47

Aidan 

Es war erst ein paar Wochen her, seit ich Rose das letzte Mal gesehen hatte, aber es hatte sich in dieser Zeit so viel verändert, dass es sich wie Monate anfühlte. Ich war gleich nach meinen Kursen zu ihr gefahren, und hatte erst einmal eine gute Stunde gebraucht, um ihr alles zu erzählen. Vielleicht hatte ich ihr auch ein wenig die Schuld für den ganzen Schlamassel geben wollen. Zum Teil war es immerhin ihre Schuld. Ich erinnerte mich an Trishs Vermutung, dass Vaya mich getötet hätte, hätte Rose sich nicht von ihm getrennt. Dass sie mir diese Annahme bestätigte, machte die ganze Sache nicht wirklich besser. Obwohl ich meiner Großmutter alles über Beverly erzählte, fragte sie nicht nach, was vermutlich auch besser so war, denn ich hatte keine Ahnung, was ich geantwortet hätte. Ich kannte Beverly erst seit ein paar Wochen, hatte aber noch nie einen Menschen wie sie getroffen. Von dem Dämonen-und Psychiatrieteil mal ganz abgesehen, aber als wir uns kennengelernt hatten, hatte sie mich glücklich gemacht. In letzter Zeit war eher das Gegenteil der Fall gewesen. Trotzdem wollte ich sie nicht verlieren, weil ich herausfinden wollte, ob es zwischen uns wieder so werden könnte, wie am Anfang.

„Als du und Addie mich vor ein paar Wochen zum ersten Mal besucht habt, habe ich eigentlich gedacht, dass es bereits passiert wäre, und Vaya sich an Addie gebunden hat", sagte Rose, und strich die Wolldecke, die über ihren Beinen lag, glatt. „Warum ist sie nicht hier?"

„Sie musste an die Uni." Das war gelogen. Vermutlich lag sie zu Hause heulend auf ihrem Bett, und zerbrach sich den Kopf darüber, welche Worte sie wählen sollte, wenn sie Trev heute Abend tatsächlich erzählen wollte, was passiert war.

Rose studierte mich mit einem nachdenklichen Blick. „Und Beverly?" Offenbar konnte sie sich doch nicht zurückhalten.

„Was soll schon sein?" Ich klang viel geknickter, als ich gedacht hätte. „Wir sind im Grunde nichts. Wir kennen uns lange genug, um keine Fremden zu sein, aber eine zu kurze Zeit, um Freunde zu sein."

„Und seit wann definierst du Freundschaft durch Zeit?" Wie war es bloß möglich, dass mich diese Frau seit über elf Jahren nicht mehr gesehen hatte (bis auf die Ausnahmen der letzten Wochen), und mich trotzdem besser zu kennen schien, als ich mich selbst. Seit Addie und Trish beste Freundinnen waren, hatte ich für mich festgelegt, Freundschaften nicht durch Zeit zu definieren. Die beiden hatten sich, als sie sieben waren, irgendwo in Disneyland beim Warten in einer Schlange kennengelernt. Ich war auch dabei gewesen, hätte aber nie gedacht, das Trish zehn Jahre später immer noch ein Teil meines Lebens sein würde. Im Gegenteil, ich hatte angenommen, dass die beiden vielleicht noch ein oder zwei Wochen in Kontakt bleiben würden, nachdem sie lediglich einen Tag zusammen verbracht hatten, und ihre Mütter bis aufs Blut gequält hatten, damit sie ihre Telefonnummern austauschten. Und sobald sie herausgefunden hatten, dass sie nicht einmal eine Stunde voneinander entfernt gewohnt hatten, war ohnehin jede Bemühung unserer Mutter, den Kontakt abbrechen zu wollen, schief gelaufen. Ich hatte all meine Freunde in der Schule oder an der Uni kennengelernt. Addie glaubte an Seelenverwandtschaft und war der festen Überzeugung, dass ein Mensch mehr als nur einen Seelenverwandten haben konnte. Sie meinte, dass Trev der eine, und Trish der andere war.

