14
Beverly
Nachdem wir den Turm wieder verlassen hatten und Connor alle Türen wieder verschlossen hatte, liefen wir, mit etwas Sicherheitsabstand voneinander, durch das Gebäude.
„Das will nicht in meinen Kopf rein", sagte ich, als wir uns auf dem Weg nach unten befanden.
„Was denn?"
Ich sah mich um. Die Lampen an der Decke, waren ausgeschaltet. Durch die Fenster kam genügend Licht in die Gänge. Alle Türen zu den Zimmern der Patienten standen offen. Die meisten Patienten hier trugen normale Kleidung. Mir fiel auf, dass an den Türen kleine Täfelchen hingen, auf denen mit Kreide die Namen der Patienten und die Zimmernummer geschrieben standen.
„Es ist so anders hier. Anders als ich gedacht hätte." In der alten Anstalt mussten wir alle die vorgeschriebene Patientenkleidung tragen. Und ein Plastikband am Handgelenk, auf dem unsere Namen und die Adresse der Anstalt, sowie Zimmernummer standen. Hier gab es offenbar keine vorgeschriebene Kleidung und kein Armband. Stattdessen eine Metallkette, die dich ans Bett bindet, schoss es mir durch den Kopf. Da fiel mir ein... ich war am nächsten Tag nicht mehr angekettet gewesen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass nachts jemand in mein Zimmer gekommen wäre. Ein Schauder lief mir über den Rücken, aber ich versuchte ihn zu ignorieren.
„Gibt es hier keine Regeln? Essenszeiten, Schlafzeiten, Kleiderordnung?" Die Patienten standen auf wann sie wollten, und konnten sich auch zu Essen holen wann sie wollten. Nachts sollten sie auf den Zimmern sein, aber die Türen waren nicht abgeschlossen. Auch meine nicht. Nur in meiner ersten Nacht war sie das gewesen. Ich hatte gestern Nacht immer wieder Patienten auf den Fluren herumgehen gehört und bemerkt, dass Pfleger mit Taschenlampen durch die Gänge gewandert waren, die einen Lichtstrahl unter meiner Türe durchgeworfen hatten.
„Nein", sagte Connor. „Damit wollen sie dich in dem Glauben lassen, du wärst hier sicher. Sie wollen dir weismachen, dass du hier tun kannst was du willst. Damit du hier nicht abhaust." Bis jetzt hatte das eigentlich auch recht gut geklappt. Ich wollte zwar unbedingt hier raus, aber Modoc war trotzdem weniger schlimm, als ich mir immer ausgemalt hatte.
„Aber selbst, wenn jemand von hier weglaufen würde", warf ich ein. „Wer würde denn aus einem kilometerweiten Wald herausfinden?" Ich wusste ja selbst nicht genau wie ich es damals geschafft hatte aus diesem verdammten Wald heraus zu finden. Ich war einfach gerannt, ohne zu wissen wohin.
„Wir", gab Connor zurück und ging voran. Ich hätte beinahe die Augen verdreht. Ich hatte meinen Dämon noch nie in einem gottverdammten Wald gebraucht. Ich war von alleine raus gekommen. Wir gingen quer durch den Aufenthaltsraum. Ich sah mir die Leute an. Nur eine Frau, vielleicht Mitte dreißig, konnte ich als eine von uns identifizieren. Alle anderen Menschen hier waren normal. Oder so normal wie man in Modoc eben sein konnte.
„Was machen diese ganzen normalen Menschen hier? Ich dachte Modoc hat sich auf unseres Gleichen spezialisiert." Ich folgte Connor. Er ging bei der großen Türe auf dem anderen Ende wieder hinaus und von dort die Treppen nach oben. Dort war ich noch nicht gewesen. Offenbar bestand Modoc aus mehreren aneinandergereihten Blöcken. Langsam verunsicherte mich das. Modoc war so groß, dass es mir wie ein Labyrinth schien. Warum war dieses Gebäude bloß so groß? Hier war bestimmt Platz für tausende Leute, ohne dass es überfüllt gewesen wäre. Aber hier befand sich wohl nicht einmal die Hälfte einer solchen Menge.
„Modoc muss doch irgendwie vertuschen, was sie mit uns machen, oder?", fragte Connor.
Und dafür normale Menschen einquartieren? War das nicht ein bisschen zu einfach? Aber je länger ich darüber nachdachte, desto plausibler schien es. Menschen dachten weniger kompliziert als sie glaubten. Solange Patienten in dem Gebäude umherwanderten, und halbwegs gesund aussahen, schöpfte wohl niemand Verdacht, was mit ein paar anderen passierte. Vor allem wenn diese Leute keine Familie hatten, die sie besuchen kam. Was bei mir leider der Fall war.
„Was machen sie denn mit uns?", fragte ich, als es mich wie ein Blitz durchfuhr. Ich hatte immer noch keine Ahnung was hier eigentlich los war. Und Connor hatte soeben angedeutet, dass sehr wohl etwas mit uns passierte. Er blieb stehen. Ich musste notgedrungen dasselbe tun, um ihm nicht zu nahe zu kommen. Nach ein paar Sekunden drehte er sich zu mir um. Connor sah sich ganz kurz um, doch außer uns war keiner hier. Seine Blicke waren wohl Gewohnheit von seinem früheren menschlichen Verhalten. Denn wäre jemand hier gewesen, oder vorbeigekommen, hätten wir es beide gemerkt. Ich fragte mich, wie lange Connor wohl schon an einem Dämon gebunden war.
