Kapitel 3: •Schimmernde Nacht•

"You got me nervous to speak"
-The Neighbourhood

Gegenwart

Ich fuhr durch die blonden Haare und erwiderte seinen intensiven Kuss. Die Mauer hinter mir war eiskalt, doch in mir loderte das Feuer. Er seufzte, als ich an seinen Haaren zog und mit seinen Hemdknöpfen spielte. Er veringerte den Abstand zwischen uns, indem er sich mehr an mich presste und als er mich anhob, schlangen sich meine Beine wie von alleine um seine Hüfte. Ich klammerte den einen Arm um seinen Nacken und entlockte ihm ein gedämpftes Stöhnen, als ich mich an ihn rieb.

„Zu mir oder zu dir?", gab er wohl brummend von sich. Ich grinste in den Zungenkuss. Ich wollte nicht gerade eine heiße Nummer in der WG, die ich wohlbemerkt mit meinen Freundinnen teilte, haben. Dazu hatte ich nur diesen Adrenalinkick gewollt, denn mittlerweile fühlte ich mich so, als hätte mir jemand einen K.O. Tropfen untergejubelt, weswegen ich es heute lieber bei einem heißen Kuss belassen sollte. Nicht, dass ich letzten Endes in Ohnmacht fiel.

Ich unterbrach den Kuss und lehnte meinen Kopf gegen das kalte Marmor, beachtete seine pulsierende Männlichkeit auf meiner Mitte nicht. Atemlos schnappte ich nach Luft und lächelte, denn ich hatte ihn aus der Reserve gelockt. Aus dem netten Jungen vor einer halben Stunde, wurde der Sexgott höchstpersönlich. Er drückte seine Lippen an meinen Hals, doch ich wanderte mit meinen Lippen zu seinem Ohr.

»Lass' mich runter«, hauchte ich an seiner Ohrmuschel angekommen. Er hielt inne und blickte mich versteinert an.

»Was?«, fragte er fassungslos. Ich lächelte und knöpfte sein nun inzwischen halb geöffnetes Hemd zu. Und dies keineswegs stürmisch, sondern gelassen. Ich leckte mir über die Lippen und klopfte ihm ganze zwei Mal auf die Schultern, als Zeichen , er solle mich endlich loslassen.

»Du hast schon richtig gehört, Süßer.«

Er ließ mich tatsächlich runter, zwar eher vor Fassungslosigkeit, doch die Tat zählte. Ich richtete meinen Pferdeschwanz und lief an ihm vorbei, trat auf das dunkelgrüne Tor zu, das einen einen weiteren Ausgang aus dem Grundstück des Clubs gewährte. Mit einem Grinsen im Gesicht hob ich seine Jacke auf, die er zuvor auf den Boden geschmissen hatte. Die arme Designerjacke, dachte ich und zog sie an. Sein Hirn hatte ich beinahe schon rattern hören können. Das auch dann, als er verstanden hatte, dass ich keinen Hehl daraus machte, dass er hier völlig erregt stand und ich mich nicht von ihm zum Höhepunkt trieben ließ, denn ich bekam mit wie er zu mir herumfuhr.

»Das ist doch nicht dein fucking ernst!« , fauchte er und ich drehte mich zu ihm, wobei ich dramatisch meine Hüfte schwang und mein böses Lächeln aufsetzte. Meine Nägel krallten sich an die Tortür und ich zog sie nur noch weiter auf, ließ sie quitschen.

»Mein voller«, sagte ich ruhig und warf ihm noch ein Zwinkern zu. Seine aufgerissenen Augen blickten mir hinterher und er brachte keine Worte mehr zustande.

Ich liebte es Männer zu verwirren. Sie waren meine Beute, die unter meine Fetische gezogen werden und nur losgelassen wurden, wann und wie ich es wollte. Ich liebte es ein wenig an ihrem Ego zu nagen, denn es gab mir ein atemberaubendes Gefühl. Ein Gefühl von Macht. Ich entschied, wo es lang ging und wie sehr ich mich einlullen ließ.

