~ Einundzwanzig ~

„Also, ich habe irgendwie keine Lust zu üben, wie sieht's bei dir aus?“, fragte Harry Aleyna grinsend, als sie gerade den Übungsraum betreten hatten. 

Aleyna hatte ihn etwas verwirrt angesehen, denn seine Bandmitglieder waren, was das Üben betraf, deutlich engagierter und ehrgeiziger. 
Bei ihnen durfte sie sich keine Fehler erlauben und nicht lustlos erscheinen.
So auszusehen, als ob man vollkommen genervt oder schlimmer noch gelangweilt war, war gesellschaftlicher Selbstmord in dieser Band. 

Gestern hatte sich die Band zusammen mit ihr, nach der ersten Übungsstunde mit Liam getroffen und sie hatten den Song zum allerersten Mal gemeinsam gespielt. 
Das Chaos war vorprogrammiert , denn Louis hasste sie und hielt sie für vollkommen nutzlos, Harry lachte sich halbtot, Liam war von der mangelnden Professionalität seiner Band genervt und Niall machte Aleyna für seine schlecht gelaunte Band verantwortlich.

Aber um ehrlich zu sein: Mit Niall hatte sie nicht besonders viel gesprochen, er hatte sich meist zurückgehalten, wenn es um die Kritik an ihrem Gesang ging
Entweder fand er ihren Gesang wirklich in Ordnung – was Aleyna eigentlich von vornherein ausgeschlossen hatte – oder er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Jungs bei Laune zu halten.

Ava war gestern nicht bei der Probe, deshalb musste sie allein gegen die dominanten Jungs ankommen. Louis hatte sie nach jeder Zeile unterbrochen und ihr gesagt, was sie alles falsch machte, Harry hatte nur gegrinst, Niall hatte Louis angeschrien, dass sie, wenn er so weiter machten, nie den Song einmal komplett durchspielen konnten und Liam hatte beleidigt auf seinem Keyboard herum geklimpert, weil Louis ihm die Schuld an Aleynas angeblich schlechtem Gesang gab. 
Nur um das hier einmal festzuhalten: Jungs konnten durchaus zickig sein, nur auf eine andere Art und Weise als Mädchen. Am Ende der Probe waren alle wütend und genervt aufeinander gewesen, nur Harry hatte weiterhin sein Grinsen im Gesicht halten können.

Nun lächelte er Aleyna erneut an, während er sich hinter sein Schlagzeug setzte und einen schnellen Rhythmus trommelte. Auch er schien, wie Liam, die Angewohnheit zu haben, sein Instrument als Beschäftigung zwischen dem einen oder anderen Leerlauf zu nutzen.
Aleyna konnte nicht anders, als über diese kleine Eigenheit in sich hinein zu grinsen.

„Mir egal, ich will nur nicht wie der letzte Idiot heute Abend dastehen, wie gestern. 
War nicht besonders angenehm von allen Seiten kritisiert zu werden.“ 

Harry grinst und schlug ein bisschen fester auf das Schlagzeug ein. Aleynas Blick wanderte wie von selbst auf seine Hände, die viel größer und grober waren, als Liams. 
Sie sahen aus, als ob sie schon eine Menge harte Arbeit verrichtet hätten, dachte sie verwundert. 
Auch seine restliche Erscheinung hatte etwas sehr Grobes, aber auch Attraktives an sich. 
Er hatte schmale Schultern, braune Haare, die er mit einer Mütze verdeckte, und klare, grüne Augen, die sie nun ebenfalls neugierig musterten. 

„Ach, das war doch gar nichts. So geht es immer zu“, erwiderte Harry unbesorgt. 

„Wenn ein notorischer Boss, der immer alles im Griff haben muss auf einen ebenso veranlagten Typen trifft und die Beiden auch noch lange befreundet sind, dann kann die ein oder andere Sache zu Missstimmung führen. 
Noch dazu hatten sie es mit einem sensiblen und beleidigten Musiker zu tun, der sich in seinem Stolz verletzt gefühlt hatte.“

Aleyna nickte, während sie versuchte die eben gewonnen Informationen möglichst schnell zu verarbeiten und in Verbindung zu setzten.

„Warte“, sagte sie, während es in ihrem Kopf immer weiter arbeitete. 

„Niall ist der besessene Chef, das war klar“, murmelte Aleyna mehr zu sich selbst, als zu Harry.

„Louis, der Freund, der auch immer recht haben möchte. Und Liam ist der verletzte Musiker“, fuhr sie fort. 

„Und ich bin die „Sache“, die zwischen ihnen steht?“, fragte Aleyna ungläubig. 

„Du hast es erraten“, rief Harry und hob seinen Stick in die Höhe.

„Und welche Rolle spielst du in diesem Drama?“, fragte sie neugierig , denn sie konnte Harry von allen Jungs am wenigsten einschätzen. 

„Tja“, sagte Harry und grinste sie an.

„Wenn wir das mal musikalisch betrachten wollen, bin ich, wenn Liam, die den Song immer veränderte Bridge, Louis, dass immer überaschende Intro und Niall, das feurige Outro…“, sinnierte Harry vor sich hin. 

