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Der Tag neigt sich dem Ende zu. Draußen wird es dunkel und wir haben auch das Abendessen hinter uns. Wie Mister Baranow versprochen hatte, haben wir den ganzen restlichen Tag auf dem Sofa verbracht und Filme geschaut. Irgendwann konnte ich mich auch tatsächlich wieder auf den Film konzentrieren. Jetzt liege ich in seinem Bett und starre die Decke an. Er hat mir erlaubt die Nacht noch hier zu verbringen, bevor ich morgen zum Frühstück wieder zu den anderen Sklaven komme.

Auch meine eigentliche Aufgabe, seine Räumlichkeiten aufzuräumen habe ich vollkommen vernachlässigt. Als ich höre wie seine Schritte näher kommen, drehe ich mich auf die Seite und schließe meine Augen. Ich verlangsame meine Atmung und tu so, als würde ich schon schlafen. Ich war zwar absolut nicht müde, aber auf eine erneute Konversation habe ich auch keine Lust. Ich höre mit gespitzten Ohren zu, wie er seine Klamotten auszieht und sich dann neben mir in sein Bett legt. Das Licht geht aus und er zieht die Decke über sich, ehe er sich zu mir dreht und wieder einen Arm um mich legt. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und seufze leise auf.

Erinnerungen an vor meine Flucht kommen in mir hoch. Er hat es schon damals sehr gemocht, mich nahe zu sich zu ziehen und mit mir in seinen Armen zu schlafen. Ich warte eine ganze Weile, doch als sich seine Atmung beruhigt hat, drehe ich mich in seinen Armen um und schaue ihn in dem dunklen Licht, welches durch den hellen Mond im Zimmer herrscht, an. So wie er jetzt vor mir liegt sieht er friedlich aus. Entspannt. So als könnte er keiner Fliege etwas zu leide tun. Doch ich weiß es besser. Ich weiß, dass er durchaus wütend sein kann. Enttäuscht. Besorgt.

Wieder landen meine Gedanken bei dem, was er mir heute und gestern vermittelt hat. Das ich ihm gegenüber immer hundert Prozent offen sein muss. Das ich ihm alles anvertrauen muss, ihm meine Ängste  und Zweifel vorlegen muss. Das ich die Macht habe, alles zu unterbrechen, und das mit nur einem einzigen Wort. Und das es okay ist, wenn ich es benutze. Das ich es benutzen muss. Meine mittlerweile durch die Ruhe entspannten Muskeln erinnern mich trotz allem an die Strafe, die er mir gegeben hat, damit ich es lerne.

Und dann wandern meine Gedanken wieder zu dem, was er heute gesagt hat. Es ist okay, wie ich bin, egal wie ich bin. Aber wie bin ich denn? Seufzend schließe ich meine Augen und versuche zu schlafen.

Als ich meine Augen erneut öffne, finde ich mich geblendet von der Sonne in einer dichten Wiese wieder. Ich laufe umher, kann ein Lachen hören und merke, wie mein Herz vor Freude schneller schlägt. Immer schneller laufe ich durch die Wiese und dem Lachen entgegen. Dann sehe ich das Ende der Wiese. Ich finde mich am Rande eines Waldes wieder. Von dort kommt das Lachen. Jetzt kann ich auch eine Stimme hören. Sie hört sich männlich an. Gefolgt von einem erneuten Lachen. 

Ich gehe weiter auf den Wald zu und sehe, wie eine Frau in einem hellen Sommerkleid hinter einem Dicken Baum hervorkommt. Sie schaut hinter sich und lacht. Sie ist also die Person, deren Lachen ich gefolgt bin. Ich gehe weiter auf sie zu und sehe dann, wie ein Mann, etwa in ihrem Alter, von der anderen Seite hinter dem Baum hervorkommt. Er schlingt seine Arme um sie und wirbelt sie im Kreis herum. Jetzt lachen beide. Sie sehen glücklich aus. Ein Lächeln bildet sich auch auf meinen Lippen und ich gehe noch ein paar Schritte näher auf die beiden zu. 

Dann erkenne ich, dass die Frau mich sieht. Sie löst sich von dem Mann und kommt auf mich zu. Erst jetzt wird mir bewusst, wie klein ich bin. Doch mich stört das nicht. Ich werde von ihr in die Luft genommen und gedreht. Ich lache und alles in diesem Moment fühlt sich richtig an. Fühlt sich gut an. 

PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP

Verschlafen reibe ich mir über meine Augen und gähne. Das warme Gefühl der Sonnenstrahlen auf meiner Haut verblasst und lässt die Kälte des Zimmers zurück. Mister Baranow hat den Wecker ausgestellt und steht schon an seinem Schrank. "Guten Morgen", meint er und legt ein paar Klamotten vor mir auf sein Bett. "Zieh dich an, Ace müsste dich gleich zu den anderen bringen.", erklärt er mir, eher er auch schon, sich noch fertig anziehend, das Zimmer verlässt.

Ich schmatze vor mich hin und ziehe mich an, in Gedanken aber bei den zwei Personen aus meinem Traum. Ich habe das Gefühl sie zu kennen... Das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Aber wer sind sie?

Als ich fertig angezogen bin und in den Flur trete, ist Mister Baranow schon wieder am telefonieren. Ich lasse mich einfach im Wohnzimmer auf das Kissen fallen und warte, bis Ace kommt und mich abholt. Habe ich die Beiden vielleicht in einem der Filme gesehen? "Nummer eins. Komm mit."