Ich ließ sie nur so gut genug sein, dass sie mir meine Zeit in der Bar so angenehm wie möglich machten. Die einen nutzte ich für ein paar mehr Cocktails aus und die anderen ließ ich für einen anderen Mann stehen. Der, der mehr zu bieten hatte, war der bessere.
Und dann, dann ließ ich meinen Lover für die Nacht hängen, wenn bei ihm mehr raussprang als ich wollte, als ich brauchte.
Ich war kein Engel, was wohl an der Änderung meines Musters lag. Doch wie man so schön sagte, überlebte man als harte Schale länger. Das wurde mir vor Jahren allzu bewusst gemacht. Ich senkte den Kopf und schloss die Augen. Ich wusste, dass ich so nicht glücklich werden würde, doch ich zerbrach mich selbst lieber, als dass jemand anderes diese Aufgabe erneut für mich übernahm.

Ich legte die Jacke auf meine Schultern und atmete die kalte Luft ein, um sie gleich danach wieder auszuatmen. Genervt zog ich die viel zu hohen Schuhe aus und trug sie mit den Händen. Die Laternen flackerten und ließen die Umgebung grell und düster wirken. Ich hatte das Gebäude um 23 Uhr verlassen. Normalerweise ging ich nicht so früh los, doch mein Körper hatte nach Kick gerufen. Also war ich direkt nach meiner Schicht nach Hause und dann in den Club gegangen.

Ich wählte meine Opfer bedacht aus, denn ich wusste in jedem schlummerte der Teufel. Die Frage war nur, ob man dem Teufel die Oberhand nehmen ließ. Ich atmete laut aus und genoss die Kälte, die mich erzittern ließ. Und vielleicht tat ich dies auch, um ihnen etwas heimzuzahlen, um Collin etwas heimzuzahlen. Als das Wohngebäude in mein Sichtfeld kam, summte ich leise das Gute-Nacht-Lied, das meine Ma mir jeden Abend vorgesungen hatte. Ich schluckte und lief hektischer auf das Gebäude zu, wodurch sich meine Füße feater auf den Asphalt drückten. Die Nacht weckte Erinnerungen. Erinnerungen, die meine Maske fallen ließen. Ich war geblendet von der Liebe gewesen. Oder sollte ich besser von der einseitigen Liebe sagen?

Ich hob meinen Kopf und augenblicklich wurde ich langsamer. Da stand er.
Unser neuer Nachbar hatte die Kapuze tief über das Gesicht gezogen und war zwischen den Klingeln und der Tür gelehnt.
Die Lider gesenkt blies er eine Rauchwolke aus, die intensiver war als mein leichter Atemzug, und zog erneut an dem Stümmel, als hinge sein Leben davon ab. Wie ein verdammter Auftragskiller auf Entzug.

Unsere Blicke trafen sich und er blickte mir regungslos entgegen. Ich hatte mich an ein Lächeln versuchen wollen, doch den Blick, den er mir zuwarf, war Aussage genug für mich.

Ich blickte unangenehm zu Boden, als ich die Straße überquerte, doch seine stechenden Augen schienen jede meiner Schritte zu beobachten, zu fixieren. Er beobachtete mich ohne es auch nur verbergen zu wollen. Hastig holte ich den Schlüssel aus der Tasche meines kurzen Kleides.

Das war das Praktische an dem Kleid, das eigentlich altmodisch war und dennoch zu mir passte. Estelle hatte mir dieses unbedingt andrehen wollen und letzten Endes hatte es auch funktioniert. Es war grau, hatte einen tiefen Ausschnitt, der einen einen genüsslichen Blick in mein Dekolleté erlaubte. Das Kleid war hauteng, doch besaß kleine Taschen, die ungefähr auf Oberschenkel-Höhe jeweils links und rechts waren. Die Taschen waren unauffällig und gewährten auch nicht Platz für größere Dinge. Ich hatte nur einen Schein in die linke  und meinen Schlüssel in die rechte Tasche gesteckt. Er besaß keine Anhänger, sondern war einfach nur nackt und leicht rostig. Ich war nicht der Typ Mensch mit viel Schnickschnack.

