8
Beverly
Lichter. Viel zu helle Lichter. Zu laute Geräusche. Kopfschmerzen. Dunkelheit. Stille. Kälte...
Verzerrte, viel zu laute Geräusche, drangen in mein Unterbewusstsein. Ich konnte meine Augen nicht offen halten. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich fühlte mich gefangen zwischen Traum und Realität. Empfindungen von beiden Seiten prasselten auf mich ein. Nichts von dem was ich hörte, oder fühlte konnte ich zuordnen. Sobald ich meine Augen öffnen konnte, sah ich nur grelles weißes Licht, oder komplette Schwärze. Aber ich fühlte mich nicht bedroht von diesen Dingen. Ich fühlte mich nur müde. Entsetzlich müde. Ich driftete wieder in die Traumwelt, und wurde mit dem nächsten Geräusch wieder in die Wirklichkeit gerissen. Aber lange konnte ich nicht wach bleiben. Es war alles so...
Ich riss die Augen auf und setzte mich auf, als ob ich aus einem Alptraum aufgewacht wäre, nur mit dem Unterschied, dass ich noch nie auf diese Weise aus einem Alptraum erwacht war. Meistens erwachte ich nur mit rasendem Herzen und einem tränennassen Gesicht. Aber jetzt fühlte ich mich einfach nur so, als wäre ich urplötzlich aus dem Schlaf gerissen worden.
Das Erste das ich mich fragte, war was ich in meinem seltsamen Drogenzustand geträumt und was ich erlebt hatte. Die Dinge aus meinem Traum- und Wachzustand waren ineinandergeflossen und ich konnte nicht unterscheiden, was tatsächlich passiert war. Ich sah mich um. Ich war nicht in meinem Zimmer. Wo war ich? Das Zimmer war aus dunklem Holz gebaut. Und es sah verdammt veraltet aus. Die Wände waren leer. Gegenüber von mir stand ein niedriger Schrank. Das Bett auf dem ich saß, war aus recht dünnen Eisenstäben gebaut und die Laken waren weiß. Das Licht, das vom Fenster herrührte, wurde von den dunklen Wänden verschluckt.
Ich fühlte mich noch immer benebelt. Rechts von mir war ein Fenster und links von mir eine Türe. Ich musste nicht nachsehen um zu wissen, dass sie mit Sicherheit abgeschlossen war. Ich schlug die Bettdecke zur Seite. Ich hatte noch immer meine graue Jogginghose von gestern, oder wann auch immer, an. Kam darauf an, wie lange ich weg gewesen war. Mein T-shirt war weiß, eigentlich so wie meines, aber ich wusste, dass es nicht meines war. Ich rutschte vom Bett und wollte zum Fenster gehen, aber ich wurde zurückgezogen. Ich bemerkte, dass mein rechtes Handgelenk an das Bett gebunden war. Mit einer Metallkette.
„Was zum Henker..." Verwirrt und wütend zerrte ich daran. Seltsam, dass mir das unangenehme raschelnde Geräusch, dass sie dabei machte, erst jetzt auffiel. Ich stemmte mich mit aller Kraft dagegen und zog so fest ich konnte, aber alles was geschah war, dass ich mir mein Handgelenk verletzte. Durch den ständigen Zug bemerkte ich das auch erst, als es schon zu spät war, und sich ein Tropfen Blut den Weg über meine Handfläche bahnte.
„Na, wunderbar", murmelte ich. Ich hatte aber auch ein eigenes Talent. Das Metall war schärfer gewesen als ich vermutet hatte. Ich wollte aber immer noch aus dem Fenster sehen. Also streckte ich mich so gut es ging nach vorne, um aus dem Fenster zu sehen. Ich konnte nur begrenzt hinaussehen. Draußen schien die Sonne durch ein paar Wolkenfetzen und klitzekleine Schneeflocken tanzten durch die Luft. Ein stechender Schmerz machte sich in meinem Herzen breit. Ich hatte mich so darauf gefreut, endlich raus zu kommen. Den Schnee auf meiner Haut zu spüren. Oder die Sonnenstrahlen. Ich war schon seit Jahren nicht mehr draußen gewesen. Nicht wirklich. Wenn, dann nur im Hinterhof der Anstalt, die von hohen Mauern umgeben war, sodass ich die Sonne nur aus meinem Fenster hatte sehen können. Ich vermisste es so sehr draußen zu sein. Frische Luft zu atmen. Frei zu sein. Zu tun was ich wollte.
