Vor dreieinhalb Jahren - Christians innere Monster
vor dreieinhalb Jahren –Christian Sicht der Dinge:
Stunden nachdem Ana gegangen ist, stehe ich immer noch wie angewurzelt am Fenster, in meinem Büro im Escala, und starre ins Leere. Wie viel Zeit genau vergangen ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, je länger ich hier stehe, desto wütender werde ich. Ich bin froh, dass ich alleine bin, denn in meiner gegenwertigen Stimmung, würde ich niemandem raten, mich zu stören.
Ich fühle mich wie ein verwundetes, in die Enge getriebenes Tier, das keinen Ausweg sieht und kurz davor steht durchzudrehen. Mein Körper ist zum Bersten gespannt, meine Nasenflügel beben und in meinen Adern pulsiert mein überkochendes Blut. „Was hast du dir nur dabei gedacht, Ana? Warum hast du das verdammte Safe Wort nicht benutzt?“, schreie ich in den Raum und stoße wütend mit der Stirn gegen das Fenster, immer und immer wieder, biss ein rotes Rinnsal langsam das Fenster herunter läuft. „Verflucht! Ich hasse dich!“, platzt es aus mir heraus.
Mit einer fahrigen Handbewegung fege ich meinen Schreibtisch leer und schmeiße ihn laut stöhnend um. „Hattest du kein Vertrauen?“, brülle ich weiter und mache auch aus dem restlichen Büro Kleinholz. „Das werde ich nicht hinnehmen, Ana!“ Mein Blut läuft mir in die Augen und trübt meine Sicht. Ich stolpere über irgendetwas, verliere das Gleichgewicht und lande kopfüber auf dem Boden. Die Schmerzen in meinen Knien, stacheln meinen Zorn noch weiter an. Nahe der Raserei, rapple ich mich schnaubend wieder auf und tigere nervös am Fenster auf und ab. Schwer atmend balle meine Hände zu Fäusten und stelle mir grimmig vor, was ich mit Ana anstellen würde, wenn sie jetzt hier wäre.
Aber die schockierende Erkenntnis, dass ich sie einfach nur in die Arme nehmen und mein Gesicht in ihrem Haar vergraben würde, lässt mich zurückschrecken. Leichenblass lehne ich mich an die Wand. Unglücklicherweise jagen mir diese Gedanken eine unbändige Angst ein. Die Furcht streift mein stählernes Rückgrat und schnürt mir die Kehle zu.
Während der ganzen Zeit, die wir miteinander verbracht haben, habe ich nicht bemerkt, wie wichtig sie für mein Leben geworden ist, wie sie sich ganz langsam in mein Herz geschlichen hat, was es mir nun unmöglich macht, sie zu hassen. Meine Gedanken überschlagen sich. „Nein ich hasse sie nicht, aber was empfinde ich für sie? Bisher habe ich immer angenommen, dass ich zu keinerlei Gefühlsregung fähig wäre, aber warum ticke ich jetzt so aus? Die Trennungen von meinen anderen Subs sind immer reibungslos verlaufen. Es hat mich nie wirklich tangiert, eher war ich erleichtert, da die jungen Damen nach einer Weile zur Last wurden. Warum ist es dieses Mal anders? Was hat Ana mit mir gemacht, verdammt?“
Meine Mine verdüstert sich unvermittelt. Zwar gibt es nichts, worauf ich meinen Finger legen kann, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass mir etwas Wesentliches entgeht.
Nach meiner anfänglichen Schockstarre, über Anas Entscheidung mich zu verlassen, suche ich verzweifelt nach einer Erklärung, wie ich es habe so weit kommen lassen. Aber wenn ich ehrlich zu mir bin, weiß ich, dass ich den Bogen überspannt habe. Mir ist immer bewusst gewesen, dass Ana noch nicht bereit ist und doch habe ich besseren Wissens meine eigene Befriedigung gesucht, ohne auf sie zu achten. Ich habe ihre Angst nicht gesehen.
Angewidert vor Selbstekel, sinke ich mit einer Flasche Brandy zu Boden und gestehe mir endlich ein, dass dieses kleine Mädchen, mich von Anfang an verzaubert hat. Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, die Zeit mit Ana als Irrtum abzutun, weiß ich, dass ich mich nicht selbst belügen kann. Ein tief in mir verwurzeltes Wissen, sagt mir, dass Ana mein Leben, meine Liebe und für mich die einzige Chance auf ein glückliches Leben ist.
