53
Aidan
Jegliches Glücksgefühl, das mich erfüllt hatte, als Beverly und ich uns geküsst hatten, zog sich mit einem Mal aus jeder Faser meines Körpers zurück. Meine Schwester hatte mich noch nie um diese Uhrzeit angerufen. Es hatte nie einen Grund gegeben. Nach ihrer Schicht im Myway ging sie immer direkt nach Hause. Es war nicht weit. Auf dem Heimweg telefonierten sie und Trish immer miteinander, um sicher zu gehen, dass beide gut nach Hause kommen würden.
Mit einem unguten Gefühl wählte ich ihre Nummer und musste länger warten, als ich das nach ihrem Anruf erwartet hätte, bis sie abhob. Aber sie sagte nichts.
„Hallo? Addie?" Sie sagte wieder nichts, und ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt gehört hatte. Der Empfang in diesem Bauklotz war manchmal unheimlich schlecht, also stand ich auf, und ging ans Fenster. „Addie", wiederholte ich.
„Aidan." Erleichtert atmete ich auf. Ich war so froh, Addie's Stimme zu hören. Aber warum klang sie so dünn und schwach?
„Addie, was ist los? Warum rufst du mich mitten in der Nacht an, und erschreckst mich zu Tode?" Ich bekam lange keine Antwort.
„Ich... Ich weiß nicht." Ich zog die Augenbrauen zusammen. Sie klang erschöpft. Verwirrt.
„Ads, wo bist du?"
„Myway."
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Sie hätte schon vor fünfzehn Minuten gehen sollen. „Was machst du da noch?" Es war wieder kurz still.
„Weiß nicht..."
„Soll ich dich abholen?", fragte ich sofort, aber Addie antwortete nicht. Ich warf Beverly einen besorgten Blick zu, den sie erwiderte. „Addie?"
„Ich... Ich komm jetzt nach Hause", sagte sie langsam.
„Bist du betrunken?"
„Weiß nicht..."
„Du bist betrunken. Warum betrinkst du dich nach der Arbeit?" Es hatte nicht vorwurfsvoll klingen sollen, aber je länger das Gespräch andauerte, desto beunruhigter wurde ich.
„Ich fühl mich nicht gut."
„Das glaub ich dir aufs Wort. Wie lautet dein zweiter Vorname?"
„Ähm..."
„Fast richtig. Bleib wo du bist, ich hol dich ab." Ohne eine Antwort abzuwarten legte ich auf, und begann mich in meine Schuhe und Jacke zu zwängen. Wenn sie so betrunken war, dass sie ihren Namen vergaß, wusste sie auch nicht mehr, wo sie wohnte.
„Was ist Addie's zweiter Vorname?", fragte Beverly, während sie sich ebenfalls, ohne zu zögern, anzog.
„Payten."
„Und was ist dein zweiter Vorname?" Wir verließen die Wohnung, und ich sperrte ab.
„Wer sagt, dass ich einen habe?"
„Wenn Addie einen hat, hast du auch einen", sagte sie überzeugt und sah mich so neugierig an, dass ich nachgab.
Ich seufzte angestrengt. „Gavin."
„Gavin?", lachte Beverly.
„Halt die Klappe."
„Ich hab nichts gesagt." Sie kicherte immer noch, als wir aus dem Haus traten. Es war ein wenig frisch, aber windstill. Die Straßen wirkten tot um diese Uhrzeit. Kaum ein Geräusch war zu hören.
Wir beeilten uns, ins Myway zu kommen und je näher wir kamen, desto mehr verstummten unsere Gespräche. Wir begegneten Addie nicht auf dem Weg dorthin, und die Türe war nicht abgeschlossen, was bedeutete, dass sie ein Mal in ihrem Leben auf mich gehört hatte, und noch hier war.
Im Myway waren fast alle Lichter bereits ausgeschaltet, bis auf die düsteren Lampen an der Bar. Es roch nach Zigaretten und Alkohol. Beverly blieb hinter mir. Ich ging um die Bar herum. Addie saß mit geschlossenen Augen auf dem Boden, und lehnte in ihrer typischen Ich-lebe-vom-Trinkgeld-der-Leute-und-muss-einen-sexy-Anblick-bieten Aufzug, an der Wand. Ihre linke Hand blutete, und war mit kleinen Glassplittern versehen, während sich ihre rechte Hand um den Flaschenhals einer halbleeren Vodkaflasche schloss.
„Wunderbar", murmelte ich, und kniete mich neben Addie. Ich deutete auf ihre verletzte Hand. „Heilt das schnell?"
