Ich bin ein Dad

In Christians Büro, kurz nachdem Ana gegangen ist

Obwohl ich weiß, dass die Worte, die Ana mir vor einigen Sekunden vor die Füße geworfen hat, eine Lüge sind, versetzen sie mich dennoch in Schockstarre. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und nur unter größtmöglicher Anstrengung, kann ich mich zusammenreißen, mein Büro nicht auseinander nehmen.

Ich verstehe Anas Handeln einfach nicht. Ich habe ihre Liebe mir gegenüber gespürt und es in ihren Augen gelesen, als wir uns geliebt haben. Sie hätte nie mit mir geschlafen, wenn ihr Herz einem anderen Mann gehören würde.

Etwas Furchtbares, dass sie während des Telefonates erfahren hat, muss sie zu diesem abrupter Sinneswandel gezwungen haben. Aber WAS hat sie bloß so schockiert, dass sie sich veranlasst sah, mich auf diese Weise von sich zu stoßen? Hat sie wirklich geglaubt, dass ich ihr diese Lüge einfach so abnehmen würde? Mit ihren Worten wollte sie mich verletzen und damit erreichen, dass ich mich endgültig von ihr abwende. Da hat sie sich aber in mir getäuscht. Ich war bereits alarmiert, als sie sich während des Gespräches so merkwürdig verhalten hat. Ihr kläglicher Versuch, ihr Entsetzen vor mir zu verbergen, hat mich stutzig gemacht. Was meine Befürchtungen aber endgültig bestätigt hat, war ihr verzweifelter Blick und die Ausweglosigkeit in ihren Augen.

Ana war so dermaßen aufgewühlt und zittrig, dass ich sie erst nicht gehen lassen wollte. Die Situation ließ mir aber keine andere Wahl. In diesem Gemütszustand hätte ich sie unmöglich aufhalten können, wenn ich es nicht hätte verschlimmern wollen.

Aber es wird nur ein kurzer Aufschub sein, um ihr die Gelegenheit zu geben, sich wieder zu fangen. Spätestens in einer Stunde werde ich hier aufbrechen und zu Kate fahren. Gut, dass Taylor Ana gestern nachhause gefahren hat. So weiß ich wenigstens, wo ich sie finden kann. Und dann will ich Antworten.

Ein kräftiges Klopfen ertönt und im nächsten Augenblick steckt Taylor seinen Kopf durch die Tür. „Kommen Sie, Taylor.", fordere ich ihn auf und winke ihn zu einem Stuhl, vor meinem Schreibtisch. Taylors Blick gleitet überrascht über die zerwühlte Couch und ein verstohlenes Schmunzeln huscht über sein Gesicht, als er begreift, was das zu bedeuten hat. Zum Glück ist er Gentleman genug und geht nicht weiter darauf ein.

„Haben Sie etwas erreicht?", frage ich ihn ungeduldig, als er Platz genommen hat. Taylor zieht die Nase kraus und schüttelt den Kopf.

„Noch nicht, fünf Minuten brauchen wir noch. Darf ich fragen, was passiert ist? Ich habe Miss Steel bei den Aufzügen gesehen. Sie wirkte sehr durcheinander."

„Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten, Taylor. Ich habe keine Ahnung was passiert ist und dass bereitet mir Kopfschmerzen. Deshalb habe ich Sie auch angerufen, als mir an Ana auffiel, wie merkwürdig sie sich auf einmal verhällt. Irgendetwas muss während des Gespräches passiert oder gesagt worden sein, dass sie so aus der Fassung gebracht hat. Und darum muss ich unbedingt wissen, mit wem sie gesprochen hat.", entgegne ich bestimmt.

„Haben Sie jemandem in Verdacht oder ist Ihnen sonst etwas aufgefallen?", erkundigt sich Taylor mit

forschendem Gesichtsausdruck und ignoriert dabei meine gereizte Stimmung.

„Nein nichts, gar nichts! Taylor, wie lange dauert es denn noch?", frage ich ärgerlich, mit blankliegenden Nerven. Unruhig wippe ich mit den Füßen und fixiere unentwegt Taylors Telefon, das zwischen uns auf dem Schreibtisch liegt. Ich habe das Gefühl, schon seit einer Ewigkeit auf die Informationen zu warten, ohne, dass etwas passiert.