Das zwischen mir und Beverly war anders. Wenn man klein ist, ist das Aufbauen von Freundschaften leichter, weil man nicht so viel denkt. Man denkt nicht darüber nach, wie viel Geld die andere Person hat, wo sie wohnt, was andere über sie denken. Zwischen Addie und Trish hatten lediglich vierzig Minuten Fahrt gestanden. Zwischen Beverly und mir stand das komplette Leben.

Plötzlich glitt Rose' Blick an mir vorbei zur Türe, und sie seufzte. „Wenn man vom Teufel spricht." Ich drehte mich zur Türe, nur um mich augenblicklich wieder abzuwenden. Rose schüttelte den Kopf und musterte Beverly von oben bis unten. „Um Gottes Willen, was machst du denn hier?"

„Dumme Entscheidungen treffen, wie immer." Ich hielt den Atem an, während ich hörte, wie ihre Schritte näher kamen, bis sie neben mir stehen blieb. Während ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich Gott danken, oder lieber verfluchen sollte, spürte ich Beverlys Blick wie Zement auf mir. Ich wusste nicht, was ich zu ihr hätte sagen sollen. Wahrscheinlich, weil es nicht viel zu sagen gab. „Addie hat mir gesagt, dass ich dich hier finde."

Mein Herz setzte einen Schlag aus, und ich war mir nicht sicher, ob der Sauerstoff im Raum tatsächlich weniger wurde, oder ob mir das Atmen einfach wegen ihrer Worte schwerer fiel. Addie hat mir gesagt, dass ich dich hier finde.

Finde!

Sie hatte nach mir gesucht! „Ich...", begann sie, streifte sich dann die Kapuze vom Kopf, fuhr sich durch die blonden (oder braunen) Haare, und sah mich an. „Ich will Addie helfen, und ich bin sicher, dass du das auch willst, aber das geht nicht, wenn wir einander hassen, also..." Hassen? Ich hasste sie nicht. Hasste sie mich etwa? Mir blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn sie setzte sich auf das Fußende von Rose' Bett und wandte sich an Rose, die mir während der ganzen Zeit vielsagende, auffordernde Blicke zugeworfen hatte. Sie wollte, dass ich etwas sagte, aber das brachte ich einfach nicht fertig.

„Ich habe nachgedacht", sagte Beverly, griff unter ihren dunkelblauen Pullover und zog die Halskette mit dem Adler mit den Smaragdaugen hervor. Rose richtete nun ihre ganze Aufmerksamkeit auf sie. „Du hast mir diese Kette zu meinem achtzehnten Geburtstag geschenkt, damit ich, sobald ich von hier entlassen worden wäre, meinen Dämon leichter hätte kontrollieren können." Rose nickte. „Wir konnten ja nicht damit rechnen, dass ich nach Modoc komme. Aber kann diese Kette nicht auch Addie helfen Vaya zu kontrollieren?"

„Daran habe ich auch schon gedacht", antwortete Rosemary, klang jedoch nicht überzeugt. „Das Problem ist, dass Addie..."

„Was?"

„Sie ist schwach. Addie ist schwach. Sie ist ein warmherziger, guter, liebevoller Mensch, und Vaya wird sie vermutlich zerstören. Vergiss nicht, dass magische Gegenstände nur verstärken, was bereits vorhanden ist. Wenn ihre Intentionen und ihr Wille, Vaya zu kontrollieren nicht stark genug sind, kann ihr keine Magie der Welt helfen." Während ich dabei war ihren Worten zu folgen, spiegelte sich in Beverlys Gesicht Hoffnung.

„Aber es könnte funktionieren", beharrte sie. „Ein Versuch ist es wert, ich denke nicht, dass sie so schwach ist, wie du glaubst." Addie war weder das eine, noch das andere. Sie war nicht schwach, aber auch nicht stark, und das machte die ganze Sache wohl ziemlich schwierig. Rose sah Beverly nachdenklich an.

„Was noch?"

„Wie bitte?" Verwirrt zog Beverly die Augenbrauen zusammen.

„Du willst mir doch noch etwas sagen. Was ist es?"

Beverly schlug fast schuldig den Blick nieder, und ich ahnte, was nun kommen würde.

