Kapitel 1- Rayne Eastwell
Manchmal erwischte ich mich bei dem Gedanken, wie einfach es wäre, jemanden umzubringen. Reiche, alte Säcke wären die perfekte Wahl—hier gab es ja genug davon. Wenigstens bräuchte ich mich dann nicht anschreien lassen, ohne die Möglichkeit, mich zu wehren.
Doch ich wollte mit einem anständigen Job mein Geld verdienen—Kellnerin konnte ich dafür keinem empfehlen.
Denn nicht zum ersten Mal spielte ich mit dem Gedanken, meine Ideale über Bord zu werfen und zuzuschlagen.
„Und ihr erwartet, dass ich für dieses widerwärtige Essen bezahle?! Nicht anzufangen von dieser Drecksbude! Es ist nicht nur laut, sondern stinkt hier drinnen wie die Pest! Nicht auszuhalten."
Ein wütender Gast brüllte mich an, sein Besteck flog über den Tisch, das Essen klatschte auf den Teppich. Er hatte ein Steak, das nach Luxus roch, auf den Boden geworfen. Zwei Monate Lohn für ein solches Stück.
Mein Magen knurrte traurig.
Ich sagte nichts. Was sollte ich auch tun? Zurückschlagen? Ihn töten? Nein, ich musste ruhig bleiben. Und ihn beruhigen. Auch wenn ich in beidem schlecht war. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter.
„Sir, beruhigen sie sich und setzen sie sich wieder hin, dann können wir reden..." versuchte ich zu ihm durchzudringen.
Das wiederum schien ihn nur noch mehr zu ärgern.
Seine Wolfszähne blitzten auf, Klauen krümmten sich aus seinen Nägeln. Ein Fleischfresser-Gestaltwandler. Ein Wolf noch dazu.
Seine Begleitung, eine zierliche Frau, die hoffentlich seine Tochter war, versuchte ihn am Ärmel zurückzuhalten, aber er ignorierte sie.
„Nicht hier, bitte...Dad!", bettelte sie, während sie hilflos um sich schaute. Andere Gäste lugten zu uns herüber und murmelten ärgerlich.
Ich stand nur da und blendete seine Beleidigungen aus. Ich wusste weder, wie diese ganze Situation angefangen hatte noch womit ich sie hätte entschärfen können. Sollte ich nochmal versuchen, ihn mit Worten zu beruhigen? Oder es mit härteren Mitteln versuchen?
Bevor mir eine Lösung einfiel, wurde ich abrupt aus meinen Gedanken gerissen.
Er holte zum Schlag aus. Instinktiv umklammerte ich den Stift fester, bereit, ihm diesen in den Hals zu rammen. Meine Muskeln spannten sich an, meine Nerven zum zerreißen gespannt. Töte ihn! rief die Stimme in meinem Kopf.
Doch ich hielt mich im letzten Moment zurück. Ich konnte, durfte keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Es gab nur eine einzige Möglichkeit.
Ich schloss die Augen, bereit für die kommenden Schmerzen.
„Hey!" Eine Hand griff nach dem Ärmel des Gastes und fing damit die Faust ab.
„Was wird das hier?", Frau Millian, die Oberkellnerin stellte sich zwischen mich und den wütenden Gestaltwandler.
„Frau Millian?" Ich war überrascht, dass die normalerweise eher sanftmütige Frau ihre Stimme gegen eine andere Person erhoben hatte.
„Ich bitte sie, jetzt das Restaurant zu verlassen, andererseits rufe ich die Polizei."
Der Gast schien genauso überrascht von ihrem Eingreifen zu sein wie ich, denn er schaute sie irritiert an, bevor er ihr seinen Arm entriss. Er schien nicht begeistert zu sein.
„Ach ja?!" er stellte sich direkt vor sie, und überragte sie um einiges.
Dann hörte ich ein lautes Klatschen. Ich und alle anderen Gäste waren schockiert. Der Wolf-Wandler hatte ihr eine Ohrfeige gegeben. Blut tropfte auf den Boden.
