Heftige Euphorie vs. gestorbene Hoffnung

Liebe Leserinnen,

heute ist der erste Tag, seit meinem letzten Posting, dass ich auf dieser Seite bin. Ich habe Tränen in den Augen, wenn ich lese, dass sich so viele von Euch, Sorgen um mich gemacht haben. Mir geht es wirklich nicht so gut. 

Vor einigen Wochen, habe ich einen sehr wichtigen Menschen verloren. Er war mit seinem Motorrad unterwegs und kam nicht wieder... 

Dieser Mann war mir so wichtig, dass ich für ihn vor Jahren ein Gedicht geschrieben habe. Vielleicht haben es ja einige von euch hier gelesen. Jedenfalls ist er jetzt fort und ich war einige Zeit nicht in der Lage, auch nur eine vernünftige Zeile zu schreiben. Heute habe ich mich mal wieder herangewagt und hoffe, dass noch nicht so viele von Euch abgesprungen sind.

Vielleicht lest Ihr euch das vorherige Kapitel noch einmal durch, damit man den Verlauf wieder im Kopf hat.

Liebe Grüße

Eure Marit


***

Mitten im Restaurant, die Blicke der anderen Gäste auf mir spürend, stehe ich wie angewurzelt und bin nicht in der Lage mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Mit offenem Mund starre ich auf die Tür, durch die Christian verschwunden ist und wünsche verzweifelt, dass sie sich öffnet, Christian im Türrahmen erscheint und zu mir zurückkommt.

Erst als mich ein Kellner anspricht und sich erkundigt, ob alles in Ordnung ist, komme ich schlagartig wieder zur Besinnung. Voller Entsetzen, stottere ich eine Entschuldigung, lege 20 £ auf unseren Tisch und stürme aus dem Restaurant. Es ist bereits dunkel, als ich auf die Straße trete und auch wenn ich weiß, dass Christian lange fort ist, blicke ich mich in der Hoffnung um, ihn doch zu entdecken. Leider vergebens. Lediglich eine alte Frau, die ihren betagten Hund ausführt, spaziert die Straße herunter.

„Mist, Mist, Mist!", fluche ich und stampfe wütend mit dem Fuß auf. Dabei lenke ich erneut die Aufmerksamkeit der Restaurantgäste auf mich, die mich mitleidig betrachten. Sollen sie doch, denke ich und zucke trotzig mit den Schultern. Das ist mir einerlei. Meinetwegen können sie sich über mich lustig machen, denn ich habe es nicht anders verdient!

Wie konnte ich nur so dämlich sein und Christian einfach gehen lassen? Ich habe doch von Anfang an gewusst, dass es nicht einfach werden wird. Was habe ich denn erwartet? Es ist doch Christian und ich hätte genau auf diese Reaktion vorbereitet sein müssen. Gut, im ersten Moment habe ich nur die unfassbare Anziehungskraft gespürt, die von ihm ausging. Aber spätestens als er sich innerlich zurückzog, hätte ich handeln müssen.

In dem ich wieder in meine alten Verhaltensmuster zurück gefallen bin, einfach hinzunehmen, was geschieht, habe ich es so richtig vermasselt. Diese Eigenschaft, von der ich mir sehnlichst wünsche, sie endlich hinter mir zu lassen, hat dafür gesorgt, dass ich wütend und mutterseelenalleine mitten in der Londoner Innenstadt stehe und nicht weiß, was ich jetzt machen soll.

Von weitem sehe ich ein Taxi herannahen. Bevor ich groß nachdenke, stelle ich mich mitten auf die Fahrbahn und wedele mit beiden Armen. Das Taxi wird langsamer und kommt schließlich neben mir zu stehen. Über so viel Leichtsinnigkeit schüttelt der Fahrer leicht ungehalten den Kopf, lächelt mich aber warmherzig an, als ich in sein Auto springe. Obwohl ich viel zu aufgewühlt bin, schaffe ich es sein Lächeln zu erwidern und lasse mich in die Polster sinken.

Der Fahrer erkundigt sich, wohin es geht und schon eine viertel Stunde später stürze ich in die Empfangshalle des Mondrian, dem Hotel, in dem Christian während seines Aufenthaltes in London abgestiegen ist.

