~ Achtzehn ~
„Also was möchtest du?“, fragte Aleyna, als sie keine zwei Meter mehr von Niall entfernt war.
Sie behielt dennoch einen gewissen Sicherheitsabstand, bei Niall konnte man schließlich nie wissen.
„Ich bin auch froh dich zu sehen“, antwortet er, während ihm ein leises Lächeln über die Lippen fuhr.
„Kann ich jetzt bitte meine CD haben“, entgegnete sie, ohne Zeit zu verlieren.
Denn dieses Treffen war sinnlos, sie würde sich nicht ändern und Niall erst recht nicht. Bei ihm war die Sturheit angeboren.Die Sturheit und die Unhöflichkeit
„Natürlich“, antwortete er und hielt ihr die CD mit ausgestrecktem Arm hin, zog sie jedoch wieder zurück als Aleyna sie sich schnappen wollte.
„Hey!“, rief sie empört.
Sie würde ihn nicht bitten, die CD war schließlich ihr Eigentum.
„Du hast mich noch nicht ausreden lassen“, erwiderte er ruhig.
„Ich möchte erst mit dir sprechen.“
„Weißt du ich bin keine Masochist, also höre ich mir deine Demütigungen lieber nicht an“, entgegnete Aleyna sarkastisch und lieferte ihm mit dieser Aussage eine Steilvorlage.
„Ist da jemand in seinem Stolz verletzt?“, fragte Niall grinsend.
Und oh wunder, oh staune, er hatte sie wirklich genutzt.
„Nein“, erwiderte sie hart. „Ich kann nur nicht...“, ließ sie den Satz in der Luft hängen.
„Mit Kritik umgehen?“, beendete Niall ihren Satz.
„Weißt du was, du hast es einfach nicht verdient, dass ich dir überhaupt zu höre“ , antwortete sie erneut beleidigt.
„Denkst du das wirklich? Denn ich hätte dir etwas Wichtiges mitzuteilen.“
Niall zog eine Augenbraue in die Höhe und beobachtete sie spöttisch.
War ihr die CD wirklich so wichtig? Wenn sie jetzt ging, könnte sie ihn und die ganze Musikgeschichte einfach vergessen und so weiter machen wie bisher.
Aber sie ging nicht, denn ihre Neugierde siegte über den Überlebensinstinkt.
„Die CD muss dir ja echt ganz schön wichtig sein“, sinnierte er weiter.
„Du würdest dir dafür wirklich mein Gelaber anhören?“, fragte er spöttisch.
„Wie war das nochmal?“, fragte sie ihn und versuchte ihn mit ihren Blicken niederzustechen.
„Musik ist persönlich? Diese Musik hier“, sagte Aleyna und zeigte auf die CD in seiner Hand.
„Ist persönlich. Vielleicht nicht das persönlichste, was ich je gehört habe und überhaupt nicht dein Geschmack, aber für mich ist sie es.“
Niall hielt ihrem Blick stand, aber sein Gesicht zeigte keine Regung.
Kein Anflug von Verständnis, Anerkennung oder Emotionalität. Er heilt weiterhin seine spöttische Maske parat, nur um Aleyna zu beweisen, dass er der Stärkere war.
„Und wann hörst du diese Songs?“, fragte er sie unvermittelt.
Seine Frage überraschte sie, sie war persönlicher als sie gedacht hätte und wirklich ernst gemeint.
Aber sie würde nicht nachgeben, jetzt könnte sie endlich beweisen, dass auch in ihr eine Kämpferin steckte.
„Das ist meine Sache“, erwiderte Aleyna und konnte Niall aufstöhnen hören.
„Was denn?“, fragte sie ihn genervt.
„Genau das“, rief er aus. „Du sprichst von Persönlichkeit und Emotionalität der Musik, aber deine eigenen Gedanken behältst du für dich. Und genau deshalb kommst du nicht weiter.“
„Das ist ja nicht dein Problem!“, entgegnete sie wütend und energisch.
„Außerdem habe ich bei dir auch nicht gespürt, dass dich die Musik, die du spielst berührt.“
„Dich hat sie berührt“, antwortete Niall gelassen und sah ihr geradewegs in die Augen.
„Und ich bin um einiges erfahrener als du, aber um diese Erfahrung zu erlangen musste ich an meine Grenzen gehen. Aber bei einem Konzert auf dem ich spiele, da ist die Musik mein Job für den ich Geld bekomme, um meine Miete zu bezahlen.
Da haben Emotionen nichts zu suchen. Ich muss diese Gefühle bei dem Zuhörer wecken nicht bei mir selber. Und du bist das beste Beispiel dafür, dass es geklappt hat.“
„Erstens wiedersprichst du dir selber und zweitens“, Aleyna machte eine kleine Kunstpause, um ihm ins Gesicht zu blicken.
„Wieso bist du so verdammt arrogant?“
„Leyna, mach mich nicht wütend“, sagte Niall und funkelte sie aus seinen tiefblauen Augen an.
