~ Eins ~

Hektisches Treiben. Schritte. Ampeln, die schalteten. Autos hupten. Menschen telefonierten lautstark, Gelächter. Absätze, die immer wieder geräuschvoll auf die Straße trafen. Leben. 

Und mitten in diesem ganzen Leben war sie, Aleyna. 

Sechzehn Jahre alt, gerade in die Oberstufe gekommen und auf dem Weg zu einem Konzert. Sie hörte all diese Geräusche nicht. In ihren Ohren war nur die Musik. Ihre Beine bewegten sich im Rhythmus des Schlagzeuges. Die Menschen sahen zu ihr herüber. Sie wirkte glücklich, wie sie die dichtbefahrene Straße überquerte. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, in ihren Ohren weiße Kopfhörer.  

Welche Gedanken den Menschen wohl durch den Kopf gingen, wenn sie sie sahen? Fragten sie sich, warum sie so glücklich war? Welchen Song sie gerade hörte? Ob ihre Stimmung etwas mit der Musik zu tun hatte? Konnten die Menschen diese Verbindung sehen, oder würden sie sie wie einen ganz normalen Teenager abstempeln? Und konnten ihr nicht all diese Fragen egal sein? 

Aleyna fühlte sich gut, wie immer, wenn die Musik ihr Begleiter war. Sie und die Musik, mehr brauchte es nicht, um sie glücklich zu machen. 
In ihren Ohren erklangen gerade die letzten Takte von The Cure´s  „Friday I'm in love“ nach und sie lachte glücklich vor sich hin. Diesen Song hatte sie immer wieder freitags gehört, wenn sie Schule hatte und so bis zum letzten Freitag des Schuljahres hin gefiebert, bis endlich Sommerferien waren. 

Nun war es wieder Freitag, der zweite Ferientag, und sie war auf dem Weg zu einem kleinen Konzert in einem Club, in den sogar sie durfte. 
Ihre Freundin Ornella wartete sicher schon auf sie, aber sie konnte es sich nicht nehmen lassen, noch kurz am Musikgeschäft vorbeizugehen und sich die Nase an der Fensterscheibe platt zu drücken. 

Sie zog sich die Kopfhörer aus den Ohren, presste lächelnd ihre Stirn fest gegen das kühle Glas und atmete einmal tief durch. Ihr warmer Atem hinterließ einen kreisförmigen Abdruck auf der Fensterscheibe über den sie schmunzelnd strich, um etwas sehen zu können. 

Drinnen saßen ein paar junge Männer, die augenscheinlich zu proben schienen. Wie immer fiel zuerst ihr Blick auf den Gitarristen, der lässig auf einem Tisch, der quer im Raum platziert war, saß, und unnachgiebig auf seine schwarz lackierte Westerngitarre einschlug.
Aleyna spürte wie ein Schauer ihren Körper überkam und sie kurz zusammenzuckte. Ihre Gedanken schweiften ein paar Straßen weiter, zu ihrer eigenen Gitarre: Sie würde es niemals wagen, sie so zu behandeln.

Ihre naturfarbene Konzertgitarre war seit sieben Jahren ihre einzige treue Begleiterin im Leben gewesen. Die Menschen, denen sie im Leben begegnete kamen und gingen. Sie verletzten sie, machten sie zu einem besseren Menschen, bauten eine Verbindung zu ihr auf und verließen sie dann wieder. Aber ihre Gitarre tat das nicht. Sie war immer da gewesen und sie würde immer da bleiben. 

Wieder verlor sie sich in der Betrachtung des Gitarristen, der wohl auch gleichzeitig Leadsänger zu sein schien. Anders ließ sich zumindest die Situation, in Anbetracht der Tatsache, dass ein Mikrofon vor ihm stand, nicht erklären. Lässig schlug er immer wieder kraftvoll über die Stahlsaiten seiner Gitarre, während ihn etwas friedvolles, nahezu tranceartiges zu umgeben schien. Er war gefangen in dem Bann der Musik, dachte Aleyna schmunzelnd. Kein unbedingt unbekanntes Gefühl für sie.

