Kates Fluchtpläne
Mit Block und Stift bewaffnet überlegen wir Stunden später, wohin ich, ohne viele Vorbereitungen, gehen kann und wie wir verhindern, dass Christin davon Wind bekommt.
Die Organisation längt mich von meinem Schmerz ab, aber leider nicht lange.
Am nächsten Tag packe ich meinen Koffer. Ich krame alles zusammen, was ich in der nächsten Zeit brauchen würde. Ein paar Jeans, Blusen, Schuhe fertig. In der hintersten Ecke meines Schranks entdecke ich es, sein Jackett. Ich erstarre als ich es sehe, berühre es mit zitternden Händen und schmiege mein Gesicht an den weichen Stoff. Sein Duft haftet immer noch an ihm. Zaghaft stecke ich meine Arme in die viel zu langen Ärmel und wickle den Stoff um mich. „Christian", flüstere ich. Dann sinke ich schluchzend auf den Boden.
Kate rettet mich, als sie vom Einkaufen zurück kommt, zieht mir das Jackett aus und schleift mich in die Küche. Sie hat mir Hühnersuppe mitgebracht. Sie meint, dass ich die wohl bei mir behalten werde. Dazu gibt es einen Tee. Es schmeckt nach Nichts aber ich esse und trinke. Eine halbe Stunde später erbreche ich alles wieder. Ich kann und will nichts bei mir behalten, nur sterben. Ich habe mir etwas vorgemacht, in der Annahme, dass die Zeit und der räumlicher Abstand etwas an meinem Zustand ändern wird. Aber ich habe mich geirrt. Das ist mir in dem Moment klar geworden, als ich heute sein Jackett in den Händen hielt.
Am selben Abend sitze ich auf der geschlossenen Toilette, ein Handtuch über die Schultern gelegt und warte, mit geschlossenen Augen, auf das Geräusch der sich schließenden Schere. Kate steht zwischen meinen Beinen, in der einen Hand eine Haarschneideschere, in der anderen ein Stielkamm. Schnitt, dann fällt die erste Strähne. Ich öffne die Augen, betrachte die auf dem Boden liegenden Haare und fühle nichts, rein gar nichts. Kein Entsetzen oder Verlust der Haarpracht, nichts, nur Gleichgültigkeit. Ich lasse alles wortlos mit mir geschehen. Selbst als meine Haare einen Farbton annehmen, den ich an mir nie ausstehen konnte, reagiere ich nicht. Noch vor einer Woche, wäre dies undenkbar für mich gewesen. Ich hätte mich mit Händen und Füßen gegen diese Prozedur gewährt. Wie schnell sich die Zeiten ändern, denke ich. Kate sagt die ganze Zeit kein Wort, aber ich sehe ihre Tränen, die auf meine Hose fallen.
Am nächsten Tag soll es losgehen. Kate hat wie immer an alles gedacht. Um mir ein wenig Vorsprung vor Christians Männern, zu verschaffen, hat sie mit meiner Kreditkarte ein Flugticket, auf meinen Namen nach Chicago, gebucht, welches ich allerdings nie benutzen werde. Kate würde verkleidet, an meiner Stelle, in Richtung Flughafen fahren und so den Audi, der wie angewachsen vor unserem Haus steht, weglocken. Ich werde hingegen mit dem Bus nach Vancouver fahren. Das Ticket hat am Morgen eine Kollegin von ihr gekauft und bar bezahlt. Von dort aus geht es mit dem Flieger weiter nach New York. Und da würde ich dann untertauchen. Mit dem Geld vom Verkauf meines Käfers, kann ich eine Weile auskommen, ohne meine Kreditkarte benutzen zu müssen.
Kates Plan kann aufgehen. Sie ist fest davon überzeugt, dass es mir nach einigen Wochen, wenn Gras über die Sache gewachsen ist, wieder besser gehen wird. Ich lasse sie in dem Glauben, dass ich zurück kehren werde. Sie weiß nicht, dass wir uns für eine sehr, sehr lange Zeit nicht sehen werden. Ich schon und darum präge ich mir meine liebste Freundin ganz fest ein und verfolge gebannt alle ihre Ausführungen. Ich lächle, als sie mir zum dritten Mal alles erklärt und wiederhole alles wie am Fließband, bis sie sich mürrisch zufrieden gibt.