„Manchmal kommen die Leute die sie wegbringen nicht wieder. Und das sind ausschließlich Leute wie wir", sagte er leise und sah mir ernst in die Augen. „Sie wissen, was du bist. Sie wissen alles über dich und deine Vergangenheit." Das war mir auch schon aufgefallen. Aber woher hatte diese Frau, deren Name ich nicht kannte, gewusst dass er mich immer Maeve genannt hatte? Denn das hatte ich wirklich nie irgendjemandem erzählt.
„Wie lange bist du schon hier?", fragte ich vorsichtig. Connor zögerte.
„Lange."
„Wie lange?" Er drehte sich um und ging weiter.
„Drei Jahre." Ich sah ihn verblüfft an und folgte ihm. Ich würde lieber sterben, als drei weitere Jahre eingesperrt zu sein.
„Aber du bist noch hier."
„Weil sie nicht wissen wie sie meinen Dämon töten können." Ich blieb wie angewurzelt stehen. Das wusste Connor auch. Aber er drehte sich erst am anderen Ende des Ganges zu mir um. Ich war zu sprachlos um auch nur ein Wort herauszubringen. Ich versuchte es ein paar Mal, aber erst nach dem vierten oder fünften Mal gelang es mir.
„Ist es das was sie tun?", fragte ich stockend. „Dämonen töten?"
Connor sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Was hast du denn gedacht?"
Gute Frage. Was hatte ich gedacht? Eigentlich hatte ich gar nichts gedacht. Ich hätte mir durchaus denken können, dass sie Dämonen töteten, doch das hatte ich nicht. Und jetzt wo ich es mit Sicherheit wusste, bekam ich Panik. Ein Dämonenschlachthaus. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Aber eigentlich passte es doch ganz gut in mein Leben. Gab mir einen weiteren Grund mich bei der nächsten sich mir bietenden Gelegenheit umzubringen. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Wie um alles in der Welt konnte mein Leben so unfassbar aus dem Ruder laufen?
„Kommst du?", fragte Connor und nickte zu einer kleinen Türe. Ich wusste nicht was genau sich dahinter befand, aber ich hatte gerade auch kein großes Bedürfnis das heraus zu finden.
„Was ist Project Salvation?", fragte ich daher. Ich rührte mich nicht vom Fleck. Auch Connor bewegte sich nicht von der Stelle.
„Ich weiß es nicht."
„Blödsinn!", fauchte ich. Ich war mir nicht sicher woher diese plötzliche Wut kam. Connor konnte schließlich nichts dafür, dass ich so verdammt tief in der Scheiße steckte. Mal wieder.
Connor richtete sich auf und zog die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß es nicht", wiederholte er langsam, aber bestimmt. „Ich weiß nur, dass sie versuchen Dämonen zu töten. Sie versuchen Wege zu finden um den Dämon von seinem Menschen zu trennen und dann zu töten. Aber das ist nur ein winziger Teil von Project Salvation." Sie wollten also meinen Dämon von mir trennen? Dabei wünschte ich ihnen jetzt schon viel Spaß. Das hatte ich Jahre versucht. Bis ich zu dem Entschluss gekommen war, dass man einen Dämon nur schwer von einem Menschen trennen kann, wenn man nicht weiß, welcher Dämon es ist. Aber mittlerweile würde mir im Traum nicht einfallen, ihn gehen zu lassen.
Ich hatte ihn schon mehr als einmal nach seinem Namen gefragt. Aber er hatte mir nie geantwortet. Ich erinnerte mich an einen Tag, an dem ich ihn gebeten hatte, einfach ja oder nein, zu den Namen die ich ihm genannt hatte, zu sagen. Ich war so unendlich viele Namen durchgegangen, die mir eingefallen waren. Alle Walddämonen die ich kannte war ich durchgegangen. Jeden Namen, der mir eingefallen war. Und das waren viele gewesen. Leider so viele, dass ich irgendwann nicht mehr gewusst hatte, welche Namen ich schon genannt hatte und welchen nicht, sodass ich schlussendlich aufgegeben hatte. Wenn es nach ihm ginge, würde ich nie erfahren wer er war.
„Kommst du jetzt?", fragte Connor noch einmal, diesmal ein wenig genervt.
„Wohin?"
„Ich muss dir noch etwas zeigen."
Ich seufzte tief. Eigentlich hatte ich mich auf mein Zimmer verziehen wollen. Ein bisschen die Wände anstarren und die am Fenster vorbeifliegenden Blätter zählen wollen. Ich hätte jetzt ganz gut ein bisschen Zeit gebraucht, um über das alles nachzudenken. Und ein Riegelschloss für meine Zimmertüre zu finden, damit ich nicht die ganze Nacht zittern musste, ob sie mich holen kommen würden. Ich wusste zwar, dass genau das früher oder später passieren würde, aber später war mir lieber. Nur leider sagte mir ein ungutes Gefühl, dass diese Frau, deren Namen ich noch immer nicht kannte, mich nicht um sonst wissen lassen wollte, was sie alles über mich wusste.
