KAPITEL 4
Elona
Wieder und wieder habe ich gestern Abend den Text vor dem Spiegel geübt. Er soll klar und unmissverständlich, aber höflich klingen. Sir Malcom wollte es mir ausreden, doch nachdem ich ihm zu verstehen gegeben habe, dass ich erstmal eine harte Linie fahren will, um zu sehen, mit wem wir es zu tun haben, stimmte er milde lächelnd zu und gab mir einen Crashkurs in Sachen bluffen.
Erin hatte sich am gestrigen Vormittag zu mir ins Büro gesellt und mir spitz erklärt, dass es ihre Pflicht als Älteste wäre, die Verhandlungen zu führen. Wir hatten eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung, wie so häufig, doch im Hinblick auf die desaströse Situation rissen wir uns beide zusammen, erlebten einen kurzen Moment der Reue und begruben das Kriegsbeil fürs Erste. Gemeinsam sind wir stärker und ich musste neidlos anerkennen, dass Erin die eindeutig bessere Schauspielerin von uns beiden ist. Ihr sicheres, elitäres Auftreten hat schon so manchen hartgesottenen Kerl in die Flucht geschlagen und sie kann überaus überzeugend sein, wenn sie will.
Obwohl wir uns zwei Tage zuvor an die Gurgel gegangen sind, stehen wir heute zusammen, um das Familienschicksal zu unseren Gunsten zu wenden. Erin holte mich zu Hause ab und ich war wie immer überwältigt, wie umwerfend gut sie aussah. Ihr haselnussbraunes Haar hat sie zu einem Knoten im Nacken zusammengesteckt und ihre dunklen Rehaugen sind perfekt geschminkt – etwas, das mir nur mit viel Zeit und Mühe gelingen würde. Die vollen Lippen sind mit einem Hauch roséfarbenem Lipgloss betont und sie sieht wie eine wahre Leinwandschönheit aus, ohne aufgedonnert zu wirken. Ihr graues Kostüm, dass ihre schlanken Beine und die weichen Kurven ihrer Hüfte akzentuieren, lässt sie wie eine Geschäftsfrau erscheinen, die genau weiß, was sie will. Mit den roten Peeptoes sieht das Ganze sexy und einfach nur umwerfend aus. Das beherrschte sie seit jeher – sich in Szene zu setzen. Vielleicht können wir das zu unserem Vorteil nutzen. Als wir heute früh in Dads Büro ankamen, gebot sie mir, mich hinzusetzen, und legte bei meinem Make-up, das quasi nicht vorhanden war, Hand an, zupfte hier am Kleid, richtete dort eine Haarsträhne und verpasste mir ein wenig Glamour. Fertig!
»Hast du die Zahlen und Namen im Kopf?«, fragt sie mich ein letztes Mal ab, als sie meine Nase mit einem dicken Pinsel abpudert.
»Ja, alles da. Keine hektischen Bewegungen, langsam sprechen und mir keine Emotion entlocken lassen«, fasse ich die Empfehlung von Sir Malcom zusammen.
»Sehr gut. So, das war es schon.« Zufrieden begutachtet sie ihr Werk und nickt dann. »Du siehst wunderschön aus. Mit minimalem Aufwand wird aus dir eine sexy Lady«, grinst sie mich frech an und ich verdrehe die Augen, weil ich das ganz und gar nicht finden kann. Nur jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren.
»Guten Morgen, die Damen«, ertönt Sir Malcoms volltönerne Stimme, die immer ein wenig knarrend klingt, was vermutlich an seinem Zigarrenkonsum und dem ein oder anderen Single Malt liegen wird, den er genießt.
»Sir Malcom, guten Morgen«, begrüßt Erin ihn und ich stehe auf, um ihm die Hand zu schütteln.
»Wie besprochen, nicht zu viel reden, und wenn etwas aus dem Ruder laufen sollte, greife ich ein«, spricht er uns Mut zu und holt seine Unterlagen aus der Aktentasche, die er vor Jahren von meinem Vater zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. »Haben Sie etwas von Howard gehört?«, fragt er leise und es ist ihm offensichtlich unangenehm, danach zu fragen.
