„Das heißt, alles zwischen euch ist wieder… in Ordnung?“
„Na ja… nicht in Ordnung, aber wir haben uns auf einen Waffenstillstand geeinigt – sie sind schließlich immer noch meine Eltern. Und wenn Eltern ihre Kinder nicht verstoßen können, weil sie nun einmal ihre Kinder sind, dann können Kinder das ebenso wenig“, murmelte Liam schmunzelnd.
Aleyna lächelte.
„Das ist gut“, flüsterte sie mehr zu sich selbst, als zu Liam, in Gedanken an ihre Eltern.
Mit ihrer Mutter hatte sie wohl so etwas Ähnliches erlebt, aber ihr Vater… tja für manche Dinge war es wohl einfach schon zu spät.
Bevor das Schweigen zwischen ihnen unangenehm wurde, ließen Niall und Louis sich ebenfalls im Auto nieder.
Niall – wie sollte es auch anders sein – am Steuer und Louis hinten bei ihr und Liam.
Aleyna lachte erstickt, während Harry ihr einen belustigten Blick zu warf.
„Okay“, wandte sich Niall an die Anderen, während er sich häuslich einrichtete. „Jetzt brauchen wir nur noch den perfekten Soundtrack. Irgendwelche Vorschläge?“
„Linkin Park – Hybird Theory“, schlug Louis vor.
„Black Eyed Peas – Elephunk“, war Harrys Idee.
„Keane – Under The Iron Sea”. Liam.
“Fall Out Boy – From Under The Cork Tree.” Sie musste wohl nicht unbedingt erwähnen, dass es sich dabei um Nialls brillante Idee handelte.
„Nein!“, stieß Aleyna schließlich genervt aus. „Kein Fall Out Boy mehr und vor allem kein Little Less Sixteen Candles mehr.“
Niall lachte daraufhin nur schadenfroh, während die Anderen es dabei beließen, Aleyna nur merkwürdig zu mustern, weil sie nicht verstanden, worum es bei ihrem kleinen Schlagabtausch ging.
„Wir hören Simple Plan – Still Not Getting Any, das ist doch klar“, schaltete sie sich schließlich ein. „Everytime ist schließlich der Song, der uns auf diese Idee gebracht hat.“
„Nein“, stieß Niall sofort herrisch aus, während die anderen Jungs, ihr zustimmend, brummten.
„Überstimmt“, entgegnete Ali Niall schadenfroh, während Harry die CD in den, dafür vorgesehenen Schlitz schob.
Keine Sekunde später erklang bereits die leichte Melodie, die Ali dazu anstiftete mitzusingen, ohne nach Perfektion zu streben.
„It was three AM when you woke me up. And we jumped in the car and drove as far as we could go. Just to get away. We talked about our lives until the sun came up. And now I'm thinking about how I wish I could go back. Just for one more day. One more day with you.”
Ali strahlte die Jungs an, die sie verwundert musterten, sich aber hin und wieder ebenfalls ein kurzes Schmunzeln gestatten. Auch Niall, der ihr oft eher feindselig oder von oben herab begegnete, trommelte mit den Fingern auf seinem Lenkrad im Takt mit.
„Meiner Meinung nach sollte ich auch noch einmal Teil des Debakels werden, wenn Louis anfängt zu singen, das wär nur fair, letztes Mal habe ich es schließlich verpasst“, wandte sich Niall grinsend an die Anderen und warf ihr, über die Schulter hinweg, einen gewieften Blick zu.
Sie schüttelte nur tadelnd den Kopf, konnte sich aber ein Lächeln nur schwer verkneifen.
„Das war eine Privatvorstellung für Ali“, erwiderte Louis ihm leichthin, anders als Ali vermutet hatte, nahm er Niall seine gemeine Bemerkung nicht übel.
