Kollision in der Unendlichkeit
Najd Chalid, Kapitänin des Raumfrachters Infiniti, wurde vom Alarm aus dem Schlaf gerissen. Während sie noch nach ihrem Kommunikator tastete, hallte ein Dröhnen durch das Schiff und sie wurde in die Gurte gepresst, die ihren Schlafsack hielten. Ihre Habseligkeiten zerrten mit einem Ruck an ihren Befestigungen, klapperten, schlugen aneinander. Der Deckel einer Dose gab nach, schwarze Krümel flogen heraus und bildeten eine wild wirbelnde Wolke, die in der kleinen Kabine einen süßlichen Duft verbreitete. Ihr guter Tee.
"Gewaltiger", fluchte Najd.
Dann wurde es dunkel und der Alarm verstummte. Das war ein schlechtes Zeichen.
Die rote Notbeleuchtung ging an. Der Alarm blieb aus. Najds Finger fanden den Kommunikator aktivierten ihn.
"Kapitän an Brücke."
Keine Antwort. Noch schlechter.
Sie schnallte sich ab, versuchte vergeblich, die Teeblätter aus dem Weg zu wedeln, stieß sich ab und schwebte zur Tür.
Auf dem Gang sah alles in Ordnung aus, nur die Schotten zu den anderen Teilen des Schiffs waren noch vom Alarm verschlossen. Schräg gegenüber streckte Ubbo Ohnend, der Zweite Nautische Offizier, den Kopf aus seiner Kabine. Seine weißen Haare standen wild vom Kopf ab, ansonsten schien er in Ordnung zu sein. Gut.
Najd stieß sich ab und schwebte auf das Brückenschott zu. Sie musste sich zweimal von der Wand weg drücken; sie war wohl noch nicht ganz wach. Kurzer Kontrollblick: Die Statusanzeige für den Raum hinter dem Schott war grün, der Öffnen-Schalter aktiv. Sie drückte drauf, das Schott glitt auf.
Mit der roten Notbeleuchtung und den zahllosen rot und gelb blinkenden Statusanzeigen hätte man denken können, die Brücke stand in Flammen. Mittendrin schwebte Manoj Ananta, der Erste Nautische Offizier, angegurtet, weil angegurtet sein auf der Brücke Vorschrift war, und drückte systematisch, aber erfolglos auf der zentralen Steuerkonsole herum. Um ihn herum schwebte Shirin Javid, die Leitende Ingenieurin, nicht angegurtet, weil angegurtet sein auf der Brücke Vorschrift war, drückte hier und da mit ebenso wenig Erfolg auf anderen Konsolen herum, verwischte Blutspuren in ihrem Gesicht und schimpfte vor sich hin.
"Was ist passiert?", fragte Najd.
"Kollision mit einem unidentifizierten Objekt", sagte Manoj, immer noch mit der Konsole beschäftigt. "Ich hatte das Ausweich-Abstimmungs-Protokoll eingeleitet, die Gegenseite hat aber nicht rechtzeitig geantwortet."
Najd fluchte innerlich. Das Protokoll war gut und richtig, wenn man es mit einem anderen Schiff zu tun hatte. Bei einem unidentifizierten Objekt waren sofortige Ausweichmanöver geboten, parallel zum Protokoll. Manoj das jetzt vorzuhalten machte die Kollision aber nicht ungeschehen.
"Schäden?", fragte Najd stattdessen Shirin.
Die machte eine frustrierte Geste. "Lass es mich so sagen: Brücke, Quartiere und Lebenserhaltungssysteme sind intakt."
Najd ließ ein paar Augenblicke verstreichen, aber es kam keine Ergänzung. "Und der Rest?"
"Beschädigt. Kaputt. Weg. Was weiß ich? Alle Sensoren sind ausgefallen!"
"Verstehe", sagte Najd. "Position?", fragte sie Manoj.
"Unbekannt. Die Instrumente sind ausgefallen."
"Sind wir noch im Hyperraum?"
Manoj ließ den Blick hilflos über die Konsole schweifen. "Ich habe keinen Rücksprung in den Normalraum veranlasst."
Das beantwortete die Frage noch nicht.
"Shirin", sagte Najd, "mach einen Rundgang und nimm die Schäden persönlich auf. Manoj, gib eine Warnung per Funk aus."
