(7/5) Tanzkönig
"Willst du tanzen?"
Die Frage überrumpelte mich. Ich empfand sie als so furchtbar unpassend, dass ich Mühe hatte, nicht loszuheulen.
"Was ist? Willst du nun ... oder nicht?"
Über seinen weit geöffneten Augen wirkten die gehobenen Brauen herausfordernd.
"Willst du tanzen", wiederholte er mit Nachdruck, als sei ich nicht in der Lage, seinen Worten zu folgen. Ich verstand die Worte, aber nicht seine Haltung. Und ich mochte es nicht, wenn er so war. Mehrmals schon hatte er so geklungen, unmittelbar bevor er wütend wurde. Oder mich stehen ließ.
Ich konnte nicht reagieren. Ich hatte keine Stimme und mein Kopf war auf einmal vollkommen leer. Die Leute, die Musik, alles war zu laut und zu wild. Was ich ihm zu sagen hatte, sagte man nicht an einem solchen Ort - inmitten all der Menschen und in der Öffentlichkeit. Und vor allem nicht, wenn er in dieser Laune war.
Der Becher wirkte lächerlich klein in seiner Hand; während er ihn an die Lippen hob, schweifte sein Blick über den Ausschnitt meines Kleides. Er stürzte alles auf einmal hinunter, dann trat er dicht an mich heran. Während er über seine Schulter zu den Tanzenden hinüber sah, ergriff er meinen kleinen Finger und kniff hinein. Ich entzog ihm meine Hand und verbarg sie in den Falten meiner Röcke.
"Hey. Was ist los mit dir? Warum so biestig?"
Der Tanz war zu Ende. Klatschen, Rufen und Lachen erfüllte den Platz. Die Leute vergaßen ihre Sorgen. Ich konnte nichts vergessen. Eine Polka begann, neue Paare traten in die Mitte, nahmen den Rhythmus von Bodhran, Fiddle und Whistle auf und wirbelten zusammen mit den anderen im Kreis herum. Jemand lief mit zwei Krügen durch die Menge und schenkte Bier nach, und Johnny ließ sich den Becher füllen. Ich nahm meinen Mut zusammen, wandte mich ihm zu und sah ihm in die Augen. Er musste mir meine Angst anmerken, aber sie schien ihn nicht friedlicher zu stimmen. Mit hartem Blick starrte er zurück.
"Ich hab' gefragt, was mit dir los ist. ... Mairi."
Das entwickelte sich nicht gut. Wenn ich mir jetzt nichts einfallen ließ, würde er gehen und die Gelegenheit, die Dinge richtig zu stellen, war verspielt.
Aber es war schon zu spät. Bevor ich den Mund öffnen und irgendwie beginnen konnte, verdrehte er die Augen, wandte sich ab und ließ mich stehen. Er trat zu einer Gruppe junger Männer, die den Tanzenden zuschauten, und reckte eine Weile den Hals, als suchte er jemanden. Auch den zweiten Becher leerte er in einem Zug, dann drückte er ihn einem der jungen Männer in die Hand und verschwand in der Menge.
Wie sollte ich hier mit ihm reden, wie! Es war zum Verzweifeln! Er schien nicht einmal auf die Idee zu kommen, dass meine schlechte Stimmung mit ihm zu tun haben könnte. Wenn ich es nicht bald ansprach, würde er zu betrunken sein. Wusste er denn nicht, wie falsch er sich benahm? Mir war schwindelig, ich wollte nach Hause. Die kantige Beule, die meine Rocktasche bildete, erinnerte mich daran, warum ich hergekommen war. Ich hatte Maggies Brot. Ich brauchte nicht länger zu bleiben.
Aber ich wollte. Es hing zu viel daran. Er war wie ein stures und eigensinniges Ackerpferd, dem jemand die Richtung zeigen musste. Wenn ich hartnäckig blieb, würde sich heute und hier alles klären. Er musste sich nur beruhigen und vernünftig werden. Und ich auch. Sobald die Dinge mit uns wieder im Lot waren. Er konnte ganz anders sein, als er sich hier zeigte! Wahrscheinlich trieb ihn sein schlechtes Gewissen. Es musste mir nur gelingen, das zu nutzen. Um die andere, die menschliche und moralische Seite in ihm anzusprechen. Er ging doch in die Kirche! Er musste wissen, was recht und gut war, und was nicht.
Benommen von unserer unglücklich verlaufenen Begegnung trat ich vor und stellte mich zu den anderen. Die Musik tat mir gut. Sie fegte den Schrecken und die Verzweiflung aus meinem Kopf hinaus, durchdrang mich, nahm mich mit - und half meinem rasenden Puls, seinen Rhythmus wieder zu finden.