Beverly warf einen Blick darauf und nickte. „Sollte morgen verheilt sein, aber die Glassplitter müssen wir rausholen." Beverly ließ ihren Blick mit Unwohlsein durch die Bar gleiten, als ob jede Sekunde ein Massenmörder aus den dunklen Ecken hätte springen können. „Was denkst du, ist passiert?", fragte sie, und ihre Stimme klang verängstigt. Ich wusste nicht mit Sicherheit, warum sie plötzlich so unsicher war. Normalerweise brachte sie nichts so schnell aus der Fassung.
„Ich weiß es nicht." Flüchtig sah ich mich um. Von der Theke tropfte Rotwein herunter, und bildete eine Pfütze auf dem Boden. Zwei leere Weingläser standen in der Abwasch. Auf dem Tresen lagen verteilt zerbrochene Scherben inmitten der Weinlacke, vermutlich von der Weinflasche. Etwas weiter daneben lag Addie's Telefon, das in diesem Augenblick zu vibrieren begann, und meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Beverly nahm es vorsichtig vom Tresen und warf einen Blick drauf.
„Es ist Trish." Ich winkte nach Addie's Handy, und nahm den Anruf entgegen.
„Hey, sorry, dass ich jetzt erst zurückrufe", erklang Trishs gehetzte Stimme von der anderen Leitung. Addie hatte also vor mir schon Trish angerufen.
„Kein Ding."
„Aidan? Warum hast du Addie's Telefon? Ist alles okay?" Jetzt klang sie noch gestresster. Nein. Nein, gar nichts ist okay.
„Warum ist Addie länger im Myway geblieben?"
„Was meinst du damit?"
„Sie ist noch hier. Und sie hat schon mal besser ausgesehen." Ich schilderte Trish kurz die Lage. Sie gab einige verwirrte Satzanfänge von sich, bevor sie wieder normal sprechen konnte. „Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich bin früher gegangen, aber es war niemand mehr da, und Addie hätte nur noch ein paar Tische abwischen und dann absperren müssen."
„Warum bist du früher gegangen?" Ich fühlte mich augenblicklich schlecht, weil ich so harsch mit ihr redete.
„Mein Bruder hat mich angerufen. Meine Mom lag betrunken vor der Türe, und die Nachbarn haben mit der Polizei und dem Jugendamt gedroht, was hätte ich machen sollen, Kace das regeln lassen? Er ist neun." Seufzend rieb ich mir die Stirn. Trish hatte auch nicht gerade ein leichtes Leben, ich konnte ihr schlecht vorhalten, dass sie gegangen war. Sie hatte ja nicht wissen können, wie der Abend hier enden würde. Trish stellte mir dieselben Fragen, die ich mir ebenfalls schon die ganze Zeit gestellt hatte. Was passiert war, und warum Addie so dicht war, dass sie ihren Namen vergessen hatte. Ich versprach Trish, mich morgen noch einmal bei ihr zu melden, oder dass Addie sich bestenfalls melden würde. Dann steckte ich das Telefon in meine Hosentasche und rüttelte meine Schwester sanft an der Schulter, um sie wach zu bekommen. Sie zuckte und öffnete flüchtig ihre Augen. Beverly nahm ihr währenddessen den Alkohol aus der Hand.
„Wir bringen dich nach Hause, okay?" Ich strich ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht, und sie nickte noch, bevor sie wieder die Augen schloss, und ihren Oberkörper gegen meinen fallen ließ. Ich legte ihren nicht verletzten Arm um meine Schulter, griff ihr unter die Kniekehlen, und hob sie hoch. Beverly nahm Addie's Jacke und Tasche mit, und wir machten uns schnell auf den Weg nach Hause. Ich war ganz froh, dass Beverly da war, denn ich wusste nicht, wie ich Addie, ohne, dass Beverly mir die Türen aufhielt, so einfach zurück in die Wohnung bekommen hätte. Sie war zwar leicht wie ein Fliegengewicht, aber eben machte sie sich so schwer, wie ein Kartoffelsack. Ich hatte Addie noch nie so betrunken erlebt. Sie reagierte nicht mehr darauf, dass ich sie ansprach. Ab und zu öffnete sie die Augen und murmelte unverständliche Sachen, aber im Großen und Ganzen, war sie völlig dicht.
