~ Achtunddreißig ~
Auf dem Weg zu Ali, überlegte Niall an jeder Kreuzung und jeder Ampel, ob er nicht doch umdrehen und nach Hause fahren sollte.
Ali kannte ihre Freundin, oder zumindest sollte sie sie kennen, und wenn sie so stark war, wie sie vorgab zu sein, konnte es ihr eigentlich auch egal sein, wenn Ornella sie rausschmiss.
Niall war nicht ihr Aufpasser, sie waren einfach nur Bandkollegen. Sie arbeiteten zusammen.
Nicht mehr und nicht weniger. Eine rein berufliche Beziehung. Wenn Niall sich aber nun in ihr Privatleben einmischte, würde diese rein platonische Beziehung ins Wanken geraten.
Sie würde kompliziert werden, weil sie Dinge voneinander wussten.
Aber andererseits konnte Niall nur, wenn er Ali besser kennenlernte mit ihr an ihrem Problem arbeiten, weil er wusste, wie er sie fordern konnte.
Mal abgesehen davon, wusste auch Ali ein paar Dinge von ihm, da war es doch nur recht und billig, wenn Niall das Gleiche von ihr einforderte.
Und wenn er sie nun abholte, musste er dieses Wissen noch nicht einmal einfordern, sondern einfach zufällig erwerben.
Wie eine CD. Da war doch nichts Schlimmes dran.
Wenn er von der moralischen Ebene einmal absah.
Denn ihr nur zu helfen, um etwas über sie herauszufinden, war sicherlich nicht die feine englische Art.
Aber was sollte er sonst tun?
Niall bog erneut ab, auch wenn er sich nicht sicher war, was sein Ziel war, sein Auto wusste es.
Er konnte sie nachts schließlich nicht alleine um die Häuser ziehen lassen.
Sie war seine Sängerin und unterstand, wie Ava es immer betont hatte, seiner Aufsicht.
Fuhr er also zu ihr, würde er sich nur wie ein guter Manager verhalten. Ali war seine Klientin und er musste sich um seine Klienten kümmern. Logisch, oder?
Aber diese Sache war nicht so einfach zu entscheiden, dessen war er sich wohl oder übel bewusst.
Denn er und Ali hatten keinen Vertrag geschlossen, sie machten Musik und würde er nun behaupten, dass sich alles auf objektiver Ebene abspielte, würde er seinem eigenen Ideal wiedersprechen.
Denn Musik war nun mal Ausdruck der Persönlichkeit und subjektiv.
An diesem Grundsatz konnte er nun mal nicht rütteln. Außerdem, wenn er jetzt gehen würde und Ali irgendetwas passierte, war er Schuld, weil er sie davor hätte bewahren können, aber stattdessen saß er lieber zu Hause und jammte eine Runde bei einem kühlen Bier.
Verdammt, fluchte er innerlich und schlug erneut auf das Lenkrad.
Egal, was er machte, er würde es sowieso niemanden Recht machen.
Vor allem Ali nicht, denn würde er hinfahren, dann hätte sie sicher das Gefühl von ihm gedemütigt zu werden, weil er es von Anfang an wüsste.
Ging er nicht hin, hasste sie ihn, wegen den Bemerkungen der letzten Tage.
Im Endeffekt hing es gar nicht so sehr von Niall ab, wie dieser Abend verlief, sondern von der Kleinen.
Hatte sie halbwegs versöhnliche Laune, wenn er sie abholte, konnten sie ihre Differenzen vielleicht beiseitelegen.
War sie angestachelt von dem Faux – Pas ihrer Freundin und wütend, würde sie ihn höchstwahrscheinlich verbal in Stücke reißen.
Er konnte es ihr auch nicht verübeln, aber wenn er ehrlich war, hatte er sich die Zusammenarbeit mit ihr leichter vorgestellt. Niall war felsenfest davon überzeugt gewesen auf ein kleines Mädchen zu treffen, das einfach zu lenken war.
Was hatte er stattdessen bekommen?
Ali.
Ein Mädchen, das launenhafter und streitlustiger ist, als jede erwachsene Frau und seine ganze Aufmerksamkeit forderte. Und dann war da noch das Problem mit den Gefühlen.