Aber so war das nun mal, wenn man sich so lange kannte. Irgendwann kannte man die Macken des Anderen und konnte daraufhin reagieren. Für Ali sahen sie manchmal aus wie Brüder. Galt für Brüder nicht das Gleiche wie für Eltern und Kinder?
Man konnte sie einfach nicht loswerden. Sie würden immer da sein, wenn nicht physisch, dann zumindest psychisch. Und wenn Eltern ihre Kinder nicht verstoßen können, weil sie nun einmal ihre Kinder sind, dann können Kinder das ebenso wenig, waren Liams Worte gewesen und auf eine verquere Art und Weise hatte er recht damit gehabt.
Vielleicht war es aber auch gar nicht so komplex, wie sie immer gedacht hatte. Im Grunde war Liams Begründung ziemlich einleuchtend und wenig komplex gewesen.
Man konnte seine Eltern nicht loswerden. Punkt, Aus, Ende.
„Du kamst ja zu spät“, stimmte Liam Louis zu.
„Mal wieder“, fügte Harry lachend hinzu und verdrehte leichtfertig die Augen.
Ali zog es vor nur mit den Schultern zu zucken und Niall nicht weiter zu verärgern.
Er war in letzter Zeit sowieso leicht reizbar gewesen, weil sie zu wenig Zeit für No Name und die Aufnahmen im Plattenstudio hatte und immer mehr Zeit für die Schule.
Nicht, dass er ihr das direkt vorhalten würde, aber er ließ sie spüren, dass ihm diese Entwicklung eindeutig gegen den Strich ging.
„Ist klar“, murmelte Niall nur beleidigt. „Dafür, dass ich immer so spät dran bin, habe ich diese Woche aber ganz schön viel geschafft. Zwei neue Songs sind fertig und wir haben Sunny Afternoon with Ali eingespielt. Was habt ihr so geschafft, außer zu schlafen und zu essen und – natürlich - mir auf die Nerven zu gehen?“
„Also ich hatte vier Klavierschüler, habe mein Klavier von zu Hause organisiert, damit wir auf der Platte nachher ein qualitativ hochwertiges Klavier haben, und die Pianostimme für Sunny Afternonn eingespielt“, zählte Liam stolz auf.
„Ich habe die zweite Gitarre für den Song eingespielt“, rechtfertigte Louis sich, als alle Blicken von einem Moment auf dem Anderen auf ihm lagen.
„Ich habe den Rhythmus für Nialls neues Stück geliefert“, redete Harry sich schnell aus der Affäre.
Und dann lagen auf einmal alle Blicke auf Aleyna.
Liam, Harry und Louis sahen sie nur neugierig und eine Spur belustigt an, doch Niall durchbohrte sie beinahe mit seinen Blicken.
So viel zu seiner Art, sie spüren zu lassen, dass ihm etwas nicht gefiel. Er konnte es auch direkt.
„Ich habe die Weichen für meine Zukunft gestellt und das neun Stunden pro Tag“, erwiderte sie flapsig, während Niall nur abwertend mit der Zunge schnalzte.
„Und ich war beim Gitarrenunterricht“, fühlte sie sich bemüßigt hinzuzufügen, bevor sie Niall wieder mit seinem Dolchblick zum Verstummen brachte.
„Und was hast du zur neuen Platten beigetragen?“, fragte er vorwurfsvoll.
Ali verdrehte die Augen. Er konnte nur wirklich glücklich sein, wenn er sich mit ihr stritt. Am besten noch vor den Jungs. Nur diese Kombination bot ihm die vollkommene Erfüllung, aber wenn es ihm half, dann stritt sie gerne mit ihm.
„Ich durfte nicht bei Sunny Afternoon mitarbeiten, hast du das vergessen? Das waren deine Worte und von den neuen Songs wusste ich nichts – konnte ja keiner ahnen, dass du innerhalb einer Woche zur Songschreibmachine mutierst. Aber ich kann dir gerne helfen, wenn du willst“, entgegnete sie ihm patzig und verschränkte wütend die Hände vor der Brust, doch als Niall ihr einen belustigten Blick zu warf und sie freundlich musterte, konnte sie nicht anders, als ebenfalls loszulachen.