Ich hätte mich noch so sehr dagegen wehren können. Meine Neugier trieb mich voran. Und meine Beine auch. Ich ging zu Connor und er öffnete die niedrige Holztür. Wir gingen in einen kleinen Raum, der ein bisschen so aussah wie eine Abstellkammer. Nein, stop. Es war eine Abstellkammer. Wie auch vorhin gefiel es weder mir, noch meinem Dämon, auf so engem Raum mit einem anderen Dämon eingeschlossen zu sein. Also ging ich, so gut es eben ging auf Abstand und ging die wenigen Schritte bis zur anderen Seite. Dort lehnte ich mich gegen eines der Metallregale, die mit Dingen vollgestopft waren, die mich in Frage stellen ließen, warum dieser Raum nicht abgeschlossen war. Aber da es den „normalen" Patienten hier so gut zu gehen schien, war es ihnen wohl kein Anliegen Putzmittel zu trinken um sich umzubringen. Und Leute wie Connor und mich, hätte das ohnehin nicht umgebracht.
Ich fragte mich plötzlich, warum um alles in der Welt die Patienten hier alle so normal schienen. Im J.W. House, der Nervenheilanstalt in der ich vor Modoc war, hatte man ständig damit rechnen müssen, dass wildfremde Patienten in jemandes Zimmer standen und wirres Zeug redeten. Täglich rasteten Patienten aus. Erwachsene Leute liefen mit Stofftieren herum. Am Eingang hing sogar extra ein Schild für Besucher. Mit Belästigung muss gerechnet werden! Außer Rosemary hatte ich dort drinnen keinen einzigen normalen Menschen gefunden. Außer mir natürlich, aber langsam hatte ich so meine Zweifel, ob ich auch nur halb so normal war, wie ich dachte.
„Diese Frau", begann ich, während ich Connor dabei zusah, wie er irgendetwas zu suchen schien. „Die Frau mit der ich gestern gesprochen habe, bevor du aufgetaucht bist. Interessiert sie sich für alle Patienten so sehr wie für mich?"
Connor suchte konzentriert weiter, und sah nicht zu mir, als er antwortete. „Nein. Ich glaube, sie weiß ein paar Dinge über dich die du selbst nicht weißt. Ich denke, dass es das ist, was dich für sie so interessant macht."
Dinge die ich selbst nicht wusste? Was wusste ich denn nicht? Wusste sie etwas über meinen Dämon? Aber woher sollte sie etwas über meinen Dämon erfahren haben?
„Also stehe ich auf ihrer Liste ganz oben?"
Connor schüttelte den Kopf. „Nein, das denke ich nicht." Er zog eine dunkle Plastikkiste nach der anderen aus dem Regal, und begann dessen Inhalte wieder in das Regal zurück zustellen. Ich hatte absolut keine Ahnung was er vorhatte. Oder was zum Henker er mit mir in einem Abstellraum wollte. „Sie wird dich beobachten wollen", fuhr er fort. „Und das geht am besten, wenn sie dich nicht komplett eingesperrt irgendwo festhält."
Nicht komplett eingesperrt, wollte er mich verarschen? Ich war doch komplett eingesperrt! Connor machte währenddessen ungebremst mit seiner Aktivität weiter.
„Hat diese mysteriöse Frau auch einen Namen?", fragte ich. Ich drehte mich kurz zu dem Regal an dem ich lehnte um. Irgendetwas hatte mir gerade gehörig in den Rücken gestochen. Aber so ein Chaos wie in diesem Regal herrschte, würde ich den Übeltäter wohl kaum finden. Also drehte ich mich wieder um, ließ es aber bleiben, mich dagegen zu lehnen.
„Einen Namen wird sie schon haben", sagte Connor. „Ich meine, wer gibt seinem Kind keinen Namen?"
„Sehr witzig." Dann war sie für mich eben einfach nur die Frau. Vielleicht würde ich ja irgendwann auch erfahren wie sie hieß. Ich könnte ja einen kurzen Blick in ihren Kopf- NEIN! Ich verbannte diesen Gedanken aus meinem Gehirn.
Niemals, hörst du Beverly? Niemals!
Das würde ich nie wieder tun. Nicht wenn es nicht absolut notwendig war. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich es halbwegs unter Kontrolle hatte. Ich wollte nicht wieder unkontrolliert Stimmen hören.
Aber darüber brauchte ich mir hier wahrscheinlich keine Sorgen zu machen. Modoc war umgeben von Sigillen, die das Gebäude nicht nur ausbruchsicher machten, sondern auch verhinderten, dass ich übernatürliche Fähigkeiten jeglicher Art anwenden konnte, die stärker waren als bloß zu merken, ob jemand hinter mir stand. Connor konnte immerhin noch Schlösser öffnen. Und das war wahrscheinlich schon am Limit. Ich war mir nicht einmal sicher, ob den Leuten hier bewusst war, dass Connor dazu in der Lage war. Wahrscheinlich nicht.
Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, ich wäre in der Lage gewesen in den Kopf anderer Leute einzudringen. Hätte ich das hier gekonnt, wäre ich mit Leichtigkeit hier raus gekommen. Die Frage war nur, ob ich das dann auch wirklich durchgezogen hätte, weil es im Grunde genommen kaum etwas gab, das ich mehr hasste, als in den Kopf anderer Leute einzudringen.
„Du brauchst nicht zufällig Hilfe, oder?", fragte ich Connor irgendwann bereits mehr als skeptisch. Er hatte begonnen die Kisten treppenförmig aufeinander zu stapeln. Ich sah nach oben an die Decke, da diese Kistentreppe schließlich für etwas gut sein musste, und fiel aus allen Wolken. Ich schüttelte langsam den Kopf und sah mit offenem Mund wieder zu Connor.
