✧ℂ𝕙𝕒𝕡𝕥𝕖𝕣 𝕋𝕨𝕠✧
Nyx Lloyed
Mit Sicherheit würde ich jetzt am liebsten in Ohnmacht fallen. Der Regen auf dem Viadukt war nichts für schwache Nerven - eigentlich nicht mal für Teenager.
Was soll's? Ich schaffe das, so wie mein Vater vor mir!
Wir liefen langsam immer weiter hinaus zum Viadukt. Meine Knie wurden weich. Nicht daran denken! Bitte nicht daran denken, dass ich hier gleich zusammenbreche. Nicht einmal daran denken, wenn ich auf dem Viadukt stehe. Niemals.
Immer wieder wurden Namen aufgerufen - die Namen derer, die über die schmale Brücke laufen mussten. Entweder man kommt da heil runter, oder man stirbt. Qualvoll. Im freien Fall zu sterben, müsste ziemlich lange und schmerzhaft sein.
Mein Herz pochte immer schneller. Plötzlich ließ ein Schrei meinen Kopf hochschnellen. Ein Mädchen hatte den Halt verloren und war hinuntergefallen. Ich stellte mir den dumpfen Knall vor, wenn sie auf dem Boden aufkam, die Wucht, die den Körper erschüttern würde, dieses unaufhörliche Knacken, wenn die Knochen brechen. Igitt.
„Miss Farell, Sie sind dran", sprach jemand.
Astoria und Evander waren schon auf dem Viadukt. Habe ich wirklich verpasst, dass die beiden bereits darüber gegangen sind? Und jetzt kommt Theresia dran? War ich so in Gedanken versunken, dass ich das gar nicht bemerkt habe?
Theresia lief langsam nach vorne. Ich konnte sehen, wie sie kämpfte, um nicht vor Angst zu weinen. Aber sie war die nächste Königin. Sie braucht keine Angst zu haben, oder? Was denke ich denn hier bitte?
„Viel Glück! Und ähm, Theresia? Breite deine Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Es wird sehr windig da oben. Pass gut auf dich auf, und wir sehen uns hoffentlich da hinten", sagte ich lächelnd.
Sie drehte sich zu mir um, nickte lächelnd und lief dann langsam los. Ich hielt den Atem an, während ich ihr zusah.
Als Theresia, Astoria und Evander schließlich aus meiner Sichtweite verschwunden waren, seufzte ich leise. Ich habe noch niemanden schreien gehört - also müssen die drei noch am Leben sein, oder?
„Miss Lloyed? Sie sind dran, bitte treten Sie vor", sprach der Mann und sah auf seine Liste. Ich lief langsam nach vorne. Der Regen und der Wind waren ziemlich stark, und die Steine des Viadukts mussten bestimmt rutschig sein. Oh je, das wird noch was werden.
„Lloyed... interessant", murmelte jemand mit einer tiefen, rauen Stimme, die überraschend gut klang.
Mein Herz machte einen Satz, als ich zu dem jungen Mann neben mir sah. Er lehnte mit verschränkten Armen am Rand des Viadukts. Seine Muskeln waren beeindruckend ausgeprägt, seine rabenschwarzen Haare vom Wind zerzaust. Einige Strähnen fielen ihm mal ins Gesicht, mal wehten sie wieder zur Seite.
Seine onyxfarbenen Augen, die mit goldenen Sprenkeln durchzogen waren, bohrten sich regelrecht in meine Seele. Ich konnte nicht anders, als mich in seinem Blick zu verlieren.
Er war mindestens 1,95 Meter groß und hatte die Statur eines Gottes. Atemberaubend - im wahrsten Sinne des Wortes. Ich reichte ihm höchstens bis zu seinem unteren Hals. Am Rand seines Halses, nahe seiner Kinnpartie, schlängelte sich ein rebellisches Relikt entlang und verschwand unter seiner schwarzen Kleidung. Eine diagonale Narbe zog sich über seine linke Augenbraue und endete an der oberen Ecke seiner Wange.
„Und Sie sind?" fragte ich ruhig, obwohl mir das Atmen schwerfiel. Dieser schwarzhaarige, gut aussehende Mann mit verschränkten Armen vor mir machte es mir alles andere als leicht.