„Was ist das denn für eine Bedienung? Wollt uns rausschmeißen, nur weil wir unsere Meinung sagen oder was?!"
„Nein, wir freuen uns sogar, wenn ihr uns eure Meinung mitteilt." sagte sie mit entspannter Stimme, während ihr Blut das Gesicht hinunter lief. Dem Wolf-Wandler wuchs mittlerweile Fell im Gesicht und die wachsenden Muskeln zerrissen das Jacket.
„Feedbacks helfen uns... uns stetig zu verbessern... und uns den Bedürfnissen unserer Kunden anzupassen", ihre Stimme war immer noch ruhig, aber wirkte bei ihren nächsten Worten etwas eindringlicher- sogar leicht gereizt zu sein: „Aber ich kann nicht dulden, dass andere Mitarbeiter angegriffen werden!"
Sie reckte das Kinn und sah ihm in die Augen.
„Und schauen sie sich doch mal um. Sie stören die anderen Gäste."
Diese waren mittlerweile am tuscheln und einige filmten sogar das Geschehene.
„Und was kann ich bitte dafür?!" er sah aus als würde er gleich nochmal zuschlagen.
Ich stellte mich vor Frau Millian und schaute ihm in die Augen. „Das reicht jetzt."
Ein Hauch von Kälte lag in meinem Blick.
Die Spannung im Raum war fast greifbar. Der Wolf-Wandler sah mich weiterhin mit funkelnden Augen an, die bereits dabei waren, ihre menschliche Form zu verlieren. Seine Züge wurden zunehmend Tier ähnlicher, und ein tiefes Knurren entwich seiner Kehle. Die Luft war erfüllt von einer bedrohlichen Stille, unterbrochen nur vom leisen Klicken der Handys, die weiterhin aufzeichneten.
„Hör mal, Kleine," knurrte er, und seine Stimme klang tiefer, rauer, als ob das Tier in ihm die Kontrolle übernahm. „Das hier geht dich nichts mehr an. Mach Platz."
„Doch, es geht mich sehr wohl etwas an," entgegnete ich, meine Stimme so fest wie ich sie nur machen konnte. Ich spürte den Adrenalinschub in meinen Adern, aber ich ließ mir die Angst nicht anmerken. „Du hast hier eine Grenze überschritten. Mich zu verletzen ist ok, aber lass diese Frau in Ruhe."
Frau Millian legte eine Hand auf meinen Arm, ihre Berührung überraschend ruhig und sicher. „Danke," sagte sie leise, dann wandte sie sich wieder dem Wandler zu. „Ich möchte Sie erneut bitten, das Restaurant zu verlassen. Jetzt. Es ist Ihre letzte Chance."
Der Wolf-Wandler lachte harsch, und ich konnte sehen, wie sich seine Zähne zu Reißzähnen verlängerten. „Und wenn nicht?" fragte er spöttisch. Sein Tonfall war jedoch nicht mehr so sicher wie zuvor. Vielleicht bemerkte er, dass die anderen Gäste nicht mehr nur passiv zusahen – einige wirkten nervös, aber andere standen nun ebenfalls auf, unsicher, ob sie eingreifen sollten.
Frau Millian hielt den Blick des Wolf-Wandlers ruhig, fast durchdringend. Ihre Hände waren entspannt an ihrer Seite, als hätte sie jede Kontrolle über die Situation in ihren schmalen Fingern. „Hören Sie," sagte sie leise, fast sanft, doch ihre Stimme trug durch den Raum. „Ich verstehe, dass Sie wütend sind. Aber das hier ist nicht der Ort dafür. Hier sind Kinder und Familien. Menschen, die nichts mit diesem Streit zu tun haben."
Der Wolf-Wandler zögerte, sein knurrender Atem verlangsamte sich leicht. Doch die Anspannung in seinen Schultern blieb. „Und was, wenn mich das nicht interessiert?" Seine Stimme war immer noch bedrohlich, aber der Spott darin hatte an Kraft verloren.
