16.
»Geh du schon einmal unter die Dusche«, sagt Ed, während er sich im Gehen die Schuhe von den Füßen schält und die Tür seiner Wohnung hinter sich zuschlägt. Alles in allem ist die Wohnung genau das Gegenteil von dem, was ich erwartet habe. Die Möbel sind alle weiss und total modern, die Fassade des Hauses, indem die Wohnung ist, ist also wirklich nichts dagegen.
»Wo sind deine Mom und Schwester hin?«, frage ich, als ich mich wieder einigermassen gefangen habe. Ich habe noch nie eine Wohnung betreten, die so ordentlich war. Ehrlich. Sie ist wunderschön.
»Was? Sie wohnen nicht hier. Ich habe doch gesagt, dass das meine Wohnung hier ist.«
Ed sieht mich verständnislos an. So ungefähr müsste ich auch aussehen.
»Wow, wow, wow. Moment. Das-«
Ich deute auf den unglaublichen Platz hier drin.
»Ist deine Wohnung und du trauerst deinem Zuhause bei deiner Mutter und Schwester nach? Ich wünschte, dass ich auch nur annähernd so etwas besitzen könnte, um mich einmal im Leben zurückziehen zu können.«
Ich ziehe meine Schuhe aus, während ich versuche, nicht all zu viel nass zu machen. Ich will nicht, dass Ed nach mir die Wohnung putzen darf.
»Ich liebe die Wohnung auch. Aber es gibt einen Unterschied, ob man nicht mehr bei seiner Familie wohnen will, weil man sich nicht wohlfühlt oder ob man rausgeschmissen wird. Aber jetzt sieh bitte dabei zu, dass du endlich unter die Dusche steigst. Handtücher sind im Bad und ich lege dir Kleidung von meiner Schwester vor die Tür. Obwohl, nein. Ich lege dir Sachen von mir vor die Tür, die Sachen meiner Schwester kannst du morgen zur Schule anziehen. Und die Unterwäsche kannst du dir trocknen. Ich glaube nicht, dass du das mich machen lässt.«
Ed macht eine verscheuchende Handbewegung und deutet Richtung Bad, wofür ich ihn dankbar anlächle. Doch im letzten Moment hält er mich doch noch auf, um mir den nassen Verband von der Hand zu nehmen. Jepp, den habe ich beinahe vergessen.
»Jetzt kannst du gehen. Und beeil dich. Ich will auch noch unter die Dusche. Ich mach dir nachher auch einen frischen Verband.«
...
»Sieht aus wie neu«, sagt Ed ganz offensichtlich stolz auf sich selbst. Seine nassen Haare hängen ihm in die Stirn, seine eigentlich trockene Kleidung ist halb nass, weil er anscheinend keine Lust gehabt hat, ein Handtuch zu benutzen.
Er nimmt einen Schluck seiner heissen Schokolade, die ich uns gemacht habe, als er unter der Dusche gestanden ist. Das ist das Mindeste gewesen, was ich habe für ihn machen können, nachdem er mir heute einen Schlafplatz anbietet und mich verpflegt. Ed nickt anerkennend.
»Du musst mir unbedingt sagen, wie viel Pulver du da reingetan hast. Wenn ich mir Schokolade in die Milch gebe, wird sie immer viel zu süß.«
Ich lache, bevor ich die heisse Schokolade auch probiere. Diesmal ist sie echt gut geworden.
»Wie kannst du dir sowas eigentlich leisten?«, frage ich schliesslich vorsichtig und deute damit um mich herum. Arbeitet Ed etwa schon? Denn eigentlich hat er ja gesagt, dass er noch zur Schule geht. Und selbst wenn er einen Nebenjob hätte, sieht diese Wohnung noch recht teuer aus.
»Kann ich nicht. Mein Dad zahlt sie mir. Er kann nicht da sein, weil seine Firma im Ausland viel mehr Millionen bringt, weshalb er meine Schwester und mich mit solchen Dingen besticht.«
Einen Moment lang ist es still, ehe ich einen Blick auf die Uhr werfe.
03:14 zeigt sie an. Während der Woche schlafe ich um diese Zeit schon mindestens drei Stunden.
»Wie ist deine Schule so?«, reisst mich Ed aus meinen Gedanken.
»Die Queenston High ist eine normale High School. Es gibt die Coolen und Beliebten und dann gibt es noch Nerds und die chillgen Menschen. Tja, und da ich in einem fetten Streit mit den Beliebten liege, gehöre ich weder zu den einen noch zu den anderen, aber im Moment habe ich Freunde. Also seit Montag.«
Ich bin echt jämmerlich, fällt mir gerade auf, doch Ed lacht über meine Erklärung nur. Das Gute dabei ist, dass ich genau weiß, dass er mich nicht auslacht. Das hält die Situation so locker.