Doch tollpatschig wie ich war, fiel mir mein Schlüssel aus der Hand und landete vor unsere Füße. Vielleicht lag es daran, dass ich dank der Kälte zitterte oder mich der stechende Blick völlig nervös machte.
Als ich nach ihm greifen wollte, kam mir eine große Hand zuvor und ich wusste, ich konnte nun definitiv nicht einem Gespräch ausweichen. Ich kniff kurz die Augen zusammen und richtete mich dann auf.

»Danke«, hauchte ich erschöpft und lächelte falsch. Ich hatte das Gefühl, dass mein Blut schneller pulsierte, als ich ihm in die Augen blickte. Ich versuchte aus ihnen etwas zu deuten. War er verärgert? Seine Augen waren kalt, so unfassbar unberührbar. Nichts regte sich in seinem makellosen Gesicht. Doch diese Augen blickten mich an, als hätte ich gerade den Riegel einer Klassenkameradin gestohlen. Einer Klassenkameradin, die er verdammt gerne zu mögen schien.

Ich wollte nach meinem Schlüssel greifen, als er ihn abrupt nach hinten hielt, sodass ich automatisch nach vorne rückte und nicht bemerkte, dass ich den Sicherheitsabstand -den ich mir bei Psychos immer extra einplane- von einem Meter, nicht eingehalten hatte.
Er musterte meinen Körper und ich hatte das Gefühl, als würde er es diese Nacht nicht zum ersten Mal tun.

Obwohl die Jacke und das Kleid das Nötigste -mal von meinem Ausschnitt abgesehen- bedeckte, kam es mir vor, als wäre ich nackt. Splitterfasernackt seinen Blicken ausgeliefert, die auf meiner Haut brannten, sich jedoch zugleich wie Eiswürfel anfühlten. Nein, wie kleine Eiszapfen, die auf mich prallten.
Ich schob diese Gedanken beiseite und blickte ihm fragend entgegen, doch dennoch regte sich nichts bei ihm, weswegen mich seine tiefe, düstere Stimme zum Erschaudern brachte.

»Es ist gefährlich draußen«, sagte er und wandte seinen Kopf zu mir, »Sie sollten besser Nachtspaziergänge unterlassen.« Ich lachte leise und funkelte ihn an, denn seine Aussage ärgerte mich. Was ging es ihn an? Und wer gab ihm das Recht mich zu tadeln, mich wie ein Kind aufzuziehen?

»Denken Sie, ich würde dies nicht wissen?«

»Ich weiß es.«

Meine Pupillen weiteten sich und mein Mund wurde staubtrocken.
Wie bitte? Stellte er meine Intelligenz  in Frage?

»So, wie Sie angezogen sind,«, er musterte mich erneut,
»machen Sie nicht den Eindruck, als würden Sie wissen, welche Gefahren hier draußen lauern.«

Seine Worte verschlugen mir die Sprache. Dieser abschätzende Ton traf meinen Stolz wie ein Schneeball das Gesicht eines Kindes und ich funkelte ihn wütend an. Ich ließ mich doch nicht von dem Vollpfosten zur Schnecke machen.
Zwar trug ich ein kurzes Kleid und der Auschnitt war gewagt, doch es war allein meine Entscheidung, wie ich mich anzog und wann ich nach draußen ging.

»Sie wären das perfekte Opfer für einen Überfall, wenn nicht sogar für einen Mann, der seinen Machtsstatus auskosten möchte«, raunte er gefährlich ruhig weiter. Viel zu ruhig für einen Mann, der mit seinen Blicken garantiert tötete. Er verschlug mir die Sprache und ich blinzelte, völlig baff von seinen Worten mehrmals.
Ich biss meine Zähne aufeinander und blickte ihn herausfordernd an, versuchte seinen Blick standzuhalten. Vergeblich.