„Dann verlieren Sie etwas, das viel wichtiger ist als diesen Streit: Respekt," sagte Frau Millian ruhig. „Nicht nur von mir. Von allen, die Sie hier sehen. Schauen Sie sich doch mal um."
Widerwillig ließ sein Blick von ihr ab und wanderte durch den Raum. Die anderen Gäste starrten ihn an, manche mit Angst, andere mit Entschlossenheit. Doch niemand sah ihn mehr mit der Mischung aus Respekt und Unsicherheit an, die Wandler oft gewohnt waren. Stattdessen sahen sie ihn mit Verachtung. Eine Mutter hielt ihr Kind schützend an sich. Ein junger Mann hatte sein Handy gesenkt und starrte ihn mit finsterem Gesichtsausdruck an.
„Das ist es, was Ihre Worte und Ihr Verhalten Ihnen eingebracht haben," sagte Frau Millian sanft, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Ist das wirklich, wer Sie sein wollen? Nach allem, wofür wir so lange gekämpft haben?"
Der Wandler knurrte erneut, aber es klang mehr wie ein unwilliges Grollen. Er schüttelte den Kopf, als wollte er die Worte von sich abwerfen, doch sie schienen sich in ihm festzusetzen.
„Ich bin sicher, Sie können sich entscheiden, ein besserer Mann zu sein," fügte sie hinzu, ihre Stimme jetzt fast mütterlich, aber mit einem Hauch von Ernsthaftigkeit, der keinen Widerspruch zuließ.
Eine lange, zähe Stille folgte, bevor er schließlich zurücktrat. Seine Züge entspannten sich, und die animalischen Merkmale begannen zu verblassen. Die Spannung in seiner Haltung löste sich, und er murmelte etwas, das wie eine unzusammenhängende Entschuldigung klang, bevor er sich umdrehte und zum Ausgang ging.
Seine Begleitung stand auch auf, und verbeugte sich als Entschuldigung, bevor sie ihm nachlief.
Frau Millian sah ihm nach, bis er verschwunden war, seufzte, und wandte sich dann zu den Gästen. „Entschuldigen Sie die Unterbrechung," sagte sie höflich, ihre Stimme wieder sanft und beruhigend. „Ihr Essen wird gleich weiter serviert."
Das Tuscheln verstummte allmählich, und die Stimmung begann sich wieder zu normalisieren. Ich konnte spüren, wie mein Atem endlich langsamer wurde. Frau Millian legte eine Hand auf meinen Arm und schenkte mir ein kurzes, erschöpftes Lächeln. „Danke, dass Sie eingegriffen haben," sagte sie leise. Ich inspizierte ihr Gesicht. Die Wunde auf ihrer Wange sah nicht schlimm aus. Zum Glück hatten sich die Krallen des Wandlers nicht tief in ihr Gesicht geschnitten, es sah eher so aus als wären die Kratzer ein Versehen gewesen.
Ich kratzte an dem Riemen meiner Handschuhe und senkte meinen Blick.
Irgendwie konnte ich den Gedanken nicht abschütteln, dass der Wolf-Wandler nicht ein Einzelfall bleiben wird. Nicht, wenn die Wandler und die Menschen trotz des Friedensabkommens weiterhin Feindselig gegenüber einander sind. Und die Lux und ihr Weltbild half auch nicht gerade weiter.
Ich schüttelte meinen Kopf leicht.
Grübeln half auch nicht weiter.
Frau Millian kniete sich hin, um das Chaos das der Wandler veranstaltet hatte aufzuräumen.
„Lassen sie mich das machen", ich kniete mich neben sie nieder und hob die Scherben des zerbrochenen Tellers auf.
„Ah, sei vorsichtig! Sonst schneidest du dich noch!" Besorgt suchte sie mich nach Schnitten ab.
„Meine Handschuhe lassen sich nicht leicht zerschneiden. Machen sie sich also keine Sorgen", ich versuchte mich an einem Lächeln, das ziemlich gequält aussah. Meine Handschuhe waren ein magisches Artefakt, noch aus meiner Zeit als Auftragsmörderin und eines der einzigen Dinge, die ich behalten hatte. Denn ich brauchte sie noch für einen anderen Zweck...