„Wie heißt der Song denn?“, fragte Aleyna, als sie sich wiedereingekriegt hatte.
„Fathers and Daughters“, antwortete Niall entschlossen, beobachtete ihre Reaktionen aber aufmerksam.
Ali konnte nicht anders. Sie zuckte kurz zusammen, fasste sich aber sofort wieder.
Aber sie hatte lange genug Schwäche gezeigt, um Niall einen deutlichen Vorsprung und eine Steilvorlage in ihrer Diskussion zu geben.
„Da bin ich wohl die falsche Ansprechperson“, erwiderte Ali frostig und lehnte sich wieder nach hinten zu den Anderen.
„Schade“, antwortete ihr Niall scheinheilig, den Blick starr nach vorne auf die Straße gesenkt. „Dabei dachte ich eigentlich, du würdest ihn einsingen. Eine männliche Stimme scheint bei diesem Titel wohl nicht besonders angebracht.“
„Bedaure“, erwiderte Aleyna eine Spur zu übersteigert. „Das kann ich leider nicht tun.“
„Dann muss ich wohl eine andere Sängerin suchen, die sich in der Lage sieht, diesen Song authentisch zu singen und etwas mehr Zeit als du hat.“
„Du bist so ein Idiot, Niall“, brach es plötzlich aus ihr heraus, sodass die anderen Jungs angesichts ihrer gesteigerten Lautstärke zusammenzuckten.
„Ich will mein Abitur machen, das braucht nun mal Zeit, aber ich habe No Name nicht vergessen. Und ich bin verdammt nochmal in der Lage den Song authentisch zu singen.“
„Gut“, sagte Niall nur finster, bevor sich ein leises Lächeln auf sein Gesicht schlich. „Sehr gut, dann sehen wir uns morgen zur Aufnahme.“
„Aber… ich habe keine…“, widersprach sie ihm sofort, bis ihr klar wurde, dass er sie erneut hereingelegt und damit genau das erreicht hatte, was er wollte.
Sie nahm sich mehr Zeit für die Musik. Seine Musik.
Niall warf ihr einen flüchtigen Blick zu, als er merkte, dass Ali nicht weitersprach.
„Geh mir aus den Augen, du Manipulator“, wies sie ihn forsch an.
Neben ihr hörte sie Louis und Liam leise lachen.
Da hatte sie ihnen ja wieder eine prima Show geliefert. Aber zu viel Spaß sollten die Beiden auch nicht haben, deswegen stieß sie ihnen mit dem Ellenbogen in die Seite und sie begannen schmerzerfüllt aufzustöhnen. Gleiches Recht für alle, schmunzelte Ali nur.
Sie wusste, dass Niall es auf seine merkwürdige Art und Weise nur gut meinte. Er mischte sich nicht in ihre Angelegenheiten ein, zumindest nicht direkt, aber indirekt, wie zum Beispiel mit dem Song. Und das war Aleyna schon wieder eine Spur zu direkt gewesen. Es war ihre Entscheidung, ob sie ihrem Vater verzeihen würde.
Nicht seine.
„Everytime I see your face. Everytime you look my way. It's like it all falls into place. Everything feels right. Ever since you walked away you left my life in disarray. All I want is one more day. It's all I need: one more day with you”, sang Niall plötzlich wieder leise vor sich hin.
Ein Lächeln bereitete sich auf ihrem Gesicht aus. Das war Nialls Art sich bei ihr zu entschuldigen. Durch die Blume und so verzweigt, dass die Entschuldigung dahinter, nur noch schemenhaft zu erkennen war.