„Ich bin hierher gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, aber das hast du glaube ich nicht verdient.“
„Na dann, gib mir doch einfach die CD wieder und ich werde dich nie wieder wütend machen“, antwortete Aleyna ohne auf seine Worte wirklich einzugehen.
Er wollte sie nur mit der Entschuldigung locken, um sie dann zur Strecke zu bringen.
„Nein, erst will ich wissen, welchen Song, du gehört hast bevor ich gekommen bin.“
„Wieso glaubst du, dass ich Musik gehört habe, als du gekommen bist?“, warf sie sofort ein.
„Entweder hast du Musik gehört oder du bist taub, aber da ich ja eigentlich ein netter Mensch bin, habe ich auf ersteres getippt.
Oder willst du mir sagen, dass du deshalb die Töne bei dem Song so verhauen hast, weil du nicht richtig gehört hast.“
„What the hell“, sagte sie.
„Wie bitte?“, fragte Niall.
„What the hell. Das war der Song, denn ich gehört habe“, stößt sie hervor.
„Wow“, sagte Niall und pfiff anerkennend durch die Zähne.
„Dann warst du wohl wirklich wütend auf mich.“
Aleyna beschloss dieser rein rhetorisch gemeinten Frage keine Beachtung zu schenken.
„Okay. Es war nicht fair dich bloßgestellt zu haben und ich entschuldige mich dafür“, brachte er schließlich heraus, während sie ihn missbilligend musterte.
„Du glaubst mir nicht“, stellte er fest.
„Okay, dann muss ich es dir halt anders beweisen, dass ich es ernst meine“, murmelte er vor sich hin.
„Komm morgen zur Bandprobe. Den Raum kennst du ja bereits“, sagte er mit einem halben Lächeln auf dem Gesicht. Er würde auf diese Sache wohl den Rest ihres Lebens herumreiten.
„Dann gebe ich dir die CD wieder und du kannst mir beweisen, dass du es wert warst, dass ich mich für dich soweit aus dem Fenster bei den Jungs gelehnt habe. Schließlich bist du unsere neue Sängerin.“
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„She's an endless war . She's a hero for the lost cause . Like a hurricane in the heart of the devastation . She's a natural disaster . She's the last of the American girls”,
sang Green Day ihr gerade die Ohren voll, als Aleyna auf dem Weg zu der ersten Bandprobe ihres Lebens war.
Die Sonne schien, der Himmel war wolkenlos und die Menschen lächelten sie an, wenn sie ihnen über den Weg lief, während sie gerade auf dem Weg ins nächste Freibad waren. Es kam Aleyna so vor, als ob sie geradezu über die Straße stolzieren würde.
Sie fühlte sich so befreit, dass ihr das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht zu wischen war.
Sie spürte, dass ihre Mundwinkel bereits unkontrolliert zuckten und ihre Wangen zu schmerzen begannen, weil sie so lange nicht mehr so glücklich gewesen war, doch das interessierte sie nicht wirklich weiter.
Sie wollte über dieses Glück nicht nachdenken, sondern es einfach genießen.
Ihre Füße bewegten sich im Rhythmus des Songs, ihr Kopf wippte hin und her und ihre Augen sahen die Welt mit vollkommen anderen Augen.
Graue Wolkenkratzer wurden zu einem künstlerischen Statement, kaputte Gehwege zu einem Abenteuer, grimmige Autofahrer mit viel zu lauten Hupen zu einfachen Menschen, mit Hoch – und Tiefpunkten im Leben wie jeder Andere.
Wenn ihr Menschen auf ihrem Weg begegneten lächelte sie sie freundlich an und wünschte ihnen sogar einen schönen Tag.
Aleyna hatte die Großstadt immer geliebt, weil man hier anonym bleiben konnte.
Niemand kannte einen, man musste keine unnötigen Gespräche mit den Nachbarn führen, wegen derer man sonst gerne mindestens dreimal die Woche die Polizei rufen wollte, weil ihr Baum über den Zaun in den eigenen Garten wuchs.
Und genau diese Anonymität wollte sie nun fallen lassen, sie durchbrechen und einfach persönlich werden.
Auch wenn es nur durch eine einfache Begrüßung stattfand.
Die Reaktionen dieser Menschen waren fast ein Phänomen für sich:
Manche sahen sie verwirrt an und fragten sich, ob sie Aleyna schon jemals in ihrem Leben begegnet wären, andere sahen schnell weg aber es gab Menschen – und zwar nicht wenige – die sie ebenfalls freundlich begrüßten.
Ein Lächeln konnte so viel ändern, dachte Aleyna von ihrem aufkeimenden Optimismus.
Allein die Kaugummis, die ab und an unter der Schuhsohle ihrer Turnschuhe kleben blieben, wie in einer Großstadt so üblich, erinnerten sie daran, dass das hier die Realität war und nicht irgendein Traum aus dem sie voller Enttäuschung über das Irreale aufwachen würde.
Die Kaugummis und natürlich ihre Angst vor dem, was heute passieren würde.