Als das Telefon nach einer viertel Stunde endlich klingelt, sehen wir uns kurz in die Augen, dann nimmt Taylor das Gespräch entgegen. Mit gerunzelter Stirn hält er den Hörer an sein Ohr gepresst und konzentriert sich auf das Telefonat. Ab und an nickt er zustimmend, wackelt abwägend mit dem Kopf oder sieht mich prüfend an. Dann beugt er sich vor, nimmt sich Zettel und Stift und schreibt sich einige Notizen auf.

Wie auf glühenden Kohlen sitzend, springe ich auf und gehe hinter meinem Schreibtisch auf und ab. Mit Argusaugen beobachte ich Taylor und beuge mich über ihn, um seine Mitschrift zu lesen. Leider ein unmögliches Unterfangen. Das Gekrakel ist so unleserlich, dass ich nicht eine Silbe entziffern kann, außer irgendwelchen Zahlen. Zum Zerreißen gespannt, trommle ich mit den Fingern auf dem Schreibtisch und warte nervös auf das Ende des Gesprächs.

Als Taylor nach fünf Minuten auflegt, beäugt er seine Aufzeichnungen mit zusammengezogenen Augenbrauen und tippt sich nachdenklich mit dem Ende des Stiftes gegen den Mund.

„Taylor, muss ich erst vor Ihnen auf die Knie fallen, damit Sie mich an Ihren Informationen teilhaben lassen oder wären Sie bitte so nett, mich aufzuklären.", fahre ich ihn ungeduldig an.

„Selbstverständlich Mr. Grey. Ich musste nur einen Gedankengang zu Ende bringen. Tut mir leid.", entschuldigt sich Taylor und sieht zu mir auf. Dabei deutet er auf eine Zahl, auf dem Zettel, die eventuell eine Telefonnummer sein könnte.

„Schon gut. Ich bin nur so besorgt. Bitte entschuldigen Sie, Taylor.", beschwichtige ich ihn, beuge mich wieder über seine Hieroglyphen und fordere ihn mit einer Handbewegung auf, fortzufahren. Taylor nickt und sieht ebenfalls auf das Blatt Papier vor ihm.

„Meiner Meinung nach, haben Sie Recht, Mr. Grey. An der Sache ist etwas faul. Die Informationen, die ich erhalten habe, sind irgendwie merkwürdig. Ich kann keinen Finger darauf legen, aber meine Instinkte warnen mich. Der besagte Anruf kam aus Dover, einem Küstenort in England, von einem nicht registrierten Telefon. Im Moment können wir das Telefon nicht orten. Wir nehmen an, es ist aus oder in einem Funkloch."

„Und diese Nummer hat die ganze Zeit versucht Ana zu erreichen?"

„Nein, eben nicht.", antwortet Taylor skeptisch. „Nur dieses eine Mal. Der Anrufer, der Miss Steel davor mehrmals angerufen hat, war José Rodriguez. Zum Zeitpunkt des Anrufs, hielt der junge Mann sich in Miss Steels Wohnung auf. Vielleicht passt er ja auf ihr Kind auf. Aber das ist nur eine Vermutung. Jedenfalls hat Miss Steel, vor ungefähr zehn Minuten, versucht ihn anzurufen, hat ihn aber nicht erreicht. Sein Telefon scheint ebenfalls aus zu sein. Danach hat sie eine Ärztin, die in London für Ihren Verein und die Klinik tätig ist angerufen. Das Gespräch hat zwei Minuten gedauert. Das ist alles. Weitere Informationen liegen noch nicht vor.", beendet Taylor seine Bericht und legt den Stift auf den Schreibtisch.

„Also haben wir nicht mehr, als eine anonyme Telefonnummer und wahrscheinlich ein Kind mit Bauchschmerzen, dass seine Mutter hören möchte?", frage ich aufgebracht und streiche mir fahrig durch die Haare. Diese Informationen haben uns keinen Schritt weitergebracht. Ich weiß immer noch nicht, wer Ana angerufen hat und das macht mich wahnsinnig.

„Tut mir leid, mehr haben wir im Moment nicht. Ich lasse alle Telefonnummern überwachen. Sobald es etwas Neues gibt, werde ich informiert.", erwidert Taylor aufmunternd.

„Gut, dann fahren wir jetzt zu Ana. Sie wohnt doch bei Kate oder?"

