Blutige Auseinandersetzungen
Im Weggehen sehe ich, wie Kate in ihrer Tasche nach etwas sucht und dann ihr Telefon heraus zieht. Gut das wir auch ihren Anschluss überwachen. Wenn sie jetzt mit Ana telefoniert, haben wir sie.
Wie erwartet komme ich vor den beiden an und stehe ungeduldig vor dem Eingang. Kate ist distanziert und redet nicht ein Wort mit mir, als wir zusammen im Fahrstuhl nach oben fahren. Sie ist nervös, tänzelt von einem Fuß auf den anderen und starrt wie hypnotisiert die Anzeige des Fahrstuhls an. Ich sehe ihr an, dass sie sich in meiner Gegenwart unwohl fühlt. Schließlich weiß sie über mich und meine Vorlieben Bescheid. Wahrscheinlich nimmt sie an, dass ich es bei meinen Spielchen mit Ana zu weit getrieben habe, womit sie 100% ins Schwarze trifft.
Als es endlich Ping macht, atmet Kate erleichtert aus und kramt in ihrer Tasche nach dem Schlüssel. Jetzt bin ich nervös, nein eigentlich habe ich Angst. Angst vor dem, was mich hinter dieser Tür erwartete. Ist meine Ana hier? Werde ich Hinweise finden, wo sie sich aufhält, falls sie nicht hier ist?
Kaum hat Kate die Wohnungstür aufgeschlossen, schiebe ich sie unwirsch beiseite und stürme in die dunkle Wohnung, direkt in Anas Zimmer. Kates Anfeindungen nehme ich nur am Rande war, denn der Anblick von Anas Zimmer, der mich beim Betreten erwartet, lässt mich in der Bewegung erstarren. Der ganze Fußboden ist weiß. Ich muss zweimal hinsehen, bis ich begreife, was ich sehe. Der komplette Boden ist übersäht von zerknüllten Kleenex Tüchern. Zwischendrin liegen gebrauchte Sachen, Socken und T-Shirts. Nicht ein Zentimeter des Holzfußbodens ist zu sehen. Selbst ihr zerwühltes Bett ist voller Taschentücher. Als ich eine Ecke der Zudecke hochhebe, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Versteckt unter der Decke liegen Charlie Tango und daneben mein Jackett. Nur Ana ist nicht hier. Aber Ana war hier, eindeutig. Nach dem Chaos in ihrem Zimmer zu urteilen, muss Ana sich wenigstens ein paar Tage hier aufgehalten haben.
Die ganze Situation grenzt schon an Hohn. Warum habe ich mich von Taylor aufhalten lassen, diese verdammte Tür einzutreten? So wie es aussieht, war Ana zu diesem Zeitpunkt noch hier in der Wohnung, nur ein paar Meter von mir entfernt. Ich hätte ihre Anwesenheit doch spüren müssen. So kurz davor, sie wieder in den Armen zu halten, bin ich gegangen und habe sie dabei wieder im Stich gelassen.
Der traurige Anblick von Anas Schlafzimmer brennt sich in mein Innerstes. Ich sehe sie vor mir, wie sie verweint und mit zerzausten Haaren, allein in ihrem Bett liegt und sich hin und her wiegt. Diese Vorstellung, dass Ana meinetwegen so leidet, zerreißt mir das Herz. Ohnmächtig vor Kummer, wende ich mich mit verschwommenem Blick ab. Ich ertrage den Anblick ihres Bettes keine Sekunde länger.
Kurz davor zusammenzubrechen, kommt Anas Kleiderschrank in mein Blickfeld. Mit zwei Schritten, bin ich bei ihm, reiße die Türen und Schubladen auf und durchwühle alles. Ihre Sachen sind noch da, aber wo ist Ana?
Wut steigt in mir auf. Ich fühle mich an der Nase herumgeführt. Wenn Anas Sachen hier sind, kann Ana nicht weit sein. Mit einem hasserfüllten Blick, drehe ich mich langsam zu Kate um, die mit Elliot im Türrahmen stehen geblieben ist und sich entsetzt in Anas Zimmer umsieht.