Als Beverly und ich es schließlich geschafft hatten sie in unsere Wohnung zu tragen, brachte ich meine Schwester geradewegs ins Bad, weil ich mir zu hundert Prozent sicher war, dass der Alkohol nicht lange in ihrem Magen bleiben würde. Zumindest nicht, wenn sie so betrunken war, dass sie ohnmächtig wurde. Ich setzte sie auf den Boden, vor das Waschbecken, und begann ihre Hand zu inspizieren.
„Oh mein Gott!", murmelte ich kopfschüttelnd. Ich nahm ihre Hand vorsichtig in meine. Schnitte übersäten sie, und einige Glassplitter steckten in den Wunden. „Was zum Teufel hast du gemacht?" Natürlich bekam ich keine Antwort. Sie sah mich zwar an, aber ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt verstand.
Beverly besorgte mir eine Pinzette und Desinfektionsmittel, und ich spielte mal wieder den Krankenpfleger. Da sie komplett weg war, hatte sie nicht einmal Schmerzen. Auch nicht, als ich die Wunden mit dem Desinfektionsmittel säuberte und einen Verband anlegte. Ich wurde genau im richtigen Moment fertig, weil Addie so aussah, als würde der Alkohol ihre Gastfreundschaft nicht schätzen.
„Nein, nicht Boden. Kloschüssel, Addie", sagte ich und schob sie vor die Toilette, bevor der Alkohol ihren Körper verließ. Ich hielt ihr die Haare zurück und strich ihr über den Rücken. Unter anderen Umständen, hätte ich vermutlich Selber Schuld, gesagt.
„Aidan", sagte Beverly plötzlich und zeigte auf Addie's rechten Unterarm. Wie erstarrt, streifte ich ihre Haare zur Seite. Auch an ihren Schultern und ihrem Nacken hatte sie blaue Flecken. Bev und ich wechselten flüchtige Blicke.
„Was ist passiert?", fragte sie sanft, und setzte sich neben Addie, die sich erschöpft auf der Klobrille abstützte.
„Ich weiß nicht wovon du sprichst", murmelte sie undeutlich.
„Trägst du Schnittverletzungen und blaue Flecken jetzt als Accessoires?"
„Was für Assoires?", fragte sie langsam. Himmel, sie war wirklich zu.
„Nein, falsche Frage. Was für Verletzungen, das ist die Frage."
„Ich hab keine Ver... Verletzungen", stritt sie ab.
„Ach, nein?" Wahrscheinlich war es sinnlos mit einer betrunkenen Addie zu diskutieren, trotzdem hielt ich ihr die bandagierte Hand hin. „Und das?" Addie sagte lange nichts.
„Oh Gott, bin ich weiß", stieß sie schließlich geschockt aus.
„Oh Gott, bist du blau", entgegnete ich entnervt. Sie drückte mir einen Finger auf den Mund.
„Shhhhhh! Nicht so laut. Du weckst sonst meinen Bruder auf."
„Ich bin schon wach, aber danke für deine Fürsorge." Sie schloss wieder die Augen und sackte in sich zusammen. „Addie!" Ich stieß wütend den Atem aus. Es hatte keinen Sinn, sie länger zu fragen, also hob ich sie erneut hoch, und brachte sie auf ihr Zimmer, in ihr Bett. Beverly wartete in meinem Zimmer, und bevor ich zu ihr ging, stellte ich eine Packung Kopfschmerztabletten, ein Glas Wasser und Chase' Kater-Eimer neben Addie's Bett.
~~ ~~
Wäre es meiner Schwester nicht auch am nächsten Tag so unfassbar beschissen gegangen, hätte ich mich durchaus mit erfreulicheren Dingen beschäftigen können. An den Kuss zwischen mir und Beverly zu denken, zum Beispiel. Oder noch besser: Ihn zu wiederholen. Denn alles, was wir gestern Nacht (oder eher heute Morgen) noch getan hatten, war, Theorien aufzustellen, was mit Addie passiert sein könnte, während wir nebeneinander in meinem Bett gelegen, und unsere Hände in den unterschiedlichsten Knoten ineinander verschränkt hatten. Bis zum Morgengrauen. Wir hatten uns gegenseitig die harmlosesten Varianten ein- und die schrecklichsten ausgeredet. Ich hatte kein Auge zugetan, und war demnach auch entsprechend müde.
Beverly war auf dem Weg nach Santa Barbara. Sie hatte keine sauberen Klamotten mehr hier, und war zu faul, sie zu waschen. Deshalb fuhr sie mit der getragenen Wäsche zu ihrem Haus, verstreute sie, wohl aus Spaß, auf dem ganzen Grundstück, nur um sie beim nächsten Mal wieder gewaschen und fein säuberlich gestapelt in ihrem Schrank vorzufinden.
