7|alternativer Prolog
Die Absätze der jungen Frau verursachten ein rhythmisches Klackern, das auf dem Vorhof widerhallte.
In ihrer Hand hielt sie einen kleinen antiquierten Koffer, der immer wieder ihr Bein streifte. Sie trug ein langes, in dunklen Tönen gehaltenes Kleid, welches zusätzlich zu ihrem Gepäck den Eindruck verschaffte, sie wäre dem vergangenen Jahrhundert entsprungen.
Selbst die schokoladenbraunen Haare hatte sie zu einem strengen Knoten geflochten.
Eine Schar an Kindern lief lachend vor ihr her, wodurch sie prompt zum Stehen kam.
Ein finsterer Blick haftete ihrem Gesicht an, den sie abschätzig über die Gruppe wandern ließ.
Das Klacken ihrer Absätze setzte wieder ein, als sie weiter auf das vor ihr liegende Waisenheim zuschritt. Bei dem Gebäude handelte es sich um einen hoch aufragenden Altbau aus dem 19. Jahrhundert, der wohl lange nicht mehr saniert worden war. Die Hauswand bestand aus dunklen, verwitterten Backsteinen, und ließ durch die wenigen Fenster nur wenig Licht herein. Etwas wie ein Vorgarten existierte nicht, stattdessen war das gesamte Gelände von einem hoch aufragendem Zaun umsäumt. Eine Schaukel auf der Ostseite des Gebäudes quietschte im Wind.
Nach einem Monent des Zögerns betätigte die junge Frau die Klingel.
Nur wenige Augenblicke später wurde die schwere Eingangstür geöffnet und eine kleine Frau mit kurzen weißen Haaren sah zu der ernst dreinblickenden Besucherin auf.
"Guten Tag", sagte dieser mit emotionsloser Stimme, "Ich hatte ihnen einen Brief geschrieben. Ich bin hier, um mich als Erzieherin zu bewerben."
Kurz sah die Alte verdutzt drein, dann hellte sich ihre Miene auf. "Ach ja. Ja, ich erinnere mich. Ich hatte sie nur nicht zu so früher Stunde erwartet."
Mit gerunzelter Stirn sah die Leiterin des Waisenheims auf die Uhr. Es war gerade einmal zehn Uhr vormittags. Hatte die junge Frau nicht angegeben, aus Sussex zu kommen?
"Kommen sie doch herein", lud die alte Frau die Jüngere ein und trat zur Seite, "darf ich ihnen einen Tee anbieten? Die lange Anreise muss sie ziemlich erschöpft haben."
Angesprochene blinzelte kurz. "Ähm- also ich meine ja, natürlich. Ich hätte nichts gegen einen Tee."
"Dann folgen sie mir in die Küche, dort können wir gleich alles besprechen", verkündete die Heimleiterin geschäftig, "in meinem Büro ist es immer so dunkel, da fühlt man sich gleich so unwohl." Sie ließ ein warmes Lachen von sich hören, als sie die Bewerberin in eine weiträumige Küche führte, doch letztere ließ ihre undurchdringliche Miene immer noch nicht fallen.
Ihre Gastgeberin zog ihr einen Stuhl an einem kleinen Tresen an, auf dem die junge Frau wortlos Platz nahm.
"Manchmal koche ich hier mit den Kindern, das fördert ihre Kreativität", erzählte die Alte im Plauderton, während sie einen Wasserkocher betätigte.
Mit einem verächtlichen Blick verfolgte die Brünette ihre Bewegungen. Dort wo sie herkam, brauchte man weder selber Essen zu machen noch komplizierte Maschinen zu bedienen, um Wasser zu kochen.
"Die meisten haben großen Spaß daran, sie sehen das ganze als eine Art Spiel", fuhr die Heimleiterin fort und suchte einen Teebeutel aus einer Schublade heraus.
"Mögen sie Schwarztee?"
"Ja, gerne."
"Eine Gute Wahl, das wird sie wachrütteln", fand die alte Frau, "sie müssen früh aufgestanden sein, um schon so pünktlich hier zu sein."
Die junge Frau bemühte sich um eine freundliche Miene. "Ich konnte nicht mehr schlafen, daher bin ich schon früher abgereist. Ich schätze, ich konnte es nicht erwarten, endlich hier zu sein."
Die Heimleiterin goss das dampfenden Wasser in eine Tasse und gab den Teebeutel hinzu.
Lächelnd wandte sie sich vom Tee ab und nahm gegenüber der jungen Frau Platz.
"Ich habe mich ziemlich gewundert, als ich gelesen habe, dass sie aus Brighton stammen. Was führt eine Frau wie sie aufs Land?"
Die Brünette lehnte sich nachdenklich zurück. "Nun, ich denke ich brauche etwas Ruhe für mich. In letzter Zeit ist so Einiges schiefgelaufen, deshalb wollte ich mich ein wenig zurückziehen."
"Sie sind alleinstehend?"
"Offensichtlich."
Unzufrieden über die barsche Antwort spitzte die alte Frau die Lippen.
"In ihrem Lebenslauf steht, dass sie einundzwanzig sind. Haben sie Erfahrung mit Kindern?"
Die Miene der jungen Frau verhärtete sich, doch sie nickte. "Ja. Vor allem mit Kleinkindern und Babys."
Augenblicklich erhellte sich der Gesichtsauadruck ihres Gegenübers wieder. "Tatsächlich? Das ist fantastisch, wir haben vor kurzem nämlich ein Baby aufgenommen, da benötige ich einiges an Hilfe!", rief die Alte.
Die Brünette sprang auf und beugte sich mit eindringlicher Miene zu ihr herüber.
"Kann ich sie sehen?"
"Ja, natürlich, folgen sie mir", erwiederte die Heimleiterin ohne zu zögern und führte ihren Besuch wieder aus der Küche.
"Sie ist noch ganz jung, gerade einmal ein Jahr alt", seufzte die Alte, "wir wissen leider nicht viel über sie, ihre Mutter kam blutüberströmt an die Tür und war im nächsten Moment war sie schon tot. Zumindest vermuten wir, dass es ihre Mutter war, wir haben keinerlei Personalien in ihrer Tasche gefunden."
"Verstehe", erwiederte die junge Frau kalt. Ihre Augen fixierten fest den Rücken ihrer Gastgeberin.
"Hier ist sie", erklärte die Alte und öffnete eine Tür am Ende des Flures. Der Raum war klein, sodass gerade mal ein Wickeltisch und ein kleines Bettchen hineinpassten.
Auf den Boden hockte ein kleiner Junge, der das darin schlafende Baby beobachtete.
"Matthew, raus!", schimpfte die Heimleiterin und bugsierte das Kleinkind aufgebracht in den Flur. "Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du hier nichts verloren hast. Wir reden nochmal nach dem Essen darüber!"
Wütend wollte der Kleine etwas erwiedern, doch als er die Fremde sah, verstummte er und lief schnell auf seinen unbeholfenen Beinchen davon.
Seufzend wandte sich die Heimleiterin wieder der jungen Frau zu. "Entschuldigen bitte sie den Zwischenfall, einige Kinder sind noch ziemlich umgezogen. Ich hoffe, sie wollen noch immer bleiben?"
"Unbedingt", erwiederte die Brünette, den Blick immer noch auf die Stelle gerichtet, an der der Junge gestanden hatte, "Kann ich eine Festanstellung haben?"
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