Niall hatte ganz sicher damit gerechnet, dass ausgerechnet diese Sache überhaupt kein Problem für sie wurde.
Sie war jung und weiblich, da nahm man alles gleich persönlich und sang sich vor Herzschmerz ins Komma.
Aber selbst, als sie ihm diese Geschichte von ihrem angeblichen Ex - Freund aufgetischt hatte, die Niall mehr oder weniger erwartet und gleichzeitig gefürchtet hatte, weil sie sie plötzlich wieder normal sein ließ, hatte er nicht das Gefühl gehabt, dass das der Knackpunkt ihrer Emotionen gewesen war.
Es kam ihm fast vor, als hätte sie ihm eine Lüge erzählt, aber dafür schien sie zu sehr in Gedanken versunken zu sein.
Und sie schien auch Mitleid und Mitgefühl zeigen zu können, als Niall ihr von seinen uneinsichtigen Eltern erzählt hatte.
Es hatte fast so ausgesehen, als ob sie ihm durch das Erzählen dieser Tatsachen jeden begangen Fehltritt verziehen hatte.
Aber wieso war es so schwer für Schwäche zu zeigen?
Er konnte es doch auch, auch wenn es nur auf der Bühne war. Als Niall "Perfect" gesungen hatte, hatte er sich sofort wieder an den Schmerz seiner Vergangenheit erinnert gefühlt und konnte aus diesen Erinnerungen Gefühle schöpfen wie sonst nur Wasser mit einem Gefäß.
Und auch das Publikum schien ergriffen.
Er hatte gehofft, dass Ali auf der Bühne aufblühen würde, wie auch schon in der Karaokebar, nur eben mit den negativen Gefühlen.
Aber obwohl sie den Song astrein gesungen hatte und ihm eine neue Note gegeben hatte, waren die Gefühle in ihr, nicht anzusehen gewesen.
Vielleicht hatte das Thema des Songs ihr einfach nicht genug Identifikationsfläche geboten, mutmaßte er kopfschüttelnd.
Er war ratlos.
Aber dann hatte er „Jar of Hearts“ mit ihr geübt, ein Song mit einem Thema, das ihr doch bekannt sein müsste, aber es änderte sich nichts an ihrer Leistung.
Nur das diesmal noch das Problem mit der Tonlage hinzu kam.
Niall würde versuchen am Montag sie den Song mit Gitarre begleiten zu lassen, vielleicht würde sie ihr Sicherheit und Schutz bieten und gleichzeitig ihr das letzte Stückchen fehlende Selbstbewusstsein geben, das den Klang ihrer Stimme komplettierte.
Als Niall die Gedanken an die nächste Woche trafen, würde er am liebsten ganz weit weg von hier sein, denn ab dann hatte seine Band und Ava wohl das Sagen.
So wie er Ava kannte, hatte sie die Jungs soweit manipuliert, sodass sie nun die stille Chefin der Operation „Duett für Dumme“ war.
Sicherlich hatte sie sich schon für einen grausamen Song entschieden und möglichst qualvolle Übungen.
Wenn er jetzt so daran dachte, konnte er fast Mitleid mit Ali haben, die letzte Woche das Vergnügen damit hatte und nun wieder.
Ava würde ihn zur Weißglut treiben, Niall sah es schon vor sich.
Während Ava Ali und ihn herumkommandierte und immer wieder widerlich grinsend verlangte, dass sie einander tief in die Augen sehen sollten, lachten sich die Jungs zu Tode.
Und das alles nur wegen einer Sängerin und einem Plattenvertrag.
Niall hätte nicht gedacht, dass er irgendwann so tief sinken würde.
Aber hier war er nun, umgeben von Unkraut, Erde und Regenwürmern.
So sah die Welt eines richtigen Musikers aus.
Wer noch immer an die Bilderbuchkarriere glaubte, von der so gerne in Autobiografien sechzehnjähriger Teenies berichtet wird, sollte mal ganz schnell die Augen auf machen.