„Ja, ich habe sie gestern jedenfalls bei Miss Kavanagh abgesetzt und sie erwähnte, dass sie während ihres Aufenthaltes bei ihr und Ihrem Bruder bleiben wird."

„Gut dann holen Sie bitte den Wagen. Ich bin in Kürze unten."

Die ganze Fahrt überlege ich fieberhaft, wie ich am besten vorgehe, damit sie sich mir anvertraut. Ich bin nicht bereit, sie gehen zu lassen. Ich will sie nicht schon wieder verlieren. Und ich bin mir sicher, dass es ihr ebenso geht. Warum sollte sie sonst nach Seattle gekommen sein? Nur um sich zu entschuldigen, wie sie selbst meinte? So ein Quatsch! Sie ist wegen mir gekommen und ich werde den Grund dafür erfahren. Dieses Mal werde ich nicht locker lassen, bis ich Antworten habe.

Als wir an Kates und Elliots Wohnhaus ankommen, bin ich sehr nervös. Die Information, die Taylor während der Fahrt erhalten hat, beunruhigt mich noch mehr. Als Ana den Grey Tower verlassen hat, ist sie in ein Taxi gestiegen. Bis jetzt habe ich angenommen, dass sie auf dem Weg zu Kate war, aber als das Handy auf einmal nicht mehr geortet werden konnte, bin ich mir nicht mehr so sicher, dass Ana wirklich hier her wollte.

Taylor und ich steigen aus und gehen über die Straße. Kurze Zeit, nachdem ich geklingelt habe, erklingt Kates fröhliche Stimme in der Wiedersprechanlage.

„Ana, bist du es? Oooooh ich bin so neugierig. Wie ist es gelaufen? Konnte er dir wiederstehen? Ach komm erst mal rauf ja?.... Ana?", fragt Kate auf einmal zögerlich.

„Nein Kate, hier ist Christian. Wieso ist Ana nicht bei dir? Bitte lass mich rein!" Die Botschaft, dass Ana nicht bei Kate ist, trifft mich wie eine Abrissbirne. Ich drücke erneut den Klingelknopf und löse meinen Finger erst, als der Summer ertönt. Auch Taylor zieht ein besorgtes Gesicht, als wir den Hausflur betreten. Im Aufzug zerbreche ich mir den Kopf, spiele die Szene in meinem Büro immer wieder vor meinem Auge ab. Ihre Liebe, ihre Verzweiflung und der Hilferuf in ihren Augen, haben sich fest in mein Innerstes gebrannt. In diesem Moment bin mir sicher, dass etwas existentiell Bedrohliches, vorgefallen sein muss und sie wie gelähmt war vor Angst.

Als wir oben ankommen erwartet uns Kate mit in die Seite gestemmten Händen. Ihr gewölbter Bauch passt dabei überhaupt nicht zu dem mörderischen Blick, mit dem sie mich fixiert. Als die Tür ins Schloss fällt, marschiert sie wild entschlossen auf mich zu und drückt mir ihren Zeigefinger auf die Brust.

„Du! Ich schwöre dir Christian Grey, solltest du wieder Mist gebaut und Ana verletzt haben, werde ich dir die Eier abschneiden. Und jetzt sag mir, wo Ana ist! Ich habe sie heute Morgen vor dem Grey Tower abgesetzt. Hast Du sie etwa wieder abgewimmelt? So ein Schwein kannst selbst du nicht sein! Sie wollte doch nur mit dir reden." Kate schnauft und hält schützend ihre Arme vor ihrem rundlichen Bauch verschränkt. Ihre Gesichtsfarbe ist erschrecken blass geworden und ich mache mir Sorgen, dass sie sich in ihrem Zustand zu sehr aufregen könnte. Eliot bringt mich um, wenn ihr oder dem Baby etwas zustößt.

„Kate, warte doch mal! Setz dich bitte erst einmal hin. Du bist ganz weiß um die Nase.", vorsichtig nehme ich Kates Arm, führe sie zur Couch und warte bis sie sich darauf niedergelassen hat. Dann rufe ich Eliot an und bitte ihn nachhause zu kommen. Er ist zum Glück fast zuhause und wird in fünf Minuten hier sein. Erleichtert atme ich tief durch, gehe kurz in die Küche und hole Kate ein Glas Wasser. Dann setze ich mich ihr gegenüber auf den Sessel.

„Ich weiß nicht wo Ana ist. Ich dachte sie ist hier bei dir.", fahre ich fort.