„Sie sollten sich versorgen lassen, sie haben schon genug getan. Sonst verschrecken sie noch die Gäste."
„Da hast du wohl recht." meinte sie sanft lächelnd.
„Aber sei bitte vorsichtig, ja?" Mit diesen Worten stand sie auf und verschwand im Hinterzimmer.
„Ich bin nicht diejenige, um die sie sich sorgen sollten..." murmelte ich leise. Immerhin wäre die Situation beinahe schief gegangen.
Nachdem ich die Scherben und das Besteck beiseite geräumt hatte, machte ich mich auf den Weg zur Abstellkammer, um weitere Putzsachen zu holen.
Obwohl ich schon etwas länger hier arbeitete, vergaß ich ständig, wo welcher Raum war. Als ich ihn dann endlich fand, öffnete ich die Tür leicht. Dann hielt ich inne.
„Hast du das gesehen?" kicherte Tabea, ihre Stimme nur ein paar Meter entfernt. Andere stimmten ihr lachend zu, während sie um die Ecke standen – nah genug, um jedes Wort zu hören."
„Der dreckige Bastard hat gebrüllt wie ein verrückter. Und Eastwell stand einfach nur da. Man konnte sie vor Angst zittern sehen." weiteres Gelächter. Sie redeten also über mich. Hätte ich mir denken können. Tabea hasste mich, schon von Anfang an.
„Das Eastwell Mädchen ist halt schwach, was soll sie tun." Das war Noras Stimme- und ich hatte gedacht, wir hätten uns gut verstanden. So kann man sich irren.
„Aber das Frau Millian sie trotzdem immer noch verteidigt- heute wurde sie ihretwegen sogar verletzt."
„Soll die Eastwell sich doch einen Job bei den Arkanen Entsorgern holen. Da wäre sie zumindest nützlich."
„Nicht mal die würden so eine No-Name aufnehmen." meinte Tabea.
No-Name, ein einfallsloser aber irgendwo zutreffender Spitzname.
Tabea kam aus einer Angesehenen Familie: Bellamy, eine Familie die für ihre starken Psychischen und Emphatischen Fähigkeiten bekannt war. Allerdings schien sie keine besonderen Fähigkeiten geerbt zu haben, sonst würde sie wohl kaum hier arbeiten.
Ich wiederum kam aus einem kleinen Dorf. Aus einer Familie, die weder materiellen Besitz noch Außergewöhnliche Magische Begabung besaß. Zumindest nicht in Tabeas Augen.
„Sie sieht immer so aus als würde sie gleich jemandem an den Hals fallen. Wie hat sie diesen Job überhaupt bekommen? Hat sie Frau Millian so lange angebettelt, bis man ihr eine Stelle gab oder was?"
Das macht die Situation schwieriger. Eigentlich wollte ich mich mit den anderen hier verstehen.
„Oh Mist, unsere Pause ist schon vorbei. Kommt, nur noch ein paar Stunden, dann können wir gehen."
Die Schritte kamen näher. Tabea kam um die Ecke und sah mich sofort. Erst erstarrte sie und schaute mich erschrocken an. Dann änderte sich ihre Miene zu einer abfälligen und sie wandte sich ab. Die anderen folgten ihr.
Ihr seid 23, warum verhaltet ihr euch wie kleine Schulmädchen?
Ich griff nach Mob und Eimer und putze zu ende.
Als ich mich wieder an die Arbeit machte, fiel mein Blick auf den Mann in der Ecke. Er hatte das Chaos mit einer fast unheimlichen Gelassenheit verfolgt, sein Glas Wein in der Hand. Die Art, wie seine Augen funkelten, ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Er schenkte mir ein Lächeln, bevor er sich abwandte.
Dachte er, nur weil er reich war, konnte er sich alles erlauben.