„Addie hat jemanden aus ihrer Familie getötet", murmelte Beverly, woraufhin Rose sich aufrichtete, und in Beverlys und meinem Gesicht die Wahrheit ergründen zu wollen schien. Ihr wurde recht schnell bewusst, dass Beverly die Wahrheit gesagt hatte, und reagierte genauso, wie ich es hätte tun sollen.

„Bist du dir sicher? Woher willst du das wissen?"

„Vaya's Augen haben eine rote Farbe angenommen, als er sich an Addie gebunden hat. Ich war dabei." Sie sah Rose immer noch nicht an.

„Wen?"

Beverly warf mir einen flüchtigen Blick zu, schnell genug, dass ich nicht die Chance gehabt hatte, ihm auszuweichen. „Das wissen wir nicht. Deshalb wollte ich dich fragen, ob du von einem Verwandten weißt, der irgendwann innerhalb der letzten achtzehn Jahre verstorben ist, und dessen Tod, wenn auch nur im Entferntesten, mit Addie zusammenhängen könnte."

Meine Großmutter stieß einen amüsierten Laut aus. „Ich sitze seit zehn Jahren hier drinnen, du denkst doch nicht allen Ernstes, dass ich mitbekommen habe, was in meiner Familie vorgegangen ist."

Beverly legte den Kopf schräg. „Tu doch nicht so, du weiß immer mehr, als du zugibst."

„In dem Fall leider nicht." Rose warf mir einen besorgten Blick zu. „Deine Schwester hat doch wohl niemanden mutwillig umgebracht, oder?" Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Draußen verdunkelten Wolken den Himmel, und die Äste der austreibenden Bäume wurden vom Wind hin und her gerissen. Es war Mitte Februar, warum war in Fresno dieses Jahr immer noch so schlechtes Wetter?

„Trish weiß es", bemerkte Beverly, und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Es fiel mir immer noch schwer sie anzusehen, und ich wusste, dass es ihr nicht viel anders erging. Unsere letzte Auseinandersetzung stand wie ein rosa Elefant im Raum. Aber offenbar hatte sie sich wirklich dazu entschieden, das hier für Addie zu tun. „Aber sie sagt nichts."

„Das muss sie", sagte ich bestimmt. „Ist sie auch wieder in Fresno?" Als Beverly nickte, beschloss ich ihr nachher einen Besuch abzustatten, um mir endlich Antworten zu holen. Trish hatte lange genug geschwiegen.

„Ich kann Addie nicht helfen, wenn ich nicht weiß, was sie getan hat. Alles was in ihrem Leben jemals passiert ist, wird ihre Beziehung zu Vaya beeinträchtigen, und entweder verschlimmern, oder verbessern. Ein Mord wird ihn kaum verbessern, besonders wenn dieser an ihr nagt." Plötzlich fragte ich mich, ob Addies Alpträume daher rührten. Sie schienen immerhin ziemlich heftig gewesen zu sein. Andererseits würde das bedeuten, dass Addie sehr wohl wusste, was sie getan hatte, und dieser Mord vor wenigen Monaten passiert sein musste.

Beverly drehte sich wieder zu Rose, die vor dem Fenster an der Heizung saß. „Irgendwelche besonderen Hinweise, wie Vaya tickt?"

Rose lächelte müde. „Er ist ein Todesdämon. Du weißt doch bereits alles über ihn. Ich kann Addie nur den gleichen Rat geben, wie dir damals."

„Welchen?", fragte ich dazwischen.

„Je weniger sie sich dagegen wehrt, je weniger sie sagt, oder tut-"

„Oder fühlt, oder denkt...", fuhr Beverly kopfschüttelnd fort.

„...umso besser."

„Und wo hat mich das gelassen?" Das war ein guter Punkt, wenn ich daran dachte, dass Beverly diese Worte offenbar wirklich beherzigt hatte. Ich wollte auf keinen Fall, dass Addie auch nur einen dieser Punkte befolgte, um mit ihrem Dämon fertig zu werden. Das würde sie verändern. Das würde sie eher zerstören, als der Dämon selbst, da war ich mir sicher.

„Am Leben", sagte Rose schlicht und sah Beverly eindringlich an. Nun spiegelte sich Einsicht in ihren Augen, und sie senkte den Blick.