„Bei mir? Wieso sollte sie? Ana wollte heute unbedingt mit dir sprechen. Hast du sie nun gesehen oder nicht?"

„Ja habe ich. Wir waren zusammen und es war wunderschön. Aber dann kam dieser ominöse Anruf und sie ist überstürzt aufgebrochen. Ich wollte sie zur Rede stellen und sie fragen, was eigentlich los ist und warum sie mir diese fadenscheinige Geschichte von einem anderen Mann erzählt hat, dem ihr Herz gehört. Das nehme ich ihr einfach nicht ab, erst recht nicht, weil wir eine halbe Stunde davor mit einander geschlafen haben. So etwas würde Ana nie tun. Kate, verstehst du Kate, was ich meine?"

„Ich verstehe hier überhaupt nichts mehr. Lass mich kurz zusammenfassen. Ana kommt zu dir ins Büro, um dir endlich etwas Wichtiges zu sagen und du bist einfach über sie hergefallen? Das glaube ich jetzt nicht. Du bist so ein Idiot, Christian Grey!", zischt Kate und wirft mir ein Kissen an den Kopf.

„Wie konntest du nur?", fährt sie mit ihrer Tirade fort und ein zweites Kissen kommt geflogen.

„Kate, ich habe sie nicht gezwungen ok? Es ist einfach passiert. Danach waren wir eigentlich auf dem Weg etwas essen zu gehen. Ana wollte sich unbedingt mit mir unterhalten. Das wurde dann leider durch das Telefonat verhindert. Kate, was ist eigentlich los? Du weißt doch etwas. Warum ist Ana nach Seattle gekommen? Warum wollte sie mich so dringend sprechen? Ist es doch ein anderer Mann? Sollte ich mich so in ihr getäuscht haben?"

„Du bist doch nicht ganz bei Trost, Christian. Ana und ein anderer Mann? Du hast doch keine Ahnung. Sie hat dir wirklich immer noch nichts gesagt oder?"

„Was gesagt, Kate?", bohre ich mit fester Stimme nach.

Als Taylors Handy zu klingeln beginnt, fahre ich zu ihm herum. Er ist an der Tür stehen geblieben und deute mir nun an, das Gespräch vor der Tür entgegen zu nehmen. Ich nicke zustimmend und wende mich wieder Kate zu.

„Was gesagt, Kate?", nehme ich meine Frage wieder auf.

„Ich habe keine Ahnung.", antwortet sie starrköpfig.

„Kate!"

„Maaaaaaann Christian, mach es mir nicht so schwer, okay? Ich habe ihr versprochen nichts zu sagen. Sie wollte es dir alleine sagen. Basta!"

Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie die Wohnungstür aufgeht und Eliot gefolgt von einem sehr grüblerisch dreinblickenden Taylor die Wohnung betritt.

„Mr. Grey, wir haben neue Informationen und die sind nicht gut. Miss Steel befindet sich am Flughafen und besteigt in Kürze eine Maschine nach London. Der Flieger hebt in zwanzig Minuten ab. Und die Ärztin, die Miss Steel vorhin angerufen hat, hat die Nummer des Londoner Notrufs gewählt. Das merkwürdige daran ist, dass sie sich in Miss Steels Wohnung aufhält." Taylor sieht mich eindringlich an. Ich nicke ihm zu und Taylor verschwindet erneut.

„Ohgott", stöhnt Kate mit entsetzter Miene. Eliot setzt sich besorgt zu ihr und zieht sie in seine Arme.

„José sollte auf den Kleinen aufpassen. Es muss in London etwas passiert sein. Anas Sachen sind alle noch hier. Was ist, wenn dem Kleinen etwas zugestoßen ist?", flüstert sie mit zittriger Stimme und Tränen in den Augen.

Kreidebleich lege ich meine Hand auf dem Mund. Kate hat Recht. In London muss etwas Schreckliches passiert sein. Bei dem Gedanken, dass José, was auch immer dieser Mann Ana bedeutet oder ihrem Kind etwas zugestoßen sein könnte, wird mir schlecht. Wieder habe ich die Bilder ihrer Angst und Verzweiflung vor Augen. Sie hatte Angst um ihre Familie und sie hat mir nichts gesagt. Bitte Galle steigt in mir hoch, als ich begreife, dass sie mir nicht vertraut hat. Wie sollte sie auch? Ich habe ihr nie bewiesen, dass ich es Wert bin.