Im Hotel werden meine Hoffnungen, Christian hier anzutreffen, schnell zunichte gemacht. Eigentlich ist die freundliche Dame an der Rezeption nicht berechtige mir Auskunft über einen Gast zu erteilen. Aber mein gehetzter Blick und die Verzweiflung die sich darin spiegelt, lässt sie einknicken. Sie teilt mir hinter vorgehaltener Hand mit, dass Christian vor einer viertel Stunde telefonisch ausgescheckt hat und sich seine persönlichen Sachen nachschicken lässt.

Fassungslos nehme ich die Informationen zur Kenntnis und sacke innerlich zusammen. So etwas in der Art habe ich schon befürchtet. Es muss Christian wirklich sehr zu schaffen machen, wenn er nicht einmal mehr im Hotel vorbei gefahren ist, um seine Sachen zu holen. Vielleicht ist der von mir eben gefasste Plan, Christian zur Rede zu stellen, doch keine so gute Idee? Gedankenverloren nage ich auf meiner Unterlippe und starre Löcher in die Luft.

Die Dame tätschelt mir aufmunternd die Hand und wendet sich dann einem anderen Gast zu, der nun ihre ganze Aufmerksamkeit fordert.

Hier werde ich ihn also nicht antreffen, denke ich, als ich ihr dankbar zunicke und schnellen Schrittes das Hotel verlasse. Eine innere Panik befällt mich, dass ich Christian heute Abend das letzte Mal gesehen habe. Ich laufe zu meinem Taxi, das zum Glück auf mich gewartet hat und fahre, neue Pläne schmiedend, nachhause.

Wenn Christian der Meinung ist, dass er sich mir entziehen kann, in dem er nach Seattle zurück fliegt, hat er sich getäuscht. Das kann und werde ich nicht akzeptieren. Ich werde dafür sorgen, dass er mich anhört, auch wenn ich dafür nach Seattle fliegen muss. Wenn der Sturkopf dann immer noch der Meinung ist, dass es für ihn und mich zu spät ist, werde ich ihn gehen lassen. Bis dahin werde ich kämpfen. Für ihn, für unseren Sohn und auch für mich.

Zuhause angekommen, erwartet mich ein neugieriger José, der mit erstem Blick auf mich herabschaut. Als er an meinem zerknirschten Gesichtsausdruck sieht, dass der Abend nicht so verlaufen ist wie erhofft, zieht er eine mitfühlende Grimasse und zerrt mich in seine Arme. Dann schiebt er mich ins Wohnzimmer und setzt sich mit mir im Arm auf die Couch. Er breitet eine Decke über uns aus und streicht mir, wie bei einem Kind, beruhigend über den Rücken. Ich seufze. Für einen Moment lasse ich mich fallen, schließe die Augen und gebe mich dem Gefühl der Geborgenheit hin. Josés Nähe ist warm und tröstend. Er ist mein Fels in der Brandung und es ist beruhigend ihn um mich zu haben.

Ich weiß, dass er sich Sorgen macht, mich aber nicht drängen wird zu reden. Dennoch kann ich seine Ungeduld deutlich spüren, als er neben mir zu zappeln beginnt.

Also setze ich mich auf und berichte José in Kurzfassung, warum ich so früh wieder zuhause bin und was sich den Abend ereignet hat. José macht große Augen, springt entsetzt auf und durchmisst das Zimmer mit großen Schritten. Bei den derben Flüchen, die er dabei ausstößt, kneife ich unweigerlich die Augen zusammen und versuche ihn zu beruhigen. José macht sich laut Luft und prangert Christians fehlende Geschlechtsteile an, was mich dann doch zum Schmunzeln bringt. Für seine Loyalität mir gegenüber, liebe ich ihn. Lächelnd halte ich ihn auf und kuschele mich wieder in seine Arme. José hält mich fest an sich gedrückt, legt sein Kinn auf meinen Scheitel und kommt langsam wieder zu Ruhe.

Nachdem Josés Herz wieder einen normalen Rhythmus angenommen hat, setzen wir uns wieder. José erzählt mir, wie Christian jun. und er den Abend verbracht haben. Es scheint gut geklappt zu haben, da die Wohnung noch steht und mein kleiner Sonnenschein friedlich in seinem Bettchen schläft. Ich lächle und freue mich, dass die Beiden so gut zurechtkommen.

