1.0 Licht oder Schatten

"Wahre Stärke zeigt sich nicht in der Macht, Licht oder Dunkelheit zu beherrschen, sondern in der Entscheidung, was von beiden du in die Welt tragen willst."
~aus dem Schattenkompendium

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Die Luft war schwer vom Geruch des Schweißes und des Blutes, und der Kampf tobte unaufhörlich inmitten der Ruinen, als würde ein Sturm wüten. Alina spürte das Prisma an ihrer Halskette intensiver denn je; es pulsierte in einer seltsamen, dunklen Melodie, die durch ihren Körper strömte und sie mit einer fremden Macht erfüllte. Die Stimme, die sie einst aus den Tiefen dieses Artefakts gehört hatte, flüsterte erneut in ihrem Kopf.

„Du musst dich entscheiden, Alina. Licht oder Schatten."

Der Ruf war drängender als je zuvor, und der Druck, der auf ihr lastete, wurde mit jeder Sekunde unerträglicher. Ihre Finger umklammerten das Prisma, und sie spürte, wie die Energie in ihr sammelte, bereit, sie loszulassen - oder zu zerstören.

In der Nähe kämpfte Kael mit einer wütenden Entschlossenheit, die ihn wie eine Sturmflut durch die Schatten wirbelte. Doch selbst er konnte die herannahende Welle der Dunkelheit nicht aufhalten. Die schattenhaften Wesen, die sie umzingelten, schienen unaufhaltsam. Jede Bewegung, jede Geste war von einem bedrohlichen Flackern begleitet, als ob die Dunkelheit selbst versuchte, sich in ihre Welt zu drängen. Was jedoch war das für eine Dunkelheit, und was wollte sie von Alina?

„Alina! Hör mir zu! " Kaels Stimme durchbrach das chaos um sie herum, doch sie konnte ihn nur entfernt wahrnehmen. Regungslos starrte sie auf das Prisma, das allmählich heller leuchtete. Es strahlte ein grelles, fast schmerzliches Licht aus, das die Schatten um sie herum zerfetzte - doch nur für einen flüchtigen Moment. Die Dunkelheit kehrte rasch zurück, erstarkend, als wäre sie niemals verschwunden.

„Alina, was tust du? " Kael war jetzt an ihrer Seite, dessen Gesicht eine Maske aus Entschlossenheit und Verzweiflung war. „Du kannst das nicht kontrollieren. Du musst aufhören! "

Sie sah ihn an, doch seine Worte drangen nur verschwommen zu ihr durch. In ihrem Kopf herrschte ein chaotisches Durcheinander aus Bildern und Empfindungen. Die Dunkelheit flüsterte in ihrem Inneren, und das Prisma pulsierte, zog sie immer tiefer hinein. Es war nicht mehr die Frage, ob sie die Macht des Prismas kontrollieren konnte - sie hatte längst begriffen, dass es sie kontrollierte. Doch was sollte sie tun? Die Dunkelheit wuchs, und ihr wurde klar, dass sie nicht einfach in die Schatten zurückkehren konnte. Wenn sie sich nicht entschied, würde sie von ihnen verschlungen werden.

„Du hast keine Wahl mehr", hörte sie die Stimme im Prisma mit einem leisen, spöttischen Lachen, das wie das Rauschen von Wellen in einem endlosen Abgrund klang. „Licht oder Schatten. Was wirst du wählen, Alina? "

Sie wusste, dass ihre Entscheidung bald kommen musste. Mit dieser Erkenntnis fühlte sie sich mehr denn je wie eine Marionette in den Händen des Schicksals, das sie zu einer Auswahl drängte, der sie nicht mehr entkommen konnte.
Ihre Hand hob sich wie von selbst, fest umklammert das Prisma, und sie spürte die Macht, die von ihm ausging. Es war, als könnte sie die Grenzen zwischen den Welten berühren - ein feiner Schleier, der Licht und Schatten, Leben und Tod, Schöpfung und Zerstörung voneinander trennte.

