~ Drei ~
Die Kleine konnte ihm fast leidtun, dachte Niall, während er die ersten Töne von Placebos „Post Blue“ auf seiner E – Gitarre anschlug.
Harrys Getrommel im Hintergrund gab ihm Halt, während er einen weiteren Blick auf die Kleine warf und sie mit seinen Blicken beinahe durchbohrte. Niall wusste, dass das hier nicht unbedingt die feine, englische Art war aber er war schließlich Musiker. Wer scherte sich da schon groß um Benimmregeln und Konventionen?
Er fühlte sich gut, wie immer, wenn er auf der Bühne stand. Die Akustik, die Musik, die Menschen, dass alles war genau sein Ding. Er war in seinem Element und niemand konnte seine gute Laune verderben, vor allem nicht, wenn er weiterhin das katholische Schulmädchen ansehen durfte, das so gar nicht glücklich war. Manche Menschen würden ihn deswegen schelten, aber er selbst war diese Person sicherlich nicht.
Er stellte sich ans Mikro, die E-Gitarre hing lässig um seine Schultern, die Scheinwerfer leuchteten blau in sein Gesicht und Liam, Harry und Louis sahen ihn erwartete an. Ihre Begeisterung steckte ihn an, und er sang klar und deutlich die ersten Worte des Songs:
„It's in the water baby, It's in the pills that bring you down.“
Er liebte diese erste Zeile des Stückes. Sie klang bedrohlich und zugleich so unheimlich mysteriös und geradezu herausfordernd. Niall wollte herausfordern. Er wollte provozieren, solange bis die Fassade buchstäblich jedes Menschen in diesem Raum gefallen war, und sie sich lediglich ihren Affekten hingaben.
Während er die Worte des Songs laut durch den Raum schrie, hing sein Blick dabei die ganze Zeit über an dem Mädchen, das sich so gar nicht wohlfühlte. Das Mädchen neben der Kleinen schien zu denken, dass Niall sie ansehen würde, jedoch verstärkte diese Tatsache seine gute Laune nur. Der Kerl neben ihr war vermutlich ihr Freund, so sah er zumindest aus, die Eifersucht in seinem Gesicht war nicht zu übersehen.
Er ließ sich von den Beiden nicht ablenken und konzentrierte sich weiterhin auf die Kleine, die deutlich mehr Provokationspotential zu bieten schien. Manchmal lächelte er sie an, scheinbar freundlich, aber die gefährliche Situation, in die sie sich begeben hatte, schien auch ihr nicht entgangen sein, und sie wusste seine Blicke zu deuten.
Sie versuchte mehrmals den Blick von ihm zu werfen, aber es half alles nicht am Ende lag ihr Blick trotzdem auf ihm. Oder eher: Sie war von seinem Blick gebannt.
Ihre Augen leuchteten in einem wiesengrün, wie er trotz der aufwendigen Beleuchtung erkannte. Sie hatte ein rundes Gesicht und straßenköterfarbende Haare, die zu einem Dutt gedreht war.
Für einen kurzen Augenblick durchfuhr Niall so etwas wie Unverständnis. Wieso trug eigentlich jede zweite Frau in diesem Sommer einen Dutt? Was störte sie denn daran ihre Haare offen zu lassen? Es gab nichts Sinnloseres bei einer Frau, als lange Haare, die sie versuchte hochzustecken.
Meistens sah es doch eher wie ein Vogelnest auf, anstatt einer eleganten Frisur und wirkte überhaupt nicht natürlich.
Die Kleine schien, trotz ihrer im Trend liegenden Frisur, hier nicht hinzupassen. Sie sah viel zu brav, zu ordentlich, zu angepasst auf. Nialls Blick blieb an ihrer Kleidung hing und er verdrehte die Augen. Genauso wie er vermutet hatte: Enganliegende Jeans, weiße Bluse und schwarze Ballerina.
So wie hundert andere Mädchen auf diesem Planeten auch.
Trotzdem schien ihr die Musik zu gefallen, zumindest augenscheinlich. In den Momenten, in denen sie nicht peinlichst darauf achtete normal auszusehen, schien sie das alles hier zu genießen. Zumindest die musikalische Seite an diesem Abend. Der Rest schien sie einfach nur zu verunsichern, und Niall genoss diese Unsicherheit.
Sie brachte ihn zu schmunzeln und war eine mehr als willkommene Abwechslung.
Als die letzten Takte des Songs erklangen, fixierte er die Kleine erneut mit seinem Blick und sang nur zu ihr: „It's between you and me.“
****************
Nur fürs Protokoll: Wenn sie sich das nächste Mal aus reiner Langeweile die Nase an einer Fensterscheibe plattdrückt, sollte sie sich eine Maskierung zu legen.
Aleyna sah in die blauen Augen des Gitarristen, die sie beinahe durchbohrten. Der Ausdruck seiner Augen, die Intensität der Situation, Aleynas Nerven, die zum Zerreißen gespannt waren…. all das hier nur wegen eines blöden Einfalls. Um genauer zu sein: Ihr blöder Einfall.
Die Augen des Gitarristen wandten sich schließlich von ihr ab, und sie atmete auf. Noch nie hatte sie eine solche Intimität in einem Blick entdecken können, noch nie hatte sie jemand so lange angesehen. Oder hatte sie sich das nur eingebildet?