Als mein Blick auf meine Uhr fällt, ziehe erschrocken die Augenbrauen hoch. Wir haben uns verquatscht. Ich habe noch etwas zu erledigen, also erhebe ich mich, gebe dem etwas verdutzt dreinblickenden José einen Gutenachtkuss und ziehe mich in mein Schlafzimmer zurück. Ich muss mit Kate telefonieren.

Dieses Gespräch fällt mir schon schwerer, da ich ihr immer noch nicht verziehen habe. Um meinen Plan aber in die Tat umzusetzen, brauche ich ihre Unterstützung. Ich vertraue meinem Bauchgefühl und schlucke die Zweifel herunter.

Als sie überrascht abnimmt, lasse ich ihr keine Zeit für Entschuldigungen. Die habe ich im Moment einfach nicht. Ich benötige ihre volle Aufmerksamkeit und komme sofort zum Punkt. Ich berichte auch ihr was passiert ist und weihe sie in meinen Plan ein und welche Rolle ihr dabei zugedacht ist. Ich höre wie Kate ein Stein vom Herzen fällt, als ich sie ins Vertrauen ziehe. Sie ist sofort Feuer und Flamme und verspricht Christian im Auge zu behalten, sobald er wieder in Seattle ist.

Es passt so gar richtig gut, da sie fast jeden Tag mit Grace, wegen ihrer Hochzeitsplanung, verabredet ist. Da sollte es nicht auffallen, wenn sich Kate ganz beiläufig nach Christian erkundigt. Vielleicht hat sie ja sogar das Glück, ihn persönlich bei seinen Eltern anzutreffen. Sollte dies der Fall sein, wird sie sich ihm gegenüber aber bedeckt halten und mich verständigen. Kates wichtigste Aufgabe ist es aber, auf jede von Elenas Reaktionen zu achten. Sobald sich diese Frau nicht mehr in Sicherheit wiegt, kann es gefährlich werden. Und, dass irgendjemand zu Schaden kommt, möchte ich unbedingt vermeiden.

Wir verabreden uns für übermorgen. Kate wird mich vom Flughafen abholen. Die Zeit während meines Aufenthaltes werde ich bei ihr und Eliot unterkommen. Darauf ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen freue ich mich schon sehr, hoffe natürlich auch unsere Differenzen begraben zu können. Es wäre sehr schade, wenn wir das nicht wieder gerade biegen können. Aber so wie sich Kate anhört, ist auch ihr sehr daran gelegen.

Als wir auflegen, bin ich erleichtert und schrecklich müde. Ich schaffe es nicht einmal mehr ins Bad, drehe mich nur noch um und kuschle mich in Christians Jackett.


Zur selben Zeit in Christians Flugzeug, auf dem Rückflug von London nach Seattle.

„Taylor, am liebsten würde ich Sie umbringen! Wie konnten Sie nur? Und erzählen Sie mir nicht, Sie hätten sie nicht erkannt! Oooooh verdammt! Können Sie jetzt endlich den Mund aufmachen? Ich platze wenn Sie noch länger schweigen!", wutschnaubend fahre ich mir durchs Haar und blicke ihn hasserfüllt an. Taylor reagiert überhaupt nicht auf meine Tirade, ignoriert mich sogar. Seelenruhig lässt er die Beschimpfungen über sich ergehen, setzt sich auf seinen Platz und schnallt sich an. Fassungslos sehe ich ihm dabei zu, wie er es sich bequem macht und auf den Start wartet.

Seine Gleichmütigkeit bringt mich an den Rand der Selbstkontrolle. Um Beherrschung ringend tigere ich auf dem schmalen Gang des Flugzeuges auf und ab und versuche mich damit zu beruhigen, dass ich nur unter Schock stehe und bald wieder einen klaren Blick auf die Dinge habe.

„Nein", ertönt so plötzlich Taylors Antwort, dass ich zusammenzucke. Im Gegensatz zu meiner, klingt seine Stimme ruhig und besonnen. Mit drei Schritten stehe ich vor ihm.

„Was nein?", fahre ich ihn aufgebracht an.

