PROLOG
Mir war speiübel und mein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub. Der Anruf meiner Schwester riss mir das Herz heraus. Einen Augenblick sammelte ich mich, packte die Tasche und lief ins Büro meines Chefs, um mich für diesen Tag beurlauben zu lassen. Die ganze Fahrt ins Krankenhaus verlief wie in Trance und ich musste mich zusammenreißen, um nicht noch einen Unfall zu bauen, so aufgewühlt wie ich war. Begreifen konnte ich es nicht.
Erin lief vor dem Empfangstresen auf und ab, die Arme um den Körper geschlungen, das Gesicht bleich und die Schultern hochgezogen. Ich hasste Krankenhäuser. Durch die Glasscheibe der riesigen Notaufnahme starrte ich meine Schwester an, unfähig mich zu bewegen. Ich wollte nicht dort rein. Wollte nicht sehen, was ich sehen musste. Als hätte sie mich gespürt, blickte sie auf und sah mich direkt an.
Mist.
Mit einem tiefen Atemzug trat ich vor, die Türen schwangen auf und ich ging in den grell beleuchteten Eingangsbereich, in dem es nach Desinfektionsmittel und Krankheit roch. Ohne ein Wort zu sagen, fiel Erin mir um den Hals. Wir hielten uns einen Moment lang fest, dann löste sie sich von mir und räusperte sich.
»Bist Du bereit?«
Wie könnte ich?
Stumm nickte ich und mir lief ein eisiger Schauer durch den Körper. Nein, dafür war ich ganz und gar nicht bereit. Erin griff meine Hand und gemeinsam gingen wir in den abgedunkelten Raum, aus dem leises Schluchzen dran und mir barst es das Herz, als ich Dad neben dem Bett sah, der in sich zusammen gefallen schien und die Hand meiner Mutter hielt.
Ich kann das nicht!
Meine Schwester schien zu spüren, dass ich am liebsten fliehen wollte, denn sie legte den Arm um mich und trat zu ihm. »Sie ist hier, Paps. Elona ist hier.« Ihre Stimme hörte sich kratzig und fremd an. Dad sah auf und ich fuhr erschrocken zusammen. Der stolze und aufrechte Mann, der immer einen Scherz auf den Lippen hatte und mein Fels in der Brandung war, schien verschwunden. Vor mir saß ein gebrochener Ehemann, der alles verloren hatte, was ihm je wichtig war.
»Sie ... ist fort. Einfach so.« Unter den Schluchzern verstand ich ihn kaum und ich schlug die Hände vor den Mund. Was sollte ich sagen? Wie mich verhalten? Ich brachte nicht den Mut auf, den Körper auf dem Bett anzusehen.
NEIN!
»Paps, ich ...« Mir versagte die Stimme und hilflos schlang ich die Arme um seinen Hals. Erin hatte sich auf das Bett gesetzt und starrte fassungslos auf den leblosen Körper unserer Mutter. Unter Aufbietung all meiner Beherrschung folgte ich ihrem Blick und keuchte erschrocken auf. Das schöne Gesicht glich einer wächsernen Maske, die unwirklich plastisch aussah, nicht mehr menschlich.
Dann kamen die Tränen.
3 Jahre später
Voll bepackt stapfte ich zum Bäcker, um mir meinen morgendlichen Kaffee und ein Brötchen zu holen. Mein Stammplatz am Fenster in der Ecke war frei und ich ließ mich auf den Stuhl fallen, klappte den Laptop auf und checkte die E-Mails.
»Guten Morgen Ms. Steel. Wie immer?«, begrüßte mich die Verkäuferin freundlich, die ich seit Kindertagen kannte und ich lächelte sie an.
»Guten Morgen Bess. Ja, wie immer.« Hier gab es einen gute Kaffee, frische Brötchen und himmlische Croissants, und da ich morgens jede Minute brauchte, um wach zu werden, schaffte ich es nie, mir zu Hause ein ordentliches Frühstück zuzubereiten. Also holte ich mir meinen Energieboost hier. Das Projekt, an dem ich gerade arbeitete, lief gut und ich stellte zufrieden fest, das wir voll im Zeitplan waren.
Großartig!
»Hier Süße, frisch aus dem Ofen und noch warm.« Bess, die Kellnerin, stellte mir den dampfenden Milchkaffee sowie ein Buttercroissant mit Kirschmarmelade auf den Tisch und legte die Tüte mit dem Brötchen daneben. Dankbar grinste ich sie an, denn sie kannte meine Vorliebe für dass buttrig nussige Aroma der sündigen Croissants, die sie hier machten.
»Hmm, es duftet himmlisch«, schwärmte ich, rupfte ein Stück ab und schob es genüsslich in den Mund. »Es tut mir sehr leid. Das ist wirklich eine Schande«, vernahm ich Bess neben mir und irritiert blickte ich zu ihr hoch.