Ihr Blick schweifte weiter zu dem Bassisten, der den Kopf gesenkt hielt, und ganz darauf bedacht seinem Instrument die volle Aufmerksamkeit zu schenken. 
Alles um ihn herum schien zu verschwinden zu einer einzigen verschwommenen Farbkulisse. Eine Farbkulisse aus schwarzen, weißen, blauen und grünen Farbtönen, aber alles, was er wahrzunehmen schien, war das dunkle Braun seines Basses. 

Als nächstes blickte sie auf den Schlagzeuger, der seinen Kopf nickend im Rhythmus mit bewegte. Seine Bewegungen schienen so präzise auf den Rhythmus des Musikstückes angepasst, dass es Aleyna den Atem verschlug. Gleichzeitig erwischte sie sich dabei, wie sie immer wieder lautstark ausatmete, wenn er wieder einen Nick – Marathon überstanden hatte, ohne den Hut, der unsicher auf seinem Kopf zu sitzen schien, zu verlieren.

Als letztes sah sie den Keyboarder, der ebenso vertieft in seine Musik schien, wie seinen Kollegen zuvor. Aber im Gegensatz zu den anderen, konnte Aleyna auf seinem Gesicht, Furchen der Anspannung und Konzentration erkennen. Er wirkte nicht wie ein üblicher Rockmusiker.
Diesen ambitionierten, ja beinahe verbissenen Ausdruck kannte sie von den vielen klassischen Konzerten in der Musikschule, aber in dieser Szenerie hatte sie ihn als letztes erwartet. 

Dann endlich, als sie das Gefühl hatte sich jede Bewegung der Männer eingeprägt zu haben, verschwendete sie einen Gedanken daran, der Musik zu zu hören. Es dauerte nicht langer und sie erkannte den Song, der ihr ein Lächeln über die Lippen zauberte. 
„Little less, Sixteen Candels, A Little More >Touch Me<“. Fall Out Boy. 

Es war ein unglaublicher Song. Nicht nur, weil er laut und unnachgiebig war, sondern, weil er einem das Gefühl vermittelte, alles zu schaffen. Keine Grenzen, die zu strikt waren. Keine Hürden, die nicht überwunden werden könnten. Keine Angst und keine falsche Bescheidenheit. 
Alles, was dieser Song für Aleyna zu vermitteln schien, war, dass alles plötzlich wieder möglich schien. Und, das obwohl diese Aussage noch nicht mal im Entferntesten mit dem Inhalt des Stückes zu tun hatte. Im Grunde ging es lediglich um einen Jungen, der immer zu spät kam, um seine Freundin abzuholen.

Aber der Text sorgte nun mal nicht nur für die Stimmung, die der Song, dem Zuhörer vermitteln sollte. Er spielte zwar einen großen Teil bei der Vermittlung, aber letztendlich war es jedem selbst überlassen, ob er eher dem Worten glaubte, oder die Musik für sich sprechen ließ.
Und Aleyna ließ die Musik sprechen. Menschen konnten lügen. Sie konnten einem ein falsches Bild von einer völlig unbekannten Situation geben. Sie konnten manipulieren, täuschen, und Worte, in einen anderen Kontext bringen. Musik konnte das nicht. Sie war ehrlich und das beginnend bei dem leisen Intro, über den feurigen Refrain, bis hin zum sehnsüchtigen Outro. 

Aleyna würde sich immer für die Musik entscheiden. Wenn sie eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte, würde sie eher dem Song im Radio Glauben schenken, als den Menschen, den sie um Rat bat. Vielleicht war sie deswegen hoffnungslos verloren in einer Welt, in der die Menschen als Krone der Schöpfung angesehen werden, vielleicht hatte sie aber auch einfach nur einen Weg, ihr Misstrauen Menschen gegenüber mit etwas anderem zu überlagern. Der Musik.