„Ich hoffe du meinst das nicht ernst." Er stapelte unbeirrt weiter.
„Todernst."
„Ist es nicht ein bisschen Klischeehaft in Luftschächten herumzukriechen?"
„Nur wenn es nachts ist, oder?"
„Noch schlimmer!", gab ich zurück. Es war schon nicht normal nachtsüber in Luftschächten herumzukriechen. Aber am helllichten Tag? Connor war wirklich mehr als seltsam. Und unheimlich. Es kam mir so vor, als würde er wesentlich mehr über diesen Ort wissen, als er zugab. Er sagte nichts, ohne nicht vorher gefragt zu werden. Und das gefiel mir gar nicht. Denn meine Fragen kamen wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise an das ganze Ausmaß der Machenschaften in Modoc heran. Und wenn ich nicht die richtigen Fragen stellte, bekam ich auch nicht die richtigen Antworten.
„Was willst du mir zeigen, Connor?" Ich schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme. Er seufzte, unterbrach was auch immer er tat, und sah zu mir auf.
„Du stellst viel zu viele Fragen, Anderson." Er sah mich einen Moment schweigend an und betrachtete dann sein Kistentreppenwerk. „Das bringt dich früher oder später noch in Schwierigkeiten." Ich steckte doch bereits bis zum Hals in der Scheiße...
„Ich gehe da ganz sicher nicht rein, ohne dass du mir sagst warum", sagte ich trotzig. War das kindisch? Es war bestimmt kindisch. Aber das war mir in dem Moment egal.
Connor und ich sahen fast gleichzeitig zu Türe, als wir in einiger Entfernung jemanden durch den Gang schlendern hörten. Ich hielt buchstäblich die Luft an, denn jetzt erwischt zu werden, wäre wohl äußerst ungünstig gewesen. Aber andererseits hätte ich dann vielleicht nicht in diesen Schacht kriechen müssen. Ich schüttelte, über mich selbst verwundert, den Kopf als mir bewusst wurde, dass ich wesentlich lieber in einem Schacht herumkriechen würde, als hier drinnen bei unserem Vorhaben von einem der Pfleger erwischt, und möglicherweise irgendwo eingesperrt zu werden. Oder Schlimmeres. Aber zum Glück kamen die Schritte zwar näher, erreichten unsere Türe aber nicht. Connor und ich warteten noch ein paar Sekunden, bevor wir es wagten uns wieder zu bewegen. Ich atmete die angehaltene Luft wieder aus und schloss für einen kurzen Augenblick meine Augen, um mein pochendes Herz zu beruhigen.
„Also?", fragte ich Connor schließlich. Er stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete die Abdeckung des Luftschachtes.
„Dieser Luftschacht wurde erst vor kurzem gebaut." Ich sah Connor verwirrt an. Mir war zwar irgendwie klar gewesen, dass es in der Zeit in der das Gebäude gebaut worden war, keine Luftschächte gegeben hatte, aber mir war nicht klar, warum man hier einen Luftschacht bauen sollte.
„Und?"
„Als die Schächte fertig waren, bin ich durch jeden Schacht einmal durchgeklettert", sagte er.
„War dir so langweilig?" Connor warf mir einen genervten Blick zu, aber ich sah nur ungerührt zurück.
„Ich habe mir jeden Schacht aufgezeichnet. Man gelangt an interessante Orte." Er sah mich verschwörerisch an. „Hinter verschlossene Türen."
„Die sind für dich doch ohnehin kein Problem."
„Das ist wahr", entgegnete er. „Aber durch Luftschächte kann man wesentlich besser beobachten, ohne erwischt zu werden." Das war einleuchtend. Trotzdem war die Vorstellung, jetzt in einem Luftschacht umher zu kriechen, alles andere als reizvoll.
„Und mir ist noch etwas anderes aufgefallen." Natürlich machte er keinerlei Anstalten mir zu sagen, was ihm noch anderes aufgefallen war, sondern stieg die Kistentreppe hinauf. Wie viel wollte mir dieser Junge denn noch zeigen und erklären, bevor ich endgültig den Verstand verlieren würde?
„Und warum um alles in der Welt müssen wir da jetzt reinklettern?", fragte ich müde.
„Es ist nur eine kleine Sicherheitsvorkehrung." Ich hätte beinahe lachen können. Er wollte eine Sicherheitsvorkehrung treffen? In Modoc? War das nicht ein bisschen naiv?
„Ich schätze, das musst du mir erklären", sagte ich.
„Für den Fall, dass ich vielleicht Morgen verschwunden bin. Ich will, dass du weißt wo die Patienten hingebracht werden."
„Und warum genau machen wir das am Tag?" Ich sah wieder zur Türe. Eigentlich hasste ich verschlossene Türen. Aber in diesem Moment hätte ich gerne ein riesiges Vorhängeschloss gehabt, um die Türe zu verriegeln.
„Wäre es dir nachts lieber?"
„Auf keinen Fall!" Ich schüttelte wild den Kopf. In dunklen Luftschächten herumzukriechen, war wahrscheinlich noch wesentlich unheimlicher, als wenn zumindest ein bisschen Licht vorhanden war. Aber die Gefahr erwischt zu werden, wäre nachts natürlich geringer gewesen.