»Wie bitte? Was meinst du?«, fragte ich mit vollem Mund, bemüht den Bissen hinunter zu schlucken.
»Das mit der Firma. Ich will mir nicht ausmalen, wie es Mr. Steel jetzt gehen muss. So viele Menschen, die ihren Job verlieren werden. Eins der letzten familiengeführten Unternehmen in London und dann das.« Perplex starrte ich Bess mit offenem Mund an.
Wovon zum Teufel redete sie da bloß?
»Ich verstehe nicht ...« Ein Schatten huschte über ihr rundes Gesicht und in ihren Augen trat blankes Entsetzten, als habe sie etwas Schreckliches gesehen. »Ähm, oh ... ich – also das ... weißt du, es ist ...«Jetzt war meine Neugier geweckt und ich fixierte sie mit prüfendem Blick.
»Bess, wovon zum Kuckuck redest du da?« Sie trat nervös von einem auf den andern Fuß und schaute hektisch zur Theke, an der ihre Chefin gerade eine Dame bediente.
»Nichts. Ich ... entschuldige mich.« Hastig lief sie davon und ließ mich mit einem riesigen Fragezeichen alleine. Ich zückte mein Smartphone und wählte Dads Nummer, landete allerdings sofort auf seiner Mailbox. Dann rief ich im Büro an, doch bekam nur Mrs. Fuller, seine Sekretärin, ans Telefon.
»Guten Morgen Elona. Es ist ewig her. Was verschafft mir die Ehre?«
»Guten Morgen, das stimmt. Sie wissen ja, viel zu tun – das übliche. Sagen Sie, ist mein Vater da?« Ihr Räuspern machte mich stutzig. »Nun, es ist ... er ist noch nicht im Büro.« Erstaunt blickte ich auf die Uhr – 8:30h.
Seltsam.
»Hat er einen Auswärtstermin?«
»Äh, nein«, antwortete sie leise und ihr Zögern machte mich nervös.
»Wo zum Henker ist er dann?«
»Ich – weiß es nicht.« »WAS? Wieso ...« Panik stieg in mir auf. Wenn ihm was passiert ist? Nein, dann hätten sie mich längst informiert.
Was war hier los?
»Elona, ich wusste nicht ... es wäre wohl an der Zeit, das Sie vorbei kommen.« Mrs. Fuller hörte sich mitgenommen und erschöpft an und das war so gar nicht ihre Art, denn sie sprühte sonst vor Enthusiasmus und Engagement. In Windeseile packte ich alles zusammen, zahlte und rauschte aus der Bäckerei zum Auto. Als ich wenig später auf dem Parkplatz von Steel Leather Manufacture stand, fiel mir sofort auf, das etwas nicht stimmte. Keiner der Lkw war beladen, es waren keine Paletten an den Rampen und der Hof schien wie ausgestorben.
Wo waren die alle?
Eigentlich hatte ich keine Zeit für diesen Mist, denn ich musste in zwei Stunden eine Präsentation für einen Kunden vorbereiten, doch mein Bauchgefühl sagte mir, das hier war wichtiger. Mit einem mulmigen Gefühl stieg ich aus und ging direkt zum Büro meines Vaters hoch, das in dem altehrwürdigen, rotgeklinkerten Backsteingebäude mit den großen Sprossenfenstern das Herzstück und die Schaltzentrale des Familienunternehmens Steel Leather Manufacture war. Eine unheimliche Stille empfing mich und ich beeilte mich, den langen Flur zum Büro zu gelangen. Mrs. Fuller kam mir entgegen und bei ihrem Gesichtsausdruck blieb mir fast die Luft weg. »Ich dachte, er hätte es Ihnen gesagt.«
»Was meinen Sie?«
»Die Firma – es ist eine Katastrophe. Er wollte keine Hilfe annehmen. Ich wusste nicht, das er sich so verschlossen hat. Es tut mir unendlich leid.« Auf seinem Schreibtisch türmten sich Akten und Papiere. Völlig untypisch, da hier immer Ordnung herrschte. Mrs. Fuller deutete auf einen wichtig aussehenden, mehrseitigen Brief. Der Inhalt zog mir den Boden unter den Füßen weg und ich sank entsetzt auf den Sessel. Ich wählte Erins Nummer, die zum Glück sofort dranging.
»Mit dir hätte ich so früh nicht gerechnet«, gähnte sie und ich verdrehte die Augen.
»Komm sofort zu Dad in die Firma.«
»Wieso? Ich hab gleich einen Frisörtermin und bin mit Ashley zum Brunch verabredet. Kann das nicht warten?«
»Erin, schwing deinen Hintern hier her. Es ist wichtig«, zische ich angespannt ins Telefon und höre, wie sie fluchend aufsteht.
»Was soll denn sein, verdammt.«
»Wir sind pleite!«
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So, der Auftakt zu SNATCH: hold me tight ist gemacht. Wie findet Ihr es???
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