Und sie verzieh ihm. Vielleicht genauso kompliziert, denn weder lächelte sie ihn an, noch gab sie ihm durch eine Berührung zu verstehen, dass alles in Ordnung war, sie sang einfach mit.
Und auch wenn das nicht unbedingt für ihre gesunde Psyche stand, Konflikte so aus dem Weg zu räumen, ihr half es.
Sie waren Musiker, sie liebten mit der Musik, stritten sich zur Musik und verziehen sich auch mit ihr im Gepäck.
Und genauso sollte es sein.
Eine friedliche Ruhe kehrte ins Auto ein, die Ali dazu nutze, sehnsüchtig aus dem Fenster zu sehen und die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht zu genießen. Viele würde es nicht mehr geben und sie würde jeden einzelnen Strahlen genießen, als ob es die letzten wären.
Auch, wenn sie nur durch die dichtbebaute Stadt mit den grauen Wohnhäusern fuhren, Alis Augen verliehen auch ihnen einen kaum sichtbaren Glanz.
Schreiende Kinder verwandelten sich in stille Kleinkinder mit rosa Wangen, gestresste Mütter in eine liebevolle Mutter Theresa und das Hupen ungeduldiger Autofahrer wurde zu einem ganz eigenen Musikstück.
Es war einfach glücklich zu sein, vielleicht genauso einfach wie unglücklich zu sein. Was zwischen diesen Zuständen stand, war ein winziger Augenblick, ein einziges Wort oder ein einziger Blick, vielleicht noch nicht einmal eine ganze Sekunde.
Und so schnell war es weg oder wieder greifbar. Es würde alles gut werden, sprach Ali sich Mut zu. Sie hatte eine Familie, Freunde und einen unheimlich netten Gitarrenlehrer, es würde alles gut werden.
Nicht jeder Mensch brauchte einen Vater, um sein Glück zu vollkommenen, manche gaben sich auch mit weniger zufrieden und blieben bescheiden. Wie sie zum Beispiel.
Doch Alis Optimismus hielt nicht lange an. Spätestens als Niall das Auto, dessen röhrender Motor kaum zu überhören für normale Menschen war – aber was hieß das schon - ,fluchend an die Seite fuhr, hätte ihr bewusst sein müssen, dass es mit der friedlichen Stille und dem Schwelgen in glückseeligen Momenten vorbei war.
„Scheiße! Verdammt!“, stieß Niall zum gefühlten hunderttausendsten Mal aus, während er immer wieder unkontrolliert auf das Lenkrad einschlug.
„Niall, meinst du nicht, dass das Auto für solche brutalen Aktionen nicht ein bisschen zu alt ist?“, wandte Harry leise ein, aber ein hasserfüllter Blick von Niall genügte, um ihn wieder zum Schweigen zum Bringen. Der Arme.
„Scheiß Ding – wer hat vergessen zu tanken?“, fuhr er die Jungs zornig an.
„Ähhm, Niall“, bemerkte Harry vorsichtig, grinste aber schelmisch vor sich hin. „Es ist unser Auto und diese Woche warst du dran, ich habe es mir aufgeschrieben.“
Ali begann erstickt zu lachen und nach und nach trauten sich die Jungs ebenfalls ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Nur Niall sah weiterhin finster drein.
Dann schossen Aleyna plötzlich die Zeilen von Everytime durch den Kopf und sie begann sie leise vor sich hin zu singen: „When the car broke down we just kept walkin along, til we hit this town. There was nothing there at all but that was all okay.”
Selbst als Niall ihr einen warnenden Blick über die Schulter zu warf, hörte sie nicht auf zu singen und lächelte ihn stattdessen sorglos an.
Na und? Dann hatten sie eben kein Benzin mehr. Sie würden schon irgendwie nach Hause kommen.
„Wie lange sind wir eigentlich schon von zu Hause entfernt?“, traute sie sich schließlich zu fragen.