Die Welt war kein Spielplatz, die umzingelt von Scouts und Labels war, die jeden Musiker mit offenen Armen empfingen. Niall schüttelte erneut den Kopf, um die pessimistischen Gedanken zu vertreiben und bekam gerade noch rechtzeitig mit, dass er nun in der Straße gelandet war, in der Ornellas Haus stand.
Er öffnete das Fenster und beugte sich hinaus, um eine bessere Sicht zu haben.
Die Straße war kaum beleuchtet und Ali war – dank Ava – vollkommen in schwarz gekleidet.
Niall fuhr die Straße zweimal hoch und wieder runter, aber Ali fand er nicht.
Er fuhr weiter, obwohl er eigentlich nicht davon überzeugt war, dass die Kleine schon so weit gekommen war.
Auch die nächsten beiden Straßen, die er durchfuhr, spiegelten ein ähnliches Bild wieder.
Keine Menschen, keine Lichter, keine Ali.
Dann etwa zwei Kilometer von Ornellas Haus entfernt, fand er Ali, am Straßenrand laufen.
Den Blick starr auf die Straße gerichtet und die Arme vor der Brust verschränkt.
Na, das konnte ja was werden.
Er fuhr nun langsam, um sie nicht zu erschrecken und blieb irgendwann neben ihr stehen.
Ali, die ihn vermutlich noch nicht erkannt hatte, sprang sofort zurück und machte sich bereit zum Sprint.
Wenn erwartete sie denn nachts um zwölf Uhr auf einer nun dichtbefahrenen Straße?
„Ali! Ali!“, schrie er, als sie loslief, um sie aufzuhalten. Erschrocken drehte sie sich um, und sah so aus, als ob sie nicht glauben können, was sie gerade hörte.
„Niall?“, fragte sie dann verwundert.
Er nickte und Ali kam langsam auf ihn zuglaufen.
„Was machst du hier?“, fragte sie verblüfft, als Niall nur die Schulter zuckte, zog sie ihre Augen für einen kurzen Augenblick zu einem Schlitz zusammen und sagte dann:
„Du wusstest es.“
Niall konnte sehen, dass sie ihn nicht fragte, sie stellte es fest. Aber er konnte auch den wütenden Gesichtsausdruck sehen, der Fassungslosigkeit wiederspiegelte.
Er hatte ausnahmsweise recht behalten, sie fühlte sich gedemütigt.
„Steig schon ein.“
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„Bin ich der Einzige, der sich jetzt irgendwie veräppelt fühlt?“, fragte Harry gerade in die Runde, während er mit den Sticks auf seinem Bein zu einem schnellen Beat trommelte.
Sowohl Liam, Louis als auch Aleyna zogen es vor zu schweigen und sich weiterhin mit sich selbst zu beschäftigen. Louis stimmte seinen E – Bass und polierte ihn mit einem – seiner Meinung nach – extra für sein Instrument angefertigtem Tuch – für sie sah es allerdings wie ein stinknormales Staubtuch aus, dass sie, wenn sie sich nicht vollkommen irrte, auch selbst zu Hause hatte -, während Liam lustlos auf die Knöpfen des Keyboards drückte, um im Nachhinein eine Mundharmonika im Zusammenspiel mit einer sehr lauten Sirene nachzustellen.
Aleyna hatte eigentlich nicht gedacht, dass irgendeine Melodie, die von Liam gespielt wurde, nicht wohlklingend seine konnte, aber Ausnahmen bestätigten ja bekannterweise die Regel.
Harrys Frage war ohne Zweifel von rhetorischer Natur gewesen, trotzdem fühlten sie sich sicherlich alle in der Lage darauf eine Menge – wenn auch unschöne – Dinge zu erwidern.
Es war Montagmittag, und Zeit für die Probe. Zumindest für Aleyna, Harry, Liam und Louis.
Niall und Ava hatten sich bisher nicht blicken lassen und waren bis jetzt eine halbe Stunde verspätet.
Nicht, dass es nicht normal war, dass sie zu spät kamen, aber meist waren die Beiden so schlecht gelaunt und hatten einen solchen Chefton auf Lager, dass eine ruhige Probe zu einem Diskussionsabend verwandelt wurde.
Nur mit der Ausnahme, dass Aleyna sich diesmal zurückhalten würde, zumindest hatte sie sich das vorgenommen.
