Grün trifft Grau

Ellen
Es herrschte ziemlicher Aufruhr im Krankenflügel, bei der letzten Mission waren mehrere Mitglieder der Spezialeinheit verletzt worden. Darunter war auch mein Zwillingsbruder Eren, neben dem ich gerade saß. Er hatte einige Schnitte im Arm, doch sein Körper begann bereits dampfend sich selbst zu heilen. Nachdenklich betrachtete ich ihn, während er mit unserer Adoptivschwester Mikasa diskutierte. Ich sah Eren tatsächlich sehr ähnlich, wir hatten exakt die selbe Haar- und Augenfarbe. Aber meine Gesichtszüge waren femininer und feiner geschnitten als seine. Ich war schlank, hatte lange Beine, mittlere Oberweite und war nicht sehr groß.
"Ellen! Kannst du mir kurz unter die Arme greifen?"
,hörte ich Hanji meinen Namen rufen. Ich drehte mich zu ihr um:
"Was ist los?"
"Ich habe gerade alle Hände voll zu tun, der Corporal ist leicht verwundet und beschwert sich die ganze Zeit, dass er nicht noch länger warten will und gleich geht. Kannst du kurz nach ihm sehen?"
Während meiner Ausbildung zur Soldatin hatte ich auch noch eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, was sich schon oft als sehr nützlich erwiesen hatte. Hin und wieder half ich Hanji im Krankenflügel aus, wenn ich nicht selbst zuviel zu tun hatte. Ich nickte und erhob mich:
"Klar, mach ich gerne."
Sie strahlte mich an, bevor sie davon rauschte:
"Danke Ellen, du bist ein Schatz!"
Ich winkte ab und steuerte auf den Hauptgefreiten zu, der auf einer Liege saß und ziemlich genervt schaute.
"Wo bleibt Vierauge? Ich habe noch jede Menge Papierkram zu erledigen und sie lässt mich warten."
,motzte er mich an, sobald ich vor ihm stand. Etwas überrumpelt murmelte ich:
"Ich werde Sie behandeln, Sir. Hanji muss sich erst um die mit schwereren Verletzungen kümmern. Wo sind Sie verwundet?"
"Tch. Ein Kratzer."
,ohne Aufforderung knöpfte er sein Hemd auf, sodass ich freie Sicht auf seinen durchtrainierten, athletischen Eightpack hatte, über den ein langer Schnitt verlief. Krampfhaft bemühte ich mich darum, nicht rot zu werden und nicht auf seine Muskeln zu starren, während ich die Wunde mit Alkohol säuberte.
"Ich muss das nähen, sonst könnte es sich entzünden, Sir."
Er zuckte die Schultern:
"Tu was du tun musst, Göre."
Nachdem ich die nötigen Materialen zusammen hatte, setzte ich die Nadel an, öffnete den Mund um etwas zu sagen und sah dem Corporal das erste Mal in meinem Leben in die Augen. Doch die Worte blieben mir im Hals stecken,denn in seinen grauen Augen schien ein Sturm zu wüten, so stark, kalt und ungebrochen wie Stahl, der mich fesselte. Ich riss mich zusammen und löste mich von dem Anblick, verlegen wandte ich den Blick ab und stammelte:
"Das... das könnte jetzt ein wenig ziepen, Sir."
"Tch."
Vorsichtig begann ich mit dem Nähen, es war unvermeidbar, dass meine Hände dabei seinen Bauch berührten. Jedesmal, wenn meine kühlen Finger seine Haut streiften, zuckte ich unbewusst vor der Hitze zurück. Ich konnte seinen brennenden Blick auf mir spüren und beschwor mich, mich nur aufs Nähen zu konzentrieren und nicht hochzusehen. Meine Hände zitterten, so sehr verunsicherte mich dieser Mann. Bis jetzt hatte ich Corporal Levi höchstens beim Essen gesehen, oder bei größeren Versammlungen und Missionen. Es war mir unerklärlich, wieso Humanity's Strongest solch eine Wirkung auf mich hatte.
"Du bist Yaegers Schwester?"
,seine tiefe Stimme jagte mir Schauer über den Rücken, aber ich ließ mir nichts anmerken:
"Seine Zwillingsschwester, Sir."
"Und du bist in Hanjis Squad?"