»Leider nicht. Zu Hause war er gestern nicht und sein Telefon ist ausgeschaltet. Wenn wir heute nichts von ihm hören, werden wir die Polizei einschalten«, teilt ihm Erin resigniert mit. Wir haben zwei Stunden auf ihn gewartet, haben dann im Club angerufen, doch niemand hat ihn gesehen. Sein Wagen war nicht in der Garage und ich hoffe immer noch, dass er nur ins Landhaus gefahren ist, wo wir heute nach dem Termin hinfahren werden. Wenn er dort auch nicht ist, bleibt uns keine Wahl als ihn vermisst zu melden.
Sturer alter Mann!
»Auf meine Anrufe reagierte er ebenfalls nicht. Eine Schande ist das. Aber wenn dem alten Mistkerl was passiert wäre, hätten Sie schon Nachricht darüber bekommen«, brummt Sir Malcom, was mich kein Stück beruhigt. Nervosität steigt in mir auf und zu meinem Erstaunen nimmt Erin meine Hand und drückt sie.
»Du und ich – zusammen, okay!«
»Wir gemeinsam!«, antworte ich und wir umarmen uns. Dann strafft Erin die Schultern, sieht mir fest in die Augen und auch ich wappne mich für meinen Auftritt.
»Na dann los!« Mit Sir Malcom im Schlepptau gehe ich zielstrebig auf den Konferenzraum zu, in dem schon so viele lukrative Geschäfte abgeschlossen wurden, und öffne die schwere Tür.
»Guten Tag, meine Herren, herzlich willkommen bei Steel Leather Manufacture. Um keine falschen Erwartungen zu wecken: Wir werden nicht verkaufen.« Zu meinem Erstaunen kommt es flüssig, klar und mit einem scharfen, bestimmenden Unterton heraus.
Der Triumph währt jedoch nicht lange, denn als sich der Kerl, der das Bild, was Mum als letztes gekauft hatte, betrachtet, zu mir umdreht, bleiben mir meine nächsten Worte im Hals stecken. Er sieht wie eins dieser Models auf den Hochglanzcovern der Vogue oder Sports Illustrated aus. Großgewachsen, mit pechschwarzem Haar, das ein wenig zu lang ist, obwohl es im Nacken und an den Seiten akkurat rasiert einen gepflegten Eindruck macht. Aus einem gutgeschnittenen Gesicht starrt er mich aus sturmgrauen, wachsamen Augen an. Seine leicht gebräunte Haut hebt sich von dem weißen Hemd, das er trägt, ab und seine Körperhaltung signalisiert Autorität und eine unterschwellige Anspannung. Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich hatte mit ein paar schmierigen älteren Herren gerechnet, die uns in Versicherungsmakler-Manier weichkochen wollen. Fieberhaft überlege ich, was zu tun sei, doch mein Gehirn ist wie leergefegt. Alles, was ich machen kann, ist diesen umwerfend attraktiven Mann vor mir anzustarren.
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie sich die beiden anderen Herren von der Couch erheben und Erin sich und Sir Malcom vorstellt. Immer noch gaffe ich den Kerl vor mir an, der mich mit einem intensiven Blick interessiert mustert.»... meine Schwester Elona Steel, die ... Elona?« Die Berührung an meinem Ellbogen lässt mich erschrocken zusammenfahren und blinzelnd sehe ich Erin an, die missbilligend kaum merklich mit dem Kopf schüttelt.
»Äh, ja. Elona Steel, freut mich Mr. ...«
»Tash Montgomery. Sehr erfreut«, antwortet mein Gegenüber mit einer sonoren Stimme und streckt mir die Hand entgegen. Wie ferngesteuert ergreife ich sie und verkneife mir ein Seufzen, denn seine große Hand ist fest, warm und durch die Berührung in Kombination mit seinem tiefgründigen Blick wird mir ganz schummerig.
»Das ist unser Rechtsbeistand Sir Malcom Cliffort. Bitte, nehmen Sie Platz«, führt Erin ungerührt fort und deutet mit einer einladenden Geste auf die Sitzgruppe. Nachdem ich den beiden anderen Gästen, einem Ryan Barns und einem Wade Lamar die Hände geschüttelt habe, wandert mein Blick wie von alleine zu Mr. Montgomery, der sich mir gegenüber niedergelassen hat und lässig die langen Beine übereinanderschlägt.
