61
Aidan
„Das war der schlimmste Tag meines Lebens", bemerkte ich, als Beverly und ich irgendwann, mitten in der Nacht, endlich die Gelegenheit gehabt hätten, zu schlafen, aber beide bereits so übermüdet waren, dass wir nicht einschlafen konnten.
„Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen", gähnte sie, und zog sich die Decke enger um den Körper. „Aber meinen schlimmsten Tag hab ich schon hinter mir, was Schlimmeres kann mir nicht mehr passieren." Ich zog meinen linken Arm unter der Decke hervor, um Beverly noch näher an mich zu drücken. Ihre Nähe ließ mich ruhig werden, zwar spürte ich immer noch eine gewisse Aufregung in meiner Brust, aber die würde wohl nie weggehen.
„Ist doch super. Dann geht es von jetzt an nur noch bergauf." Sie lachte spöttisch auf.
„Wenn die Hölle auf dem Gipfel eines Berges liegt, dann schon." Ich musste lächeln, obwohl mir nicht nach Lachen zumute war. Eher im Gegenteil.
„Alles okay bei dir?", fragte sie dann. Eine simple Frage, die ich mit Ja oder Nein hätte beantworten können. Aber jetzt, da sie mir so direkt von Beverly gestellt wurde, kam sie mir alles andere als einfach vor. Also ließ ich sie unbeantwortet im Raum stehen.
„Was will Vaya von mir?"
„Dich beschützen."
„Das habe ich auch mitbekommen, vielen Dank." Ich hatte nicht so gereizt reagieren wollen, aber Beverly sah nur müde auf, und störte sich nicht weiter an meinem Tonfall. „Ich meine, warum will er das? Geht es dabei um Addie?"
„Glaube ich nicht. Du wärst, nach Trev, das perfekte Druckmittel gegen sie, aber Vaya würde dich nie einsetzen."
„Aber wieso?" Es war frustrierend, dass um jeden Mist so ein Geheimnis gemacht wurde. Ich war nicht Sherlock, verdammt. Aber auch Beverly konnte mir keine Antwort auf meine Frage geben.
„Vielleicht wegen deiner tollen Haare", stichelte sie, um mich aufzumuntern, und brachte mich zum Schmunzeln. Ich wusste zwar nicht, wie sie es schaffte, mich von einem temporären Tiefpunkt innerhalb weniger Sekunden rauszuholen, aber sie hatte es geschafft. „Oder wegen deiner schönen Augen."
„Mach weiter, was ist noch atemberaubend, an mir?"
Empört wand sie sich aus meiner Umarmung, stützte sich auf ihrem Unterarm ab, und sah mich an. „Das Wort atemberaubend, hat nie meinen Mund verlassen."
„Findest du nicht, dass ich atemberaubend bin?"
„Ich finde, dass du durchschnittlich bist", lächelte sie. „Und eingebildet."
„Dann hör auf, mein Ego so zu pushen."
Sie legte ihre freie Hand in meinen Nacken, und zog mich kurzerhand zu sich, um mich zu küssen. Es mag märchenhaft und kitschig klingen, aber sobald ihre Lippen auf meinen lagen, war die Welt für ein paar Sekunden in Ordnung. Addie, Vaya, Jacob -das alles spielte keine Rolle mehr. Nur sie und ich, zumindest für einen kurzen Moment, der nur uns gehörte. In unserer kleinen, heilen Welt, die die große, kaputte Welt ausblendete.
Mir war nie bewusst gewesen, dass ich nach genau einem solchen Menschen gesucht hatte. Einem Menschen, dessen bloße Anwesenheit mich beruhigte, und gleichzeitig in Aufregung versetzte. Einem Menschen, der mich innerhalb weniger Wochen gut genug kannte, um zu wissen, was er sagen und tun musste, damit ich mich augenblicklich besser fühlte. Ich hatte nicht gewusst, dass ich nach Beverly gesucht hatte.
Es war unser erster richtiger Kuss, seit dem Abend, an dem wir Addie vom Myway abgeholt hatten, aber das warme Gefühl, das meine Nerven kitzelte, war immer noch da.
Würde ich es noch ein Weilchen mit ihr in meinem Leben aushalten? Ja, auf jeden Fall. Ein langes Weilchen, sogar.
„Ich sagte hör auf, mein Ego zu pushen, nicht mach weiter damit", meinte ich, als sie sich wieder zurück in die Laken kuschelte, und ihren Arm um meinen Oberkörper schlang.
„Doch, am Anfang hast du gesagt, ich soll weiter machen."
„Das war, bevor du zu unfairen Mitteln gegriffen hast", bemerkte ich.
„Unfaire Mittel?", lachte sie.