Ich biss mir von innen auf die Lippe, nahm die Teller und zwang mich zu einem Lächeln. Dann sah ich Nora auf mich zukommen. Sie sah gestresst aus, waren wir alle.
„Eastwell, du sollst Teller abwaschen." teilte sie mir mit.
„Natürlich." zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ich hasse diesen Job.
Bevor ich weiter austragen konnte musste ich Teller abwaschen, eine Aufgabe die nicht zu meinen Favoriten gehörte. Ein riesiger, klebriger Turm erwartete mich.
„Großartig..." seufzte ich genervt. Ständig wurde ich von den Köchen oder anderen Angestellten angerempelt, und laut war es hier drinnen auch. Da bevorzugte ich den schicken Speisesaal, wo immer klassische Musik im Hintergrund lief.
Als die Teller endlich fertig abgewaschen waren, schnappte ich mir ein paar Teller und teilte sie aus, bevor man mir eine weitere Aufgabe zuteilen konnte.
Ich balancierte sie vorsichtig und öffnete die Tür mit meiner Hüfte. Auf der anderen Seite rammte mich plötzlich ein anderer Kellner, der eilig nach hinten eilte, der mir noch ein bissiges „Pass doch auf" zurief. Panisch versuchte ich das Gleichgewicht zurückzuerlangen, aber ein Teller fiel mir runter. Gerade bevor er auf den Biden gekracht wäre, fang ich ihn mit meinem Fuß auf. Erleichtert atmete ich auf, als nur ein Glas mit Wein etwas gekleckert hatte. Hoffentlich hatte das keiner gesehen.
Wenigstens konnte ich mich immer auf meine Reflexe verlassen.
Nachdem ich einige Leute bedient hatte, schaute ich auf den Fernseher- die Nachrichten hatten mein Interesse geweckt. Das Symbol eines schwarzen Wolfes war darauf zu sehen. Der Fernseher war auf Stumm geschaltet, also konnte ich nicht verstehen was der Moderator erzählte. Doch ich wusste ganz genau, was das Symbol bedeutete. Und es gefiel mir ganz und gar nicht.
„Noxun." hauchte ich, bevor ich den Kopf schüttelte. Nein, ich wollte mit diesem verfluchten Ort und diesen Leuten nichts mehr zu tun haben.
Jetzt wurde ein Polizist gezeigt, ein Reporter stellte ihm Fragen.
Wie sehr ich mir wünschte, dass der Ton an wäre. Aber ich, als einfache Kellnerin konnte den Fernseher nicht ohne weiteres anschalten.
„Hallo, hören sie mich? Die Rechnung bitte" sagte der Mann neben mir. Ich war zu tief in Gedanken versunken gewesen, dass ich ihn nicht wahrgenommen hatte.
Es war der Mann, der mir vorhin so unheimlich zugelächelt hatte.
„Ah...ja, natürlich." Es war nun schon ein langer Tag gewesen, und mein Kopf schien langsamer zu arbeiten, als er sollte- ein weiterer Grund, Aufmerksam zu sein.
Ich ging zur Kasse, druckte seine Rechnung aus und brachte sie zu seinem Tisch.
Der Mann erschien wie ein Fremdkörper in diesem schicken Restaurant. Zwar trug er viel Schmuck und gute Kleidung, aber seine Fliege war falsch gebunden, und seine Haare schien er nur mit Mühe gezähmt zu haben. Seine Haltung erinnerte mich auch eher an den einen oder anderen Gangster aus meiner Nachbarschaft.
Die Beine etwas zu breit auseinander, nicht anzufangen von dem Tattoo an seinem Hals, welches er mit einem Schal verdeckte.
Er hatte nur zwei Gläser Wein bestellt, der Platz vor ihm war Leer. Anscheinend war er versetzt worden.
Doch das ungewöhnlichste an ihm waren seine Augen. Sie waren Dunkel und schneidend- wirkten irgendwie tot.
„Ich wurde versetzt." erklärte er unnötiger Weise. Er seufzte und fuhr sich durchs Haar.
