38.

»Aua!«, meckert Shadow rum, was mich nur einmal mehr zum Lachen bringt. »Du sollst mir doch nicht über die Füße fahren. Ich stütze dich vielleicht, aber ich bin nicht die Strasse.«

Mein Blick fällt auf seine schweren Stiefel und ganz ehrlich gesagt wundert es mich schon, dass er überhaupt etwas spürt. Diese Teiler sind bestimmt total gut gepolstert.

»Komm schon, Bambi. Konzentrier dich«, holt mich Shadow aus meiner Beobachtung. Ich richte meine Augen wieder auf die Straße vor mir. Wir sind vielleicht eine halbe Stunde unterwegs und Shadow hat mir alles Mögliche erklärt.

Wie ich fahren soll, wie man bremst, wie ich lenke und all das, was man eben wissen sollte. Natürlich kann ich noch nicht fahren und bin auch schon das eine oder andere Mal umgekippt, weil ich einfach noch nicht die beste Balance fürs Fahrad fahren entwickelt habe. Aber ich bin schon besser geworden und ich kann auch ganz langsam treten und meine Füße vom Boden lösen, aber auch nur, wenn Shadow mich hält. Ich spüre seinen Atem praktisch permanent auf meinem Gesicht und das ist ungefähr so ablenkend, wie man es sich vorstellen kann.

»Danke«, breche ich irgendwann die Stille zwischen uns. Wir sind beide konzentriert und schweigend die meiste Zeit, aber es ist trotzdem schön, etwas mit ihm lernen zu können. Vor allem, seit er so geduldig ist.

»Immer gerne, Bambi. Ich habe doch gewusst, dass es dir gefallen wird.«

Ich lache ein wenig, allerdings auch nur so halb, weil mir trotz meiner Verpackung und allem ein wenig kalt ist.

»Ist das eigentlich das Einzige, was du geplant hast, Prinz?«, necke ich Shadow mit dem Kosenamen, den ich ihm verpasst habe. Ich mag mich vielleicht an meinen gewöhnt haben, aber das heisst nicht, dass ich ihm seinen ersparen werde. Dafür ist er viel zu passend.

»Natürlich nicht. Aber ich werde dir bestimmt nicht alles vorab verraten. Sonst macht die ganze Sache gar keinen Spaß mehr für dich.«

Ich schmunzle. Mittlerweile ist es ein wenig dunkel geworden. Die Strassenlichter erhellen unseren Weg zwar, aber man merkt trotzdem, dass die Nacht langsam einschlägt. Vor allem daran, dass die Temperatur um einige Grade gesunken ist.

»Machst du Witze? Das ist absolut und richtig toll. Macht es dir überhaupt Spass?«

Shadow winkt ab, was mich beinahe zum Fall, aber schlussendlich nur zum Lachen bringt. Shadow stimmt belustigt ein.

»Natürlich. Du hast die Ehre und bist das einzige menschliche Wesen, welchem ich jemals erlauben werde, meine Füsse zu überfahren.«

Ja, genau. Er erlaubt es mir ja auch. Ich will schon etwas darauf erwidern, aber sein knurrender Magen unterbricht mich.

»Dein Magen will essen«, stelle ich fest und lasse beide meiner Füsse auf dem Boden Halt kriegen, damit ich mich besser mit Shadow unterhalten kann.

»Nicht nur mein Magen. Auch ich. Und du. Und jetzt steig wieder auf, sonst kommen wir niemals an.«

Ich hebe überrascht meine Augenbraue, tue aber, was er sagt.

»Wir bewegen uns in eine bestimme Richtung? Seit wann und was habe ich verpasst?«

»Nichts. Ich habe einfach nicht alles zu Beginn schon ausplappern wollen, sonst hätte es nicht halb so viel Spaß gemacht. Du wirst es schon merken, wenn wir dort sind.«

Ich werde es schon vorher merken. Ich wohne schon mein ganzes Leben lang in dieser Stadt, und anders als der Prinz habe ich mich nicht isoliert. Ich kenne mich hier bestens aus und...

»Hast du recherchiert? Wir sind genau in der Nähe von allen Optionen«, unterbreche ich meine eigenen Gedanken mit einem ungläubigen Unterton. Shadow grinst mich stolz an.

»Natürlich habe ich das. Hast du erwartet, dass ich es dir leicht machen werde, deinen Abend zu erraten?«

Ehrlich gesagt schon. Aber das mit dem Fahrrad hätte ich nur erraten können, wenn ich seine Mimik heute richtig gelesen hätte. Er hat nämlich genau in dem Moment seiner Frage eine Planänderung gemacht und ich habe es nicht gemerkt, weil ich von seinem ›wir haben ein Date‹ zu hingerissen gewesen bin. Nicht, dass sich gross etwas geändert hätte. Ich habe wahrscheinlich Herzchen in den Augen gehabt nach diesem Satz.

»Wir sind da«, informiert mich Shadow ungefähr eine Viertelstunde später. Er hilft mir geduldig runter und schliesst das Fahrrad an eine Metallstange. Dabei sind seine Hände und Wangen total rot, wahrscheinlich sehe ich nicht anders aus.