„Ich habe sie erkannt.", antwortet er und wendet sich von mir ab, um sein Handy auszuschalten.

„Und?", frage ich kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehend.

„Nichts und.", erwidert Taylor einsilbig.

„Ach ja?", brülle ich. „Und warum haben Sie mich nicht informiert? Es wäre Ihre verdammte Pflicht gewesen! Stattdessen lassen Sie mich ins offene Messer laufen. Ich stand da wie ein dummer Schuljunge. Sie hätten doch wissen müssen, dass ich sie nicht sehen will."

„Mr. Grey, jetzt beruhigen Sie sich! Miss Steele stand auf einmal vor mir und hat mich gebeten, sie zu Ihnen zu lassen. Und da von ihr ja wohl keine Gefahr ausgeht, bin ich ihrer Bitte nachgekommen. Wie hätten Sie denn reagiert, wenn ich sie weggeschickt hätte?" Taylor schüttelt missbilligend den Kopf, löst seinen Gurt und steht auf.

„Schluss jetzt!", brummt er in scharfem Ton, der keine Wiederrede duldet. Dann schiebt er mich rückwärts zu meinem Sitz, in den ich recht unsanft hineinplumpse.

„Wir können später, wenn Sie wieder runter gekommen sind, weiterreden. Jetzt bleiben Sie hier sitzen, bis wir in der Luft sind. Sollten Sie auch nur einen Mucks von sich geben, schlage ich Sie Ko. Versanden?"

Er wartet meine Antwort nicht ab, marschiert zurück zu seinem Sitz und schnallt sich wieder an. Sprachlos starre ich ihm mit offenem Mund hinterher und bemerke zu meinem Erstaunen, dass seit dem Taylor mir den Scheitel gezogen hat, meine Wut fasst verraucht ist. Ich will noch etwas sagen, ihm danken, dass er mich geerdet hat, verkneife es mir aber, als ich seinen mahnenden Gesichtsausruck sehe. Also ziehe ich vorerst den Schwanz ein, schnalle mich an und blicke aus dem Fenster.

Ich weiß, ich habe mich ihm gegenüber wie ein Arschloch benommen. Eigentlich muss ich ihm dankbar sein. Schließlich war er es der mich drei Straßen vom Restaurant entfernt eingesammelt hat. Nach dem Wiedersehen mit Ana, war ich so verstört, dass ich ohne nachzudenken einfach losgelaufen bin. Taylor bugsierte mich mit sorgenvoller Miene auf den Rücksitz und organisierte in wenigen Minuten unsere Rückreise.

Es dauert doch länger als gedacht, bis unser Flug die Startfreigabe erhält. Da es sich um einen außerplanmäßigen Start handelt, müssen wir warten. Die Zeit nutze ich, um mir von der Flugbegleiterin ein Glas Brandy reichen zu lassen. Gedankenverloren schwenke ich das Glas und lasse den guten Tropfen atmen.

Immer wieder lasse ich mir die vergangenen Stunden durch den Kopf gehen, ohne wirklich begreifen zu können, was eigentlich geschehen ist. Die Erinnerungen scheinen wie von einem Nebel überzogen zu sein. Eigentlich kann ich mich nur noch an Anas wunderschöne Augen, ihren blonden Schopf und den Namen auf ihrer Mappe erinnern. >Kathrin Morgan< Was hat das zu bedeuten? Irgendwo in meinem Hinterstübchen kenne ich die Antwort bereits, will sie mir aber nicht eingestehen, denn das würde bedeuten, dass Ana...

Bevor ich groß darüber nachdenke, wähle ich Welchs Nummer. Mir brennt eine Frage unter den Nägeln, die ich unbedingt beantwortet wissen will. Eigentlich fürchte ich mich vor der Antwort, aber es führt kein Weg daran vorbei. Ich muss es wissen, auch wenn diese Information mich mitten ins Herz treffen wird.

Welch nimmt sofort ab. Ich höre die Erleichterung ins seiner Stimme. Er hat bereits selbst versucht, mich vor dem Treffen mit Kathrin Morgan zu erreichen. Als Welch mir meine Befürchtungen bestätigt, bildet sich ein dicker Kloß in meiner Kehle. Ich schlucke verzweifelt und versuche das Brennen in meinen Augen zu ignorieren. Welch spricht weiter aber ich höre es nicht mehr. Das Telefon gleitet aus meiner Hand und fällt mir einem dumpfen Knall zu Boden.