Taylor kommt wieder herein und gibt mir zu verstehen, dass alles erledigt ist.

Dann meldet sich Eliot überraschen zu Wort. „Kate Liebes, du musst es Christian endlich erzählen. Wenn du es nicht tust, werde ich es ihm sagen. Er ist mein Bruder und ich habe schon viel zu lange geschwiegen." Dabei sieht er Kate eindringlich an, bis sie resigniert nickt. Fragend blicke ich zwischen Kate und Eliot hin und her. Jetzt verstehe ich nichts mehr. Es ist mir auch völlig egal, wer von Beiden mir was auch immer sagt. Ich will es jetzt nur endlich erfahren!

„Sagt es mir endlich!", platze ich heraus und starre Eliot herausfordernd an.

„Christian, du musst uns verstehen! Wir wollten Ana immer nur schützen. Das wir dabei mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben, war wirklich nicht unsere Absicht. Es tut uns sehr leid. Eigentlich wollten wir schon längst mir dir reden, aber als Ana dann anrief und uns mitteilte, dass sie nach Seattle kommt, haben wir uns entschieden, nicht dazwischen zu funken. Aber da es nun so aussieht, als wenn in London etwas geschehen ist, dass Anas überstützten Aufbruch zu Folge hat, ist es an der Zeit, dass du alles erfährst." Eliot schluckt schwer und greift nach Kates Hand. Sein schlechtes Gewissen und die Sorge um Ana, sind ihm an der Nasenspitze anzulesen. Dann fast er sich ein Herz und sieht mich wieder an.

„Kate und ich wussten die ganzen Jahre wo Ana ist. Wie hatten ihr versprochen, es für uns zu behalten und als Elena kurz nachdem Ana dich verlassen hat, an Kate herangetreten ist und ihr über deine Neigungen berichtet hat, hat uns das nur noch bestärkt, dir nichts zu sagen."

Bestürzt hebe ich die Hand, um Eliot zu stoppen. Ich will nichts mehr davon hören. Eliots Verrat trifft mich schwer aber nie im Leben glaube ich, dass Elena mich so hintergangen haben soll.

Eliot schüttelt den Kopf. „Lass mich ausreden Christian. Ich bin noch nicht fertig. Du musst die ganze Wahrheit erfahren. Wir wissen jetzt, dass Elena ein sehr mieses Spiel gespielt hat. Sie hat Kate die ganzen Dinge über dich erzählt, um Ana fernzuhalten. Du musst wissen, dass Elena besessen von dir ist und vor nichts zurückschreckt. Sie hat sogar José erpresst, damit er keinen Kontakt zu Ana aufnimmt. Die genauen Hintergründe kenne ich nicht, aber sie hat irgendwelche kompromittierenden Fotos von ihm, die seine Karriere erheblich schaden würden. Das ist alles erst vor kurzem ans Tagesslicht gekommen, als Ana und Elena bei einer von Josés Galerieeröffnung in London aufeinander gestoßen sind. Sie hat Ana gedroht, dass ihr, José oder Kate etwas zustößt, wenn sie wieder Kontakt zu dir aufnimmt. Christian, ich bin mir sicher, dass Elena hinter den Ereignissen in London steckt. Wenn sie herausgefunden hat, dass Ana sich in Seattle aufhält, bin ich mir sicher, dass sie zu allem fähig ist.....Wenn dem Kleinen etwas zugestoßen ist, überlebt Ana das nicht. Sie hat damals kaum die Trennung von dir verkraftet. Der Kleine ist alles was sie hat."