Und dann sehe ich mich um und realisiere, wo wir stehen. Vor dem Diner, in welchem wir nach dem Spiel mit unseren Freunden gewesen sind. Das leuchtende Rot begrüßt uns warm und ich habe ehrlich gesagt noch nie so gut gelaunt die fettige Luft hier eingeatmet. Die Hitze schwillt mir entgegen und wie sonst immer auch, doch der Lärm bleibt aus.

»Heute sollten sie hier eigentlich keine Gäste haben«, erklärt mir Shadow. Er grüßt die Frau mittleren Alters, welche hinter dem Tresen steht und Dinge aufschreibt, höflich.

»Euer Tisch ist da hinten«, antwortet diese nur mit einem flüchtigen Lächeln, was mich verwirrt. Heute machen sie wahrscheinlich nur Auslieferungen, was also machen wir hier?

»Laufen, nicht stehen, Bambi«, neckt mich Shadow und nimmt meine Hände in seine Eiskalten, um mich durch die Sammlung leerer Tische zu manövrieren. Ich verziehe das Gesicht ein wenig, weil es mir leid tut, dass er offensichtlich wegen mir kalt gehabt hat, kann es aber nicht lassen, den Song, der gerade aus den Lautsprechern ertönt, mitzusummen. Ich kenne ihn sogar.

»Was machen wir hier?«, frage ich neugierig, sobald ich mich auf das weiche Polster fallen gelassen habe. Shadow sitzt mir gegenüber und somit kann ich genau betrachten, wie er seine Hände aneinanderreibt. Er fischt ein kleines Fläschchen heraus, welches irgendwelche säubernde Wirkung für die Hände haben sollte, allerdings kein Desinfektionsmittel ist. Natürlich muss der Prinz seine Hände mit dem Zeug säubern. Aber weil wir hier wahrscheinlich mit den Händen essen, kann ich es nicht lassen, ihm meine ebenfalls entgegenzustrecken, damit ich auch was davon abkriege.

»Essen. Und uns aufwärmen. Ich habe nämlich kalt.«

Ich nicke. Mir geht es genauso.

»Steht also noch was anderes auf dem Plan?«, will ich wissen. Heute spricht er wahrhaftig ein wenig in Rätseln und ich muss die Antworten förmlich aus ihm herausquetschen.

»Nope. Nur wir und...essen«, erklärt er grinsend, was mich irgendwie erleichtert aufatmen lässt. Ich habe nämlich echt keine Lust, noch weiter irgendetwas besonders kompliziertes zu machen, auch wenn die ganze Aktion mit dem Fahrrad fahren witzig war. Aber so können wir reden und das ist toll. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir jetzt endlich einmal ungestört und nicht umgeben von anderen Leuten sind.

»Stören wir niemanden hier? Ich meine, ich will niemandem im Weg sein.«

Ich würde das nämlich hassen, wenn ich arbeiten muss und jemand kreuzt einfach auf und chillt sein Leben hier. Vor allem aber will ich nicht irgendwie zusätzlicher Stress sein.

»Nope. Kannst du schnell hier warten? Ich muss unser Essen kurz abholen«, informiert mich Shadow, wartet aber nicht eine Antwort meinerseits ab. Ich würde mir ja gerne die Zeit lassen, um den Laden in diesem Zustand einzunehmen, aber der Prinz ist in Lichtgeschwindigkeit mit zwei verdeckten Tellern hier. Also mit diesen Metallschüsseln verdeckt, wohlgemerkt.

»Voilà. Das ist die Crème de la Crème des heutigen Abends, Bambi. Ich habe es vorher extra für uns gekocht, damit ich niemanden störe«, erklärt mir Shadow, worauf ich nicht wenig überrascht bin. Die Fahrrad-Sache mag vielleicht spontan ausgefallen sein, aber das hier ist definitiv durchdacht und unglaublich süß und ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht ganz so bescheuert zu grinsen.

Er sitzt mir gegenüber und auf seinem Gesicht liegt nur die Frage, wie mir das Essen schmecken wird. Als er den Deckel dann schliesslich hebt, kann ich nicht anders, als glückerfüllt zu seufzen. Er hat Brokkoli-Nudeln mit Hühnchenbrust gemacht und dazu hat es einen mini-Tomatensalat am Rande des Tellers, der das ganze kunstvoll und viel zu edel für so ein Diner wirken lässt.

»Das ist unglaublich«, meine ich träumerisch und greife automatisiert nach dem Besteck, welches ich vorher gar noch nicht bemerkt habe. »Danke Shadow. Ich hätte das niemals erwartet«, meine ich und schenke ihm eines der vielen ehrlichen Lächeln, welche mir in seiner Gegenwart so leicht von den Lippen kommen.

»Kein Ding. Guten Appetit«, entgegnet der Chefkoch des heutigen Abends darauf mit einem mindestens so beglücktem Lächeln. Und dann sitzen wir einfach da, schaufeln Essen in uns herein und sind dabei einfach nur glückliche Teenager.

Ich hätte es irgendwie auch gerne, von Shadow bekocht zu werden...
Was ist denn euer Lieblings-Essen 🍴🥄?

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