Jeder Hoffnung mit einem Mal beraubt, lasse ich meine Kopf an den Lehne sinken, wische mir die Tränen von den Wangen und lasse mich vom Schmerz überrollen. Ich kann es ohnehin nicht aufhalten, also warum dagegen ankämpfen? Woge um Woge spült über mich hinweg und nimmt jeden Funken Lebenswillen mit sich, bis ich nur eine leere Hülle zurückbleibt.

Die letzten drei Jahre waren die schlimmsten meines Lebens. Aus Sorge um Ana, bin ich fast umgekommen. Nie hätte ich geglaubt, dass mich etwas tiefer treffen wird, als Anas Verlust. Ich habe mich geirrt.

Ana ist Kathrin und Kathrin hat ein Kind. Dieser Fakt schießt mir immer wieder durch den Kopf. Ich kann ihn nicht ertragen, winde mich und merke, wie mir die Galle aufsteigt.

Während ich dahinvegetierte wie ein Zombie, hat sie ein glückliches Leben geführt. Diese Erkenntnis soll mich eigentlich beruhigen, denn nichts anderes habe ich mir für sie gewünscht. Aber der Gedanke, dass sie mit einem anderen Mann zusammen war und mit ihm ein Kind gezeugt hat, zerreißt mich innerlich. Es hätte mein Kind sein sollen, MEINS!

In Seattle angekommen, lasse ich mich von Taylor zu meinen Eltern fahren. Auch wenn ich erschöpft bin, denn es war der längste Flug meines Lebens, kann ich jetzt nicht alleine sein. Die Einsamkeit kann ich nicht ertragen.

Zum Glück sind sie zu Hause. Meine Mutter erkennt meinen Gefühlszustand sofort und nimmt mich in die Arme. Dafür liebe ich sie. Sie weiß mit einem Blick, wie es in mir aussieht.

Als ich höre, dass sie Besuch hat, will ich mich sofort zurückziehen. Nach Unterhaltung steht mir wirklich nicht der Sinn. Da erscheint Kate in der Küchentür und starrt mich an. Ihr ertappter Gesichtsausdruck zeigt deutlich an, dass sie bereits mit Ana gesprochen. Wahrscheinlich hat sie die ganze Zeit Bescheid gewusst.

Dieser mitleidige Blick, den Kate mir zuwirft, ist ja nicht auszuhalten. Die letzten drei Jahre hat sie sich nicht dafür interessiert, wie es mir geht. Meine Verfassung kann ihr unmöglich entgangen sein. Aber so wie ich Kate einschätze, hat sie sich über den liebeskranken Christian köstlich amüsiert. Ich war ihr schon immer ein Dorn im Auge, wenn es um Ana ging. Dann geht diese Schlacht ja wohl eindeutig an sie. Diese Niederlage werde ich aber nicht so einfach einstecken. Erst recht nicht, da mein Bruder vor hat, diese oberflächliche Frau zu ehelichen. Das werde ich zu verhindern wissen. Wer weiß schon, wer der Vater ihres Kindes ist? Dieser Person traue ich alles zu.

Kate ist die Situation unangenehm. Sie macht Anstalten zu gehen, aber so einfach kommt sie mir heute nicht davon. Sie hat sich drei Jahre an meinem Leid gelabt, dann hält sie auch noch einige Sekunden länger aus.

„Hallo Kate", begrüße ich sie müde und setze mich an den Küchentisch, auf dem bereits ein Glas Orangensaft auf mich wartet. Ich nehme einen großen Schluck, behalte das Glas danach in der Hand und betrachte die Flüssigkeit, während ich fortfahre. „Wie ich sehe, bist du schon im Bilde. Du musst Ana nicht länger decken. Dazu besteht keine Veranlassung mehr. Weißt du, es war sehr schwer für mich zu akzeptieren, dass sie mich nicht mehr will. Das zu verstehen, hat mich drei Jahre meines Lebens gekostet. Es war ein sehr bitterer Weg für mich, damit zurechtkommen." Ich stocke als meine Stimme zu beben beginnt. Ich bin noch nie ein Mensch großer Worte gewesen und es fällt mir nicht leicht über meine Gefühle zu sprechen. Wenn ich die Vergangenheit aber endlich hinter mich bringen will, muss ich das hier zu Ende bringen.