Ace ist da. Ohne weiter zu zögern stehe ich auf und folge ihm. Im Flur ziehe ich die Schuhe und die Jacke an, die dort auf mich warten und folge ihm aus Mister Baranows Reich. Nein. Ich denke nicht... An so einen Film kann ich mich nicht erinnern... Habe ich vielleicht ein Buch gelesen, in dem das vor kam?

"Pass auf...", kann ich die Stimme von Ace wahrnehmen und taumle ein paar Schritte zurück. Er hat vor der Tür zur Mensa innegehalten und ich bin in ihn rein gelaufen. "Entschuldigen Sie Sir...", murmle ich leise und folge ihm dann in die Mensa zu einem freien Platz. Meinen Blick lasse ich auf dem Tisch, auf meinem Teller. So wirklich Hunger habe ich gerade nicht, dennoch nehme ich einen Bissen von dem Brot und kaue darauf herum. Die Zeit vergeht und ich folge der Menge nach dem Essen in die Duschen. Doch noch immer denke ich mehr darüber nach, woher ich die Beiden kenne, wie das ich auf meine Umgebung achte.

Habe ich das vielleicht schon einmal geträumt? Kommt es mir deshalb so bekannt vor? "~er EINS!" Ich schüttle mich und schaue ertappt auf. Einige Male muss ich blinzeln, bis ich erkenne wo ich bin. Ich sitze an meinem Platz im Unterricht, wie der Aufschrieb an der Tafel zeigt wohl Mathe. Der Lehrer steht direkt vor mir und hat die Hände in seine Hüfte gestemmt. "Wenn ich dich noch einmal ermahnen muss, wirst du bestraft!", schnauzt er mich an und ich nicke schnell. "J-ja Sir...", murmle ich und versuche mich nun auf den Unterricht zu konzentrieren.

Als ich am Nachmittag auf dem Hof bin, laufe ich immerzu in einem kleinen Kreis durch die leichte Schneeschicht. Ohne die Bewegung wird mir kalt und so gehe ich einfach immer wieder im Kreis. Als ich mit einem Mal aber Füße in meinem Blickfeld sehe, bleibe ich stehen und schaue direkt in das Gesicht von Chris. Ein vorsichtiges Lächeln lege ich auf meine Lippen und mache mich ihm gegenüber ein wenig kleiner. "Keine Angst. Ich habe nicht vor etwas zu machen...", meint er und legt den Kopf schief. "Du bist seltsam, weißt du das?"

Verwirrt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen und schaue ihn an. "Wieso?", frage ich nach und warte auf eine Antwort. Ich meine, klar... Ich bin seltsam. Das ist ja nichts neues. Aber wie kommt er jetzt darauf? "Na dein Verhalten. Seit die Aufseher uns diese Nummern gegeben haben, hat sich unter den Sklaven eine ganz andere Hierarchie eingebürgert. Je besser deine Nummer ist, desto mehr hast du zu sagen. Die Sklaven mit hohen Nummern müssen sich den Sklaven mit den niedrigen Nummern unterwerfen. Und dennoch bist du, der der die Beste Nummer hat, so unterwürfig allem und jedem gegenüber... Du klingst dich vollkommen aus.... Es scheint fast so, als gehörst du nicht hier her...", erklärt er sich und ich schaue ihn verwundert an. Das mit der Hierarchie hatte ich tatsächlich nicht mitbekommen...

"Was beschäftigt dich denn heute so? Hat der Boss etwas getan?", fragt er nun und ich hebe überrascht meine Augenbrauen. Woher weiß er, das mich etwas so beschäftigt? "Du bist so abwesend wie noch nie. Nicht der unauffällige, unterwürfige Sklave den ich sonst kenne. Etwa beschäftigt dich so sehr, das du sogar in Mathe Ärger bekommst. Also was ist es?", fragt er nun und ich wende einen Moment meinen Blick ab. Ja in Mathe hatte ich sonst nie Probleme...

"Ich... Ich weiß es nicht genau. Ich hatte gestern so einen Traum... Er lässt mich einfach nicht los...", erkläre ich und gehe an ihm vorbei. Ich muss mich bewegen... Er folgt mir schnell und so gehen wir gemeinsam über den Hof. "Was für ein Traum?", fragt er weiter und ich seufze.

"... und dann nimmt mich die Frau auf den Arm und dreht mich herum. Ich verstehe es einfach nicht... Ich habe das Gefühl, das ich sie kenne...", erkläre ich ihm, nachdem ich ihm den ganzen Traum erzählt habe. Er nickt und schaut mich an. "Deine Eltern vielleicht?"

Doch ich schüttle meinen Kopf und gebe ein Schnaufen von mir. "Nein das kann nicht sein. Ich bin in einem Heim aufgewachsen und die Leitung hat mir gesagt, meine Mutter hasst mich. Sie hätte mich schon als Baby im Heim abgegeben und nie auch nur nach mir gefragt...", erkläre ich ihm und mein Herz zieht sich dabei zusammen. 

"Wenn du dir da sicher bist... Dann ist es vielleicht das, was dein Inneres sich wünscht... Wenn du nie eine richtige Familie hattest.... Vielleicht~"

DONG!!!

"Oh, wir müssen rein. Komm schnell!", bricht er sich aber selbst ab und dreht um. Ich seufze einen Moment und lasse meinen Blick weiter gerade aus wandern. Hinter dem Zaun kann ich eine große freie Fläche sehen. Der See... So still und friedlich liegt er unter der Eisschicht. Unberührt... Dann kann ich aber einen Ruf hinter mir hören und drehe ebenfalls um. Das Mittagprogramm wartet.

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