|~107~|
Ich merke, wie ich mich direkt ein wenig anspanne und mich aufrechter neben Ilja setze. Er wendet seine Aufmerksamkeit dadurch zu mir und schaut mich leicht besorgt an. "Es wird alles gut gehen... Schau... Silas ist auch dabei und er hat noch jemanden mitgebracht um das ganze aufzulockern...", meint er und ich schaue in dieselbe Richtung. Und tatsächlich... Es kommen vier Personen auf uns zu. Drei männliche und meine Mutter.
Kaum sieht sie uns, rennt sie auch schon los und kaum ist sie an unserm Tisch, zieht sie mich auch schon in eine Umarmung. Ich erstarre einen Moment, doch als ich merke, wie ihr Körper bebt und ich ein leises Schluchzen höre, schmerzt meine Brust und ich erwidert die Umarmung mit glasigen Augen. Sie drückt mich fest an sich und ich habe das Gefühl, dass sie nicht mehr loslassen möchte, kann sie Schluchzen hören und werde dadurch ebenfalls traurig gestimmt. Hatte sie mich so sehr vermisst?
"M-mach das nie wieder!", verlangt sie mit rauer und vom weinen krächzender Stimme von mir und ich verstehe nicht genau, was sie gerade meint. "H-hau nicht einfach wieder ab.... Ich hatte dich d-doch gerade erst wieder!", haucht sie dann leiser weiter und löst sich ein wenig von mir, sodass sie mich anschauen kann. Ihre Augen sind gerötet und auch ihre Nase sieht rot aus. So als ob sie viel geweint hat. Zudem hat sie unter ihren Augen tiefe Augenringe und sieht ans ich eher mager aus. Ist das alles wegen mir?
Dann spüre ich, wie sie sanft auf die Seite geschoben wird und ehe ich mich versehe, befinde ich mich in den starken Armen meines Vaters. Im Gegensatz zu meiner Mutter weint er nicht und ich seufze wohlig, als ich auch seine Umarmung erwidere. Es ist ein gutes Gefühl. Wieder mit meinen Eltern verbunden zu sein... Sie so nahe bei mir zu haben, ohne dass sie mir etwas vormachen... Als er sich nun ebenfalls von mir löst, sehe ich aber auch, dass er leicht glasige Augen hat... Harte Schale, weicher Kern würde ich mal sagen.
Dann wenden sie aber ihre Aufmerksamkeit auf die Person hinter mir. Diese hat nämlich gerade seine Arme um mich gelegt und schmiegt sich nun von hinten an mich. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich über meine Schulter zu ihm hinaufschaue und ich lege meine Hände auf die seinen. Dann lehne ich mich leicht an ihn und schaue wieder zu meinen Eltern. Diese starren beide meinen Ilja an und ich bekomme ein leicht ungutes Gefühl. Doch er löst einfach eine Hand von mir und streckt sie ihnen entgegen.
"Guten Mittag, ich bin Ilja!", stellt er sich vor und mein Vater ist der erste, der die Initiative ergreift und den Handschlag annimmt. "Ich bin Florian. Lukas Vater und das hier...", er deutet auf meine Mutter und diese ergreift nun seine Hand und nickt leicht. "Lena." Sie mustert uns genau und ich denke, es wäre die ein oder andere merkwürdige Frage aufgekommen, wenn Silas uns nicht unterbrochen hätte. "Lasst uns doch erst einmal hinsetzen. Dann haben wir genügen Zeit zum Reden."
Und so kommt es, dass wir uns erneut setzen. Ilja setzt sich links hin und ich mich genau neben ihn. Meine Eltern setzen sich gegenüber von uns an den Tisch und Silas nimmt neben meiner Mutter Platz. Das heißt wiederum, dass die weitere Person sich neben mich setzt und bei einem kurzen Seitenblick erkenne ich auch, wer es ist und starre ihn mit großen Augen an. "Neo...?!"
Es ist nur ein Hauchen, doch er schaut mich direkt an und legt seinen Kopf leicht schief. Seine Augen strahlen wieder, aber er schüttelt leicht den Kopf und haucht mir ein "nachher" zu. Ich nicke nur minimal und kann es nicht glauben. Er ist doch erst seit knapp zwei Wochen bei Silas und schon sieht er aus, wie ein vollkommen anderer Mensch. Glücklich und frei...