„Sonst noch was?", fragte sie leise, und mied den Blickkontakt mit meiner Großmutter.

„Vaya ist besitzergreifender, als andere Dämonen. Solange Addie ihn nicht unter Kontrolle hat, solltet ihr euch so gut es geht von ihr fernhalten. Er wird Addie für sich haben wollen, und wenn sie jemand anderem mehr Zuneigung schenkt als ihm, kann das böse enden."

„Ich kann sie nicht alleine lassen", sagte ich fassungslos. Ich hatte Addie versprochen, dass ich sie nie alleine lassen würde, selbst wenn Vaya mich ausweiden würde. Ich hatte nicht vor dieses Versprechen zu brechen, auch wenn mir bei dem Gedanken daran schlecht wurde.

„Vergiss nicht, dass Vaya versuchen wird Addie's Seele zu brechen, um sich vollständig mit ihr zu verbinden", mahnte Rose und Beverly nickte.

„Rose hat Recht. Für Addie gibt es doch nichts Wichtigeres, als ihre Freunde. Wenn Vaya es schafft ihre Seele zu brechen, und dann damit drohen würde euch zu verletzen, oder gar zu töten, würde Addie sich doch bestimmt darauf einlassen, sich mit Vaya zu verbinden." Mir fiel kein Gegenargument ein. Natürlich würde Addie alles Erdenkliche tun, um die Menschen die ihr wichtig waren zu schützen. Sie war viel zu selbstlos, als dass sie es nicht getan hätte.

„Ich sollte gehen", sagte ich, bevor die beiden noch deutlicher werden konnten, und mir praktisch den Kontakt zu meiner Schwester verboten. „Ich werde jetzt zu Trish fahren, und sie fragen, was sie weiß."

Beverly stand auf. „Ich komme mit." Wieder konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich darüber froh sein, oder mich darüber ärgern sollte. Ich entschied mich für Ersteres, denn Beverly würde sich so oder so nicht abwimmeln lassen.

„Was ist an deinem Hals?", fragte Rose plötzlich, und ich dachte erst, sie hätte mich gemeint, doch dann griff sich Beverly reflexartig an den Hals. „Dämonenglas?"

„Ich hatte eine kleine Meinungsverschiedenheit mit einem Jäger", gestand Beverly. Dann warf sie mir einen flüchtigen Blick zu. „Er ist übrigens auch wieder hier und bewacht deine Schwester." Egal ob Beverly die Absicht gehabt hatte mich zu beruhigen, oder zu beunruhigen. Ich war beunruhigt. Über ihren Hals zog sich eine hauchdünne, dunkelrote Linie. Mir wurde warm vor Wut. Mir war klar gewesen, dass Chase Beverly abgrundtief hasste, aber das war der Beweis dafür, dass er versucht hatte sie umzubringen. Schon wieder! Er hatte nur mit ihr reden sollen, verdammt!

„Wie kann Dämonenglas so schnell heilen?", fragte Rose, aber es klang so, als würde sie die Antwort bereits kennen.

„Dämonenblut", sagte Beverly knapp. „Die Narbe wird bald nicht mehr zu sehen sein."

„Wo hast du denn Dämonenblut her?" Rose klang entrüstet.

„Ironischer Weise von dem Jäger, der mich fast umgebracht hätte." Ich sah Beverly verwirrt an, und mein Ärger verblasste. Diese Geschichte würde sie mir wohl noch einmal genauer erzählen müssen.

Beverly zog sich ihre Kapuze wieder tiefer ins Gesicht, und machte sich schon mal auf den Weg nach draußen. Ich konnte nachvollziehen, dass sie so schnell wie möglich weg von hier wollte, bevor sie von jemandem gesehen werden würde, der sie erkennen würde. Ich blieb noch einige Sekunden reglos im Zimmer stehen.

„Addie kann niemanden getötet haben", sagte ich, aber es klang schwach. Ich hatte es so satt, mir das immer wieder einreden zu müssen. „Das kann nicht sein."

„Ich schätze, das wirst du gleich erfahren."

Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster. „Seit ich es weiß, habe ich mir hunderte, tausende Möglichkeiten überlegt, wie Addie einen Mord innerhalb ihrer eigenen Familie begehen konnte. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich es überhaupt noch wissen will, denn jede Situation war schlimmer als die vorige." Ich stieß einen erschöpften Lacher aus. „Ich habe mir sogar überlegt, ob sie adoptiert wurde." Ich fuhr mir durch die Haare, und wartete auf eine Antwort, die nicht kam. Ich hatte ja auch keine Frage gestellt. Also hob ich den Kopf, und merkte, dass Rose viel zu starr in ihrem Rollstuhl saß. Automatisch spannten sich meine Schultern an.

Ist Addie adoptiert?"

„Natürlich nicht", entgegnete Rose sofort. „Hast du sie dir einmal angesehen? Die Locken deiner Mutter und meine Augen. Sie ist das Ebenbild zweier Generationen von Lansbury-Frauen." Ich nickte langsam, und wandte mich zum Gehen.

„Wir sehen uns", murmelte ich noch, während ich raus ging, und ihren Blick förmlich auf meinem Rücken spüren konnte.

~~ ~~

Der Nieselregen war kaum auf der Haut zu spüren. Die Luft war warm und lag schwer über Fresno. Und meine Gedanken klebten immer noch an dem seltsamen Verhalten meiner Großmutter, und ließen sich erst von dort abkratzen, als ich mir ins Gedächtnis rief, dass sie mit Schizophrenie diagnostiziert worden war, und sich dementsprechend manchmal seltsam verhalten konnte.

Beverly wartete am Auto, und schlüpfte auf den Beifahrersitz, sobald ich es aufgesperrt hatte. Wenige Sekunden später, saß ich hinterm Steuer, und lenkte meinen Wagen aus der Parklücke. Der rosa Elefant saß nun auf dem Rücksitz. Die Stille zwischen uns war noch nie so unangenehm gewesen. Sie machte mich nervös und unruhig. Während ich mein Auto durch die Straßen lenkte, merkte ich, dass Beverly mich immer mal wieder ansah, und darauf zu warten schien, dass ich etwas sagte, doch ich fixierte stur die Straße, und tat so, als würde ich ihre Blicke nicht bemerken. Ich hätte ihr gerne den Gefallen getan und etwas gesagt, aber ich wusste absolut nicht, was. Als wir an einer roten Ampel hielten, seufzte sie.

„Wenn du mir sagst, wofür genau, dann könnte ich mich bei dir entschuldigen." Ich umklammerte das Lenkrad ein bisschen fester. Mein Herz begann schneller zu schlagen, obwohl es dafür keinen Grund gab. „Warum bist du immer noch wütend auf mich?" Ich bin nicht wütend auf dich, sondern auf mich.

Beverly schüttelte ungläubig den Kopf und drehte ihren Kopf zum Fenster, als ich nicht antwortete. Heute war ich wirklich so stumm wie ein Fisch. Aber ich fürchtete, keine zusammenhängenden Sätze hervorbringen zu können, würde ich es versuchen.

„Ich habe aufgehört, mich auf irgendjemanden außer mich selbst zu verlassen, als mich alle Menschen im Stich gelassen haben", sagte Beverly schließlich unvermittelt. „Man kann schlecht enttäuscht werden, wenn man nur sich selbst die Schuld geben kann, oder?" Ich war mir nicht ganz sicher, warum sie mir das erzählte. Wollte sie mir sagen, dass sie mir nicht vertraute?

„Du hast nie wieder versucht jemandem zu vertrauen, oder?", fragte ich endlich, ohne sie anzusehen, aber ich merkte, dass sie den Kopf schüttelte.

„Meine Tante hat immer gesagt: Bring dich nicht in Situationen, in denen dein Schicksal vom Handeln anderer abhängt. Und genau das tu ich."

„Schon mal daran gedacht, dass deine Tante unrecht hat?" Jetzt sah ich sie an. Direkt in ihre Augen, und ich sah, dass ihr nicht entgangen war, dass ich „hat" gesagt hatte. Nicht „haben könnte".

„Vertrauen ist wie Glas", sagte sie. „Wenn es bricht, kannst du es nicht einfach reparieren."