„Was für eine Schande...", begann er, hielt aber mitten im Satz inne. Seine tiefe, maskuline Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Es war fast berauschend.
Sein Blick wanderte zu meinem Handgelenk, und ich spürte, wie sich seine Augen weiteten. Langsam sah er mir wieder direkt in die Augen. Unser Blick traf sich, und ich verlor mich erneut in diesem goldgesprenkelten Schwarz.
„Interessant", sagte er schließlich, und seine ruhige Stimme war mir fast zu beherrscht.
Ja, interessant... genau wie sein knackiger Hintern und die Art, wie sich seine Muskeln unter dem eng anliegenden Uniformhemd abzeichneten.
„Du sabberst", bemerkte er trocken. Sein Kommentar riss mich abrupt zurück in die Realität - tatsächlich hatte ich gesabbert. Peinlich.
„Miss Lloyed, bitte, Sie sind dran", rief der andere Mann neben dem schwarzhaarigen jungen Mann.
Ich nickte leicht und sah noch einmal zu dem Schwarzhaarigen. Seine goldgesprenkelten, onyxfarbenen Augen durchbohrten meine langweilig dunkelgrünen Augen. Es fühlte sich an, als würde er mich innerlich studieren, analysieren - als würde er mich mit seinem Blick verschlingen.
„Viel Erfolg, das kannst du gut gebrauchen", sprach er ruhig zu mir, als ich am Anfang des Viadukts stand. Der Wind und der Regen waren heftig, und die anderen waren längst im Reiterquadranten angekommen - oder sie waren gefallen und jetzt bei Malek.
Aber... hatte er mir wirklich viel Erfolg gewünscht? Oder war es nur mein Gehirn, das mir einen Streich spielte? Vielleicht erfahre ich das erst, wenn ich auf der anderen Seite angekommen bin.
„Ähm, danke, denke ich", murmelte ich zögerlich und begann langsam, den glatten Viadukt zu überqueren.
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Meine Schritte waren zitternd, aber zielstrebig, während ich mich auf den nassen, glitschigen Steinen vorwärts bewegte. Mein Herz pochte unaufhörlich in meinen Ohren. Jeder Schritt könnte mein letzter sein. Der Wind heulte um meine Ohren, und ich könnte schwören, manchmal jemanden schreien gehört zu haben - jemanden, der vom starken Wind in die Schlucht geschubst wurde.
Meine Arme waren ausgestreckt, um mein Gleichgewicht zu halten. Mein Atem ging stoßweise. Ich hatte fucking Schiss.
Denk an dein Ziel. Konzentrier dich! Denk an etwas, das dich aufmuntert: mein Bruder. Er war auch hier oben gewesen. Er durfte früher nach Basgiath. Zumindest habe ich keine Nachricht erhalten, dass er gestorben ist, abgefackelt wurde - oder schlimmer, im Schlaf erstochen. Fuck.
Erstochen zu werden, während man schläft, ist echt fies. Wer kommt bitte auf so eine verdammte Scheiße? Aber wenn ich es schaffe, wenn ich diesen Viadukt überquere, dann kann ich meinen Bruder endlich wiedersehen. Fast zwei Jahre ist es her, dass ich ihn zuletzt gesehen habe. Ich vermisse ihn. Ich hoffe, es geht ihm gut.
Er hat mir sogar einen Brief geschrieben, dass er es gemeistert hat. Er meinte, ich würde es auch schaffen. Er glaubt an mich. Ich hoffe, dass er recht hat. Manchmal zweifle ich daran, dass ich selbst an mich glauben kann.
Meine Schritte wurden sicherer, während der Regen weiter auf meinen Kopf prasselte. Die Schreie der anderen blendete ich inzwischen aus. Der Gedanke, dass ich es schaffen könnte, half mir.
Doch was mir Sorgen bereitete, war, in welchem Geschwader ich landen würde. Es gibt vier Geschwader und ihre jeweiligen Sektionen, und ich war gespannt, wo ich hinkommen würde. Mein Bruder ist im vierten Geschwader, dem Flammenschwarm, in der zweiten Staffel.