Am nächsten Morgen, als Taylor mich mit einem schiefen Grinsen weckt und sich kopfschüttelnd in dem Chaos, was einmal mein Büro gewesen ist, umsieht, habe ich das Gefühl, als versucht jemand mit dem Presslufthammer meine Schädeldecke zu öffnen. Ein Blick auf die leere Flasche neben mir genügt, um mich an den schmerzlichsten Verlust meines Lebens zu erinnern... Ana. Ich seufze, ziehe mich mit beiden Händen umständlich an meinem umgekippten Schreibtisch hoch und schwanke gefährlich. Bis ich wieder sicher auf zwei Beinen stehe, lehne ich mit dem Rücken an einem Schreibtischbein und halte mir zum Schutz vor den grellen Sonnenstrahlen die Hände vor die Augen. „Wie spät ist es?“, frage ich möglichst leise. Jedes Geräusch schmerzt in meinen Ohren. Meine Stimme klingt furchtbar, als ob ich eine Flasche Brandy alleine getrunken hätte, denke ich und muss über mich blöden Idioten verächtlich grinsen.
„Mr. Grey, es ist 9:30 Uhr. Sie haben in einer Stunde einen Termin bei Dr. Flynn. Soll ich anrufen und sagen, dass sie indisponiert sind? Sie sehen wirklich nicht gut aus.“, fragt Taylor mit besorgtem Gesichtsausdruck. Ohne auf meine Antwort zu warten, bückt er sich und stellt einen umgekippten Stuhl wieder auf. „Taylor lassen Sie das!“, zische ich ihn an und halte mir die Ohren zu. „Ich bin in 15 Minuten fertig. Holen Sie schon mal den Wagen.“ Mit einem flauen Gefühl im Magen, mache ich mich mit Beinen wie aus Gummi, auf den Weg in mein Schlafzimmer, dusche kurz und ziehe mir einen dunklen Anzug an. Das geschieht alles wie in Trance. Mein Kopf ist kurz vor dem Zerspringen. Vielleicht hätte ich den Termin bei Dr. Flynn doch absagen sollen. Da ich nun aber fertig bin, setze ich meine Sonnenbrille auf und gehe, ohne Frühstück zu essen, zum Lift.
Dr. Flynn erkennt meine aufgewühlte Verfassung mit einem Blick und sagt umgehend alle nachfolgenden Termine ab. In seinem Büro lasse ich mich auf einem Sessel am Fenster fallen und sinke rücklings in die Kissen. Flynn nimmt mir gegenüber Platz, schenkt uns ein Wasser ein und lächelt mich gutmütig an.
„Guten Morgen Christin. Wie ich sehe, hattest du einen netten Abend. Geht es dir gut?“
„Guten Morgen. Ja mir geht es gut, aber bitte rede nicht so laut, ok?“
„Hm, gut. Willst du mir sagen was mit dir los ist?“
„Deshalb bin ich doch hier oder?“, knurre ich ihn an. „Ich bin bei Ana zu weit gegangen und jetzt ist sie weg! Du weißt doch, was ich für ein perverses Arschloch bin...“, fahre ich aufgebracht fort. „Christin bitte, versuch dich zu beruhigen. Ich kenne dich jetzt schon so lange und weiß, dass du ein guter Mensch bist. Du wirst nichts finden, was mich vom Gegenteil überzeugt, also versuche es erst gar nicht. Willst du mir erzählen, was passiert ist?“, fragt Flynn vorsichtig und sieht mich über seine Brille hinweg aufmunternd an.
„Ich kann es dir nicht sagen, nur dass ich nicht auf sie aufgepasst habe. Ich habe Ana verletzt, seelisch und körperlich. Sie hat geweint und ist dann vor mir geflüchtet. Sie hat mich einfach verlassen.“, verzweifelt wische ich mir mit beiden Händen durchs Gesicht. „Gestern habe ich mein Büro zu Kleinholz verarbeitet. Aber es hat nicht geholfen. In mir brodelt es und ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann. Ich stehe kurz davor die Kontrolle zu verlieren.“, gestehe ich Flynn zähneknirschend ein und klammere mich an den letzten Zipfel Beherrschung, über den ich noch verfüge.