Eine Weile sah ich dem Wettkampf der jungen Männer zu, die ihre besten Steppschritte präsentierten. Die Menge feuerte sie an, und eine Zeit lang schien zwischen dem gutaussehenden Aidan und dem bärtigen Seamus Gleichstand zu herrschen - bis Jonathan auftauchte. Ich war erschrocken, ihn so bald wieder zu sehen, und versteckte mich hinter den Schultern und Rücken der anderen. Ich sah, wie er dem Mann mit der Fiddle die Hand auf die Schulter legte. Er flüsterte ihm etwas zu und sie hörten auf zu spielen; die Männer besprachen sich, der Fiddler nickte den anderen zu und eine neue Melodie hob an. Jonathan nahm den Platz neben Aidan ein. Jetzt tanzten sie zu dritt, schneller und schneller, bis Seamus, der wohl doppelt so alt war wie seine Gegner, nicht mehr mitkam und den beiden das Feld überließ. Die Leute klopften ihm anerkennend auf den Rücken, sie spotteten und scherzten, er sei eben zu alt für solche Dinge, und reichten ihm seinen Becher.
Johnny war so viel besser als Aidan. Er war wirklich gut. Ich bewunderte seine Schritte, die Sicherheit und Kraft, mit der er sie ausführte, die gelungenen Sprünge. Er war so groß und kräftig, aber zugleich gab er auch einen erstaunlich eleganten Tänzer ab. Oh, Johnny ... warum bist du nicht halb so nett wie du anzusehen bist? Ich nahm ihm sein Verhalten furchtbar übel und ich wollte mich von seinem Anblick auf keinen Fall einfangen lassen. Aber ich konnte nicht anders. Wenn ich sah, wie er tanzte, wie flink und präzise er sich bewegte, wie seine Augen Funken sprühten, während seine Schritte und Sprünge eins mit den Schlägen der Bodhrans wurden, konnte ich beinahe vergessen, was er mir angetan hatte. Zumindest für diesen Moment.
Wollte er etwa gewinnen? Schon im letzten Jahr war er unter den besten gewesen, aber vom letzten Lughnasadh bis zu diesem schien er geübt zu haben. Diesmal übertraf er sich selbst. Wenn nach Aidan niemand gegen ihn antrat, konnte er der neue Tanzkönig werden!
Sie tanzten jetzt in schnellen Wechseln, dabei musste es sich entscheiden. Aidan wirkte ein wenig betrunken und er war bereits außer Atem; als er seine Füße nicht mehr voreinander bekam und seitwärts in die Menge hinein stolperte, schien der Wettkampf vorbei. Jemand strubbelte ihm durch die braunen Haare und knuffte ihn gegen die Brust, die Leute lachten - und dann setzten sie Jonathan eine Krone aus Ginsterzweigen auf.
"Wähl' deine Königin, Johnny", rief Tom Mullins, der Schuster. Die anderen stimmten mit ein und hielten ihn an seiner Weste fest, da er immer wieder den Kopf schüttelte und lachend abwinkte. Wie nett er auf einmal aussah, wenn er zufrieden mit sich war ... Einige der jungen Frauen kicherten, strichen sich die Röcke zurecht und versuchten Jonathans Blick auf sich zu lenken. Ich schluckte. Das musste nun wirklich nicht sein. Unauffällig wich ich einen Schritt hinter die anderen zurück und machte mich unsichtbar, so gut es ging.
"Er ist nicht unser Tanzkönig. Die Sache ist noch nicht entschieden." Mullins Neffe, der schwarzhaarige Richie, trat in den Kreis. Er zog Aidan am Ärmel mit sich. "Es geht weiter", rief er in die Runde. "Aidan ist noch drin!"
Alle wussten, dass die beiden dicke Freunde waren. Man redete durcheinander; jeder hatte auf einmal etwas zu sagen, einige begannen "Aidan, Aidan" zu rufen und feuerten ihn an, indem sie in die Hände klatschten.
"Aber er hat doch klar gewonnen", versuchte Jonathans Vater den Lärm zu übertönen. Sichtlich verärgert drängte er sich in den Kreis hinein. "Johnny war der Beste. Warum soll das nicht gelten?"
"Ja, erklär' es uns", riefen andere, "warum gilt sein Sieg nicht?"
Richies Augen wirkten sehr blau in der Sonne, als er seinen Blick über die erwartungsvollen Gesichter schweifen ließ. Noch immer hielt er Aidan am Ärmel fest, als würde dieser ihm sonst entwischen. "Weil er erledigt war durch den Wettkampf mit Seamus", erklärte er. "John dagegen tanzte seine erste Runde, er war noch frisch. Aidan hatte also einen Nachteil."