Für mich ist vollkommen klar, dass die beiden Frauen unter einer Decke stecken. Ohne nachzudenken, stürme ich schnaufend zurück ins Wohnzimmer. Ana kann sich auch in anderen Räumen dieser Wohnung aufhalten. Aber Eliot ist schneller. Er packt mich an den Schultern. „Es reicht jetzt Christian! Verschwinde, sofort!". Schäumend vor Wut, reiße ich mich aus seinem Klammergriff los und schubse ihn von mir. Eliot taumelt zurück, rudert mit den Armen und fällt rücklings in den Couchtisch, der krachend zu Bruch geht. Mein Bruder liegt mitten in den Glasscherben des Tisches und blutet an den Handflächen. Zorn lodert in seinen Augen, als er sich langsam wieder aufrappelt und sich über seinen schmerzenden Arm streicht. Kate eilt schluchzend zu ihm, will ihm auf die Beine helfen, aber Eliot schiebt sie weg.
Rasend schnell ist er bei mir, holt aus und trifft mich mit seiner rechten Faust mitten auf die Nase. Ich höre ein hässliches Knacken und im nächsten Moment spüre ich mein Blut das Kinn herunterlaufen. Aber Schmerz spüre ich nicht, nur unbändige Raserei. Im nächsten Moment stürme ich auf Eliot zu, will ihn packen und zu Boden schleudern. Aber Eliot macht einen Schritt beiseite und reißt mich mit sich zu Boden. Wir wälzen uns über den Teppich, schlagen mit Fäusten auf uns ein und schmeißen dabei alles um, was uns in die Quere kommt.
Irgendwann rapple ich mich auf und stütze mich mit beiden Händen keuchend auf meine Knie ab. Eliot liegt unter mir am Boden und atmet ebenso heftig wie ich. Sein Gesicht ist blutig und sein rechtes Auge zugeschwollen. Kate hockt zusammengekauert in einer Ecke des Wohnzimmers. Mit tränenüberströmtem Gesicht blickt sie mich kalt an. „Verschwinde, du Mistkerl.", wispert sie und kriecht langsam zu Eliot, der sich mühsam wieder aufrichtet. Ich atme scharf aus und funkle sie ebenso kalt an, bevor ich in Richtung Ausgang schwanke. „Ihr wisst beide, wo Ana ist und wollt es mir nicht sagen! Dafür werdet ihr büßen. Das schwöre ich Euch!"
„Ich werde dir nie sagen, wo Ana ist, auch wenn ich es wüsste.", war das Letzte was ich höre, bevor die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fällt.
Meine Mutter weiß natürlich schon über alles Bescheid, als ich blutend bei ihr in der Tür stehe. Jetzt ist sie allerdings nicht mehr so nachsichtig mit mir. Sie ist auch Eliots Mutter und sorgt sich nun um ihre beiden Söhne. Grace ist so aufgebracht, dass ihre Worte wie bei einem Wasserfall sturzweise aus ihrem Mund herausfließen. Ich solle mich bei Eliot und Kate entschuldigen und was nur in mich gefahren ist, dass ich meinen eigenen Bruder angreife und dass sie ihre Kinder so nicht erzogen hätte. Während ihrer Tirade richtet sie meine Nase und versorgt auch die anderen Platzwunden. Als sie allerdings merkt, dass ihre Worte an mir abprallen, sieht sie mich böse an und stupst mich auf die gebrochene Nase, sodass ich vor Schmerzen aufschreie. „Das hast du dir verdient, Christian Grey!", dann stakst sie erhobenen Hauptes aus der Küche.
Das ich jetzt auch noch meine Eltern verletzt habe, bringt mich vollkommen aus der Fassung. Mit einer Flasche Rum im Arm, gehe ich in mein Zimmer, sperre ab und lege mich, so wie ich bin, auf das Bett. Der erste Schluck brennt fürchterlich in der Kehle. Der zweite und dritte lindern bereits meine körperlichen Schmerzen. Aber gegen die Schmerzen in meiner Brust, helfen auch keine zehn Flaschen Rum.
Die nächsten Tage vergehen voller Scham wegen meines Übergriffs auf meinen Bruder und der Frustration, da Taylor und seine Leute Versager sind. Obwohl wir Kate und Eliot mit in die Überwachung eingeschlossen haben, passiert nichts. Es ist ruhig, gespenstisch ruhig. Aber es liegt etwas in der Luft. Man kann es fast greifen, so deutlich ist es zu spüren.