„Etwa eine halbe Stunde, nicht länger, wir müssen nur eine Tankstelle finden, dann können wir weiterfahren“, erklärte Niall ihr müde und rieb sich seufzend die Stirn.
„Und wenn wir es nicht machen?“, schlug sie kurzerhand, von ihrem jugendlichen Leichtsinn getrieben, vor.
„Wie stellst du dir das vor?“, fragte Niall sie, nicht besonders begeistert.
„Wir wollten doch einfach durch die Gegend fahren, egal wohin. Das können wir doch auch zu Fuß machen.“
„Und was gibt´s hier denn schon in der Gegend außer ein paar große Wolkenkratzer und eine Menge Supermärkte?“
Ali dachte nach. Sie waren nur eine halbe Stunde von zu Hause entfernt. Der Friedhof auf dem ihr Vater beerdigt war, war eine halbe Stunde von zu Hause entfernt. Und sie kannte die Gegend. Am Tag seiner Beerdigung war sie mit ihrer Mutter hier gewesen- im Gegensatz zu ihrer Mutter war sie aber vor dem Friedhof nicht ausgestiegen, sondern im Auto sitzengeblieben.
Gab es so etwas wie die Ironie des Schicksals? Selbst wenn nicht, diese Situation kam dem verdächtig nahe.
„Ich habe eine Idee, wohin wir gehen können“, stieß sie intuitiv aus, ohne weiter über ihr Vorhaben zu sinnieren.
„Und wohin bitte?“, entgegnete Niall ihr genervt.
„Zum Friedhof.“
Nialls Blick sagte mehr als tausend Worte: Du bist nicht mehr ganz klar im Kopf. Aber das hatte er schließlich auch vorher gewusst.
„Der Song heißt Fathers and Daughters, oder?, fragte sie ihn vollkommen aus dem Zusammenhang gegriffen.
Niall nickte, während es in seinem Kopf heftig zu rumoren schien. Er begriff langsam, worauf sie hinauswollte.
„Ich soll ihn singen.“ Er nickte erneut. „Und worum handelt der Song?“
„Darüber, dass man sich seine Eltern leider und glücklicherweise nicht aussuchen kann, dass Eltern, Eltern bleiben, auch wenn ihre Kinder sie verstoßen und dass Kinder, Kinder bleiben, auch wenn sie ihre Eltern nicht immer glücklich machen.“
Und wenn Eltern ihre Kinder nicht verstoßen konnten weil sie nun einmal ihre Kinder sind, dann können Kinder das ebenso wenig, hatte Liam gesagt. Er hatte recht. Es war noch nicht zu spät.
„I set my clocks early ´cause I know I´m always late”, hatte Fall Out Boy in einer ihrer Songs einmal gesungen.
Vielleicht traf das auch auf sie zu.
Mit ihrer Mutter hatte das doch auch geklappt. Irgendwie. Zwar spät und vielleicht nicht besonders gut, aber sie lebten zusammen und unterhielten sich wieder miteinander.
Alles war besser, als ihre anfängliche Distanz.
„Gut“, erwiderte Aleyna schließlich. „Lass uns gehen.“
Es sollte der zweite Freitag in ihrem Leben werden, der sie verändern würde und das innerhalb von genau sechs Wochen.
“I set my clocks early ´cause I know I´m always late.”
-Ende-
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Das wars ihr lieben. Es ist zu Ende.
Wenn ihr eben schon ein Update bekommen habt. Sorry. Ich hatte die falsche Version hochgeladen. 😅
Aleyna ist wieder mit sich im reinen. Sie ist glücklich und zufrieden. Sie ist verliebt in Niall. Mit ihrer Mutter geht s bergauf und zu guter letzt der Gang zum Friedhof.
Ziel erreicht.
Ich hoffe euch hat der Epilog gefallen und vorallem das Buch an sich.
So ein Nachwort/Danksagung kommt nachher noch.
Jule xx
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