Außer Schnee sah ich nur Bäume. Die Baumwipfel. Ich musste irgendwo sehr hoch oben sein. Ich wollte nach dem dunkelroten Vorhang greifen und ihn zur Seite ziehen, aber ich konnte ihn nicht erreichen, also gab ich es auf.
Ich hatte eine Befürchtung wo ich war. Eine schreckliche. Aber ich wollte gar nicht daran denken und es mir schon gar nicht ausmalen. Deshalb schob ich diesen Gedanken bei Seite. Ich ließ meinen Blick über die Wände des Zimmers gleiten.
„Wo bist du?!", rief ich sauer, als ich ihn nicht sofort entdecken konnte. Er gab ein knurrendes Geräusch von sich, bevor ich einen Schatten unter dem Bett hervorkriechen sah. Mein Blick folgte ihm, als sich über den Boden zu mir bewegte, bis er direkt vor mir stand. Ich war mir sicher, dass er existierte. Dass ich ihn mir nicht einbildete. Er war so real wie ich. Und wenn ich war, wo ich befürchtete zu sein, dann brauchte ich ihn.
„Wo sind wir?", fragte ich in der Hoffnung, dass er eine Antwort parat hatte, die mich glücklicher machen würde, als jene die mir im Kopf herumspukte. Er sah auf mein verletztes Handgelenk und grummelte wütend.
„Ist nicht schlimm", versicherte ich. Ich hatte im Leben schon weitaus größere Verletzungen davon getragen, als eine einfache Schnittwunde. Er gab ein schreiendes Geräusch von sich, das ich immer mit dem Schrei einer Harpyie verglich. Kurz darauf legte er seine Hände auf meine Wunde. Der pechschwarze Rauch war wie ein kühler Schleier und fühlte sich wie Seide auf meiner Haut an. Als er seine Hände langsam wieder zurückzog, war die Wunde verschwunden. Ich drehte mein Handgelenk überrascht. Er hatte mich schon früher geheilt. Das war nichts Besonderes. Aber er hatte es seit einiger Zeit nicht mehr getan, weshalb ich jetzt umso verblüffter war. Er hatte bisher immer nur sehr kleine Wunden geheilt. Und einmal vor dem Tod bewahrt, nur hatte ich das nicht mitbekommen. Ich hatte ganz vergessen, wie gut sich das anfühlte.
Aber wenn er meine Wunden heilen konnte, dann musste er doch echt sein, oder? Ich trug erneut einen inneren Kampf mit mir aus, wie so oft in den letzten Jahren. Die Chance, dass ich mir wirklich alles nur einbildete, seit ich damals aus dieser verdammten Waldhütte geflohen war, war nicht besonders groß. Und doch war ich mir nie ganz sicher, dass ich nicht verrückt war.
„Du bist real", flüsterte ich dann müde. Er gab ein verärgertes Geräusch von sich. „Tut mir leid." Ich setzte mich langsam auf das Bett.
Ich sah mich abermals im Raum um. „Sind wir..." Nein, ich wollte die Antwort nicht kennen.
Er kletterte über die Wand, an die Decke und heftete sich an der einzelnen Glühbirne fest, die von der Decke hing. Er gab mir genaue Anweisungen, was ich tun sollte. Normalerweise war es mir komplett egal, was er mir sagte. Aber diesmal vertraute ich ihm. Ich setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett und wartete. Ich sagte kein Wort. Versuchte nicht daran zu denken, wo ich war. Ich sah den kleinen Staubfusseln dabei zu, wie die durch die Sonnenstrahlen tanzten, die durch das Fenster in mein Zimmer schienen und durch die dunklen Wände, noch besser zur Geltung kamen.
„Warum ich?", fragte ich. Er knurrte mich wieder an. Er hasste diese Frage. Aber mich ließ sie nicht los. Warum hatte er sich für mich entschieden. Warum wollte er, dass ich diejenige war, die ihn am Leben hielt. Die er beschützte und gleichzeitig zerstörte.
Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Ich konzentrierte mich. In der Ferne hörte ich ein noch undefinierbareres Geräusch. Ich konzentrierte mich stärker und legte meinen Kopf schräg. Nach einer Weile konnte ich sagen, dass das Geräusch, Schritte waren. Eindeutig. Sie waren noch sehr weit weg, aber ich wusste, dass sie zu diesem Raum führten. Ich wartete. Und wartete. Bis ich sagen konnte, dass sich drei Menschen dem Zimmer näherten. Eine Frau. Gefolgt von zwei Männern. Ich öffnete meine Augen wieder und sah zu ihm auf. Er schien mir zuzunicken. Ich hatte das seit Jahren nicht mehr getan. Aber es war ja auch nie nötig gewesen. Wenn ich hier wirklich war, wo ich nicht sein wollte, dann würde ich das noch sehr oft tun müssen. Zugegeben, es gab mir ein Gefühl der Sicherheit, zu wissen, was passieren würde.