„Eindeutig."
„Wenn das so ist, dann küsse ich dich eben nicht mehr."
„Damit kann ich leben."
„Das will ich sehen."
„Du hast mich zuerst geküsst", erinnerte ich sie.
„Weil du dich nicht getraut hast", schoss sie mit provokantem Blick zurück. Sie sah mich so herausfordernd an, dass ich mich, ohne weiter nachzudenken, über sie rollte, und meine Lippen gierig auf ihre drückte. Ein wohliger Schauer durchfuhr meinen Körper, als ihre Hände meinen Rücken entlangglitten, und sich dann in meinen Nacken legten, um den Kuss ja nicht zu früh zu Ende kommen zu lassen.
Als ich mich nach einiger Zeit von ihr löste, und das triumphierende Lächeln zurückhalten wollte, grinste sie mich breit an.
„Was?"
„Ich sagte doch, du hältst es nicht aus, mich nicht zu küssen", sagte sie neckend. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie mich ausgetrickst hatte. Ich musste ziemlich verdattert dreingeschaut haben, denn sie lachte, bevor sie mich zu sich zog, und einen weiteren Kuss auf meine Lippen drückte.
Gott, ich wollte mehr. Ich wollte so viel mehr, als sie nur zu küssen, aber ich wusste ganz genau, dass Beverly alles andere als bereit dazu gewesen wäre, mit mir zu schlafen. Also löste ich mich von ihr, bevor ich mich dazu hinreißen lassen würde, es zu versuchen. Was war nur los mit mir? Ich kannte Beverly gerade mal zwei Monate, und war nie der Typ für voreiligen Sex gewesen, aber es fühlte sich an, als würde ich Beverly seit Jahren kennen. Ich war verrückt. Hatte ich mich wirklich so sehr in sie verliebt, dass meinem Verstand Flügel wuchsen, sobald sie in meiner Nähe war? Addie hatte recht gehabt. Ich war wirklich ein Vollidiot.
Nachdem wir uns wieder aneinander gekuschelt hatten, wurde es still zwischen uns, und ich beschloss, ein Thema anzuschneiden, das meine Gedanken von Sex mit Beverly wegbringen würde.
„Hört sich das eigentlich immer so an? Also, wenn ein Dämon Besitz von einem Menschen ergreift."
„Was meinst du?" Beverly zog die Augenbrauen zusammen.
„Diese zweite Stimme."
„Du konntest sie hören?"
„Du etwa nicht?" Ich wusste nicht, warum sie plötzlich so schockiert war. Ihre ganze Körperhaltung war angespannt. „Was ist los?"
„Du hättest nicht in der Lage sein sollen, das zu hören. Menschen können das nicht hören. Nur Menschen, die an einen Dämon gebunden sind. Oder eben Dämonen selbst."
Ich sah sie irritiert an. „Aber ich bin keins von beidem."
„Was du nicht sagst", bemerkte sie spitz.
Ich schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber wenn du deinen Dämon in deinen Körper gezwungen hast, habe ich die Stimme nie hören können. Das ist doch gut, oder?"
„Das ist etwas anders. Der Dämon hat keinerlei Macht über mich, wenn ich ihn in meinen Körper zwinge. Ich bin immer noch ich, meine Entscheidungen sind meine, und was ich sage, das sage ich. Wenn er von mir Besitz ergreift, hat er das Sagen. Aber er kann nicht selbst sprechen, also braucht er eine Art Kanal. Den Menschen. Jemand, der durchgibt, was der Dämon sagt."
Ich ließ mich mit hämmerndem Kopf zurück auf mein Kissen sinken. Mein Herz raste, allerdings nicht mehr wegen Beverly. „Warum konnte ich seine Stimme dann hören?"
Sie sah mich ratlos an, und zuckte mit den Schultern. „Vermutlich aus demselben Grund, aus dem Vaya dich beschützen möchte." Möglich, aber die alles entscheidende Frage, warum das so war, blieb. Warum waren alle Fragen, die ein warum beinhalteten, so beschissen?
„Du darfst es keinem sagen", sagte Beverly plötzlich, und setzte sich beunruhigt auf. „Chase schon gar nicht."
Ich sah sie fragend an. Ich wollte keine weitere Wieso-Weshalb-Warum-Frage stellen.
„Du bist an keinen Dämon gebunden, das hätten wir längst bemerkt. Diese Stimme hören zu können, ist also weder normal, noch gut. Das ist gar nicht gut. Denn es bedeutet-" Sie brach ab, und sah mich aus besorgten Augen an.
„Was?"
„Es bedeutet, dass du nicht ganz und gar ein Mensch bist."
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