Um ehrlich zu sein, war sie einfach nur feige.
Sie hatte seit Samstagabend nicht mehr mit Niall gesprochen und fühlte sich immer noch unangenehm berührt, wenn sie die Erinnerung an den Abend traf, bei dem sie sowohl himmelhochjauchzend in die Höhe gesprungen, als auch tief beschämt im Boden versunken war.
Auf gewisse Art und Weise hatte Niall sie ohne mit der Wimper zu zucken mitten ins Fettnäpfchen laufen lassen, andererseits hatte er sie auch wieder aus der Situation gerettet.
Aber nur weil er sie abgeholt hatte, hieß das noch lange nicht, dass jetzt alles wieder gut war.
Sie hatten trotzdem ihre Meinungsverschiedenheiten nicht lösen können. Im Gegenteil.
Im Auto hatten beide geschwiegen. Aleyna, weil sie peinlich berührt war und sich gedemütigt gefühlt hatte, und Niall… Tja, da war sie sich nicht sicher.
Vielleicht weil Ava ihn geschickt hatte und er nur ihrer Aufforderung nachkam, sich eigentlich aber gar nicht über ihr Wohlergehen Gedanken machte.
Aber so hatte er nicht auf sie gewirkt. Niall hatte zwar zerknirscht ausgesehen, aber nicht so, als ob er sich unwohl gefühlt hätte.
Eher war er etwas wütend gewesen, wenn auch ausnahmsweise nicht auf sie.
Aber genau das machte sie noch unsicherer. Sie konnte mit dem wütenden und launischen Niall umgehen, weil sie ihn kannte und auf eine komische Art und Weise auch verstand. So unterhielten sie sich nun mal.
Aber wenn er so ruhig und in Gedanken versunken war, vielleicht sogar hilfsbereit, war Aleyna auf unbekanntem Terrain.
Dann verriet sein Mienenspiel keinen einzigen Gedanken, kein Gefühle, noch nicht mal einen oberflächlichen Eindruck über seinen gesamten Gefühlszustand.
Aleyna hatte die leise Hoffnung, dass es ihm ähnlich ergangen war und hoffte deswegen, dass er diesen Abend und all seine schlechten Erinnerungen nicht mehr ansprechen würde.
Es war eine sehr naive Hoffnung, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Alles was nach der Autofahrt bei ihr zu Hause passiert war, erinnerte an einen wirklich schlechten Krimi.
Sie hatte sich auf leisen Sohlen nach Hause geschlichen und versucht – bei dem Versuch blieb es auch – die Haustür leise zu öffnen.
Nachdem sie endlich über die Türschwelle hinauskam und ihre Mutter immer noch nicht wach war, verschwand sie wankend in ihrem Zimmer und stellte sich den Wecker auf sechs Uhr früh, weil genau dann ihre Mutter normalerweise aufstand.
Aleyna legte sich also ins Bett, Schlaf bekam sie aber keinen, da sie bei jedem noch so kleinen Geräusch aufschreckte und Angst bekam, dass ihre Mutter sie zu Hause entdecken würde.
Vollkommen albern und dumm, wenn sie es nun rückblickend betrachtete.
Das zu Hause sollte doch der Rückzugsort für einen jeden Mensch sein, der Ort, wo alles besser ist und niemand einen belangen konnte.
Und genau an diesem Ort fürchtete sich Aleyna zu sein. Aber wenn sie ehrlich war, sie hätte nirgendwo anders unterkommen können. So traurig es auch klang.
Natürlich hätte sie zu ihrem Onkel Scott fahren können, aber der hätte sie vermutlich gleich bei ihrer Mutter verpetzt.
So war diese Lösung, egal wie blamabel sie auch klang, die Beste gewesen.
Der Wecker musste Aleyna am Sonntagmorgen nicht mehr wecken, sie war bereits wach gewesen.
So sprang sie wie ein aufgehetztes Huhn vom Bett auf, machte es , um den Eindruck der Abwesenheit weiterhin zu erwecken und versteckte sich in ihrem Schrank.