Ich nutzte meinen einsamen Morgen, um meine Mutter vor ihrer Schicht im Krankenhaus anzurufen, und ihr die Wiederholungsklausur zu beichten. Wie nicht anders zu erwarten, hielt sie mir einen zehnminütigen Vortrag darüber, dass ich für die Wiederholungsprüfung besser lernen sollte, denn eine weiter würde sie nicht zahlen. Dann erkundigte sie sich flüchtig nach Addie, und ich meinte, dass es ihr wunderbar ging. Ich ließ Dad schön grüßen, und legte auf. Danach entschuldigte ich mich bei meinen Nachhilfeschülern, die mir in den letzten Wochen etliche Emails geschrieben hatten, weil ich mich nicht gemeldet hatte. Ich war nicht der verlässlichste Nachhilfelehrer, aber ich hatte so viel um die Ohren gehabt, dass ich es nicht einmal geschafft hatte, mich fünf Minuten hinzusetzen, und Bescheid zu geben, dass ich auf unbestimmte Zeit, als Nachhilfelehrer ausfallen würde. Alles was ich hoffen konnte, war, dass meine Schüler ihre Prüfungen nicht vollends wegen meiner Rücksichtslosigkeit versaut hatten. Ich beschloss, später Trish zu fragen, ob sie die Zeit und den Nerv dafür hatte, meine Nachhilfestunden zu übernehmen. In Mathe war sie wirklich gut, und sie brauchte keine akademischen Kenntnisse, um einem Neunt- oder Zehntklässler zu helfen. Und sie wäre gut bezahlt worden. Das Geld hätte sie momentan mit dem neuen Freund ihrer Mutter (Trish hatte erzählt, dass er Polizist war) bestimmt nicht gebraucht, aber wer wusste schon, wie lange die Beziehung zwischen ihrer Mutter und dem Polizisten halten würde? Oder ob sie überhaupt noch existierte, wenn Ms. Reeve gestern wieder einmal betrunken im Flur herumgelegen hatte.
Als ich meinen Laptop zuklappte, öffnete sich Addie's Zimmertüre, und sie kam, sichtlich verkatert, ins Wohnzimmer.
„Wie geht es dir?"
„Rede nicht", flüsterte sie übertrieben schwach, und presste ihre Hände gegen den Kopf. „Kaffee."
„Bei einem Kater sollte man keinen Kaffee trinken."
„Spar dir deine Weisheiten, mein Kopf explodiert." Sie ließ sich gegenüber von mir auf einen Stuhl fallen. Sie legte ihre Arme auf den Tisch und betrachtete ihre einbandagierte Hand. Quälend langsam, begann sie den Verband abzuwickeln, sichtlich verwirrt, was er da zu suchen hatte -ihre Hand war doch völlig in Ordnung! Mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtete sie abwechselnd den blutigen Verband, und ihre geheilte Hand, sagte aber nichts dazu. Die blauen Flecken, waren ebenfalls verschwunden.
„Warum hast du so viel getrunken?", fragte ich, und musterte sie eingehend. „Was ist gestern passiert?"
Addie fixierte nachdenklich einen Punkt auf dem Tisch, bevor sie langsam den Kopf schüttelte. „Ich... weiß es nicht mehr. Ich weiß noch, dass Trish gehen musste, wegen ihrer Mom. Und ab da ist alles weg." So zu wie Addie gewesen war, kaufte ich ihr das sogar ab. Allerdings war sie eine gute Schauspielerin, wenn sie wollte. Vielleicht konnte sie sich noch ganz genau daran erinnern, und wollte es mir einfach nicht erzählen. Sowie die Sache mit dem Baby. Trotzdem beschloss ich, nicht weiter auf dem Thema herumzureiten.
Der Schlüssel wurde im Schloss der Wohnungstüre herumgedreht, und Addie und ich drehten unsere Köpfe gleichzeitig. Trev war in Stanford und Beverly hatte keinen Schlüssel, also konnte es nur eine Person sein.
„Was machst du denn hier?", fragte Addie grimmig, und warf Chase argwöhnische Blicke zu. Er gab sich gar nicht erst die Mühe, seine Schuhe auszuziehen.
„Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war das noch meine Wohnung, hat sich das vielleicht geändert?"