Ich lachte verachtend auf, und fuhr weiter, als es grün wurde. Von wem hatte sie sich diesen Blödsinn abgeschaut? Von Tony? „Versuchs doch mit Sekundenkleber", entgegnete ich spöttisch. Ich nahm ihren Blick sehr wohl wahr, aber ich wollte sie nicht mehr ansehen.

„Ist ausverkauft."

„Immer auf Lager."

„Nicht in den Supermärkten, in denen ich war."

„Dann warst du in den Falschen!" Beverly trieb mich in den Wahnsinn! Vertrauen war eine Entscheidung, verdammt! Sie stand sich doch nur selbst im Weg. „Wenn du wolltest, könntest du", sagte ich abschließend. Für mich war das Thema damit beendet, aber Beverly begann plötzlich zu kichern. Etwas verstörte mich daran.

„Warum lachst du?"

Sie schüttelte den Kopf, und versuchte sichtlich sich zusammenzureißen. „Versuchen wir gerade wirklich unsere Probleme mit einer Sekundenklebermetapher zu lösen?"

„Das ist nicht lustig, sondern traurig." Trotzdem musste ich ebenfalls lachen, als Beverly nicht aufhören konnte, und der rosa Elefant löste sich in Luft auf. Es wurde wieder still, aber es war eine angenehme Stille, wie früher. Beverlys Gesichtsausdruck war viel entspannter, als sie sich nach einigen Minuten zu mir drehte.

„Hör zu. Ich weiß, dass ich viel... Mist mit mir herumtrage, von dem du noch nicht einmal weißt. Aber er steht zwischen uns, und das will ich nicht." Sie wartete, bis ich sie ansah, was bei dem Verkehr lebensmüde war. „Sobald wir die Sache mit deiner Schwester geklärt haben, erzähle ich dir alles über mich, wenn du willst. Damit du mich endlich kennenlernen kannst." Sie lächelte mich leicht an.

Ich war froh, dass ich für den Wagen verantwortlich war, und meinen Blick demnach wieder auf die Straße richten musste, denn ich hätte im ersten Moment nichts darauf erwidern können. Beverly wollte mir alles über sich erzählen. Wo zum Teufel war dieser Sinneswandel hergekommen? Zum Glück musste ich nicht länger darüber nachdenken, wie glücklich und zugleich aufgeregt ich mich fühlte, bei dem Gedanken daran, dieses Mädchen endlich richtig kennenzulernen, als ich vor Trish's Wohnblock parkte. „Wir sind da." Ich stellte den Motor ab, und stieg aus dem Wagen. Beverly folgte mir und wir gingen ins erste Stockwerk, bis vor Trish's Apartmenttüre, und ich klopfte.

Trish öffnete nur wenige Sekunden später. Sie sah ziemlich fertig aus, und alles andere als erfreut, uns zu sehen.

„Was wollt ihr? Ist es wichtig?"

„Ja", sagte ich bestimmt, woraufhin Trish seufzte und zur Seite trat, um uns hereinzulassen. Es war keiner zu Hause, und ich wusste nicht, warum Trish uns so offensichtlich hatte loswerden wollen. Sie ging voran ins Wohnzimmer.

„Hast du noch was vor, oder warum siehst du so gestresst aus?", fragte Beverly und setzte sich auf die Couch. So wie ich Trish kannte, hatte sie bestimmt nichts mehr vor. Ihre Haare waren zu einem verworrenen Zopf geflochten, der über ihrer linken Schulter hing, sie war ungeschminkt, und trug eine lockere Hose und ein weites T-Shirt. Hätte sie noch etwas vorgehabt, hätte sie anders ausgesehen. Wie vermutet, schüttelte sie den Kopf.

„Nein. Meine Mom hat bloß einen neuen Freund, und wir kommen nicht so gut miteinander aus", sagte sie nur, während sie ein halbvolles Glas mit, vermutlich Scotch, obwohl sie den sonst nie trank, vom Tisch nahm. Ich warf ihr einen möglichst aufmunternden Blick zu. Ich wusste von ihr und Addie, dass die meisten neuen Freunde von Ms. Reeve, ungefähr fünfzehn Jahre älter waren als sie, und weitaus mehr an Trish interessiert waren, als an ihr. Nicht selten hatte Trish schon bei uns übernachtete, weil sie gemeint hatte, dass an ihrer Schlafzimmertüre nicht genügend Riegelschlösser angebracht seien, um diese Männer draußen zu halten.