Bei jedem Geräusch, dass ihre Mutter machte, zuckte sie im Schrank zusammen und nicht weniger als fünf Mal fürchtete sie, dass ihr Versteckspiel entdeckt wurde und ihre Mutter sie wütend aus dem Schrank zerrte und sie wie ein kleines Kind ausschimpfen würde.
Aleyna musste nicht erwähnen, dass sie für diese kindische Aktion am liebsten im Erdboden versinken würde. Doch als hinter ihrer Mutter die Tür ins Schloss fiel, fühlte Aleyna wie ihr wieder leichter ums Herz wurde und sie erschöpft in sich zusammenfiel.
Für wenige Wochen würde sie nun wieder frei sein.
Ihre neugewonnene Freiheit nutze sie sogleich um ihre – von dem wenigen Gitarrenspielen der letzten Wochen – steifen Finger, wieder zu trainieren und übte verbissen stundenlang die schweren spanischen Stücke und Werke Bachs, die sie sonst immer verschmäht hatte.
Dabei fiel es ihr nicht leicht, das ein oder andere Stöhnen zu unterdrücken, wenn ihre Finger mal wieder nicht flink genug, die richtigen Töne oder die falsche Lage trafen und die ganze Harmonie des Stückes den Bach hinunterging.
Es war nicht so, dass sie jeden Tag stundenlang übte, sowie es eigentlich vorgeschrieben war, so motiviert oder besessen war sie nicht.
Meist übte sie nur dann, wenn ihr das Stück gefiel oder sie sich selbst etwas beweisen wollte.
Deshalb war Noah auch dazu übergangen sie nur Werke spielen zu lassen, die Aleyna selbst abgesegnet hatte, denn auch ihm war irgendwann bewusst geworden, dass nur so ihre Motivation groß genug blieb.
Aber nun sah Aleyna sich in der Pflicht wieder etwas für die Musikschule und ihre Hände zu tun, der ganze Gesangsunterricht und ihre Konzentration darauf, hatte sie im Kopf mürbe werden lassen und gleichzeitig die Reaktionsfähigkeit ihrer Hände geschwächt.
Ihre Fingerkuppen wurden schneller wund und taten ihr beim Spielen weh.
Die raue Schutzschicht, die sie vorher umgeben hatte und Aleyna eine Menge Schmerzen und blutige Finger gekostet hatte, war nun beinahe wieder weich.
Als sie ihre Finger beinahe wund gespielt hatte, suchte sie sich im Internet noch verschiedene Gitarrenbegleitungen zu „Jar of Hearts“ und traf dabei von dem größtmöglichen Schrott von Akkorden bis hin zu einer Meisterbegleitung für Menschen mit einer Handspanne von bis zu 50 Zentimeter alles.
Als sie irgendwann müde davon wurde, vermischte sie alle Möglichkeiten den Song zu begleiten und bekam eine, ihrer Meinung nach, durchaus akzeptable Version heraus, die vielleicht sogar Nialls Geschmack treffen konnte. Vielleicht. Aber auf jeden Fall konnte nun auch der Instrumentalteil für sich allein stehen, denn so wie sie es sah, hatte sie es ganz gut geschafft, das Klavierspiel des originalen Song zu imitieren und trotzdem die Gitarre als selbständiges Instrument dieses Stückes zu zeigen.
Ihrer Meinung nach bekam der Song nun eine ganz andere Tiefe und mehr Gefühl.
Aber Niall würde sicherlich noch etwas auszusetzen wissen, was das anging, da war auf ihn Verlas.
Was hingegen die Pünktlichkeit betraf, ließ er ganz schön zu wünschen übrig…
„Ganz ehrlich, vergesst Niall“, rief nun wieder Harry auf, während er von dem Sitz seines Schlagzeuges aufsprang. Aleyna stellte belustigt fest wie sofort alle Köpfe – ihrer inklusive- plötzlich gedankenversunken aufsah und sie sich ertappt ansahen.
„Wir fangen jetzt an“, fügte er noch hinzu.
Aleyna ertappte sich selbst dabei, wie sie die Augen weitete und auch die Jungs schienen nicht anders zu reagieren, wie sie nun registrierte.
Aber Harry in der Position des ehrgeizigen und arbeitswilligen Chefs zu sehen, der Farbe bekannte, war schon irgendwie merkwürdig.