"Okay. Da anscheinend niemand von Ihnen beginnen will, versuche ich das Ganze ein wenig einzuleiten, okay?", fragt Silas in die Runde. Ich wende somit meine Aufmerksamkeit auch wieder zu den andren und sehe nur zustimmende Gesichter. "Okay. Das was wir nun im Folgenden besprechen, dürfen Sie unter keinen Umständen an die große Glocke hängen. Die Behörden wissen Bescheid und gehen dem schon nach und Sie könne nichts ausrichten, verstanden?", fragt Silas und richtet sich dabei an meine Eltern. Ich habe eine Vermutung, in welche Richtung es geht und schlucke leicht.
Aber meine Eltern nicken nur und ich atme erleichtert auf. "Als ich Ihnen erzählt habe, das Lukas entführt wurde, war dies nur die halbe Wahrheit. Ja er wurde entführt.... Aber er wurde dort auch zu einem richtigen Sklaven gemacht, wurde ausgebildet wie man sich richtig benehmen soll und wurde verkauft.", beginnt er zu erzählen und ich drücke mich unsicher mehr an Ilja. Den Blick meiner Eltern kann ich nun ebenfalls auf mir spüren und wende schnell meinen Blick ab. Auch merke ich, wie sich Neo ein wenig anspannt und so nehme ich unter dem Tisch vorsichtig seine Hand, was ihn direkt ein wenig beruhig.
"Er hat viel durchmachen müssen und ich nehme an, wenn er selber bereit dazu ist, wird er es Ihnen erzählen. Das wichtigste jetzt ist jedoch, dass er wieder entkommen ist.", endet er und ich beiße mir auf die Lippe. Dann aber schnaubt mein Vater und ich zucke zusammen, als er mit der Faust auf den Tisch haut. "Das kann doch nicht sein! Wir leben hier in Deutschland! Wie kommt es, dass es hier sowas wie Menschenhandel gibt?! Lukas! An was erinnerst du dich? Wie sehen die verantwortlichen aus? Wo haben sie ihre Basis? Wir müssen sofort die Polizei benach~"
"Bei allem Respekt, aber das wird nicht nötig sein.", unterbricht ihn nun aber Ilja und ich schaue ihn mit großen Augen an. Er legt seine Marke auf den Tisch und kassiert dafür einen verwirrten Blick meiner Eltern. "Vielleicht sollte ich meinen Standpunkt ein wenig erläutern... Ich bin Polizist und arbeite seit einigen Jahren in diesem Bereich und bekomme alle Fälle, die damit zu tun haben. Wir haben noch nicht genügend stichhaltige Beweise und sind den Tätern auf der Spur. Wenn Sie nun etwas machen, wird nur das Augenmerk auf Lukas gelenkt. Er hat viel durchgemacht und ich bei der Unterwelt bekannt. Wenn Sie also riskieren wollen, dass er erneut entführt wird.... Nur zu.", stellt er meinen Eltern das Ultimatum und ich schaue ihn etwas sprachlos an.
"Sie sind doch der, der uns angerufen hatte...", stellt nun mein Vater fest und schaut Ilja durchdringlich an. Doch er nickt nur und seine Hand auf meinem Schenkel zeigt mir, dass er nicht zulassen würde, dass mir jemals wieder jemand weh tut. Zudem hat er den beiden nicht einmal die volle Wahrheit gesagt. Aber es reicht ihnen wohl, denn beide schauen sich nachdenklich an und nicken schlussendlich. Dann kommen die Getränke die wir bestellt haben und wir bestellen uns nun auch das Essen. Als die Kellnerin weg ist, richten sich meine Eltern wieder an mich.
"Wie geht es dir?", fragt meine Mutter und ich nehme einen Schluck meines Getränks, ehe ich leicht lächle und sie anschaue. "Mir geht es gut Mum... Ilja hat mir sehr geholfen und hilft mir noch immer... Aber die größere Frage ist doch, geht es dir gut?", frage ich nun und lasse meinen Blick erneut über sie wandern. Sie mustert mich und dann meinen Ilja, ehe sie leise seufzt. "Jetzt wieder gut. Mach dir um mich keine Sorgen..."