Und so sehr sie sich auch auf diesen neuen Abschnitt in ihrem Leben freute, Angst davor hatte sie trotzdem.
Sie hatte Angst davor, die falschen Entscheidungen zu treffen, Menschen zu trauen, die eigentlich Fremde für sie waren und sich zu blamieren.
Aber andererseits war der Kampfeswille in ihr entflammt, Aleyna wollte es Niall beweisen, sie würde seine Demütigungen nicht einfach auf sich sitzen lassen.
Er hatte sich zwar bei ihr entschuldigt, aber das bedeutete noch lange nicht, dass nun alles in Ordnung war.
So einfach war sie nicht gestrickt. Auch wenn Niall das ganz anders sah.
Aber wie hieß es so schön?
Langwierige Rache war die Beste.
Sie würde es Niall, Ava und Ornella beweisen, dass mehr in ihr steckte, als das kleine brave Mädchen, dass sie alle kannten. Sie hatte Ornellas Anrufe immer noch nicht angenommen und alle zusätzlichen Gitarrenstunden mit Noah abgesagt.
Ihrer Mutter allerdings hatte sie genau die gegenteilige Situation aufgebunden, um ihr Fehlen zu rechtfertigen.
Sie wusste, dass sie sich damit in ganz schöne Schwierigkeiten bringen konnte, aber sie wollte das hier mehr als alles andere auf der Welt und dafür lohnte es sich doch zu kämpfen.
Auch wenn das hieß sich blöde Kommentare von Niall gefallen zu lassen, ihre Mutter zu belügen und Ornella die Tatsache zu verschweigen, dass sie die Sängerin einer Band war.
Aber Aleyna war eine Kämpferin, sie war das „Last Of The American Girl“, von dem Green Day in ihrem Song sang.
Ihre Finger trippelten nun wieder unkontrolliert auf ihrem Oberschenkel, während Aleyna wieder vollkommen eins mit dem Song wurde.
„She plays her vinyl records .Singing songs on the eve of destruction .She's a sucker for .All the criminals breaking the laws. She will come in first ”, sang Green Day nun wieder und Aleyna konnte sich kaum zurückhalten nicht mit zu singen und den mit wartenden Menschen an der Ampel eine willkommene Abwechslung zu bieten.
Während sie stillschweigend wartete, ihre Lippen aber zum Text lautlos bewegte, ließ sie ihren Blick durch die Gegend schweifen, über alte Häuser, hochmoderne Kaufhäuser und Grünanlagen, bis ihr Blick auf die Uhr am Kirchturm fiel und sie erschrocken feststellte, dass sie bereits eine halbe Stunde zu spät war.
Das konnte doch nicht wahr sein! Nicht schon wieder so ein Fettnäpfchen.
Sie war doch pünktlich losgegangen. Sie hatte extra darauf verzichtet sich noch ein drittes Mal umzuziehen und war in altem T – Shirt und Jeans losgelaufen.
Aleyna fokussierte ihren Blick noch einmal auf die Uhr nur um festzustellen, dass noch immer die gleiche Uhrzeit auf der Uhr zu sehen war.
Wie hatte sie nur so viel Zeit brauchen können? Diesen Weg schaffte sie sonst in zehn Minuten, selbst wenn sie zehn Minuten später losgegangen wäre, als eigentlich geplant war, kam die Rechnung immer noch nicht hin.
In Aleynas Kopf begann es auf Hochtouren zu arbeiten, während sie schlagartig aus ihrer Trance erwachte.
Das konnte nur bedeuten… Doch da hatte Green Day bereits wieder den Refrain, des in Endlosschleife laufenden Songs, angestimmt und Aleynas Wille den Sachverhalt aufzuklären, löste sich in Luft auf.
Stattdessen setzte ein Gefühl der vollkommenen Freiheit ein, dass sie tun und lassen konnte, was sie wollte.
Gerade als sie wieder wie in Trance den Lyrics folgte, tippte ihr ein alter Mann auf die Schulter, blickte sie grimmig an und bedeutete ihr weiter zu gehen.
Aleyna folgte schnell seiner ausgestreckten Hand, die sie auf eine grünleuchtende Ampel verwies.
Neben ihr stand niemand mehr, die meisten Menschen hatten die Straße schon überquert, aber es waren nicht die gleichen Leute, die sie gerade eben noch wahrgenommen hatte.
Was war denn jetzt schon wieder passiert?
Während sie sich langsam auf dem Weg machte die Straße ebenfalls zu überqueren, der alte Mann schob sie beinahe vorwärts, fiel ihr Blick wieder auf die Uhr.
Zehn Minuten waren vergangen, während sie den lauten Klängen gelauscht hatte.
Schon wieder spürte sie die Finger des Mannes an ihrer Schulter, doch sie war bereits losgelaufen.
Dazu ließ sich nur noch eins sagen: „She's a natural disaster.“ Danke, Green Day.
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Was denkt ihr? Wird Niall ausflippen das Aleyna zu spät kommt?
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