"Was hatte er? Kann ich das noch einmal hören?" Ermutigt durch die Gegenwart seines Vaters trat Jonathan auf Richie zu. Er schickte ihm einen drohenden Blick, dann baute er sich vor Aidan auf. Ich beobachtete, wie er sich streckte. Er benutzte seine Größe, um ihn von oben herab anzusehen. Schon wieder brach seine andere Seite durch. Mit mir hatte er das am Strand ebenso gemacht.
"Du warst also benachteiligt?" Jonathan lachte in sich hinein. Der Schubser gegen die Schulter, den er Aidan verpasste, brachte diesen für einen Augenblick aus dem Gleichgewicht. "Dann sauf nicht so viel, du Meistertänzer. Zumindest, bis dein Milchbart verschwunden ist und du mehr verträgst. Heute gewinnst du jedenfalls nicht, dein Tanz ist vorbei." Er zwinkerte ihm zu. "Vielleicht beim nächsten Mal."
Auf dem Hof wurde es still. Jeder schien abzuwarten, was weiter passierte.
"Sei vernünftig, Johnny. Es ist nur fair. Gib Aidan eine Chance."
Die Leute stimmten Richie murmelnd zu.
"Lass dir das nicht gefallen, mein Sohn."
Jonathan verzog keine Miene, als sein Vater sprach. Das winzige Lächeln, das ihm in den Mundwinkeln stand, wirkte wie eingefroren, als er sich wieder zu Aidan wandte. "Du willst also deine Ehre verteidigen? Dann mache ich dir einen anderen Vorschlag, einen besseren. Einen für echte Männer." Er nahm die Ginsterkrone vom Kopf und reichte sie einem der Zuschauer. "Ein Boxkampf soll zwischen uns entscheiden. Nun, Aidan ... was sagst du dazu?" Er blickte sich um. Oder will jemand von den anderen? Collin vielleicht? Matthew ... oder Richie?
Die Angesprochenen senkten die Köpfe. Niemand würde sich mit ihm anlegen, das wusste er. Die Menge begann sich zu regen, man murmelte dies und das, einige Männer riefen: "Ja, lasst sie kämpfen! Los, Aidan! Zeig es ihm!"
"Als ob das besser wäre", schnaufte die alte Moira. "Er ist so betrunken wie ihr alle, seht ihn euch doch an." Sie legte Aidan die Hand auf die Schulter. "Kaum feiern wir mal ein bisschen und lassen es uns gut gehen, schon schlagt ihr einander die Köpfe ein. Ihr immer mit euren Kämpfen!" Sie tätschelte dem Jungen die Wange. "Geh nach Hause, Aidan. Und nimm es nicht so wichtig, die Welt bleibt davon nicht stehen. Ein verlorener Zahn oder ein blaues Auge ist eine solche Sache nicht wert, vergiss es. Du wirst sehen, es wird noch andere Gelegenheiten geben."
Richie stupste Aidan gegen den Oberarm. "Hör nicht auf sie", sagte er halblaut. "Na los. Verteidige deine Ehre, damit du erwachsen wirst."
Moira lachte auf. "Erwachsen? Ehre? Erzähl' ihm doch nichts, Richie. Hier gibt es keine Ehre zu gewinnen, das wisst ihr so gut wie ich." Leise fügte sie an: "Wenn ihr Ehre haben wollt, Männer, dann nehmt eure Mistgabeln und Kartoffelschaufeln und zieht sie den Richtigen über den Schädel. Anstatt euch gegenseitig zu verhauen." Sie schüttelte den ergrauten Kopf. "Die Zeiten sind zu ernst für solchen Blödsinn. Schont eure Knochen. Seid froh, wenn sie euch noch zusammen halten."
Einige blickten betroffen auf den Boden. Auch mich beeindruckten ihre Worte. Sie hatte ja recht. Andere schienen nicht so vernünftig zu sein; sie riefen, sie wollten den Kampf sehen, aber Aidan schien Moiras Worte gebraucht zu haben. Er streifte Richies Hand von seinem Ärmel ab. Die Menge wurde still, der Kreis teilte sich und man ließ ihn gehen.
"Du feiger Hund!", rief Jonathan ihm nach und lachte zusammen mit seinen Freunden; auch, wenn er nun kampflos König geworden war, spürte ich: Er hätte die Sache lieber gewonnen, indem er Aidan grün und blau geprügelt hätte. Der Sieg, der ihm in Frage gestellt worden war, hätte neu erkämpft werden müssen. Ich hielt es für vernünftig, dass Aidan ihm auswich, ich war erleichtert über seine Entscheidung. Ausgeschlagene Zähne und Nasenblut hätten diesen Tag verdorben. Jonathan jedoch schien es zu ärgern, dass seine Herausforderung nicht angenommen worden war.