Und wir sollen rechtbehalten. Das Warten hat sich gelohnt, denn es geht endlich los. Als erstes wurde heute Morgen, Anas Kreditkarte, mit einem Flug nach Chicago, der Übermorgen gehen sollte, belastet. Jetzt haben wir sie, denke ich triumphierend.
Am Abflugtag werde ich sowohl den Flughafen, als auch Anas Wohnung observieren lassen. Wenn sie mich austricksen will, kann sie das unmöglich alleine auf die Beine stellen. Dafür ist Ana nicht raffiniert genug. Also wird Kate ihr helfen und die befindet sich, bekannter maßen, in der Wohnung. Wir müssen also nur darauf achten, was Kate macht, dann finden wir zu Ana.
Am Abend unseres geplanten Wiedersehens, ruft Ana ein Taxi, zu Kates Adresse. Zuerst wundere ich mich darüber. Wir haben die Wohnung Tag und Nacht überwacht. Es ist unmöglich, dass Ana sich im Moment dort aufhält. Was führen die beiden Frauen nur im Schilde, frage ich mich, als Taylor mich anruft. Er klingt ein wenig verwirrt. Ana soll soeben das Haus verlassen haben und förmlich in das Taxi gesprungen sein. Gut, Taylor hat halbherzig versucht sie daran zu hindern. Wir haben uns vorab aber darauf geeinigt, dass, falls Ana dieses Taxi nutzen sollte, ich hier am Flughafen auf ihr Eintreffen warte. Und da ertönt auch schon eine Stimme in meinem Ohr. Ana hat den Flughafen betreten, befindet sich aber noch in einer anderen Abflughalle.
Ich bin so aufgewühlt, dass ich kaum atmen kann. Noch ein paar Minuten, dann halte ich meine Frau wieder in meinen Armen und werde sie nie wieder gehen lassen. Ich werde ihr endlich sagen, dass sie alles für mich ist und ich ohne sie nicht leben kann.
Wie ein kleiner Junge an seinem Geburtstag, wandere ich aufgeregt hin und her und kaue nervös auf meiner Unterlippe, was mich leicht grinsen lässt. Dann ertönt die Stimme abermals in meinem Ohr, dieses Mal allerdings sehr hektisch. Sie haben Ana verloren.
Ohne nachzudenken renne ich los. Panisch blicke ich mich suchend nach ihr um. Irgendwo hier, zwischen den Menschenmassen, muss sie sein. Mittlerweile ist auch Taylor hier eingetroffen und gibt den Männern neue Anweisungen. Es vergeht eine halbe Stunde, da bläst Taylor auf einmal die Suche abgrubt ab. Ich runzle unverständlich die Stirn, als er auf mich zukommt. In der Hand hält er eine Müllsack. „Es war Kate. Sie hatte sich als Ana verkleidet. Es tut mir leid, Christian." Taylor übergibt mir den Sack und lässt mich damit allein.
Obwohl ich ahne, was mich erwartet, habe ich Angst hineinzusehen. Ich liege zwar schon am Boden, dennoch schockiert mich der Anblick der dunklen Perücke und Anas Sachen so sehr, dass es mich noch ein wenig tiefer zieht.
Zehn Minuten später sitze ich in meinem R8 und rase durch die Stadt in Richtung Anas und Kates Wohnung. Wie ich hier her gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur daran, dass Taylor mich noch aufhalten wollte und ich ihn daraufhin kurzerhand entlassen habe.
Als ich an der Wohnung ankomme, bin ich noch so schnell unterwegs, dass ich den Wagen nicht rechtzeitig zum Stehen bekomme. Mit einem lauten Knall, ramme ich gegen einen Hydranten, aus dem augenblicklich eine riesige Wasserfontäne in den Himmel spritzt. Nass bis auf die Haut, sprinte ich zur Eingangstür und stoße mit Eliot zusammen, der dort ebenfalls zu warten scheint. „Christian, was ist passiert? Wo ist Kate?", fährt Eliot mich aufgebracht an und hält mich an den Armen zurück. „Lass mich los!", schreie ich ihn an. „Ich muss in die Wohnung." Mit einem Satz bin ich an Eliot vorbei und stürme die Treppe, immer zwei Stufen auf einmal, nach oben. Die Nerven auf den Aufzug zu warten, habe ich im Moment nicht. Meine Selbstbeherrschung ist zum Bersten gespannt. Sollte sich mir jetzt eine Person in den Weg stellen, würde ich in die Luft gehen.