Die Türe ging auf und ich drehte meinen Kopf. Eine Frau mit dunklen Haaren, die zu einem strengen Knoten zurückgebunden waren, trat ins Zimmer und stellte sich vor das Bett. Ihre Schuhe hatten klappernde Geräusche gemacht und ihr weißer Kittel schwang bei jeder Bewegung mit. An der Türe standen zwei Männer, die ich nur aus dem Augenwinkel sah, da ich meine Blicke an die Frau heftete. Einerseits war ich froh, dass ich mich nicht getäuscht hatte und es wirklich eine Frau und zwei Männer waren, andererseits machte es mir Angst. Die Frau sah mich an. Ich sah sie an. Es war, als würden sich unsere Blicke nicht erreichen.
„Beverly", sagte sie schließlich. Ihre Stimme jagte mir einen Schauer über den Körper. Warum, konnte ich nicht sagen. Er ließ sich von der Decke auf den Boden gleiten und kletterte auf das Bett. Er wollte, dass ich nichts sagte.
„Du weißt was das hier für ein Ort ist, nicht wahr?" Die Frau ging im Zimmer umher. Am Fenster blieb sie stehen und sah hinaus. Ich wollte wissen, was sie sah. Ich wollte auch an diesem Fenster stehen und hinaussehen. Ich wollte draußen sein.
„Modoc", flüsterte ich mit heiserer Stimme, woraufhin er sofort knurrte. Ich hätte meinen Mund halten sollen.
„Modoc.", sagte die Frau lächelnd. „House of Modoc. Der Mann der Modoc geschaffen hatte, war Mr. Federal Modoc." Zu oft Modoc im selben Satz. Meine Gänsehaut bekam bereits Gänsehaut. Modoc verband ich mit Tod. Menschenexperimenten. Schmerz. Folter. Die Frau drehte sich wieder zu mir um. In ihrem Blick lag etwas Hinterhältiges. Etwas Böses.
„Du bist hier sicher", sagte sie mit zuckersüßer Stimme. Das bezweifle ich stark. „Wir werden dir helfen." Komplett den Verstand zu verlieren? „Project Salvation wird dir helfen." Bitte? „Maeve."
Jetzt konnte ich meine Gesichtszüge nicht mehr kontrollieren. Ich war aus allen Wolken gefallen. Woher wusste sie, wie er mich genannt hatte? Das konnte sie nicht wissen! Ich hatte es nie jemandem erzählt. Oder doch? Nein, ganz sicher nicht. Ich hätte nie einen Grund gehabt, es jemandem zu erzählen. Ich öffnete meinen Mund, weil ich etwas sagen wollte, aber er hielt mich zurück. Die Frau sah mich mit einem Lächeln an, als wüsste sie genau warum ich nichts sagte. Aber ich war nicht seine Marionette.
„Was ist Project Salvation?", fragte ich und ignorierte einerseits mein rasendes Herz, andererseits das erneute Knurren von ihm.
„Es wird dir helfen", sagte sie Frau nur und wandte sich zum Gehen, wobei sie ihren Blick nicht von mir nahm.
„Ich bin nicht verrückt!", rief ich. Sie blieb stehen und lächelte mich an. „Ich bin nicht verrückt! Was mache ich also hier?"
Die Frau sah mich lange an. „Wir sind alle verrückt." Mit langsamen Schritten verließ sie mein Zimmer. Die Wand war es, die unseren Blickkontakt unterbrach. Die beiden Männer verließen ebenfalls den Raum und schlossen die Türe hinter sich. Ein eindeutiges Geräusch sagte mir, dass sie mich eingeschlossen hatten.
Er knurrte mich verärgert an. „Ach, halt doch den Mund", murmelte ich und sah auf mein Handgelenk. Meine Chancen hier rauszukommen, standen nicht besonders gut. Doch bereits als ich damals in dieser Hütte eingesperrt gewesen war, war mir etwas klar gewesen. Etwas, das ich schon gewusst hatte, als ich begriffen hatte worum es bei meiner Entführung gegangen war. Lebend, würde ich aus dieser Sache niemals herauskommen.
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