"Notruf, Kapitän?", frage Manoj.
"Vorläufig nicht", sagte Najd.
Shirin verpasste einer Konsole einen unnötig heftigen Tritt, um sich Richtung Schott abzustoßen.
Dort tauchte gerade Ubbo auf und deutete auf Shirins Wunde. "Lass mich das versorgen."
"Wenn du mit mir Schritt halten kannst", gab Shirin zurück. "Ich halte dafür nicht an." Und schon schoss sie weiter.
Ubbo zuckte mit den Achseln und machte sich an die Verfolgung.
Najd schwebte auf einen Abschnitt der Brückenwand zu, in dem eine Scheibe den Blick auf ein unspektakuläres Stück Wand direkt dahinter bot, und drückte einen Schalter. Ein Klicken war zu hören, gefolgt von einem Surren. Die Wand hinter der Scheibe bewegte sich langsam nach hinten weg. Najd spähte durch die sich auftuende Lücke nach draußen.
Sie sah - nichts.
Najd änderte den Blickwinkel, wartete, dass mehr Sicht freigegeben wurde. Es blieb dabei: Sie sah nur eine weite, gähnende schwarze Unendlichkeit. Kein Licht, kein Stern. Sie mussten noch im Hyperraum sein.
Das war einerseits gut, denn es bedeutete, dass der Antrieb noch weitgehend intakt und nur die Datenverbindung zur Brücke gestört war. Das war andererseits schlecht, denn blind, steuerlos und wahrscheinlich vom Kurs abgekommen durch den Hyperraum zu fliegen war keine beruhigende Vorstellung. Sie konnten sonst wo landen.
Najd drückte erneut den Schalter und die Schutzklappe legte sich langsam wieder vor das Fenster. "Irgendjemanden erreicht?"
Manoj schüttelte den Kopf. "Ich glaube, unsere Funkanlage funktioniert nicht. Ich bekomme überhaupt nichts."
"Irgendeines der anderen Systeme wieder einsatzbereit?"
Manoj ließ seinen Blick über die Konsole kreisen. "Nein."
"Posten halten. Ich sehe, ob ich Shirin unterstützen kann."
"Aye", sagte Manoj.
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Als Najd in den Gang kam, schwebte Shirin gerade mit einem Werkzeugkoffer in der Hand vorbei. Ihren Kopf zierte ein wild verklebter Verband; offenbar hatte sie es Ubbo nicht leicht gemacht.
"Wie sieht es aus?", rief Najd.
"Wie es aussieht? Beschissen sieht es aus! Ich komme nirgendwo durch! Die Schotten zu den Maschinenräumen und den Lagerräumen blockieren alle. Wenn die Statusanzeigen stimmen, ist fast im ganzen Schiff keine Luft mehr, und der Antrieb ist tot."
Najd runzelte die Stirn. Das konnte nicht stimmen. "Überprüf die Leitungen und Sensoren."
"Was glaubst du, was ich vorhabe?", rief Shirin, klopfte auf den Koffer und verschwand dann um die Ecke.
Najd seufzte. Wo war Ubbo eigentlich? Und was war mit Berkan Engin, dem Zweiten Ingenieur? Hatte er das Ganze verschlafen?
Najd schwebte zu Berkans Kabinentür und klopfte. Keine Antwort.
Dafür ertönte plötzlich Musik aus der Richtung der Kombüse. Berkan war nebenbei noch selbsternannter Smutje, weil er die einfache Standardnahrung, die die Reederei immer bestellte, völlig ungenießbar fand. Die Besatzung musste zugeben, dass er das Essen mit den wenigen Zusätzen, die Najd als Extra herausgehandelt hatte, erheblich besser und erstaunlich abwechslungsreich gestaltete.
Najd folgte dem Klang und fand einen mehrfach bepflasterten Berkan in der Kombüse tanzend, während Ubbo die Verbandstasche einräumte.
"Es funktioniert alles noch, auch die Musikanlage!", rief Berkan. "Wir sind gerettet!"
Najd dachte nicht zum ersten Mal darüber nach, ob man nicht irgendwie einen Teil von Berkans überschäumenden Optimismus auf Shirin übertragen konnte.
