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Es sind noch drei Minuten. Doch meine Augen liegen nicht länger auf der Uhr, sondern auf seinen Lippen. Ich muss genau hinhören, doch kaum verstehe ich was er sagt, lege ich meine Hände an die Kopfhörer und entferne sie. Genau das selbe mit der Augenbinde und streiche ihm vorsichtig über seinen Kopf, seine nasse Wange und seine Arme. "Ich bin da... Alles ist gut...."

Er hat es gesagt. Er hat das Safeword benutzt. Er vertraut mir.

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Alles in mir spielte verrückt... Auf der einen Seite wusste ich, dass er da war. Er hatte es mir gezeigt... Hatte mich gehalten. Auf der anderen Seite spürte ich ihn in dem Moment nicht mehr. Doch in der Sekunde, als das Wort über meine Lippen kam, war er da. Er hatte sein Versprechen gehalten.

Entspannt döse ich nun in seinen Armen. Nachdem er mich von allen Fesseln befreit hatte, hat er mich in den Arm genommen und sich mit mir auf das Sofa gesetzt. Wie lange wir nun schon hier sitzen weiß ich nicht, doch es ist schon dunkel geworden... Also so richtig dunkel. Und ich glaube das kommt nicht nur von dem schlechten Wetter.

Nach einer Weile spüre ich, wie mir meine Haare vorsichtig aus dem Gesicht gestrichen werden und ich schaue mir müden Augen auf. "Komm mit. Wir gehen ins Bett~", haucht er und ich gebe einen leisen, quengelnden Ton von mir. Ich will nicht aufstehen... Nicht weg gehen... Doch so wirklich geht er nicht darauf ein, denn mit einem Mal kann ich spüren, wie er aufsteht und mich einfach mitträgt.

~~~

Der Tag gestern hat damit geendet, dass Mister Baranow mich in sein Bett gebracht hat. Er hat mir geholfen meine Klamotten auszuziehen und hat sich dann, wie zuvor auch, an mich gekuschelt und hat mich schlafen lassen. Gerade liege ich noch immer in seinen Armen. Draußen wird es erst in einer Stunde hell und wieso genau ich wach geworden bin, kann ich nicht sagen. Doch schlafen kann ich nicht mehr.

Meine Gedanken gehen immer wieder zum gestrigen Tag zurück. Zu dem, was er mit mir gemacht hat. Zu der Strafe. Und das Schlimmste dabei ist, dass ich nicht einmal sagen kann, was genau mich daran so beschäftigt. Die Tatsache, dass ich einen Teil der Strafe mochte, oder die Tatsache, wie ausgeliefert ich mich gefühlt habe.

Zu Beginn... Diese Fesseln. Es hat ein warmes Kribbeln in mir ausgelöst. Ich wusste genau, das ich mich mit den Fesseln keinen Millimeter bewegen kann... Das er alles hätte machen können... Und ich ihm vollkommen ausgeliefert gewesen wäre... Doch ich hatte keine Sekunde einen Zweifel. Es war vollkommen okay für mich. Doch dann... Die Augenbinde hat mich meine Sicht genommen. Hat mir die Gewissheit genommen, das ich nicht alleine bin. Genau das macht mir Angst. Und zu allem Überfluss sind dann auch noch die Kopfhörer dazu gekommen...

Im Keller hatte ich gelernt auf jedes kleine Geräusch zu achten. Alles kann einem rechtzeitig sagen, dass jemand kommt. Schritte verraten von wo jemand auf einen zukommt, wie schnell und wie weit entfernt er ist... Manchmal auch wer es ist. Mister Baranow erkennt man zum Beispiel immer... Er hat so etwas an seinem Gang... Etwas das ich überall wiedererkennen würde. Das Klicken einer sich schließenden Tür.... Das Tippen auf einer Computertastatur... Das schreiben eines Stiftes. All das kann einem die Gewissheit geben, das man nicht alleine ist...

Und all das, hat er mir gestern genommen.

Und dennoch kann ich ihm nicht eine Sekunde böse sein. Er hat mir versprochen, dass er mich keine Sekunde alleine lässt, und so wie es aussieht, hat er sein Versprechen gehalten. Er hat sofort reagiert, als mich meine Panik übermannt hat. Er war sofort da und hat mir wieder die Sicherheit gegeben, die ich so sehr gebraucht habe.

Ein leises Seufzen verlässt meine Lippen und ich schaue neben mich in das friedliche Gesicht von Mister Baranow. Immer wieder stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich vor all der Zeit nicht entführt wurden wäre. Wenn er mich nie zu sich geholt hätte. Wäre ich wie die anderen auch bei dem Attentat gestorben? Oder wäre ich wie Ben davon gekommen? Hätte mich Kevin zu sich geholt oder hätte er sein Vorhaben in der Gasse zu Ende gebracht...

Ein Schauer geht mir über den Rücken. Ich hatte die ganze Zeit verdrängt, was an jenem Tag passierte, als ich entführt wurde. Hätte er mich vergewaltigt? So wie es Vanessa angedroht hatte, als sie und Kevin mich entführt hatten? Automatisch drücke ich mich näher an Mister Baranow. Egal wie ich es drehe und wende... Ich denke, ich habe hier das Beste Leben, das ich hätte bekommen können. Es gibt zwar einige Regeln.... Aber wenn ich mich an diese halte, kann ich hier ohne Angst leben und habe jemanden, der mich scheinbar gerne bei sich hat.

Erneut breitet sich ein warmes Gefühl in mir aus und zufrieden schließe ich nun doch noch einmal meine Augen.

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Als ich das nächste Mal meine Augen öffne, sehe ich direkt in die blauen Augen von Mister Baranow. Sofort muss ich lächeln und seufze wohlig aus. Ich liebe diese Augen... "An was denkst du~", haucht er leise und ich wende einen Moment verlegen meinen Blick ab. Dann schaue ich ihn aber wieder an und antworte wahrheitsgemäß: "Ich mag Ihre Augen Sir... Ohne die Kontaktlinsen..." Es ist für ihn nichts neues. Das Thema hatten wir schon einmal so ähnlich. Auch er scheint sich daran zu erinnern und streicht mir mein Pony aus dem Gesicht.

"Ich habe heute nur ein paar Dinge in meinem Büro zu erledigen. Wenn du möchtest kannst du im Wohnzimmer malen.", meint er aber und ich schaue ihn einen Moment eher traurig an. Ich hatte gedacht, er wird den Tag mit mir verbringen.... Doch wenn das sein Plan ist...

Wir stehen gemeinsam auf und er gibt mir ein paar Klamotten die ich anziehen soll. Eher lustlos ziehe ich mich an und folge ihm stillschweigend in Richtung des Wohnzimmers. Nachdem er einen Anruf getätigt hat und somit Frühstück für uns organisierte, ist er im Badezimmer verschwunden und hat mich alleine im Wohnzimmer zurück gelassen. Seufzend lasse ich mich auf dem Sofa nieder und starre an die Decke. Was soll dieses blöde Gefühl in meiner Brust nun? Kann das nicht weg gehen...?

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