Wie vom Blitz getroffen, springe ich auf und tigere im Wohnzimmer unruhig auf und ab. Kate und Eliot beobachten mich bedrückt, lassen mir aber den Freiraum zum Nachdenken. Wieder und wieder lasse ich mir Eliots Worte durch den Kopf gehen, zerlege die Informationen in einzelne verständliche Häppchen, komme aber immer wieder zu demselben Schluss. Die ganze Geschichte ist so unfassbar absurd, dass ich sie nicht glauben kann. Elena würde mir das nie antun. Sie ist meine Vertraute, der einzige Mensch, den ich an mich heranlasse. Aber ein Blick in die betretenen Gesichter von Kate und Eliot, heben jeden Zweifel auf. So schwer es mir auch fällt, mir das einzugestehen, muss ich der Wahrheit hier und jetzt ins Auge blicken. Elena hat mich die ganze Zeit getäuscht, mich mit ihrer Aufmerksamkeit und Fürsorge eingelullt und um den Finger gewickelt. Und wie intelligent sie ihr Netz dabei um mich gesponnen hat, zeigt sich daran, dass ich nie misstrauisch geworden bin. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, ihr so eine Niedertracht zuzutrauen, was deutlich beweist, dass ich Elena unterschätzt habe und eigentlich überhaupt nicht kenne. Sie ist sehr intelligent, hält sich manchmal selbst für einen Genie aber wie man weiß, liegen Genialität und Wahnsinn sehr oft eng bei einander. Falls sie wirklich hinter allem steckt, kann ich nicht vorhersehen, zu was für Mitteln sie greifen wird, um an ihr Ziel zu kommen.

Einen festen Plan vor Augen wende ich mich an Kate und Eliot.

„Danke, dass Ihr es mir erzählt habt. Wir werden uns später darüber unterhalten. Jetzt kann ich das noch nicht und außerdem haben wir keine Zeit. Mein Flugzeug ist startbereit. Ich werde mich umgehend auf den Weg zu Ana machen. Ich hoffe für uns alle, dass alles in Ordnung ist. Aber eine Frage müsst Ihr mir noch beantworten. Warum ist Ana nach Seattle gekommen?"

Mit großen Augen sehen mich die Beiden an, aber keiner sagt etwas. Genervt verdrehe ich die Augen.

„Und?"

„Ähm,", beginnt Kate zögerlich. „Ana ist gekommen, um sich bei dir zu entschuldigen. Als sie hörte, wie du unter der Trennung gelitten hast, wollte sie unbedingt alles aufklären. Das hatte sie sich eigentlich schon für Euer Treffen in London vorgenommen. Wie das ausging, weißt du ja. Damit wollte sie sich natürlich nicht zufrieden geben. Du kennst sie ja. Jedenfalls hat sie dann daheim alles stehen und liegen lassen und ist hergeflogen."

„Das ist alles? Sie hat einen mehrstündigen Flug auf sich genommen, eine mehrtätige Trennung von ihrem Sohn und das alles nur, um sich bei mir zu entschuldigen? Das kannst du mir nicht weiß machen. Nun rück schon raus mit der Sprache, Kate!", fordere ich sie barsch auf und bleibe abwartend vor ihr stehen.

„Also gut. Christian.", antwortet Kate geschlagen. „Ana ist gekommen, um dir zu sagen, dass sie nie aufgehört hat an dich zu denken. Und sie wollte dir auch mitteilen, dass sie einen Sohn hat.", fährt sie mit zaghafter Stimme fort. Ich unterbreche sie, weil ich das alles längst weiß. Wenn das wirklich alles sein sollte, was Ana mir zu sagen hat, kann ich mit ihr in London darüber sprechen. Jede Minute, die ich früher am Flughafen bin, zählt.

„Kate, ich weiß bereits, dass Ana einen Sohn hat und dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gibt oder gab. Das ist mit einerlei. Ich will nur, dass es ihr und ihrem Sohn gut geht. Das ist für mich im Moment das Wichtigste."

Kate sieht mich mit großen Augen ungläubig an „Ich glaube du verstehst mich nicht, Christian. Ana liebt Dich. Sie war bei dir, um es dir zu sagen. Es gab nie einen anderen Mann und wird es für sie auch nie geben. José und sie waren immer nur Freunde. Er sollte, bis sie zurück kommt, auf den Kleinen aufpassen, mehr nicht. Christian verstehst du immer noch nicht? Anas Kind ist dein Sohn!"

Erwartungsvoll sieht Kate mich mit mitfühlendem Blick an und steht langsam auf. Eliot tut es ihr gleich und hält sie an der Taille fest umklammert. Sein Blick ist wachsam, so als wäge er ab, ob ich in der nächsten Sekunde ausflippe. Davon bin ich aber meilenweit entfernt. Der Schock sitzt viel zu tief, denn dieser Stich hat mich sehr schwer getroffen und die Klinge steckt noch mitten in der Wunde. So tief, dass ich schwankend stehen bleibe und mich haltsuchend am Sessel abstütze. Noch vor zehn Minuten hätte ich schwören können, dass mich nichts stärker treffen könnte, als der Verrat von Eliot und Elena. Ich habe mich geirrt. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und schüttle den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden.