Aleyna stellte schon allerhand beunruhigende Vermutungen auf, als Harry sich ein paar Meter weiter auf ein kastenähnliches Schlagwerk für Akustik und Percussion Tracks setzte und seine Bandkollegen grinsend ansah.
„Was wird denn das?“, fragte Liam als Erster, die Frage, die wohl allen auf der Zunge gelegen hatte und sah irgendwie angeekelt oder zumindest ablehnend zu Harrys neuem Lieblingsintrument.
„Das“, antwortete Harry grinsend und schlug stolz auf das Schlagwerk. "Wird ein großer Spaß.“
Liam sah seinen Freund an, als ob er das Wort Spaß nicht buchstabieren konnte und schüttelte nur den Kopf.
Louis bedachte erst Liam und dann Harry mit einem amüsierten Blick und brach in ein Lachen aus.
Aleyna, die bis jetzt still in sich hinein gelacht hatte, fuhr ertappt hoch, als Harry sich direkt an sie wandte.
„Also, Kleine. Bist du dabei?“
Nun bekam sich Louis gar nicht mehr ein und drehte sich von allen weg, um herzhaft zu lachen.
„Okay“, antwortete währenddessen Aleyna, wenn auch ein bisschen zögernd.
„Na dann“, entgegnete Harry lachend und gab einen schnellen Beat vor.
„Bereit?“
Sie nickte, etwas aus dem Konzept gebracht, während Harry sie näher zu sich winkte.
Dann begann er zu singen, oder eher zu rappen:
„Lange blonde Haare, hammer Körperbau so steht sie da Ich denke geh mal rüber, sprich sie an, das geht schon klar! Ich zieh mein T-Shirt grade und richte die Frisur, ich lass die Kette funkeln. Ich hoffe sie sieht die Uhr! Sonnenbrille auf… ich seh‘ wie Bruce Willis aus.“
Aleyna lachte laut auf und auch Liam, der sich vorher beleidigt wehgedreht hatte, huschte nun ein Lächeln über das Gesicht.
Louis begann bereits mit zu klatschen, während er Harry amüsiert ansah.
Sie kannte den Song, "Nein" von Sido feat. Doreen, auch wenn es nicht unbedingt ihr Genre war, aber sie hatte schon oft darüber nachgedacht, wie es wäre, einen solchen Song zu singen, ob sie es überhaupt könnte.
Aber das in Nialls Rockband auch andere Musikstile geduldet wurden, war ihr neu. Sicher hatten sie noch keinen einzigen Rap - Song gesungen.
Es war witzig Harry beim Sprechgesang zu zu hören, er ging richtig auf dabei und strahlte sie an.
Sie musste erneut lachen, das war mal wieder so eine typische „Harry – Aktion“.
Erst einmal allen vorspielen, dass er Verantwortung übernahm und proben möchte und dann daraus eine Unterhaltungsshow machen.
Aber den Jungs schien es zu gefallen und auch Aleyna war nicht abgeneigt davon etwas Spaß zu haben.
Es war genau das, was sie jetzt zu brauchen schienen.
Harry winkte sie wieder näher zu sich heran.
„Ich hol zwei Drinks und stell mich neben sie, doch sie haut ab, weil sie mir zeigen will, dass die hautenge Jeans ihr auch passt. Ich lauf ihr hinterher, immer hinter ihrem Hintern. Ich sag: Ich hab son‘ kribbeln in meinem Bauch! Sie sagt, dass sei mein Blinddarm.“
Aleyna hätte nie gedacht, dass ein Rapsong eine Harmonie hatte, aber Harrys Gesang, oder eher Gerede war wirklich gut.
Er fesselte sie mit seinem schalkhaften Grinsen, seinen nicht wirklich ernst zu nehmenden Worten, die immer im Rhythmus waren und die Art, wie er mit ihr spielte.
Sein Getrommel dazu passte wie die Faust aufs Auge und sie spürte sofort, wie ihr Verlangen, sich zu der Musik zu bewegen und zu singen, immer größer wurde.