"Ja, Sir."
Er schnaubte:
"Soweit ich mich erinnere warst du unter den zehn Besten, Balg. Was machst du also in Vierauges Gruppe?"
"Ich wurde eben so eingeteilt."
"Hm..."
,er klang nachdenklich. Ich schnitt den Faden ab und säuberte nochmal alles:
"Fertig, Sir. Sie können jetzt gehen."
Er knöpfte sein Hemd zu, stand auf und wandte sich nochmal an mich:
"Wie heißt du?"
Seine Augen fixierten meine, grün traf grau.
"Ellen. Ellen Yaeger."
Er nickte und verließ mit schnellen Schritten den Raum. Sobald die Tür hinter ihm zufiel, fiel auch die Anspannung von mir ab. Ich atmete tief durch, dann ging ich zurück zu Eren und Mikasa.

Während dem Mittagessen konnte ich mich nicht auf die Gespräche zwischen meinen Freunden konzentrieren, ständig schweiften meine Gedanken ab, bis ich mich schließlich komplett ausklinkte. Irgendwie hatte ich nie richtig in Gruppen gepasst, schon damals in meiner Familie war ich mir hin und wieder fehl am Platz vorgekommen. So fühlte ich mich auch manchmal hier im Aufklärungstrupp. Ich war schon immer ein ruhiges Mädchen gewesen, vor allem Menschen gegenüber, die ich nicht gut kannte. Ich machte mir Gedanken über Dinge, über die kein anderer nachdachte. Sobald ich ein Band mit einer Person geknüpft hatte, zeigte ich mehr von mir und kam aus mir heraus, aber gegenüber Bekannten oder Fremden bewahrte ich immer Haltung. Freundlich und höflich, aber ruhig und distanziert. Seit wir unsere Mutter verloren hatten und dem Aufklärungstrupp beigetreten waren, kämpfte Eren mit der Motivation, alle Titanen zu töten und schwor Rache. Mikasa wollte nur über uns wachen, vor allem über Eren. Ich jedoch hatte mich dafür entschieden, weil ich die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgeben wollte. Die Hoffnung auf Freiheit! Ich war keine überragende Soldatin, nicht sehr stark oder schnell, aber ich konnte mich gut um Verletzte kümmern und anderen helfen.
"Ellen! Hörst du mir überhaupt zu?!"
,ein Arm stieß mich leicht in die Seite und ich wurde aus meinen Gedanken gerissen.
"Tut mir leid, Eren. Ich habe über etwas nachgedacht."
Mein Bruder sah mich beleidigt an, murmelte dann aber bereitwillig:
"Du hast noch gar nichts gegessen, Schwester. So wirst du auch nicht stärker! Und mehr Schlaf könntest du auch gebrauchen, ich sehe doch, wie müde du bist, egal wie gut du das überspielen kannst!"
Ich lächelte und begann ihm zu liebe zu essen:
"Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut!"
Ich legte genau die richtige Portion Ruhe und Sicherheit in meine Stimme, die Eren zufrieden machte. Er grinste mich wohlwollend an, bevor er sich an Jean wandte und mit ihm über irgendetwas diskutierte. Mikasa ließ sich jedoch nicht so leicht abwimmeln:
"Hast du wieder Probleme mit den Visionen? Deshalb kannst du nicht schlafen."
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Ich seufzte und sagte dann leise:
"Es sind mehr geworden in letzter Zeit. Und sie dauern immer länger, die halbe Nacht, bis ich aufwache..."
"Ich bekomme das mit. Du redest dann im Schlaf, manchmal weinst du auch und..."
,sie hielt inne und starrte auf etwas hinter mir:
"Wieso glotzt er so hierher?!"
Sie klang ziemlich hasserfüllt und abweisend, und noch bevor ich über meine Schulter geblickt und direkt in die grauen Augen geschaut hatte, wusste ich bereits, dass sie Corporal Levi meinte. Seit er Eren bei der Gerichtsverhandlung verprügelt hatte, hegte sie eine tiefe Abneigung gegen ihn.
"Er beobachtet dich jetzt schon die ganze Zeit, Ellen."
,knurrte sie, ihr Beschützerinstinkt kam mal wieder zum Vorschein:
"Die Frage ist nur, wieso?"
Das fragte ich mich auch.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top