„Dann bin ich wohl der immer beständige Refrain.“ 

Aleyna nickte ihm anerkennend zu, er war wirklich ein interessanter Mensch und seine Gedanken hatten Hand und Fuß, dass musste sie ihm lassen. 
Hinter der witzigen Fassade schien wirklich ein kluger Mensch zu stecker, der sein Wissen lieber für sich behielt anstatt damit zu prahlen. 
Sie hatte ihn ähnlich gesehen, aber das konnte doch nicht alles sein.

„Aber ein Refrain ist doch immer anders. Der erste Refrain ist überraschend und vielleicht noch vollkommen neu im Klang, der zweite lässt Spannung aufbauen und im letzten Refrain wird die Spannung endlich gelöst und alle Gefühle werden geradezu herausgeschrien“, spinnte sie seinen Vergleich weiter. 

„Nicht schlecht“, lobte Harry sie. „Da beschreibst du aber wohl eher dich selbst“, stellte er fest.

„Nein, nein, nein“, beeilte sich Aleyna zu sagen. „So bin ich nicht. Ich bin wohl eher die Strophe, der langsame Einstieg in etwas Großartiges, aber nie wirklich Teil dieses Erlebnisses. Immer irgendwie außen vor.“

„Du siehst dich vollkommen im falschem Licht“, wiedersprach ihr Harry. 

"Du wirst noch dieser schillernde Refrain werden, wenn du dich sicher fühlst. Dafür musst du aber kämpfen, auch gegen uns Jungs.“ 

Aleyna konnte ein ungläubiges Lachen nicht zurück halten.

„Du machst mich interessanter, als ich wirklich bin“, erwiderte sie.  

„Nein, das glaube ich nicht“, entgegnete Harry.

„Ich habe eigentlich eine ziemlich gute Menschenkenntniss. Und in dir steckt etwas, dass merke ich. Ich glaube, du könntest den Laden ganz schön aufrollen, wenn du nicht so Angst davor hättest, dich deswegen zu zanken.
Niall und Louis sind im Endeffekt auch nur launische Typen, die selber nicht wissen, was richtig ist.“ 

„Wieso hältst du dich dann so im Hintergrund, wenn es um Bandbesprechungen geht, wenn du doch sowieso weißt, wie alle Ticken?“, fragte sie, um irgendwie von ihrer Person abzulenken. 

„Die Jungs sind meine besten Freunde, ich kenne ihre Macken, aber sie gehören zu ihnen. Das macht sie einfach aus. Und es ist so viel interessanter Zuschauer dieses Schauspiels zu sein, dass sich dort gerade entwickelt, als Teil des Dramas zu werden“, sagte Harry lachend. 

Aleyna nickte, auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, von welchem Schauspiel er gerade redete.

„Und?“, fragte er sie, als er merkte, dass sie nun wieder aufnahmebereit war. 

„Wie sieht es bei dir aus? Was sagen deine Eltern dazu, dass du in einer Rockband mit deutlich älteren Jungs spielst?“

Aleyna wandte sich innerlich gegen diese Frage, denn obwohl sie wusste, dass sie irgendwann kommen würde, war sie nun vollkommen unvorbereitet. 
Als ihr Handy dann unvermittelt klingelte, konnte sie ihre Erleichterung kaum zurückhalten.
Ihr wurde noch eine Schonfrist gegeben. 
Doch dann fiel Aleynas Blick auf die vielen Anrufe in Abwesenheit und ihr Herz rutschte ihr automatisch in die Hose. 
Ihre Mutter hatte sie versucht anzurufen, mehrmals. 
Und auch Ornellas SMS, die sie ihr hinterlassen hatten, wurden immer ruppiger und bekamen einen leicht genervten Tonfall. Aleyna fühlte, wie sie aus dieser Traumwelt, in der nur die Musik zählte, gerissen wurde, und wieder in der Realität ankam. 
Es war fast so, als ob eine hinterlistige Stimme im Hintergrund ihr zuflüstern würde:

„Willkommen zu Hause, du Traumtänzerin.“ 

Als sie ihren Blick wieder auf Harry richtete, der sie bereits neugierig musterte, wurde ihr plötzlich sehr kalt und eine Gänsehaut bildete sich auf ihrem Armen.

„Ach, weißt du“, sagte Aleyna, während sie sich zu einem Lächeln zwang. 
„Eigentlich ist ihnen egal, was ich in meiner Freizeit tue.“ 

Harry lächelte sie an, und sie konnte die Nachsicht in seinem Blick spüren, ihm war bewusst, dass sie log, aber er klagte sie deshalb nicht an. 
Aleyna lächelte ihn dankbar an, dann hörte sie ihn sagen: 

„Komm ich bring dir ein bisschen Schlagzeug spielen bei, dass wird ein Spaß.“ 

Sofort fühlte sie sich ein kleines bisschen besser, doch die Angst, die sich nun in ihr Inneres geschlichen hatte, wurde von nun an für immer ihr Begleiter bleiben, da war sie sich ausnahmsweise sicher.

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Oh oh...
Ich vermute ihre Mutter hat raus gefunden, dass sie nicht zum Musikunterricht geht.

Oder was denkt ihr?

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