„Gib mir einen Schraubenzieher", sagte Connor und hielt eine Hand auf. Ich drehte mich zu den Regalen um und musste nicht lange suchen. In einer Kiste, die voll mit Werkzeug war, fand ich schnell einen und reichte ihn Connor.
Er begann die Schrauben von der Abdeckung zu lösen. Eine nach der anderen fielen sie auf den Boden und erzeugten ein helles, metallisches Klimpern.
„Ist diese Türe abgeschlossen?", fragte ich skeptisch und zeigte auf den Ausgang.
„Nein", entgegnete Connor kopfschüttelnd und entfernte die Abdeckung.
„Du bist sehr risikobereit, weißt du das?", bemerkte ich. Connor reichte die Abdeckung vorsichtig nach unten und ich nahm sie mindestens genauso vorsichtig entgegen, und legte sie leise auf dem Boden ab.
Connor hievte sich mit Leichtigkeit den Schacht hoch. Dann streckte er einen Arm hinunter und winkte mich zu sich.
„Komm, ich zieh dich hoch!"
Ich seufzte noch einmal und warf einen unsicheren Blick auf die Türe. Ich hatte das starke Gefühl, dass ich es noch bereuen würde die Türe nicht abgeschlossen zu haben, aber nichts desto trotz kletterte ich erst die Kisten hinauf und ergriff dann Connors Hand, damit er mich den Schacht hinaufziehen konnte. Es war der erste körperliche Kontakt zwischen Connor und mir, und ich konnte absolut nicht sagen, ob mir das gefiel oder Angst machte. Es war wie ein leichter Stromstoß, der von seiner Hand auf meine übertragen wurde. Das Gefühl einer anderen dämonischen Kraft so nahe zu sein, außer meiner eigenen, fühlte sich so unfassbar ungewohnt, aber nicht schlecht an. Trotzdem ging ich, sobald ich ganz im Schacht war erneut auf Abstand. Erst jetzt wurde mir wieder bewusst, wie sehr ich enge Räume hasste. Der Schacht war zwar immerhin groß genug, damit ich auf Händen und Knien dasitzen und auf den Abstellraum hinuntersehen konnte, aber für meine Verhältnisse immer noch zu klein. Meine Hände begannen zu zittern und ich wäre am liebsten einfach wieder nach unten geklettert. Aber vor Connor jetzt einen Rückzieher zu machen, kam für mich gar nicht in Frage. Ich schluckte kräftig und atmete tief durch.
„Und jetzt?", fragte ich abwartend und hoffte, dass Connor nicht bemerkte, dass meine Stimme etwa zwei Oktaven höher war, als sie hätte sein sollen. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass er es bemerkt hatte, aber er sprach mich nicht darauf an, wofür ich ihm unendlich dankbar war.
Connor kroch den Schacht voran und ich folgte ihm nach ein paar Sekunden, damit ich Abstand halten konnte. Meine Arme und Beine fühlten sich an wie Wackelpudding und mein Herz begann schneller zu schlagen. Mein Dämon drückte sich eng an mich, aber es änderte nichts daran, dass mir heiß und kalt gleichzeitig wurde, als wir zum zweiten Mal um eine Ecke krochen, und von dem Ausgang immer weiter entfernt waren. Ein paar Haarsträhnen klebten auf meiner Stirn.
„Wie alt bist du eigentlich?", fragte Connor, wie aus dem Nichts.
„Das ist nicht dein Ernst." Ich versuchte meinen angestrengten Atem zu verbergen. „Du willst jetzt Smalltalk starten?" In diesem Lüftungsschacht war es so unfassbar dunkel. Das einzige Licht das ab und an einen Teil des Schachtes erleuchtete, war das Licht das aus den Räumen unter den Abdeckungen kam. Aber leider gab es nicht so viele Abdeckungen. In meinem Kopf formten sich nach und nach wieder Bilder, die ich unter allen Umständen hinter verschlossenen Türen halten wollte. Offenbar hatten all meine Therapeuten gar nicht so unrecht damit gehabt das Thema meiner Entführung wieder und wieder auf den Tisch zu bringen. Plötzlich wünschte ich, ich hätte ihnen alles erzählt. Denn offenbar hatte ich die ganze Sache nicht einmal halb so gut mit dem Zeichnen verarbeitet, wie ich gedacht hatte. Ich hatte diese Dinge lediglich festgehalten.
„Ich bin mir nicht sicher ob wir noch viele Gelegenheiten haben werden uns auszutauschen und besser kennenzulernen, Anderson."
„Nenn' mich nicht ständig so!", fauchte ich. Ich hasste es, wenn mich Leute auf meinen Nachnamen reduzierten. Auch wenn Connor höchstwahrscheinlich keine Ahnung hatte, was er zu bedeuten hatte. Früher hatten mich die Leute immer mit Anderson angesprochen. In der Schule, in Geschäften, sogar meine Freunde. Was hatte es mir gebracht, dass alle meinen Namen kannten? Vor meinem Schicksal hatte er mich nicht beschützt.
„Wir sollten uns langsam voneinander fern halten." Er ignorierte meine Aussage komplett und knüpfte lediglich an seinen Satz an. „Sonst sorgen sie dafür, dass wir uns nicht mehr zu nahe kommen. Zwei an Dämonen gebundene Menschen. Das bedeutet Gefahr für sie, sogar hier." Ja, das sah ich durchaus ein. Nach dem Motto doppelt hält besser. Trotzdem waren Connor und ich wohl keine große Gefahr für sie. Zumindest fühlte ich mich im Moment alles andere als mächtig und gefährlich oder gar angsteinflößend. Ich wischte mir die Haare aus der Stirn.