»Das Intro impliziert etwas gänzlich anderes, als das, was uns in der Einladung angedeutet wurde«, eröffnet Mr. Lamar, der Jurist der Gegenseite, das Gespräch. Ein arroganter, selbstgefälliger Typ, mit einem Siegerlächeln und Killerblick, der eher wie der charmante Surferboy vom Strand, statt wie ein gestandener Rechtsanwalt aussieht. Er taxiert mich und dann Erin, bevor er mit einem verschlagenen Grinsen Sir Malcom beobachtet, der unbeeindruckt an seinem Kaffee nippt. Ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit stellt sich bei mir ein, da Sir Malcom die Gelassenheit ausstrahlt, die mir aktuell abhandengekommen ist. Und das nur wegen der hübschen grauen Augen des Mannes, der unsere Firma aufkaufen will.
Verflixt noch eins.
»Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor«, nehme ich den Faden auf. »Es handelte sich offenbar um eine interne – Unstimmigkeit«, lasse ich den aufgeblasenen Mr. Lamar wissen, der den Kopf ein wenig schief legt und mich aus schmalen Augen taxiert, als wolle er in meinen Kopf gucken.
»Tja, uns wurde versichert, dass Ihr Unternehmen in – verzeihen Sie den Ausdruck – Schieflage geraten ist und bereits Zahlungsverzug besteht«, wirft Mr. Barns, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, ein und sieht fragend zwischen Erin und mir hin und her. »Wir haben die Analysen Ihrer Gewinnauswertung überprüft und ...«
»Das Unternehmen steht NICHT zum Verkauf!«, presst Erin zwischen den Zähnen hervor und funkelt Mr. Barns wütend an, der sich mit einer beschwichtigenden Geste zurücklehnt. Eine unangenehme Stille breitet sich im Raum aus, die schwer auszuhalten ist. Die Zahlen sprechen gegen uns und sicher auch die Gerüchte, die bereits die Runde machen, wir seien Pleite – gut, faktisch sind wir das – aber ich kann und will mich noch nicht geschlagen geben. Nicht, solange wir nicht alles versucht haben, um diesen Alptraum zu beenden und die Firma zu retten.
»Aus sicherer Quelle wissen wir, dass es bereits zu Streichung weiterer Kreditlinien gekommen ist, und wir ...«
»Meine Herren, Ihr Enthusiasmus ehrt Sie, aber ich will eins klarstellen«, klinkt sich Sir Malcom in das Gespräch ein, »sollten Sie ohne die ausdrückliche Genehmigung meiner Mandantinnen Informationen über empfindliche Details hinsichtlich der Unternehmensinternas eingeholt haben, versichere ich Ihnen, werden wir dagegen vorgehen. Überlegen Sie sich also gut, in welche Richtung dieses Gespräch laufen soll.« Damit hebt er die Kaffeetasse, starrt Mr. Lamar an, der seine Verblüffung gut kaschiert, und lehnt sich dann entspannt zurück.
»Offensichtlich haben sich die Rahmenbedingungen gerade geändert«, räuspert sich Mr. Barns zerknirscht und ich nicke vorsichtig. »Nun, unser Ziel war es, Ihnen einen lukrativen Vorschlag zur Klärung Ihrer – Situation – zu unterbreiten. Zudem basieren unsere Einschätzungen auf den in öffentlichen Registern zugänglichen Informationen«, lenkt er ein und sieht fragend zu Mr. Montgomery, der mich unverwandt anblickt, was mich langsam nervös macht. Der rührt sich jedoch nicht und so nimmt Mr. Lamar das Zepter erneut in die Hand.
»In der Tat war unser Anliegen auf eine unkomplizierte Lösung ausgelegt, da die Anfrage aus Ihrem Haus mit einer gewissen Dringlichkeit versehen war.« Weder Erin noch ich rühren uns daraufhin. Sollen sie doch die Katze aus dem Sack lassen, damit wir einschätzen können, ob es die Mühe überhaupt wert ist, das Gespräch weiter fortzuführen. Die Miene des Anwaltes zeigt deutlich sein Missfallen über die Situation und sein Blick wird stechend, als er fortfährt.
»Durch die Größe der Immobilien, deren Lage und in Anbetracht der laufenden Kosten für Leasing, Umlagen et cetera werden Sie, auf Basis unserer Schätzungen sowie der aktuellen Marktgegebenheiten, monatlich um die 250.000£ hinlegen müssen. Bei den Mitarbeiterkosten waren wir vorsichtig, zugegeben, aber die könnten Sie in Kurzarbeit schicken. Der Rest – tja, der ist durch die Bank veranschlagt und wird sie mit jedem Tag ein Stück näher in den Bankrott treiben. Das hat Auswirkungen auf Ihre bisher tadellose Reputation. Um die zu retten, damit Sie sich neu aufstellen können, dafür hätten wir einen Vorschlag anzubieten.« Nun redet er wie der versierte Jurist und eiskalte Verhandlungsexperte, vor dem es mir gegraut hat.