„Wo ist deine Mom?", fragte ich.

„Sie holt Kace von unserem Vater ab." Trish trank einen Schluck aus dem Glas, und stellte es wieder weg. „Also, bitte haltet euch kurz. Sie wird bald wieder hier sein mit ihrem... Freund."

„Gerne", meinte ich rasch. Es war egoistisch, weil es ihr offensichtlich nicht gut ging, aber ich würde so einiges dafür geben, mir einfach die Antwort auf meine Frage zu holen, und wieder zu verschwinden, aber ich war mir sicher, dass es nicht so einfach werden würde. „Wen hat Addie umgebracht?"

Trish stöhnte genervt und ließ den Kopf in den Nacken fallen. „Das Thema hatten wir doch schon."

Beverly griff ein, indem sie Trish dasselbe sagte, wie Rose, nämlich dass sie Addie nur dann helfen können würde, wenn sie wusste, was sie getan hatte.

„Ich kann es euch nicht sagen", wiederholte Trish.

„Warum?" Langsam aber sicher riss bei mir der Geduldsfaden.

„Ich habe es Addie versprochen!", rief sie verzweifelt, und fuhr sich über die Haare. „Gott, du hast ja keine Ahnung wie sehr ich mir wünschte, dass ich davon nichts wüsste, oder euch einfach davon erzählen könnte!"

„Dann sag es doch einfach!" Wütend ging ich auf sie zu. „Addie hat jemanden aus unserer Familie umgebracht, das geht mich sehr wohl etwas an, also sag es mir endlich!"

Trish sah mich stumm an. Ich konnte sehen, dass es sie zerfraß, und ich hätte ihr diese Last gerne abgenommen, wenn ich ihr bei allen anderen Problemen schon nicht helfen konnte, aber sie würde nichts sagen. Ich musste von selbst drauf kommen.

„Also schön." Ich atmete tief durch und versuchte mich zu beruhigen. „Diese Person... Addie hat jemanden aus unserer Familie getötet." Trish sah mich weiterhin stumm an. „Wie kann es sein, dass keiner etwas davon mitbekommen hat? In den letzten Jahren ist niemand gestorben. Keine Tante, kein Onkel, keine Cousins oder Cousinen, auch keine Großeltern!"

Trish verlagerte ihr Gewicht unruhig von einem Bein auf das andere.

„Sag uns was passiert ist", meinte nun auch Beverly, aber sie klang wesentlich sanfter, als ich.

„Du denkst in die falsche Richtung", sagte Trish angestrengt und sah mich an. Ich schüttelte verwirrt den Kopf.

„Was soll das denn schon wieder heißen?"

Sie warf die Arme in die Luft. „Verdammt, ich weiß nicht wie ich es dir noch sagen soll! Du hörst nicht zu!"

„Ich höre nicht zu?"

„Nein! Denn sonst wüsstest du es längst. Addie hat jemanden aus ihrer Blutlinie getötet, ja. Aber sie ist sich nicht einmal bewusst, dass sie jemanden, durch das was sie getan hat, ermordet hat." Ich versuchte mir aus ihren Worten ein klareres Bild zu schaffen, aber mir fiel keine einzige Person ein, die auf Trish's Beschreibung passen würde.

„Oh mein Gott", hauchte Beverly schockiert. Ich drehte mich zu ihr. Sie war aufgestanden und fixierte Trish mit fassungslosem, schockiertem und ungläubigem Blick. „Es ist nur aus dem Grund keinem aus der Familie aufgefallen, weil keiner die Person kannte, hab ich recht?" Ich sah verwirrt zwischen Trish und Beverly hin und her. Sie sprach nur stockend weiter. „Keiner außer Addie. Und zwar weil diese Person noch nicht zur Familie gezählt hat. Weil diese Person noch nicht einmal geboren war."

Mein Herz setzte aus, als mich die Wahrheit wie ein Schlag ins Gesicht traf. „Addie war schwanger."    

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