„Achtzehn, und du?"
„Neunzehn." Ich war ein wenig überrascht. Ich hätte ihn locker auf fünfundzwanzig geschätzt.
„Und was hast du angestellt um hier zu landen?", fragte ich.
„Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort", meinte er nur. Ich merkte, dass das so ziemlich das Letzte war, worüber er reden wollte, und das konnte ich ihm nicht übel nehmen. Wer sprach schon gerne über seine Vergangenheit?
„Wie lange müssen wir hier denn noch herumkriechen?" Meine Gliedmaßen wurden langsam taub.
„Wir sind schon da", meinte Connor und kletterte über eine weitere Abdeckung. Dann drehte er sich zu mir um. Ich setzte mich hin und lehnte mich gegen die Wand des Lüftungsschachtes.
„Dieser Raum", sagte er. „Führt nach unten."
„Nach unten?" Ich versuchte, so gut es ging durch die Abdeckung in den Raum zu sehen, was nicht so leicht war, alles vor meinen Augen zu verschwimmen begann. Aber eines konnte ich eindeutig ausmachen. In dem Raum gab es nichts außer zwei Türen. Er war vollkommen leer.
„Wenn du durch diese Türe gehst." Er deutete auf die Türe, die rechts von mir aus lag. „Dann kommst du da hin, wo sie die Patienten hinbringen."
Also falls ich jemals durch diese eine Türe kommen sollte, würde ich nie wieder gesehen werden? Nicht, dass es viele Menschen gegeben hätte, von denen ich hätte gesehen oder vermisst werden können. Außer Rosemary gab es wohl keinen einzigen Menschen, der einen Gedanken an mich verschwendete. Außer Connor vielleicht, aber er kannte mich erst seit gestern.
„Weißt du, was hinter dieser Türe ist?", fragte ich unsicher, weil ich die Antwort eigentlich gar nicht kennen wollte. Connor sah zu der Türe und schüttelte den Kopf.
„Dein schlimmster Alptraum."
„Den hab ich schon hinter mir", entgegnete ich, bevor mir bewusst war, dass ich das soeben laut ausgesprochen hatte. Connor sah mich zwar fragend an, aber er sagte nichts. Ich schluckte und überlegte wie ich jetzt wieder auf das Thema lenken konnte.
„Wie auch immer. Warum zeigst du mir das?" Das war ein sehr ungeschickt gewählter Übergang gewesen.
„Weil hinter der anderen Türe das Büro von der Leiterin von Modoc liegt. Der schwarzhaarigen, ohne Namen. Und ihre Türen sind alle dämonensicher. Da kommst du nicht raus." Ich sah Connor mehr als verwirrt an. Es fiel mir gerade ohnehin schwer klar zu denken.
„Wie kommst du darauf, dass ich überhaupt weglaufen könnte, wenn sie mich nach unten bringen? Das hat doch bisher keiner geschafft." Jetzt setzte sich auch Connor hin. Es saß mir schräg gegenüber an der anderen Seite des Schachtes gelehnt und betrachtete mich.
„Ich traue dir eine Menge zu, Anderson." Ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen.
„Nenn' mich verdammt noch mal nicht so!", knurrte ich, eine Spur zu laut. Meine Stimme verhallte in den verzweigten Gängen des Schachtes, und ich hoffte inständig, dass mich keiner gehört hatte. Nach ein paar Sekunden, in denen wir auf ein Geräusch aus dem Schacht, oder den Räumen unter uns gewartet hatten, sprach ich weiter. Aber wieder mit gedämpfter Stimme.
„Selbst wenn ich fliehen könnte", warf ich ein. „Ich bin keine drei Meter groß, dass ich eben mal den Luftschacht hochklettern könnte. Ohne improvisierte Kistentreppe und jemanden, der mich hochzieht." Auf Connors Gesicht schlich sich so etwas wie ein Lächeln. „Geschweige denn davon, die Abdeckung ohne Werkzeug abzubekommen", fuhr ich fort. Mir fielen noch ein paar weitere Argumente ein. „Wenn ich da unten landen würde, müsste ich erst einmal von dort weg kommen. Und wir haben beide keine Ahnung, was sich hinter dieser Türe befindet. Und selbst wenn ich es schaffen würde, zu fliehen, und mir plötzlich Flügel wachsen würden und ich Hulk-mäßig die Abdeckung entfernen könnte, um in den Schacht zu kommen, würden sie mich irgendwie wieder schnappen und nach unten zerren." Nie im Leben würde ich aus diesem Gebäude kommen. Und schon gar nicht über die Mauer.
„Glaub mir", sagte Connor nach ein paar Sekunden. „Wenn dein Leben in Gefahr schwebt, kämpfst du." Irgendwie machte mich seine Aussage wütend. Das hätte er mir nicht sagen müssen. Gerade ich wusste wie es sich anfühlte, zwischen Leben und Tod zu stehen. Wenn sich die Gelegenheit zur Flucht bietet, ergreift man sie, egal was man tun muss. Egal wie riskant es ist.