Mein letzter Tag in Seattle, geht eigentlich ganz normal los. Kate macht Kaffee und Tee, schmiert sich einen Bagel und studiert eine Zeitung. Wir sitzen Stunden in der Küche und erzählen uns alte Kamellen. Kate hat die Fotos von ihrem Urlaub entwickeln lassen und wir machen uns sofort darüber her, als das Päckchen geliefert wird. Sie und Elliot sind wirklich ein tolles Paar und sehen auf den Fotos sehr glücklich miteinander aus. Ich glaube, dass Kate selbst noch nicht begriffen hat, wie verliebt sie in diesen Mann ist. Bei diesem Gedanken, bildet sich ein riesen Kloß in meinem Hals. Ich werde nicht hier sein, wenn sie selbst dahinter steigt und darüber reden will. Mit wem wird sie sprechen? Für sich kann sie es unmöglich behalten. Ich kenne doch Kate. Sie trägt ihr Herz auf der Zunge, schon immer. Ich schlucke und blinzle die Tränen weg, bevor Kate sie sehen kann.
Als Kate am späten Nachmittag auf ihre Uhr sieht, weiß ich, dass meine Zeit gekommen ist. Wir gehen beide in unsere Schlafzimmer, um uns fertig zu machen. Die warme Stimmung ist einer Eiseskälte gewichen. Ich habe Angst, große Angst. Angst, dass etwas schief geht und Angst, vor dem Unbekannten, das mich erwartet. Ich mache Musik an, versuche mich damit abzulenken und ziehe mich an.
Kate wartet schon im Wohnzimmer auf mich. Ich mache große Augen, als ich sie sehe. Sie trägt eine Perücke, mit langen, dunklen Haaren. Dazu hat sie eine meiner Lieblingsjeans an, eine Bluse von mir und meine Converse. Dazu eine Baseballkappe und eine Sonnenbrille. Über ihrem Arm hängt meine blaue Jacke.
Ich fasse es nicht und schüttle ungläubig den Kopf. Sie sieht mir wirklich zum Verwechseln ähnlich. „Danke", flüstere ich, als ich ihr in die Arme falle. „Schhh, es wird alles gut, hörst du? Alles wird gut, Ana. Jetzt machen wir alles wie abgesprochen. Mein Taxi ist gleich da. Ich muss runter. Sobald du in New York bist, schickst du mir eine Nachricht. Ist das klar?", fragt sie mich sehr energisch und hält mich dabei an beiden Schultern auf Armeslänge fest, um mir ernst in die Augen zu sehen. Ich nicke nervös und schlinge meine Arme wieder um ihren Hals. Sie drückt mich fest an sich und murmelt etwas in meine Haare. Dann löst sie sich von mir, nimmt ihren kleinen Koffer und geht, ohne sich noch einmal umzudrehen. Das muss sie nicht. Ich weiß, dass sie weint.
Vorsichtig spähe ich durchs Fenster und beobachte, wie Kates Taxi vor unserer Tür hält und sie blitzartig aus unserem Hauseingang schlüpft und zum Taxi eilt. Als Taylor sie sieht, springt er aus dem Audi und sprintet zu ihr. Aber zu spät. Das Taxi setzt sich mit quietschenden Reifen, wahrscheinlich hat Kate dem Fahrer eine wilde Geschichte über ihren Ex erzählt, in Bewegung. Bevor Taylor mit seinem Audi gewendet hat, ist das Taxi außer Sichtweite. Puh, das hat geklappt, denke ich und atme aus. Erst jetzt bemerke ich, dass ich vor Aufregung, die ganze Zeit die Luft angehalten habe. Jetzt bin ich dran.
Kurze Zeit später hält auch mein Taxi an der gegenüber liegenden Bar. Mein letzter Gedanke, bevor ich gehe, gilt ihm. Lebe wohl Christian.
***
Ich hoffe, der Rückblick gefällt euch, bis hierher. Im nächsten Kap. erfahrt ihr, wie es Ana nach ihrer Flucht, in New York ergeht.
LG Marit
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