Erin starrt ihn an, ihre Miene verrät keine emotionale Regung, was ich zu tiefst bewundere, da ich schon bei der simpelsten Komplikation rot werde und meine Deckung verliere. Erin ist eindeutig die mit dem Pokerface von uns beiden, wie sie heute eindrücklich unter Beweis stellt. Sie setzt sich kerzengerade hin, ihren Blick auf den blonden Juristen fixiert und wir kommen alle in den Genuss, die Show der großen Erin Steel zu sehen.
»Mr. Lamar, wie es scheint, habe ich mich vorhin nicht klar ausgedrückt, also werde ich es der Höflichkeit halber wiederholen: Wir verkaufen nicht! Nicht jetzt, und nicht zukünftig. Ist das nun angekommen?« Ihre Stimme ist ruhig, aber scharf wie eine Rasierklinge und bewirkt, dass der Womanizer Mühe hat, die Fassung zu wahren, denn seine Kiefer mahlen aufeinander und sein Blick schreit: I kill you right here.
Um eine derbe Eskalation zu verhindern, räuspere ich mich, um den Faden aufzunehmen. »Gut, meine Herren, da wir offensichtlich alle unter divergierenden Voraussetzungen in dieses Gespräch gestartet sind, sollten wir uns vertagen, um die Situation neu zu analysieren«, schlage ich diplomatisch vor, da Mr. Barns angestrengt in seine Unterlagen starrt, Mr. Lamar weiter ein stummes Gefecht mit meiner Schwester austrägt und Mr. Montgomery mich mit einem seltsamen Ausdruck auf dem attraktiven Gesicht ansieht, was fast schon unangenehm ist.
»Wir sind hier noch nicht fertig«, zischt Mr. Lamar, aber Erin funkelt ihn ehrerbietig an, was ihm zu imponieren scheint, da er sich eines weiteren Kommentars enthält.
»Um das Ganze zusammenzufassen: Fakt ist, Sie haben finanzielle Schwierigkeiten«, ertönt die wohlklingende Stimme von Mr. Montgomery und mein Blick schießt zu ihm. Es von jemand Fremden zu hören, ist niederschmetternd und reißt mir ein Stück meines Herzens heraus. Mum wäre todunglücklich über die Situation. »Wir haben möglicherweise eine Lösung für Sie.« Erin will aufgebracht etwas erwidern, doch Sir Malcom legt ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Da wir allerdings neue Berechnungen anstellen müssen, um die Gesamtsituation in einem anderen Licht zu betrachten, stimme ich dem Vorschlag von Ms. Steel zu, uns zu vertagen.« Anhand der entgeisterten Gesichter seine Mitstreiter ist abzulesen, dass ihnen die Aussage ihres Bosses nicht schmeckt, denn der Jurist zieht scharf die Luft ein, während Mr. Barns kurz die Augen schließt und ihn mit einem gequälten Ausdruck ansieht und leicht den Kopf schüttelt. Aber sie widersprechen nicht, was mich beeindruckt. Er hat augenscheinlich die Hosen bei dem Trio an.
Bevor eine wilde Diskussion losbricht, stehe ich auf und sogleich folgt Erin meinem Beispiel. Den Herren bleibt nichts weiter übrig, als sich ebenfalls zu erheben, und damit ist das Meeting offiziell beendet. Sir Malcom übernimmt als neutraler Part das Verabschiedungsprozedere und wir verabschieden uns der Reihe nach von den Besuchern, die nun unverhoffter Weise abziehen müssen. Als Mr. Montgomery mir die Hand reicht, sieht er mich wieder mit diesem intensiven, forschenden Blick an, bei dem ich wie ein Reh im Scheinwerferlicht erstarre. In seinen grauen Augen hinter versuchter Neutralität entdecke ich etwas Ungezügeltes, das mir einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Dieser Mann verbirgt etwas und scheint keine Skrupel zu haben, für sein Ziel jede Maßnahme zu ergreifen, die notwendig ist.
Sei wachsam Elona, denn er ist der Feind!
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