Die Band spielte wirklich gut, gestand Aleyna sich sehnsüchtig, als sie wieder einen Blick auf die vier Jungs warf, die wie eine eingeschworene Gemeinschaft wirkten, und geradezu wie ein Uhrenwerk zu funktionieren schienen. Ein Uhrwerk, das nur aus vier Rädern bestand, aber trotzdem einwandfrei und nahtlos Funktionierte.

In diesem Moment überrollte sie, wie sie oft, die Einsamkeit und der Wunsch, selbst ihre Fähigkeiten so unter Beweis stellen zu können. Einmal warf sie noch einen Blick in das Innere des Musikgeschäfts, dann senkte sie ihren Blick wieder niedergeschmettert und zugleich vollkommen ernüchtert.

Vergiss es Aleyna, du wirst niemals so gut sein können, schalte sie sich selbst. Das ist einfach nicht dein Schicksal. 
Es war das Schicksal der mutigen, der kreativen und der verrückten Seelen. Das Schicksal der Menschen, denen nicht bei einem kleinen Vorspiel das Herz in die Hosen rutschte, deren Stimmen nicht zitterten, oder gar brachen, wenn sie eine kleine Melodie singen sollten. Menschen, die mutig genug waren, sich zu wünschen, sich einmal in eine tobende Menge gleiten zu lassen, die ihre Fähigkeiten am liebsten immer und überall unter Beweis stellen wollten, und das gleißende Scheinwerferlicht, den dunklen Bühnenboden, und den Lärm liebten. Mutige Menschen.
Aber das war sie schon lange nicht mehr gewesen.

Als sie plötzlich eine laute Stimme, wie aus Stahl aus ihren Gedanken riss, hob sie verwundert den Kopf an und blickte in das wütende Gesicht des Gitarristen, der gefährlich nah an der Fensterscheibe stand und sie mit verengten Augen und zusammengezogenen Augenbrauen anstarrte.

„Was machst du hier!?“, rief er laut, so laut, dass es selbst, gedämpft durch die Fensterscheibe, draußen unmissverständlich zu hören war. Seine Stimme war wie ein Peitschenhieb, durchfuhr sie durch Mark und Knochen und hinterließ lediglich das kleine, ängstliche Mädchen in ihr, das sie wohl oder übel noch zu sein schien.

Aleyna konnte sich nicht bewegen. Ihre Beine fühlten sich an wie Blei. Jeder Gedanken an einen möglichen Schritt, der sie aus dieser brenzligen Situation befreien konnte, schmerzte. 
Dann allerdings sah sie, wie der Gitarrist sich gefährlich nahe an der Tür befand, seine Hand auf die Klinke legte, und Aleyna spürte wie sie wieder Gefühl in ihre Beine bekam und Adrenalin durch ihren Körper rauschte. 

Gerade als er die Türklinge hinunter drücken wollte, drehte Aleyna sich schlagartig um und lief los. Sie lief und lief, vorbei an Menschen, die gemächlich an den Schaufenstern entlang spazierten und sie mit merkwürdigen Blicken und verächtlich erhobenen Augenbrauen bedachten, aber sie hörte erst auf sich zu beeilen, als sie um die Ecke gebogen war. 

Keuchend warf sie einen Blick auf ihre Uhr und erschrak. Das Konzert würde in 10 Minuten beginnen. Ornella würde sie umbringen! Schnell steckte sie sich ihre Kopfhörer wieder in die Ohren, und dann lief sie los, während Fall Out Boy in ihren Ohren: „I set my clocks early 'cause I know I'm always late” sang.

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Hallo hallo hallöle 😁

Willkommen zu meiner neuen Story. Es ist eine Niall FF. ❤

Ich hoffe, euch hat das erste Kapitel gefallen und ihr habt Lust auf die Story?

Das nächste Update wird am Freitag kommen.

Jule xx

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