»Das hat Sie nicht zu interessieren. Ich habe Sie nicht zu interessieren«, zischte ich unterdrückt und blickte zu dem Schlüssel in der Hand. Doch ich wollte mich nicht zur Schnecke machen lassen und blickte ihm trotzig entgegen. Er blickte mich dennoch unberührt an und beugte sich hinunter, wodurch ich den Geruch von Zigarette wahrnehmen konnte. Ich verzog leicht das Gesicht und für eine Sekunde hatte ich seinen Mundwinkel zucken gesehen. So, als würde es ihn amüsieren wie ich den abartigen Geruch vergebens versuchte zu ignorieren. Er war eindeutig ein Psychopath.

Sein Gesicht war meinem so unfassbar nah, dass mich eine Gänsehaut überzog und sich meine Nackenhaare aufstellten. Sein intensiver Geruch aus Rauch und Zimt und die Weise wie er mich anblickte, wie er bei mir zu durchdringen versuchte, machte mich verdammt unsicher. Vorallem, weil ich mir zunehmend unsicher war, ob er ablas, was ich dachte.

Er drückte mir den Schlüssel in die Hand, womit er die ganze Situation nur noch mehr verzögerte, denn wir wussten beide, dass ich nun nicht einfach gehen konnte und um ehrlich zu sein, wollte ich wissen, was er zu sagen hatte.
Als seine Fingerkuppen jedoch meine Handinnenfläche berührten, wusste ich, dass sich nicht nur mein Feuer entfachte, sondern auch seines. Seine Augen loderten und ich schluckte bei dem kurzen Funkeln von Verlangen in seinen Augen.

»Das hat es tatsächlich nicht, Reese. Ein berühmter deutscher Dichter meinte einmal, dass alles, was den einen Menschen interessiere, auch in dem anderen einen Anklang finden würde«, säuselte er mir zu und ließ seinen Atem mein Gesicht streicheln.

Nicht nur ich schien zu bemerken, welche Spannung zwischen uns herrschte, denn er hob seinen Mundwinkel und zog einmal an seiner Zigarette, ohne mich aus den Augen zu lassen , bevor er aus meinem Sichtfeld verschwand und den Rauch ausließ, der durch den Wind ein wenig zu mir rauschte. Mr. Unknown ließ mich völlig benebelt vor Verwirrung alleine stehen. Ich blinzelte mehrmals und hörte seine Schuhe, die  jedoch von Schritt zu Schritt leiser wurden. Verbissen blickte ich leicht nach hinten.
Dieser Kerl war verdammt noch einmal ein Rätsel, das nicht zu rätseln war.

Ich musterte die Muskeln, die sich an der Jacke abzeichneten. Das Spiel seiner Muskeln und die grazilen Bewegungen glichen die eines Panthers, der seiner Aura nur allzu bewusst war.

Ich kaute an meiner Lippe und seufzte erneut, als ich mir vorstellte wie ich mit den Fingern über seine Schulterblätter fahre, meine Finger in die Einbuchtungen und an der Wirbelsäule hinab wandern. Viel zu spät realisierte ich, dass er mich beim Starren ertappt hatte. Er hatte seinen Kopf zu mir gewandt und seine Augen trafen die meine, glitzerten verdächtig. Er setzte ein selbstgefälliges Lächeln auf, das nicht zu übersehen war. Ehe ich meinen Kopf abwenden konnte, war sein Kopf wieder in die andere Richtung gewandt.

In welchen Mist begab ich mich nun schon wieder? Ich steckte den Schlüssel in das Schloss. Das Problem war nicht nur, dass dieser Mann nicht nur gut aussah, sondern auch noch belesen zu sein schien. Nicht jeder konnte Zitate von Dichtern bennnen. Besonders nicht die von Dichtern, dessen Herkunft in europäischen Bereichen lagen. Ich seufzte tief. Dieser Mann wurde attraktiver, je mehr er mir von sich preisgab.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top