„Schade, ich habe mich für dieses Treffen extra schick angezogen."
„Das ist sehr Bedauerlich." sagte ich mit neutraler Miene.
Ich stellte mich unauffällig ein wenig weiter entfernt von ihm hin, meinen Blick auf seine Hände gerichtet. Irgendetwas war komisch. Sehr komisch. Das spürte ich einfach.
Ich vermied Augenkontakt.
„Hier ist Ihre Rechnung. Ich hoffe, alles war zu Ihrer Zufriedenheit." Meine Stimme war ruhig und professionell, auch wenn meine Nerven gespannt wie Drahtseile waren.
Der Mann nahm die Rechnung, ohne den Blick von mir abzuwenden. Sein Lächeln war freundlich, aber es hatte etwas Beunruhigendes, etwas, das mich innerlich auf Abstand gehen ließ.
„Vielen Dank", sagte er langsam, während er eine Kreditkarte zückte. „Und, war das eben nicht eine ... interessante Szene?"
Redete er von dem Vorfall mit dem Wolf-Wandler?
Mein Gesicht blieb ausdruckslos. „Das tut mir leid. Ich hoffe, der Vorfall hat Ihren Aufenthalt nicht beeinträchtigt."
„Oh, ganz im Gegenteil." Sein Tonfall war fast zu freundlich. „Ich mag es, wenn Menschen ihre Grenzen aufzeigen. Ihre Oberkellnerin ist beeindruckend, finden Sie nicht?"
„Ja, Frau Millian ist sehr professionell." Ich nahm die Karte entgegen, zog sie durch das Lesegerät und reichte sie ihm zurück.
„Und Sie?" Er neigte den Kopf leicht, als er mich ansah. „Haben Sie Grenzen?"
Ein unbehagliches Gefühl kroch in mir hoch. Meine Hände verharrten kurz, bevor ich mich zwang, ruhig zu bleiben. „Ich verstehe die Frage nicht ganz, Sir. Ich denke, jeder hat seine Grenzen. Es kommt nur darauf an, wo man seine Grenzen zieht... wenn es das ist was sie meinen."
Sein Lächeln vertiefte sich, als hätte ich etwas Interessantes gesagt. Etwas blitzte in seinen Augen. Er unterschrieb die Rechnung, legte sie zusammen mit einem großzügigen Trinkgeld auf den Tisch und stand auf.
„Das war ein angenehmer Abend. Auf ein baldiges Wiedersehen."
Ich hoffe nicht.
„Einen schönen Abend noch", sagte ich höflich und zwang mich, stehen zu bleiben, bis er das Restaurant verlassen hatte.
Kaum war er aus der Tür, entspannte ich mich ein wenig. Doch sein Blick, diese toten Augen, hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt wie ein Brandmal.
Und seine Frage... Haben Sie Grenzen? Kam mir seltsam vor, so zufällig.
Doch da war noch irgendwas...
Meine Augen weiteten sich, als die Erkenntnis eintrat: während unseres Gespräches hatte er kein einziges Mal geblinzelt. Der Gedanke daran jagte mir einen Schauer meinen Rücken hinunter.
Ich hob das Trinkgeld auf, welches er auf den Tisch gelegt hatte.
„Nur so wenig?" murmelte ich genervt. Dafür war er ziemlich gut angezogen gewesen.
Dann fiel mir eine Karte auf, die zwischen den Scheinen versteckt war. Was war das? Sah wie eine Visitenkarte aus. Der Mann von Eben war darauf abgezeichnet, eine Adresse und eine Telefonnummer. Sein Name war also Sol, ein ungewöhnlicher Name. Und kein Nachname. War Sol eine Art Künstlername oder Deckname?
Hatte er die Karte vergessen?
Sollte ich sie ihm hinterher bringen?
„Hallo?!" ein Gast winkte mir genervt zu. „Wir wollen bestellen."
„Ja, ich komme sofort." Ich steckte sie in meine Hosentasche.
Darum würde ich mich später kümmern.
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