„Ich habe keine Wahl", flüsterte Alina, und ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch, der im Wind verwehte. „Ich muss mich entscheiden. "

Die Schattengestalten um sie herum rücken näher, als witterten sie das drohende Unheil. Die Dunkelheit war greifbar, fast fühlbar, und drückte gegen Alina, als wolle sie sie unter sich begraben. Doch sie blieb aufrecht. Sie wusste, dass sie die Wahl hatte - die Wahl, sich der Dunkelheit zu stellen anstatt ihr nachzugeben. Es lag an ihr, die Dunkelheit zu beherrschen oder sich von ihr beherrschen zu lassen.

Mit einem einzigen tiefen Atemzug hob sie das Prisma höher, bis es vor ihr in der Luft schwebte. Die Energie, die von ihm ausging, durchzuckte ihre Hände und durchströmte ihren ganzen Körper. Eine Stimme in ihrem Kopf flüsterte unaufhörlich, drängte sie zu einer Entscheidung.

„Du weißt, was du tun musst. Entscheide dich jetzt. "

Alina schloss die Augen, und in dem Moment, als die Dunkelheit sie wieder einholte, traf sie ihre Wahl.

„Licht. "

Das Wort entglitt ihr beinahe wie ein sanfter Hauch, ein stilles Versprechen. Doch als sie es laut aussprach, explodierte das Prisma in grellem Licht. Der gesamte Raum, die Ruinen, die Dunkelheit - alles schien zu vergehen, als löschte das Prisma die Welt um sie herum aus. Das Licht, das es ausstrahlte, war nicht das sanfte, heilende Leuchten der Sonne, sondern das brennende, alles verzehrende Licht einer entfesselten Kraft, die sowohl Leben als auch Zerstörung in sich barg.

Die Schatten, die sie umringten, schrien auf, als das Licht sie ergriff, zerriss und verbrannte. Alina hörte Kaels Ruf, doch der schien in der Kaskade aus Licht und Dunkelheit verloren zu gehen, die um sie tobte.

Und dann, wie aus dem Nichts, trat Stille ein.

Die Dunkelheit, die noch eine Sekunde zuvor so allgegenwärtig gewesen war, war verschwunden. Die Ruinen standen zwar noch, der Wald war weiterhin düster, doch die Luft fühlte sich anders an - leichter, klarer. Die Stille war überwältigend, und erschöpft sank Alina auf den Boden.

„Alina! " Kaels Stimme, gepaart mit der Wärme seiner Hand auf ihrer Schulter, riss sie aus ihrem Benommenheitszustand. „Was hast du getan? "

Alina hob den Kopf, in ihren Augen spiegelten sich Erschöpfung und Entschlossenheit. Sie wusste, dass sie etwas vollbracht hatte, das weder sie noch Kael jemals vollständig begreifen würden. Das Prisma war ihre Verbindung zu einer Macht, die zu groß war, um sie gänzlich zu kontrollieren - und dennoch hatte sie sich entschieden, das Licht zu wählen.
„Ich habe mich entschieden", flüsterte sie. „Das Prisma hat mir die Wahl gelassen, und ich habe das Licht gewählt. "

Kael betrachtete sie lange, und in seinen Augen spiegelten sich Bewunderung und Sorge. Doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er wusste, dass Alina einen bedeutenden Schritt getan hatte, einen Schritt in eine Zukunft, die für sie noch voller Ungewissheiten war. Eines war jedoch gewiss: Sie hatte die Dunkelheit überwunden und sich dabei selbst gewandelt.

„Das war nur der Anfang", brach er schließlich das Schweigen. „Die wahre Reise beginnt jetzt. "

Alina nickte nachdenklich, während das Prisma ihrer Halskette erneut zu pulsieren begann. Doch dieses Mal war es kein unheimliches, dunkles Pochen der Schatten, sondern ein sanftes und gleichmäßiges Pulsieren, das sie mit neuer Kraft erfüllte.

Die Dunkelheit war zwar noch nicht vollständig besiegt, aber vielleicht, dachte Alina, hatte sie den ersten Schritt getan, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

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