„Hat Ana dir gesagt, dass sie dich verlässt? Vielleicht braucht sie auch nur ein wenig Zeit für sich. Schließlich muss sie mit dieser Situation erst einmal zurechtkommen. Du musst ihr Zeit geben. Warte ein paar Tage, bis du dich wieder bei ihr meldest.“
Wütend springe ich hoch und baue mich vor Flynn auf. „Verdammt Flynn, verstehst du es nicht? Ana ist weg, für immer! Ich habe sie gebeten zu bleiben, habe ihr gesagt, dass die Zeit mit ihr, die schönste meines Lebens war, aber sie hat abgelehnt. Sie war nicht einmal bereit meine Geschenke zu behalten.“, brülle ich meinen Therapeuten getroffen an und merke, wie sich meine Adern am Hals anspannen.
„Christian setzt dich bitte wieder hin. So kann ich unmöglich mit dir reden.“ Flynn wendet seinen Blick ab, nimmt in aller Ruhe seine Brille von der Nase und fängt an sie zu putzen. Gelassen wartet er, bis ich wieder Platz genommen habe, bevor er sich wieder auf unser Gespräch konzentriert, ohne auf meinen Ausbruch einzugehen.
„Christian, was empfindest du für Ana? Ich möchte herausfinden, warum du so auf sie reagierst, warum du wieder in dein altes Schema zurück fällst. Was war mit ihr anders, als mit deinen anderen Gefährtinnen?“ Flynns Fragen überraschen mich.
„Ich weiß es nicht.“, stammele ich und schaue ihn verdutzt an. „Mit ihr war alles so einfach. Mein Leben hat Spaß gemacht, wenn sie an meiner Seite war. Ich konnte ich selbst sein, musste mich bei ihr nie verstellen. Sie liebt das Leben, sieht in allem etwas Positives und hat damit das Licht in mein dunkles Dasein gebracht. Ich habe gedacht, Ana bleibt für immer. Aber der Traum war einfach zu schön. Sie will mich nicht und ich verstehe ihren Entschluss, mich zu verlassen sogar. In ihren großen Augen lag so viel Trauer, als sie gegangen ist.“ Die Gedanken an sie und ihr strahlendes Lachen, beruhigen mich. Ich seufze mutlos. „Und weißt du was das Schlimmste ist, Flynn? Ich weiß, dass Ana mich liebt und dennoch ist sie gegangen.“ Flynn sieht mich mitfühlend an.
„Du magst Miss Steele wirklich sehr. Diesen Eindruck hatte ich auch schon während unserer letzten Gespräche. Da warst du ausgeglichen, hast dich zum ersten Mal einem Menschen geöffnet. Das ist auch der Grund, warum du jetzt so durcheinander bist. Ana hat dich alleine gelassen, genauso wie damals deine Mutter es getan hat. Es sind deine Erinnerungen, die Angst vor Verlust und dem allein sein, die dir nun so zu schaffen machen. Aber Christin, Ana ist nicht wie deine Mutter. Das musst du dir immer wieder ins Gedächtnis rufen. Sie ist eine junge Frau, die ihr Leben noch vor sich hat und, wie du, vor ihren neuen Gefühlen, Angst hat. Lass ihr ein wenig Zeit und dir auch. Du musst dir darüber klar werden, was du bereit bist, für diese Beziehung zu tun, woran du arbeiten möchtest. Wenn du dir dessen bewusst bist, habt ihr eine Chance. Aber sei ehrlich zu dir und zu ihr.“ Flynn kritzelt noch irgendetwas in sein Buch, das ich vorher überhaupt nicht wahrgenommen habe und legt es dann auf einen kleinen Tisch. Dann sieht er mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Und für heute rate ich dir, gehe segeln. Vielleicht bekommst du davon wieder einen kühleren Kopf. Versuch einfach den Menschen heute aus dem Weg zu gehen. Das ist für alle Beteiligten das Beste, glaube mir.“, dann grinst er mich verschmitzt an und ich lächele zurück. Ich habe mich ihm gegenüber wirklich wie ein Neandertaler verhalten. „Tut mir leid“, brumme ich entschuldigen. „Schon gut, ich bin schon einmal mit einem blauen Auge und einer blutigen Nase hier raus gegangen. Dagegen warst du ja noch handzahm.“, gab Flynn mit einem verzeihenden Nicken zurück.
Wir reden noch eine Weile über Belanglosigkeiten, bevor ich mich erhebe und gehe. Ich bin wesentlich ruhiger, aber meine innere Aufruhr ist noch nicht verflogen. Ich bin immer noch sehr durcheinander, kann aber Flynns Rat, segeln zu gehen nicht befolgen, da wichtige geschäftliche Termin auf mich warten.
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Ich setze nachher noch ein Christian - Kap ein.
LG Marit
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