Nicht lange über die Konsequenzen nachdenkend, trete ich die Tür ein und hetze in Anas Zimmer. Mit fahrigen Handbewegungen suche ich die Wand nach dem Lichtschalter ab und stöhne erleichtert, als ich ihn endlich finde. Das nun erleuchtete Zimmer, ist nicht mehr wieder zu erkennen. Die Taschentücher sind verschwunden, keine getragenen Sachen liegen herum, selbst das Bett ist gemacht. Eigentlich sieht es ganz normal aus, wäre da nicht der leere Kleiderschrank, dessen Türen weit geöffnet sind und den Blick auf gähnende Leere freigeben. Nur ein paar vergessene Kleiderbügel, erinnern daran, dass hier vor kurzem noch jemand gewohnt hat.
„Ach nee. Wen haben wir denn da?", ertönt hinter mir die Stimme einer sich prächtig zu amüsierenden Frau. Meine Nackenhaare stellen sich augenblicklich auf, als ich Kates Stimme erkenne.
War ja klar, dass sie jetzt hier auftauchen muss, denke ich verärgert. Ich kann förmlich spüren, wie sie sich in meinem Leid ergötzt, als ich mich zu ihr umdrehe und einer triumphierenden Kate gegenüber stehe. Hinter ihr hat sich Eliot, wie ein Wachhund aufgebaut, zum Sprung bereit, sollte ich auch nur versuchen sie anzufassen. „Du hast echt lange gebraucht, um zu begreifen, was hier vor sich geht, Christian. Ich dachte wirklich, du bist klüger. Wie fühlt es sich an, von zwei Frauen verarscht zu werden?", fragt Kate und grinst dabei höhnisch.
„Hast du wirklich geglaubt, ich lasse dich an Ana heran, nachdem was du ihr angetan hast? Du wirst Ana niemals wiedersehen, Christian. Lebe damit oder sterbe, aber nun wird es Zeit für dich zu gehen. Hier gibt..." Ohne Kate weiter zuzuhören, rausche ich an ihr vorbei. „Du irrst dich Kate. Ich werde sie finden. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!" brülle ich ihr, über die Schulter hinweg, entgegen.
Ich glaube Kate kein Wort. Inständig hoffe ich, dass sie nur blufft und Ana sich hier irgendwo aufhält. Kopflos laufe ich in der Wohnung umher, haste in Kates Zimmer und suche alles ab. Selbst in ihrem Schrank sehe ich nach. Als ich auch dort keinen Hinweis finde, hetze ich ins Badezimmer.
Schon der erste Blick bestätigt mir schmerzlich, dass auch hier nichts zu finden ist. Die rechte Konsole, auf der sonst Anas Kosmetikartikel und ihre Zahnbürste stehen, ist leer. Alles ist leer. Diese gottverdammte Wohnung ist leer. Verzweifelt raufe ich mir die Haare und taumle rückwärts, bis mein Blick auf den Kosmetikeimer fällt, der versteckt unter dem Waschbecken steht. Er scheint sehr voll zu sein, da der Deckel leicht geöffnet ist und eine Ecke einer kleinen Schachtel heraus lugt. Ich bücke mich, ziehe die Schachtel heraus und betrachte sie. Zuerst will ich sie wieder weglegen, da es sich um eine leere Packung Haarfärbemittel handelt, bis ich eine lange dunkle Haarsträhne entdecke, die sich an der Schachtel verheddert hat. Erschrocken reiße ich die Augen auf und kippe den Eimer kopfüber aus.
Meine Knie geben nach. Ich habe keine Kraft mehr. Langsam sinke ich zu Boden und starre apathisch auf den Müll vor mit. Zwischen dem Unrat, der sich auf dem Boden verteilt, liegt ein großes Knäul langer dunkler Haarsträhnen. Anas Haarsträhnen... Mit zitternden Händen greife ich danach und drücke sie an meine Brust.
In diesem Moment ist alles vorbei. Ich bin zu spät gekommen... und allein.
Mit Anas Haaren in der Hand, verlasse ich das Bad, die Wohnung und mein Leben.
***
Lieben Dank an die Voter und die lieben Kommentare. Ich liebe diesen Austausch :)
Euch ein schönes WE.
LG Marit
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