Die kommende Stunde unterhalten wir uns über belanglose Dinge. Ich habe meine Eltern gebeten, von ihrem letzten dreiviertel Jahr zu erzählen, als ich nicht bei ihnen war und das taten sie. Zudem haben wir alle unser Essen bekommen und haben gegessen. Als es dann später wird, wollen meine Eltern gehen und stehen auf. Meine Mutter reicht mir ihre Hand und ich schaue sie verwirrt an. "Na komm, lass uns nach Hause gehen.", meint sie doch ich drücke mich nur etwas näher an Ilja und schüttle den Kopf.
"Es tut mir leid Mum... Aber Ilja ist mein Zuhause. Ich werde bei ihm bleiben...", gebe ich zu und spüre wieder seine Hand auf meinem Schenkel. Nun steht auch mein Vater neben ihr und schüttelt den Kopf. "Ach was... Lukas. Er musste bereits so viel machen. Mach ihm jetzt nicht noch mehr Ärger und komme mit...", meint er und ich bekomme große Augen. Ärger...?
"Sir, ich bitte Sie. Er macht mir doch keinen Ärger!", greift nun aber Ilja ein und ich atme erleichtert durch. "Ich liebe ihn Mum... Ich will bei ihm bleiben.", gebe ich nun etwas leiser zu und es folgt eine unangenehme Stille. "Du.... liebst ihn?" Dann kann ich ihren Blick auf meinem Hals spüren, an welchem man noch leichte Knutschflecken und den einen stärkeren von gestern Abend sehen kann und wie sie dann wieder zu Ilja schaut. Doch entgegen meiner Erwartung, lächelt sie leicht und nickt dann. "Okay. Aber ich warne Sie.... Wenn sie meinem Lukas weh tun..."
Doch Ilja lacht nur leicht und schüttelt den Kopf. "Dann würde ich mich selber einbuchten. Nein. Nein ich würde ihm nie weh machen. Ich liebe ihn dafür viel zu sehr!", meint er und wie zum Demonstrieren, gibt er mir einen sanften Kuss. Als er sich wieder löst, schaue ich etwas rot um die Nase zu meinen Eltern und sehe nur, dass diese sich ebenfalls glücklich im Arm halten. Dann löse ich mich von Ilja, quetsche mich an Neo vorbei und umarme die Beiden. "Danke... Danke für alles!! Und ich werde euch besuche! Versprochen!", verabschiede ich mich und werde von beiden gedrückt.
"Pass auf dich auf~", haucht meine Mutter und wendet sich ab. Dann umarmt mich mein Vater und haucht: "Treibt es nicht zu hart, sonst kannst du nicht mehr laufen~". Sprachlos und mit rotem Kopf löse ich mich von ihm und sehe nur noch, wie er mir zuzwinkert und dann mit meiner Mutter im Arm verschwindet. Eine ganze Weile schaue ich ihm noch nach, ehe ich sanft an meiner Hüfte zurück auf meinen Platz gezogen werde. "Was ist den los~?", haucht mir Ilja von der Seite ins Ohr und ich schüttle nur den Kopf und schaue nach vorne.
Neo hat sich nun neben Silas gesetzt und strahlt mich an. Auch ich schiebe die letzten Worte meines Vaters in den Hintergrund und schaue ihn an. "Und jetzt erzähl... Du siehst wunderbar aus! Was ist passiert?"
Und so kommt es, dass wir bis nach Mitternacht zusammensaßen und uns gegenseitig erzählt habe, was die letzten zwei Wochen passiert ist. Zwar ist das, was ich erlebt habe, bei weitem nicht so interessant wie das von Neo und Silas, doch im Grunde ist es dasselbe.
Aber er musste sich mit Harry treffen... Sie haben sich zwar wie wir hier auch auf neutralem Boden getroffen, aber er meinte, es war dennoch eine Krasse Erfahrung. Zumal er ja von mir wusste, wer das ist. Aber es ist alles gut ausgegangen und er darf bei Silas bleiben. Dieser kümmert sich sehr gut um ihn. Wie ein großer Bruder und verhilft ihm wieder zu einem normalen Leben. Auch hat er erzählt, dass er einen Platz an einer Uni hat und nun Pädagogik studiert und dass er an dem Vorstellungstag ein wirklich nettes Mädchen kennengelernt hat.
Als ich immer müder werde, verabschieden wir uns dann aber doch und machen uns auf den Heimweg. Wo genau wir schlussendlich gelandet sind, kann ich nicht sagen, da ich schon im Auto eingeschlafen bin.
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