„Mit eurer letzten Aktion, seid ihr aber zu weit gegangen, Kate. Mir ist bewusst, dass du keine besonders gute Meinung von mir hast und ich daran selbst die Schuld trage. Aber irgendwann ist auch meine Geduld am Ende. Dieses Spielchen werde ich nicht mitspielen und ich muss zugeben, dass ich es nicht einmal verstehe. Du musst wissen, dass die Ungewissheit über Anas Verbleib, sehr schmerzhaft für mich war und ich sehr darunter gelitten habe. Jetzt weiß ich, dass es Ana gut geht und kann endlich mit dem Kapitel meines Lebens abschließen. Bitte richte ihr aus, dass sie keine Angst um ihren Job haben muss. Ich habe nicht vor, sie zu feuern. Sie macht einen tollen Job in London. Aber sage ihr bitte auch, dass ich sie nicht wiedersehen will und dass ich ihr und ihrer Familie viel Glück wünsche. Ich werde sie nie vergessen." Tränen schimmern in meinen Augen. Eigentlich will ich noch viel mehr loswerden, denn das eben gesagte ist nur ein Bruchteil von den tiefen Gefühlen, die in mir toben. Es wollen aber keine Worte mehr über meine Lippen, denn diese Empfindungen, die mein Herz überquellen lassen, werden sich nie in Worte fassen lassen. Ich weiß nur eines und das ganz sicher. Ich liebe Ana und daran wird sich nie etwas ändern.

Als ich aufblicke stehen Kate und meiner Mutter Tränen in den Augen. Ich zwinge mir ein verkniffenes Lächeln ab und stehe auf. Ich habe mich doch entschlossen nachhause zu fahren. Die Einsamkeit ist heute doch die bessere Gesellschaft.

Kate passt mich an der Tür ab. „Christian, du verstehst das ganz falsch. Bitte bleibe noch, wir müssen reden." Kates Tränen rinnen die Wangen herunter und hinterlassen schwarze Spuren. Wenn ich sie nicht besser kennen würde, könnte ich ihr fast glauben, dass es ihr Leid tut. Sie hätte Schauspielerin werden sollen.

„Es gibt nichts mehr zu sagen. Ich fahre jetzt nachhause. Das solltest du besser auch tun, Kate. Du siehst nicht gut aus."

Meine Mutter sieht fassungslos zwischen Kate und mir hin und her. Ihr ist anzusehen, dass sie nur sehr langsam zu begreifen scheint, was hier los ist. Bevor sie anfängt Fragen zu stellen, die ich im Moment unmöglich beantworten kann, ziehe ich sie in meine Arme und trockne ihre Tränen mit meinem Hemdsärmel. Mein Taschentuch liegt wahrscheinlich noch im Flieger.

„Mir geht es gut, Grace. Mach dir bitte keine Sorgen. Ich fahre doch lieber nachhause. Ich muss jetzt alleine sein. Ich rufe dich morgen an. Ok?" Sie nickt und lächelt mich liebevoll an. Dann streicht sie mir die Haare aus dem Gesicht und küsst mich auf die Wange.

„Ja, wir hören uns morgen. Schlaf gut, mein Junge."

„Ana liebt dich. Sie hat dich immer geliebt, Christin. Bedeutet es dir das denn überhaupt nichts mehr?", kreischt Kate auf einmal hinter uns. Mein Geduldsfaden ist kurz vor dem zerreißen, als ich mich ihr wieder zuwende.

„Diese Frage hättest du mir vor drei Jahren stellen sollen, Kate. Jetzt ist es dafür zu spät. Es ist nicht mehr wichtig, ob es mir etwas bedeutet. Ana war die, die für uns beide entschieden hat. Und sie hat sich gegen mich und für einen anderen Mann entschieden. Und nicht nur das, sie haben auch ein gemeinsames Kind. Also was erwartest du von mir Kate?", antworte ich sehr barsch. Diese Wahrheit auszusprechen ist für mich eine Qual aber auch eine Erleichterung. Es laut zu sagen, ist wie ein lautes Begreifen, nicht länger an dieser Hoffnung festzuhalten. Meine Hoffnung ist wirklich das, was zuletzt gestorben ist.