„Du kommst nur durch die Schächte raus", fuhr er fort. Ich fuhr mir übers Gesicht. Ich war mir nicht sicher, ob die Unterhaltung, oder meine Platzangst dafür verantwortlich waren, dass mein Gesicht so nass war, als hätte ich gerade einen Kilometersprint hinter mir.
„Aber selbst wenn." Ich verstand seine Logik noch immer nicht. „Ich komme hier nicht weg! Ganz Modoc ist von Sigillen geschützt!"
„Nicht immer", warf Connor ein. Ich sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Nicht immer? Ich hatte diese Sigillen doch selbst gesehen. Sie waren alle ziemlich stark.
„Denk nach." Dazu war ich gerade nicht im Stande. „Wie würden denn sonst andere Dämonen hier landen? Sigillen halten Dämonen nicht nur drinnen, sondern auch draußen." Ich war froh, dass Connor mich zu dem führte, worauf er hinaus wollte. „Wenn sie das Tor öffnen, dann ist die Mauer um Modoc unterbrochen. Die Sigillen sind für diese kurze Zeit außer Kraft gesetzt. Wenn die Tore aber geöffnet werden, sind alle Patienten hier im Gebäude, um nicht abhauen zu können. Und das Gebäude ist nicht nur von Sigillen geschützt sondern auch von einer Teufelsfalle, die sich über das ganze Haus zieht." Ich versuchte Connor zu folgen, was in Anbetracht der Umstände schwieriger war, als ich gedacht hätte. Es gab eine Teufelsfalle die sich über Modoc zog? Reichten die Sigillen nicht? „Dann schließen sie das Tor wieder, die Sigillen werden wieder in Kraft gesetzt und sie müssen nur noch die Teufelsfalle hier unterbrechen. Kein Dämon kommt raus, und keiner mehr rein." Ich ließ das ganze erst einmal in mein Bewusstsein dringen. Connor hatte mir soeben gesagt, dass es durchaus einen Weg hier raus gab.
„Wo ist diese Teufelsfalle? Können wir sie nicht irgendwie unterbrechen?"
Connor schmunzelte leicht.
„Wir befinden uns in der Teufelsfalle, Anderson." Diesmal ignorierte ich die Tatsache, dass er mich schon wieder bei meinem Nachnamen genannt hatte. Ich brauchte ein paar Sekunden um zu begreifen, dass er die Luftschächte meinte. Mein Herz schien kurz auszusetzen.
„Wie bitte?", fragte ich entsetzt. Er hatte mich direkt in die Linien einer Teufelsfalle geführt?
„Ich habe dir ja gesagt ich bin die Luftschächte entlanggekrochen. Ich habe mir den Weg aufgezeichnet. Das einzig Sinnvolle das diese Schächter ergeben haben, um miteinander verbunden zu sein, ist ein Pentagramm. Ganz Modoc ist seit kurzem von einer Teufelsfalle durchzogen." Verdammt! Ich war noch nie in einer Teufelsfalle gewesen. Ich hatte es mir anders vorgestellt, um ehrlich zu sein. Irgendwie energieraubender. Mit einem Mal fragte ich mich, ob es mir gerade nur deshalb so mies ging, weil ich in einer Teufelsfalle saß, aber das hätte wenig Sinn ergeben. Im Grunde genommen saß ich ja schon seit Tagen in einer. Nur hätte ich gerne an dieser Theorie festgehalten, als mir auch noch schwindelig und schlecht wurde. Ich stützte meinen Kopf in meine Hände.
„Was ist los?", fragte Connor jetzt. Er klang weder besorgt, noch unbesorgt.
„Ich komme nicht so gut mit engen Räumen klar", gestand ich und presste meine Augen zusammen, während ich mich bemühte so ruhig wie möglich zu atmen.
„Wieso hast du vorher nichts gesagt?"
„Weil ich bis vor fünf Minuten nicht gedacht hätte, dass es so schlimm ist." Was, zugegebenermaßen, ein Fehler gewesen war. Connor beugte sich zu mir und nahm meine Hand. Ich spürte wieder diese leichte elektrische Spannung die bei unserer Berührung entstand. Ich sah ihn an, als ob er den Verstand verloren hätte. Aber plötzlich fühlte es sich an, als würde eine Kraft durch meinen Körper gespült werden. Eine unfassbar beruhigende, kühle Kraft. Mein Herzschlag beruhigte sich, der Druck der auf meiner Brust lag verschwand, mein Kopf wollte nicht mehr explodieren und meine Sicht wurde wieder klarer.
„Wie machst du das?", fragte ich erstaunt und genoss es, endlich wieder normal durchatmen zu können, ohne dabei zu zittern. Connor lächelte leicht.
„Du weißt vielleicht viel über Dämonen, aber wie viel weißt du über das was die Menschen tun können, die an einen Dämon gebunden sind?" Offenbar nicht viel. Ich hatte immer gedacht, ich wüsste alles über Dämonen. Dem war anscheinend nicht so.
„Menschen die an Dämonen gebunden sind, oder von ihnen verfolgt werden, können sich miteinander durch eine Berührung in Verbindung setzen."
„Ich wusste nicht, dass das möglich ist."