„Schön wär's", gab Addie zurück. Mich überraschte es auch, Chase um diese Zeit nach gut fünf Tagen wieder hier zu sehen. Weniger verwunderte mich jedoch, dass seine erste Haltestation dem Schrank galt, in dem wir den Alkohol bunkerten. Ich musterte Chase abfällig, aber er zuckte nur mit den Schultern.
„Trish hat keinen Scotch mehr, und ich bin zu faul, in die Stadt zu fahren, um welchen zu kaufen." Das war seine Erklärung für Alkoholmissbrauch? Wenn ich all meine fragwürdigen Aktionen mit solchen Ausreden gerechtfertigt hätte, wäre mein Leben leichter gewesen.
Als Chase sein Glas etwas zu laut auf dem Tisch abstellte, um Scotch hineinzufüllen, zuckte Addie zusammen, und rieb sich die Schläfen.
„Hast du einen Kater?", fragte Chase, woraufhin Addie ihn unmissverständlich und böse anfunkelte. Auf seinem Gesicht breitete sich ein amüsiertes Grinsen aus. „Da habe ich einen Tipp für dich." Er prostete ihr zu. „Hör nicht auf zu trinken." Während er einen Schluck nahm, stand Addie genervt auf, und verschwand wieder in ihrem Zimmer.
„Was ist mit ihr los?"
„Du meinst, warum sie sich dir gegenüber so abstoßend verhält?", fragte ich gespielt verwundert. „Das kann ich mir auch nicht erklären."
Chase rollte mit den Augen. „Sie hat mich gestern mitten in der Nacht angerufen." Er goss noch etwas mehr Scotch in das Glas, und stellte ihn dann in den Schrank zurück.
„Und du bist nicht rangegangen?", fragte ich ungläubig.
„Ich war beschäftigt", entgegnete er schulterzuckend.
„Beschäftigt? Was hast du denn gemacht, um vier Uhr morgens?" Brennende Wut breitete sich in meinem Körper aus. Addie hatte ihn angerufen. Vor mir. Weil sie Hilfe gebraucht hätte. Und er hatte sich wie ein kleines Kind verhalten, und den Anruf ignoriert, weil er sich, aus welchen Gründen auch immer, mehr und mehr von ihr abschottete. Addie hatte sich verletzt.
Während ich Chase in Gedanken verteufelte, fiel mir ein, dass ich auch nicht abgehoben hätte, wenn Beverly nicht gewesen wäre. Ich meine, ich hätte den Anruf schon entgegengenommen, wenn ich allein gewesen wäre, oder sofort gewusst hätte, dass es meine Schwester gewesen war, aber mit Beverly auf dem Sofa zu liegen, hatte mich vergessen lassen, dass kein Mensch aus Spaß um vier Uhr morgens anruft. Aber zumindest hatte ich den Anruf nicht ignoriert nachdem ich den Namen auf meinem Display gelesen hatte.
„Da fällt dir doch ganz sicher etwas ein", meinte Chase, und sah mich vielsagend an.
„Trish schien jedenfalls genug Zeit gehabt zu haben, um Addie zumindest zurückzurufen."
Chase zog die Augenbrauen zusammen. „Ich war nicht bei Trish."
„Ich bitte dich, du wohnst praktisch dort."
„Satans Brut ist doch auch die ganze Zeit hier, und wohnt nicht mit dir zusammen", entgegnete er. Ich sah ihn wütend an. „Ich war auf der Jagd, mit meinem Bruder und meiner Schwester." Es würde wohl noch dauern, bis ich mich an den Gedanken gewöhnt haben würde, dass Chase' ganze Familie über Dämonen Bescheid wusste, und aus Jägern bestand. Menschen, die ich seit meiner Kindheit kannte.
„Ich hoffe, es war nett", meinte ich zynisch.
„War ganz okay. Ein paar Parasiten weniger auf dieser Erde. Was war denn nun los gestern?" Auch wenn er es zu verstecken versuchte, konnte ich die Sorge und Unruhe in seinen Blicken erkennen.
Ich schüttelte den Kopf. „Gar nichts. Alles bestens." Vermutlich hätte ich ihm vor Augen führen sollen, was für ein schrecklicher (mittlerweile wohl ehemaliger) bester Freund er für Addie war. Aber er sollte sich immer um sie sorgen und immer für sie da sein. Nicht nur dann, wenn etwas Schlimmes passierte. Deshalb sagte ich auch nichts.
Mit meiner Antwort schien er jedoch zufrieden, denn er verschwand mit seinem Glas Scotch schweigend auf seinem Zimmer.
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