»Meinst du, ich würde dort überleben? Also, die Zeit dort überstehen?«
»Mit mir an deiner Seite?« - Ich lege eine theatralische Pause ein und hole tief Luft - »Niemals.«
»Ich erwarte von dir, dass du mich rumführst. Ich bringe dir auch jeden morgen eine heisse Schokolade«, besticht er mich.
»Ich führe dich auch so rum. Das ist kein Ding. Dafür musst du mich nicht erkaufen.«
Ed sieht mich überrascht an. Fast so, als wäre es nicht selbstverständlich, dass ich ihm die Schule auch zeigen würde, wenn er mir nichts gibt. Ich schüttle tadelnd den Kopf.
»Wenn du meinst, dass wir nur auf materieller Ebene befreundet sind, dann schon. Ich zeige dir die Schule aber auch einfach so. Es ist einfach nichts Spektakuläres. Ausserdem verlange ich nichts von dir. Du hast mir auch so schon genug geholfen.«
Ich drücke ihm bestätigend die Hand, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass Ed und ich eine lange und feste Freundschaft vor uns haben.
»Wie heisst du eigentlich zum Nachnamen?«, frage ich, als mir auffällt, dass ich gar nicht weiss, bei wem ich Klingeln muss, wenn ich wieder einmal Zuhause Probleme habe und einen Unterschlupf brauche.
»Delaney.«
Edan Delaney. Das hört sich irgendwie richtig edel an. Aber wie es scheint, haben seine Eltern auch genug Geld.
»Adams«, sage ich schnell, als ich seinen fragenden Blick auf mir bemerke. Hope Adams und Edan Delaney. Tja, wir sind anscheined Freunde geworden. So schnell können solche Dinge gehen, wenn man sich einsam und alleine fühlt.
Irgenwie fühle ich mich schuldig, dass ich ihn anfangs für einen Psycho gehalten habe. Denn ehrlich, er scheint das genaue Gegenteil zu sein. Er ist witzig und freundlich, offen und ehrlich. Dazu hat er bisher jede einzelne meiner Fragen beantwortet und nicht irgendwie das Thema gewechselt, was die meisten Menschen machen, wenn ihnen ein Thema zu nahe kommt, oder sie darüber nicht sprechen wollen. Tja, so bin ich unter anderem auch. Teilweise.
»Wir sollten langsam schlafen gehen. Ich rufe morgen früh dann das Sekretariat der Queenston High an. Wenn du Glück hast, kannst du mich dann schon an Montag in deiner Klasse begrüssen.«
Ich grinse. Er wird Cami und Rubs bestimmt lieben. Und sie ihn erst recht.
»Müssen da deine Eltern nicht mitreden? Also, müssten nicht sie sich eigentlich darum kümmern?«, frage ich etwas skeptisch.
»Mein Dad ist nie da und meine Mom hat mich rausgeworfen. Eine Unterschrift zu fälschen, wird schon nicht so schwer sein. Ich kann ihr das Formular ja im Nachhinein noch schicken. Sie wird mich so oder so wieder die ganze Zeit runtermachen, wenn sie mich zum nächsten Mal sieht.«
Ed zuckt gleichgültig mit den Schultern, während ich nicht anders kann, als mein Gesicht mitleidig zu verziehen. Er tut mir echt total leid. Das Schlimmste dabei ist allerdings, dass er sich mit dieser Situation auszukennen scheint.
»Dann hoffe ich einmal, dass du meinen schlechten Ruf an der Schule nicht kauptt machst. Das heisst, dass du dich nicht mit den Beliebten anfreunden darfst, ohne dass sie ein Friedensangebot machen. Ach ja und du wirst schnell merken, wer nett ist und wer nicht.«
Ich zwinkere ihm zu und Ed lacht. Genau die Reaktion, die ich mir erhofft habe. Denn so muss er nicht an seine idiotische Mutter denken, und lachen ist die beste Medizin. Vor allem für die Seele.
Danach wird es still, keiner sagt mehr was. Aber das ist gut so. Denn es ist nicht die schneidende Stille, sondern es ist die schöne Stille, die einen immer und immer wieder umwickelt, umfängt, sodass man sich geborgen fühlt. Wir trinken dabei unseren Kakao und warten darauf, dass unsere Haare trocknen. Ich glaube, dass meine langen Haare einer der Gründe ist, wieso mich Ed hat zuerst duschen lassen, auch wenn er im Gegensatz zu mir zu Rekordzeiten fertig gewesen ist.
Seid ihr eher Nachteulen oder Tag-Menschen?
Haha nur schon der Fakt, dass ich den Begriff für Tag-Menschen nicht kenne, sagt wohl alles über mich aus...😂🤣
Ich wünsche euch einen schönen Start in die Woche und viel Spass bei dem, was ihr heute machen werdet 😊💫
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