"Er soll endlich seine Königin wählen", rief jemand in die bedrückende Stille hinein. Die Leute wurden ungeduldig. "Ja, du musst wählen, Johnny!", stimmten sie ein und machten den Mädchen und jungen Frauen Platz, die sich erwartungsvoll vor ihm aufstellten.
Es waren zwei volle Reihen, und dahinter gab es noch fünf Bewerberinnen mehr. Eine solche Auswahl hatte noch kein Tanzkönig gehabt. Nicht, solange ich mich erinnern konnte. Was passierte eigentlich mit der Tanzkönigin, wenn der Tanzkönig über das Jahr heiratete? Darüber hatte ich noch niemals nachgedacht ... Ich war so sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich Shirley Monaghan erst bemerkte, als Jonathan seine Hand ausstreckte und sie ihr über die Schultern der anderen Mädchen hinweg entgegen hielt. Die Reihen teilten sich, einige der Mädchen machten maulende Gesichter. Das Gift ihrer Blicke schien der hübschen neuen Tanzkönigin nichts anhaben zu können.
Was mein eigenes Gesicht verriet, was ich fühlte, ich konnte es in diesem Moment gar nicht sagen. Wie versteinert beobachtete ich seine Lippen, die während seiner graziösen Verneigung auf ihren Handrücken trafen, ihn küssten. Wie ihr Lächeln die Grübchen auf ihren rosigen Wangen hervor brachte, als er sich aufrichtete und sie unter seinem erhobenen Arm hindurch drehte, so dass sie mit fliegenden Haaren in seinem Arm landete. Wie er sie einen Wimpernschlag lang an seine Seite drückte und wie sie es genoss, vor allen anderen von ihm erwählt worden zu sein. Das Schlimmste war: Er hatte nicht einen Moment lang überlegt. Die Leute jubilierten, in gekünstelter Manier verbeugte man sich vor ihnen.
Ich wollte mich abwenden und dem Erntefest den Rücken kehren, als ich seinen Blick auffing. Er hatte die ganze Zeit über gewusst, dass ich hier war und die Szene beobachte ... er wirkte schuldbewusst. Sein Blick begegnete dem meinen warm und offen. Unmerklich hob er die Schultern, dazu den Arm, in den Shirley Monaghan sich nicht schmiegte, ich sah die Geste seiner Hand, und ich verstand. Er tat das, um unsere Verbindung nicht zu gefährden. Er wollte keinen Verdacht aufkommen lassen. Wegen der Leute. Shirley war nur eine Tarnung.
Natürlich mussten wir es geheim halten. Und auch, dass ich an diesem Tag niemals in die engere Wahl gekommen wäre, verstand ich, denn ich war schließlich erst fünfzehn Jahre alt. Er hatte jemand anders wählen müssen, es ging gar nicht anders.
Jemand hängte sich eine Frauenschürze um den Hals, nahm einen der Becher von einem Strohballen und mimte den Priester. Die Menge nahm ihn mit sich, und ich blieb allein stehen; sie schoben das Königspaar zu dem falschen Priester hinüber, damit sie getraut wurden. Es war ungefähr so wie mit dem Handfasting an Lughnasad: König und Königin würden nun ein Jahr lang auf allen Jahresfesten gemeinsam den Tanz eröffnen. Das alte Paar des letzten Jahres war abgelöst.
Kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, alles rings um mich drehte sich plötzlich. Ich setzte mich abseits in den Schatten einer alten Eiche, zupfte ein Stück der Kruste von Maggies Brot ab und begann daran zu knabbern. Ich musste nun doch etwas essen. Es war gutes, frisches Brot, und es schmeckte nach gutem Salz. Das machte es ein wenig besser, der Schwindel ließ schon nach, und ich konnte tiefer durchatmen.
Oh, ich sollte das alles nicht so furchtbar ernst nehmen! Weiter hinten auf dem Hof johlten und klatschten die Leute und ließen das frisch getraute Königspaar hochleben. Ich sah, wie sie Shirley einen Blumenkranz in ihre wunderschönen Haare drückten. Mochte ihr jedes einzelne davon ausfallen.
So war das nun einmal, es waren unsere Bräuche - er konnte schlecht auf eine Königin verzichten! Und wenn er die Wahl hatte: Welcher Mann würde sich da für eine unansehnliche graue Maus entscheiden ... solange es Mädchen wie Shirley Monaghan gab?
Eine Träne lief mir über die Wange, das Salz in dem Brot wurde mir zu viel. Ich sollte mich zusammenreißen. Ich konnte alles nur noch schlimmer machen, wenn ich mich nicht beherrschte. Das war kein Beinbruch! Sie waren jetzt Tanzkönig und Königin, ja. Aber das bedeutete gar nichts. Wenn ich ihm nicht vertraute, hatte ich ihn nicht verdient.
Ende Teil 42
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