„Wie bitte?", frage ich mit brüchiger Stimme.

„Es ist deine Sohn und er heißt Christian."

Taylor versucht sich unsichtbar zu machen. Aber ich sehe, dass er mich besorgt betrachtet. Mit zitternden Knien, gehe ich um den Sessel herum uns setze mich vorsichtig hin. Ich muss wohl sehr elend aussehen, denn Kate setzt sich zu mir auf die Lehne und nimmt meine Hand. „Christian geht es dir gut? Ich weiß, dass es für dich sehr überraschend ist und es stand mir eigentlich nicht zu, es dir zu sagen aber Ana braucht jetzt unsere Hilfe."

„Wie kann das sein?", frage ich verwirrt und reibe mir mit einer Hand über das Gesicht. Dann entziehe ich Kate meine andere Hand und stehe wieder auf. Ich muss mich bewegen. Im Sitzen kann ich einfach nicht denken.

Die Blicke der anderen auf mir spürend, nehme ich meine Wanderung im Wohnzimmer wieder auf und zerbreche mir fieberhaft den Kopf. Irgendwie wird es mir hier in der Wohnung auf einmal zu eng. Ich komme mir vor, wie ein gejagtes Tier, in die Enge getrieben. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich habe das Gefühl zu ersticken.

Elliot versperrt mir den Weg zur Tür. „Du bleibst jetzt hier und läufst nicht vor der Realität davon, ob sie dir nun gefällt oder nicht." Dann erscheint Kate hinter ihm und hält mit ein Buch entgegen.

„Es lag bei Anas Sachen. Sieh es dir an Christian."

Stirnrunzelnd betrachte ich ihre ausgestreckte Hand und das Buch darin. Als es Kate zu lange dauert, drückt sie mir das Buch einfach in die Hand, schnappt sich Eliot und verschwindet mit ihm in der Küche.

„Du kannst auch in Anas Zimmer gehen, wenn du es dir in Ruhe ansehen willst.", ruft Kate, bevor sie in der Küche verschwindet.

Wie magisch angezogen, betrete ich das Gästezimmer und lasse mich auf das Bett nieder. Es riecht ganz leicht nach Ana. Tief nehme ich ihren Geruch in mich auf und schaue auf das Buch auf meinem Schoß. Es ist ein in ledergebundenes Baby Buch.

Ich habe Angst das Buch zu öffnen. Was erwartet mich? Vorsichtig streiche ich über das weiche Leder und öffne mit zittrigen Fingern den Einband.

Der Anblick der ersten Innenseite, treibt mir die Tränen in die Augen. Ich schlucke schwer und lese.

Mein Baby Buch

Ich heiße: Christian

Tag meiner Geburt: 15.02.2012

Ich habe das Licht der Welt erblickt um: 01:35 Uhr

Geburtsort: London

Größe: 48 cm

Gewicht: 2450 g

Das Kreissaal-Team wünscht Ihnen und Ihrem Nachwuchs alles Gute und viel Glück.

Darunter sind zwei kleine Fußabdrücke und eine aufgeklebte Haarlocke. Nur mit Mühe kann ich die Tränen wegblinzeln, als ich die Haarfarbe erkenne und die Locke sacht berühre. Der kleine Kerl hat meine Haare. Wieder schlucke ich und streiche noch einmal ehrfürchtig über den weichen Flaum. Behutsam blättere ich weiter. Und endlich sehe ich ihn... meinen kleinen Jungen. Es ist ein wunderschönes Bild von Ana mit Christian in ihren Armen. Ein Bild, das mich lächeln und gleichzeitig die Augen brennen lässt. Ein Bild voller Glück und Traurigkeit. Ein Bild voller Einsamkeit.

Aufgewühlt schlage ich das Buch zu und drücke es mir an die Brust. Mit den Gefühlen, die mich übermannen, kann ich nicht umgehen. Ich schlucke und schlucke und doch kann ich die Tränen nicht aufhalten. Ich bin wirklich ein Dad, Christians DAD! Mein Sohn ist schon drei Jahre alt und er heißt Christian, wie sein Dad.