„Es ist unfassbar vieles möglich. Nicht jeder hat dieselben Fähigkeiten, aber es ist unglaublich, wie einfach du die Schalter in deinem Kopf umlegen kannst." Connors Augen begannen beinahe zu leuchten, als er davon sprach. Ich fand es beinahe beunruhigend, wie begeistert er offenbar von Magie war. Davon, Macht zu besitzen. Und davon, Dinge tun zu können, die normale Menschen nicht tun konnten. Ich wusste einen Großteil der Dinge die möglich waren. Einen Teil von meinem Dämon, einen Teil von Rose, ein paar andere Dinge aus Büchern oder durch eigene Erfahrungen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich mir diese Fähigkeiten auch hätte antrainieren können. Bisher hatte ich nur gekonnt, was ich eben von Anfang an gekonnt hatte, als ich mit meinem Dämon in Verbindung getreten war.
Ich sah auf Connors Hand, die meine immer noch hielt. Ich war mir nicht sicher was ich davon halten sollte, dass er mich nicht losließ. Eigentlich hasste ich Körperkontakt mit Leuten die ich nicht gut kannte, über alles. Deshalb überraschte es mich umso mehr, dass ich meine Hand nicht wegzog, jetzt da es mir wieder besser ging. Ich schob es darauf, dass ich Angst hatte, dass meine Platzangst wieder zurückkommen würde, sobald ich seine Hand losließ, um mir keine Gedanken mehr darüber machen zu müssen, was der wirkliche Grund dafür war, dass ich sie immer noch hielt. Ich war auf einmal doch ganz froh, dass es in diesen Schächten so dunkel war. So musste ich Connor jetzt wenigstens nicht in die Augen sehen. Nicht, dass es mich nervös gemacht hätte.
„Im Zentrum dieses Pentagramms ist gar keine Magie möglich", sagte Connor auf einmal.
„Was?", fragte ich verwirrt. Ich war so von der angenehmen Kraft, die von ihm ausging, und meinen eigenen Gedanken abgelenkt gewesen, dass ich völlig verdrängt hatte, warum wir eigentlich hier waren. Mit einem Mal schlug mein Herz wieder schneller als es sollte. Und das obwohl Connor noch immer meine Hand hielt. Oder vielleicht gerade deswegen?
„Was ist im Zentrum?", fragte ich dann und räusperte mich schnell, als ich bemerkte wie trocken mein Hals war.
„Das ist die Millionen Dollar Frage", sagte Connor und sah mich abwartend an.
„Der Ort, an den sie alle Dämonen hinbringen." Und wahrscheinlich noch alle möglichen anderen Stellen im Haus, in den Stockwerken über und unter den Luftschächten, die die Teufelsfalle bildeten. Ich hatte schon oft davon gehört, dass das Zentrum eines Pentagramms das Mächtigste sein sollte. Das würde immerhin die Frage klären, warum ich meine übernatürlichen Sinne anwenden konnte, oder warum mein Dämon die Wunde an meinem Handgelenk heilen und Connor Schlösser öffnen konnte. Weil all diese Orte, an denen wir Magie verwendet hatten, am Rande des Pentagramms waren und die Sigillen lediglich als Schutz dienten. Schutz davor, dass Dämonen aus- oder einbrechen konnten.
Modoc war wirklich der ungünstigste Ort, an dem ich mich hätte befinden können. Und ich hatte immer gedacht, das J.W. House wäre schlimm gewesen. Aber verglichen zu Modoc, war es der Himmel gewesen.
„Moment mal", begann ich. „Willst du mir sagen, dass es doch einen Weg hier raus gibt?" Connor zögerte kurz und sah nachdenklich auf irgendeinen Punkt an der Schachtwand, an der ich lehnte. Dann nickte er langsam.
„Ja. Theoretisch müsste nur das Tor geöffnet sein, und die Teufelsfalle hier unterbrochen werden. In der richtigen Reihenfolge versteht sich. Gleichzeitig wäre natürlich der Idealfall."
„Und das ist so unmöglich, weil?", hakte ich nach. Connor schmunzelte wieder. Warum lächelte er plötzlich so viel?
„Wie soll ein Dämon eine Teufelsfalle durchbrechen?" Wahrscheinlich lächelte er, weil mein Gehirn gerade nicht arbeitete. Natürlich konnte ich nicht einfach so eine Teufelsfalle unterbrechen. Schon gar nicht eine, die so groß war und sich über ein ganzes Gebäude erstreckte.
„Aber es ist möglich", sagte ich noch einmal. Mein Gehirn versuchte wieder zu arbeiten und einen Ausweg aus dieser Hölle zu finden. Einen Plan zu entwickeln. Aber es scheiterte. Hier war definitiv nicht die richtige Umgebung, um einen Fluchtplan zu schmieden.
Connor sah mich wieder an. „Die Chancen hier rauszukommen sind so gering, dass es schon wahrscheinlicher ist, dass sie dich freiwillig hier raus lassen." Ich sah Connor lange an. Lächelnd gefiel er mir weitaus besser, als so ernst und pessimistisch. Aber eigentlich brauchte ich gar nicht reden. Ich wusste nicht wann ich des letzte Mal gute Laune gehabt, oder gelächelt hätte. Ich warf noch einmal einen Blick, auf unsere Hände, die sich noch immer nicht voneinander gelöst hatten. Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte nach. Es schien so leicht und gleichzeitig so unmöglich, jemals von hier wegzukommen. Aber ich hatte schon viel zu viel hinter mir, als dass ich jetzt aufgegeben hätte.
„Wenn du das wirklich glauben würdest, hättest du mir das alles nicht erzählt." Darauf erhielt ich keine Antwort.
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