Kate sieht mich geschockt an.

„Nein, nein Christian! Du interpretierst das vollkommen falsch. Scheiße man, ich darf dir nichts sagen, ich habe es ihr doch versprochen." Kate überlegt angestrengt, kaut auf ihren Nägeln und sucht fieberhaft nach einem Ausweg. Sie will mir etwas sagen, weiß aber nicht wie. Dann sieht sie mich flehend an und legt mir ihre Hände auf die Brust, was mich zurückschrecken und meine Mutter scharf die Luft einziehen lässt.

„Christian, ich bitte dich. Glaube an Ana. Es gibt etwas, das ändert alles!"

Jetzt verstehe ich nichts mehr. Ich schüttele den Kopf, nehme meine Mutter noch einmal in den Arm und verlasse das Haus.

Zuhause angekommen, dusche ich und setze mich vor den Computer. Jane hat mir eine Lasagne in den Ofen geschoben, bevor sie gegangen ist und eine gekühlte Flasche Weißwein mit zwei Gläsern steht auch bereit. Wofür zwei Gläser frage ich mich? Ich schenke mir ein Glas ein und überlege, wie ich mich am besten von meinem heutigen Tiefschlag erholen könnte. Da kommt mir ein Gedanke.

Im nächsten Moment habe ich das Telefon in der Hand und wähle. Eine Stunde später klingelt es. Ich sitze im Wohnzimmer, als ich das Klacken ihrer Hackenschuhe vernehme und springe auf.

„Elena! Schön, dass du vorbei gekommen bist." Elena steht in einem roten Trenchcoat im Türrahmen und lächelt mir freudig entgegen. Dann öffnet sie langsam den Gürtel und schiebt den Mantel langsam von den Schultern.

Zurück nach London: Nächster Morgen

Als ich die Augen aufschlage, höre ich Christian quietschen und lachen. Schnell springe ich aus dem Bett und ziehe mir meinen Bademantel über. Dann stecke meine Nase aus der Tür und finde José in Christians Zimmer. Der Anblick der Beiden, bringt mich zum Lachen. Christian windet sich auf dem Fußboden, wie ein Aal, während José versucht ihm eine die Hose anzuziehen. Dann drehen sich beiden zu mir und grinsen.

„Hey, ab ins Bett, meine Schöne. Das hier ist Männersache. Ich fahre den Strolch zu seiner Nanny und bringe auf dem Rückweg Brötchen mit. Solange gehst du wieder ins Bett. Husch husch." Bevor ich mich versehe, sind die Jungs aufgesprungen und schieben mich zurück ins Bett. Christian klettert zu mir und gibt mir einen dicken Kuss, dann sind die beiden schon wieder aus der Tür. Dankbar blicke ich José hinterher, der mich noch schnell anlächelt, bevor die Tür zufällt. Es ist schön, ihn bei mir zu haben. Wieder frage ich mich, warum ihn nicht lieben kann?

Heute wird ein schwerer Tag. Ich muss Jane und José in mein Vorhaben einweihen und sie bitten, während meiner Abwesenheit auf Christian aufzupassen. Ich bete, dass ich die Beiden überzeugen kann und sie mich unterstützen werden.

Der Gedanke mein Kind mehrere Tage nicht sehen zu können, jagt mir Angst ein. Bisher bin ich noch nie so lange von ihm getrennt gewesen und hoffe, dass der Kleine nicht sehr traurig sein wird, weil ich ihn allein lasse. Ihn mitzunehmen, ist keine Option. Diesen Weg muss ich alleine gehen, bevor ich meinen Sohn damit konfrontiere.

Ob mein Plan funktionieren wird, kann ich jetzt noch nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt so viele Faktoren, die ich im Auge behalten muss. Dennoch erfasst mich so eine heftige Euphorie, dass ich am ganzen Körper zittere. Denn meine Entscheidung steht fest. Ich fliege nach Seattle!

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