„Komm, Ali. Gleich bist du dran“, rief Harry irgendwann am Ende der ersten Strophe ihr zu, und bot ihr gleich den richtigen Einsatz:
„Ich will sie mit der Limousine abholen, doch sie sagt.“
Aleyna sprang sofort drauf an und sang einfach drauf los:
„Nein, so geht das nicht! Ich seh dich nicht! Nichts überredet mich (ich bin nicht so leicht zu haben).“
Sie bewegte sich ein bisschen zum Rhythmus hin und her, hob ihre Arme hoch,während die Jungs ihr zujubelten.
„Los, Ali, mach Harry schon fertig“, rief ihr erstaunlicherweise Louis zu und klatschte passend zur Musik.
„Nein ich hab keinen Durst, dich hab ich auch satt! Los Junge hau ab! (soweit dich deine Beine tragen)“, sang sie wieder und warf Harry spielerisch einen vernichtenden Blick zu, der sie anerkennend ansah und weiter trommelte.
Sie schnappte sich eins, der auf den Tischen lose liegenden Mikros, als Attrappe, um die Maskerade einer wirklichen Show beizubehalten.
Daraufhin hörte sie die Jungs erneut begeistern aufjubeln, sogar Liam war aus seiner Ecke zurückgekehrt und beobachtete Aleyna nun verblüfft.
„Weiter Ali“, rief Louis nun wieder.
„Es fällt mir nicht im Traum ein, deine Frau zu sein, solange du mir nicht mal anständig den Hof machst!
Pack die Ringe und das Auto wieder ein, ich scheiß auf Diamanten wer brauch schon sowas!?
Ich brauch: Oh oh oh oh oh oh…“, sang sie den letzten Teil des Refrains, während sie Harry vernichtend ansah, der sich frech grinsend zusammenkauerte und die Lippen zu einem „Oh“ formte.
Na, der würde noch was erleben. Sie bedachte ihn mit einem abwertenden, eingebildeten Blick, während sie ihren Zeigefinger vor seinem Gesicht hin und her schwenkte.
„Okay dann Plan B,aufgeben ist nicht drin ,ich muss ihr wohl mal kurz erzählen, wer ich bin ich...“, versuchte Harry nun wieder seine Ehre zu retten, scheiterte aber kläglich.
Er schien es auch nicht wirklich zu wollen. Viel spannender schien es für ihn zu sein sie beim Gestikulieren und Singen zu beobachten und immer wieder anzufeuern.
Aleyna fühlte sich nun wie in einem nichtendenden Rausch, die Worte des Songs flossen nur so über ihre Lippen und die passenden Bewegungen schlichen sich gleichzeitig in ihren Körper.
Sie genoss es einfach nur noch.
Aleyna hatte keine Angst sich zu blamieren, auch wenn die Situation reichlich Potential dafür gegeben hatte, aber sie schämte sich nicht.
Dafür war sie viel zu glücklich und berauscht von den Glücksgefühlen, die wie hohe Wellen auf sie einschlugen. Überall, wo sie hinsah, waren glückliche Gesichter und sich bewegende Menschen zu sehen.
Louis hatte sich hinter das Schlagzeug gesetzt und betätigte mit seinem Fuß, zugegeben nicht immer im richtigen Rhythmus, ein Pedal, während Liam auf seinem Keyboard einen Knopf betätigt hatte, der es wie ein Schlagzeug klingen ließ.
Und sie?
Sie stand einfach nur da, mit einem nicht funktionstüchtigen Mikro in der Hand und sang.
Und mehr brauchte es auch gar nicht, damit sie sich glücklich und befreit fühlte.
Sie fühlte, wie im Verlaufe des Songs, all die unsichtbare Last von ihren Schultern fiel und sie gedankenlos und locker wurde. Sie hätte vor einem großen Publikum, vor den größten Musikkritikern der Welt singen können, ihre Freude und ihre Lässigkeit wäre geblieben, da war sie sich sicher.
Denn genau das war das Faszinierende an der Musik:
Es brauchte nur wenige Klänge und Akkorde, und schon konnte aus jedem Mauerblümchen ein Rockstar werden, zumindest innerlich.
Musik hatte keine Regeln und Normen. Jeder konnte sie hören, egal ob Snob, Mauerblümchen, Chaot oder Star.