Das Buch fest in meinen Händen, lege ich mich auf das Bett. Ich möchte Ana in diesem Moment einfach näher sein. Dann schlage ich das Buch wieder auf. Ich will alles sehen, will meinen Sohn kennenlernen und alles über ihn erfahren.

Auf den nächsten Seiten finde ich weitere Bilder von Christian und Ana. Erst als Säugling. Meine Güte, war er klein, dann beim Krabbeln, eins auf dem er lacht und man seine zwei ersten Zähne sehen kann und dann eins, auf dem er seine ersten Schritte macht. Mein Herz zieht sich bei dem Anblick zusammen. Ich habe so viel verpasst und er ist so wunderschön, so schön, wie seine Mommy. Er hat Anas Augen und ihre zierliche Nase und ihre kleinen Ohren.

Auf einem weiteren Bild, hält Ana ihn in ihren Armen. Sie sieht glücklich aus. Ich blättre weiter und finde eine Seite, auf der die Eltern etwas über sich berichten. Nur auf einer der beiden Seiten steht etwas und das ärgert mich. Ich bin schon in Versuchung, einen Stift zu nehmen und die Angaben meiner Seite zu ergänzen, halte mich aber zurück, da ich es richtig machen möchte, denn auch auf Anas Seite gibt es erhebliche Fehler, die dringend korrigiert werden müssen. Eine Kathrin Morgan wird es nicht mehr geben.

Es dauert noch eine viertel Stunde, bis ich mir jede Seite angesehen habe. Um die Eindrücke zu verarbeiten, bleibe ich noch einen Augenblick liegen. Ich weiß, es ist Eile geboten. Aber es ist alles so neu für mich und alles Neue macht mir normalerweise Angst. Aber es ist keine Angst, die mein Herz so schnell in meiner Brust pochen lässt, es ist Hoffnung und Liebe.

Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, wische ich mir verstohlen eine Träne mit dem Handrücken weg. Elliot und Kate haben mich noch nicht bemerkt. Sie sitzen bei einem Tee und unterhalten sich leise. Als Eliot mich entdeckt, springt er besorgt auf. Mit einem schüchternen Lächeln gehe ich auf ihn zu und umarme ihn. „Danke mein Bruder." Dann umarme ich auch Kate.

„Kate, kann ich das Buch mitnehmen? Ich möchte es nicht mehr hergeben. Ich werde es Ana zurückgeben, sobald ich sie sehe.

Eliot und Kate starren mich an, als wären mir zwei Hörner gewachsen. Mit so einem, für mich unüblichen Gefühlsausbruch, haben sie wohl nicht gerechnet. Ich grinse verschmitzt.

„Äh... ja klar, nimm es mit.", stammelt sie.

„Okay, wir müssen jetzt los. Ich melde mich, sobald ich weiß, was in London passiert ist. Wenn Ana sich meldet, sag ihr, dass ich auf dem Weg zu ihr bin und sie sich keine Sorgen machen soll."

Die Verabschiedung geht sehr schnell. Ein kurzes Schulterklopfen von Eliot und ein Kuss auf die Wange von Kate. Bevor ich die Tür hinter mir schließe, lächle ich noch einmal und nicke dankbar.

Die Maschine wartet bereits auf uns. Wenn ich bedenke, dass ich jetzt für Stunden in diesem Flugzeug festsitze, wird mir angst und bange. Ich hoffe, unsere Leute in London können in der Zwischenzeit etwas in Erfahrung bringen. Solche erdrückende Lähmung, wie ich sie jetzt verspüre, hatte ich noch nie. Nicht einmal in meiner schlimmsten Kinderzeit, habe ich solche Furcht verspürt.

In Gedanken verspreche ich meinem Sohn, ihm ein guter Dad zu sein. Ich liebe ihn bereits jetzt. Mit dem Buch fest umklammert in den Händen, heben wir ab in Richtung London.


***

Hallo liebe Leserinnen,

ich möchte mich zwischendurch mal bedanken, für die vielen Votes und Kommentare. Ich versuche ja immer alle zu beantworten. Beim letzten Mal, muss etwas schief gelaufen sein. Die Hälfte meiner Antworten sind einfach verschwunden. Bitte entschuldigt. 

Ich hoffe, dass Kapitel hat euch gefallen. Auch wenn ich anscheinend nicht jedermanns Geschmack treffe, freue ich mich wie immer auf eure Meinung.

Ganz liebe Grüße

Marit


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