Ich hoffe inständig, dass ich im selben Geschwader lande wie mein Bruder. Und für meine neu gefundenen Freunde wünsche ich mir genauso, dass sie etwas finden, in dem sie sich wohlfühlen.
Der Wind zerrte an meinen Haaren, die ich extra zu einem lockeren Flechtzopf gebunden hatte. Normalerweise trage ich keinen Zopf, aber ich wollte vermeiden, dass meine Haare mein Todfeind werden.
Mein Herz pochte in meiner Brust wie ein wildgewordener Drache, der eingefangen wurde. Aber ich schaffe das - einen Schritt nach dem anderen. Niemals nach unten sehen und niemals daran denken, dass ich es nicht schaffe. Ich werde es schaffen. Das werde ich beweisen.
Mein Blick war starr nach vorne gerichtet, meine Schritte schwer auf den nassen Steinen des Viadukts. Meine Arme streckte ich aus, um mein Gleichgewicht zu stabilisieren.
Plötzlich ging mein Atem stoßweise. Ich war ausgerutscht und knallte mit voller Wucht auf meine Knie. Verdammt. Ich zitterte. Ich war mitten auf dem Viadukt - jetzt aufgeben war keine Option. Tief einatmen. Ausatmen. Meine Lungen brannten, und Panik überkam mich.
Doch ich durfte nicht aufgeben. Ich hatte schon so viel hinter mir gelassen. Keuchend drückte ich mich langsam wieder auf die Beine. Meine Kniescheibe pochte schmerzhaft, und ich konnte schwören, dass ich sie aufgeschürft hatte. Es fühlte sich warm an, und der Schmerz war brutal. Na super.
Ich zwang mein Herz, sich etwas zu beruhigen, und ging langsam weiter. Bald würde ich es geschafft haben. Bald würde ich ein Kadett des Colleges sein. Und wenn ich weiterkam - wenn ich wirklich weiterkam - würde ich eine Drachenreiterin sein. So wie ich es mir immer gewünscht hatte.
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Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich endlich das Ende des Viadukts. Erleichtert seufzte ich auf, als ich wieder festen Boden unter meinen Füßen spürte. Doch meine Kniescheibe brannte immer noch wie die Hölle.
Mein Blick wanderte umher. Viele Kadetten waren hier versammelt, und ebenso viele, die auf der Liste standen.
„Willkommen. Ihr Name, bitte", sprach mich jemand von der Seite an. Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte meinen Kopf in die Richtung der Stimme. Ein Mann stand da mit einer Schriftrolle in der Hand, genau wie der am anderen Ende des Viadukts.
„Nyx Lloyed", sagte ich dem Mann und sah, wie er mich mit einem Blick musterte, der mich innerlich zu verbrennen schien. Er nickte nur kurz und ging weiter.
Seufzend lief ich langsam auf die Gruppe der Kadetten zu, als mich plötzlich jemand von hinten umarmte. Mein Herz machte einen Satz.
„Du hast es geschafft!" rief eine tiefe, männliche Stimme. Sofort drehte ich mich um, und mein Herz begann wie wild zu rasen, als ich in die eisblauen Augen meines geliebten Bruders blickte.
„Oh mein Gott, Kieran?!" schrie ich beinahe vor Freude. Er lachte, und ich warf mich ihm in die Arme.
„Du hast es geschafft!" rief plötzlich eine weitere, freudige Stimme. Ich drehte mich, immer noch in Kierans Armen, um und sah Theresia, Evander und Astoria. Sie hatten es überlebt. Zum Glück.
Ich wollte gerade etwas sagen, als eine starke Präsenz hinter uns spürbar wurde. Verwirrt blickte ich mich um - und da war er. Der Typ mit den goldgesprenkelten Onyxfarbenen Augen.
Er kam elegant vom Eingang des Viadukts herüber, begleitet von dem Schreiber von vorhin. Sein Blick war fast unerträglich intensiv. Es fühlte sich an, als wolle er mir direkt in die Seele sehen - oder mich von innen heraus zerreißen.
Dieser Mann ist mein Untergang.
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