So konnte es durchaus geschehen, dass das Mädchen mit der leisen Stimme in der hintersten Reihe, bei Linkin Park Songs richtig aufdrehte, während sich der vorlaute Fußballer von den leisen Klängen von Glass Pear berauschen ließ.
Und in diesem Moment, in dem das Adrenalin und die Endorphine ihren Körper übernahmen, wie es sonst nur der Schlaf konnte, wurde ihr genau das bewusst.
Hier konnte sie, Aleyna, sein, wer sie wollte.
Und das witzige war, dass sie sich nicht, wie sonst hinter einer guten Maske versteckte, sondern einfach sie selbst war. Aleyna konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal, so sehr wie sie selbst gefühlt hatte.
Es war lange her gewesen, dieser Tatsache war sie sich bewusst.
Aber, dass gerade ein solcher Song in der Umgebung solcher Menschen, sie zu dieser Erkenntnis brachte, hätte sie niemals gedacht.
Es war, als ob sie nach einer langen Reise wieder nach Hause zurückkehrte.
Und dieses zu Hause sollte ein unordentlicher und mit Instrumenten vollgestopfter Proberaum sein? Es schien ganz danach auszusehen.
„Träumst du etwa?“, rief Harry ihr mitten im Song zu, als er ihren nachdenklichen Blick bemerkte, doch sein Schlagzeugspiel verstummte nicht.
„Doch nicht etwa von mir?“, rief er ihr schalkhaft und ganz in der Manier des Songs zu, während Aleyna langsam wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte.
„Träum schön weiter“, rief sie ihm grinsend zu und begann wieder zu singen.
„Nein! So geht das nicht. Ich seh dich nicht. Nichts überredet mich. (Ich bin nicht so leicht zu haben!)“
Als sie während des Singens von Harry und den Anderen Jungs umdrehte, hörte Aleyna die Jungs ihr anerkennend zu jubeln.
„Nein! Ich hab keinen Durst, dich hab ich auch satt“, rief sie ihnen beinahe zu und setzte noch einmal eine Schippe an Lautstärke drauf, während sie weiter vor sich hin tanzte. „Los Junge, hau ab!“,sang sie, doch wirklich ernst konnte sie nicht mehr bleiben und begann kindlich vor sich hin zu kichern, aber die Jungs stimmten diesmal nicht ein, sondern warfen ihr einen besorgten Blick zu.
„Was ist los?“, fragte sie sie.
Die Musik stoppte sofort und es wurde leise im Raum.
Alle Blicken klebten nahezu an ihr.
Louis war der Einzige, der halbwegs normal reagierte, denn er wies mit dem Zeigefinger auf etwas, dass hinter ihr lag. Erschreckt, drehte sie sich um, das Mikro immer noch hoch erhoben in der Hand, und sah - getreu ihrer bösen Vorahnung -geradewegs in Avas und Nialls Gesicht, die vollkommen unterschiedliche Mimen wiederspiegelten.
Ava beobachtete die ganze Situation mit einem leisen Grinsen und wirkte zufrieden.
Niall sah einfach nur unentschlossen aus. Höchstwahrscheinlich überlegte er sich, ob er Aleyna gleich rausschmeißen oder sie erst vorher anschreien sollte.
Als er den Mund öffnete, konnte Aleyna nicht sagen, für welche Möglichkeit er sich entschlossen hatte, sein Mienenspiel verriet keine Regung. Sie wusste nicht, wie lange sie schon dorst standen, denn Aleyna war so vertieft in den Song und ihr Schauspiel gewesen, dass sie sich sicher war, die warnenden Blicke der Jungs - falls sie ihr welche zugeworfen hatten - nicht bemerkt hätte.
„Wie hat es Leyna gerade so schön formuliert?“, sagte er lächelnd, während die Münder seiner Bandkollegen, von dem freundlichen Ton seiner Stimme, sprachlos öffneten.
Dann bedachte er sie mit einem grinsenden Blick.
„Los Jungs, haut ab!“
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Mal ein extra langes Kapitel für euch. Ich hoffe ihr hattet beim lesen genauso viel Spaß, wie ich beim schreiben.
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