Der Song ging zu Ende und damit auch die aufgebaute Spannung. Auch die Menschen um sie herum schienen auf zu atmen - hatten sie ebenfalls das Adrenalin gespürt, dass während des ganzen Stückes durch ihre Adern geschossen war?
Einen Moment lang fühlte Aleyna sich seltsam leer, das Adrenalin war ihrem Körper entschwunden und wurde durch eine unendliche Leere ersetzt. Sie war beinahe traurig darüber, dass der Song vorbei war. Denn trotz der peinlichen Situation hatte sie einen Song noch nie so intensiv miterleben können. Zumindest nicht, wenn sie ihn nur passiv, als Zuhörer erlebt hatte.
Das Publikum klatschte Beifall, auch Aleyna. Sie konnte die Begeisterung fühlen, die langsam wieder in ihr wuchs. Es war wie eine Achterbahn der Gefühle. Sie hatte Scham, Wut, Enttäuschung, Freude, Verunsicherung, Begeisterung empfinden können und das innerhalb einer halben Stunden.
Dazu war allein die Musik eines Musikers zuständig, der Emotionen und Gefühle in seinem Song darstellen und sie selbst empfinden konnte. Und selbst wenn sie immer noch peinlich berührt von ihrem Fehltritt war, eins musste sie der Band lassen: Sie waren wirklich gut und konnten ihr Publikum begeistern.
Was konnte ein Musiker mehr wollen?
Sie sah hinüber zu Ornella und David. Die Beiden konnten sich wohl für nichts weiter als sich selbst und ihre Berührungen und Bewegungen begeisterten. Ihre Berührungen wurden immer intimer und persönlicher, beinahe wollte sie sie schon fragen, ob sie sich nicht ein Hotelzimmer nehmen wollten. Aber das hätten die Beiden wohl nicht ganz so witzig gefunden.
Kurz entflammte eine Welle der Wut in Aleyna. Hier ging es um Musik, um wirklich gute Musik, Texte, Rhythmen und Melodien, die berühren sollten. Und die beiden schienen sich noch nicht einmal darum zu bemühen. Dabei schienen wir Menschen doch immerzu auf der Suche nach dem einen perfekten Song.
Wir alle wollten einen Song finden, der uns so stark berühren konnte, dass wir es zwar nicht aussprechen konnten, aber intuitiv wussten, dass dieser eine Song, derjenige war, der unser Leben für immer verändern würde.
Ging es nicht auch genau darum in der Liebe?
Einen Menschen zu finden, der uns glücklich machte, der uns auf eine Weise verstand wie niemand anders zuvor, ohne dass wir wirklich beschreiben können warum? Wir wussten es einfach.
Wir erkannten, dass wir unseren Fels in der Brandung gefunden hatten, auf den wir uns immer verlassen konnten. Genau das war die Musik für Aleyna geworden.
Ihr blickte schweifte zum Gitarristen der Band- sie konnte ihren Blick einfach nicht von ihm nehmen. Er wirkte so selbstsicher, die Gitarre hing locker an seiner Schulter, während er gerade mit einem seiner Bandkollegen scherzte. Seine blonden Haare wirkten durcheinander, so als ob er gerade eben aufgestanden wäre. Er trug ein blaues Shirt mit V- Ausschnitt, dass seine Augen so gut betonten und ein verwaschene Jeans. Sein Gesicht war unrasiert und seine Augenbrauen waren dicht, aber das störte das Gesamtbild nicht. Er war gutaussehend und er war sich dieser Tatsache bewusst.
Plötzlich bemerkte er ihren Blick auf ihn und er drehte sich selbstbewusst zu ihr um und lächelte sie an. Er wollte sie herausfordern - das Funkeln in seinen Augen verriet seine Absicht - aber das konnte er haben, dachte Aleyna angespornt, sie würde sich nicht noch einmal von ihm so aus der Bahn werfen lassen.
Nun war sie an der Reihe. Und sie würde nicht so schnell Gnade walten lassen wie er.
Als der nächste Song schließlich begann, huschte Aleyna ein Lächeln über das Gesicht. Linkin Park. „Numb“. Sie liebte die Aussage des Liedes, die Emotionen, die es dem Zuhörer vermittelte. Die Band hatte all ihre Emotionen in diesen Song gesteckt, es war als ob jemand all den angestauten Kummer und Schmerz endlich herausschrie. Doch obwohl sie dieser Song so unheimlich faszinierte, hatte sie nie in voller Lautstärke hören können. Jetzt war es soweit.
Aleyna spürte wie ihr Herz einen kurzen Sprung machte, als sie ihre Gedanken wieder zur Musik schweiften. Kurz lösten sich all ihre Vorsätze in Luft auf und eine merkwürdige Ruhe schlich sich in ihren Körper. Konnte man sich in Musik verlieben?, fragte sie sich, in der Gewissheit die Antwort bereits zu kennen. Ja, dachte sie.
Denn anders konnte man dieses Gefühl, dass Aleyna immer wieder spürte, sobald sie einen Song hörte nicht beschreiben.
Liebe.
------------
Niall und Aleyna scheinen beide eigentlich gleich zu denken sind aber trotzdem so unterschiedlich.
Was haltet ihr von den beiden?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top