Najds Blick überflog die Kombüse. Alles sah in der Tat ziemlich normal aus, nur ein paar Boxen, die eigentlich verstaut gehörten, schwebten in einer Ecke. Auch die Messe nebenan sah in Ordnung aus. Wie hatte Berkan sich seine Wunden zugezogen?
"Der Aufprall hat ein paar Schubladen aufgedrückt", sagte Ubbo. "Von denen ist Berkan eingeklemmt worden. Er hat sich ein paar kleine Wunden zugezogen, als er sich befreien wollte. Nichts Ernstes. Ich konnte ihn ganz einfach rauskriegen."
"Ich war praktisch schon draußen", sagte Berkan. "Ich hätte es ganz allein geschafft. Ich wollte nur nichts kaputtmachen. Hat auch geklappt: Alles ist heil! Heute ein Überlebens-Festessen für die Mannschaft, Kapitän?"
"Vielleicht", sagte Najd. "Wir müssen erst einmal sicherstellen, dass wir tatsächlich überleben. Nicht alle Teile des Schiffes scheinen so gut davongekommen zu sein wie die Kombüse."
"Aber die Kombüse ist das Wichtigste!", sagte Berkan.
"Sie ist sicherlich wichtig", sagte Najd. "Aber wenn hier alles in Ordnung ist, dann hilf doch Shirin mit dem Rest."
"Geht klar!", sagte Berkan und brachte sich in Position für einen sportlichen Abgang. "Geht bestimmt schnell!" Schwupp, weg war er.
Ubbo klettete die Verbandstasche an seinen Gürtel und machte sich daran, die herumschwebenden Boxen wieder zu verstauen. So war Ubbo: Er tat einfach immer die Dinge, die getan werden mussten. Seine phlegmatische Art war zwar manchmal etwas unheimlich, aber Najd war heilfroh, den alten Mann in der Besatzung zu haben.
"Ist bei dir alles in Ordnung?", fragte Najd.
"Alles in Ordnung", sagte Ubbo. "Ich kontrolliere den Fitnessraum und die Vorratskammern, wenn es nichts Wichtigeres zu tun gibt?"
"Mach das", sagte Najd. Je nachdem, wie ernst die Lage war, konnte das sehr wichtig sein.
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"Drecksmist!", sagte Shirin. Das war noch einer ihrer harmloseren Ausdrücke.
Die ganze Besatzung war auf der Brücke versammelt und gerade auf den neuesten Stand gebracht worden, und der sah, wie Shirins Ausdrucksweise untermalte, nicht gerade rosig aus. Es gab nach wie vor keinen Zugang zu den Maschinen- und Laderäumen. Sie mussten davon ausgehen, dass diese Bereiche beschädigt und tatsächlich luftleer waren. Ansonsten hatten sie keinerlei Informationen oder Steuermöglichkeiten; keine Leitung außerhalb des Brücken- und Quartier-Bereiches reagierte.
"Uns fällt bestimmt noch etwas ein", sagte Berkan.
"Wenn dir etwas einfällt", sagte Shirin, "dann sag es - oder halt den Mund."
Nicht nur, dass sich Berkans Optimismus nicht auf Shirin übertragen ließ; die beiden reagierten aufeinander wie Feuer und Wasser. Solange sie abwechselnd Wache hatten, war das ja kein Problem...
Berkan hob beschwichtigend die Hände, sagte aber klugerweise nichts mehr.
Manoj umklammerte das Notfallhandbuch wie einen Glücksbringer. Er hatte mit Sicherheit schon alle Kapitel durchgearbeitet, ob sie etwas mit dem aktuellen Fall zu tun hatten oder nicht. Bisher hatte das aber offensichtlich nichts gebracht, und daher schwieg er mit betrübtem Gesicht.
"Im Quartierbereich sieht alles sehr gut aus", sagte Ubbo. "Keine Schäden, alles funktionstüchtig. Wir haben Sauerstoff, Nahrung und Wasser auf Vorrat, die Wiederaufbereitung arbeitet einwandfrei, Energie ist reichlich vorhanden, alle Mittel zur Erhaltung der Gesundheit stehen zur Verfügung."
Najd war überrascht. Ubbo hatte einfache Fakten sehr positiv klingen lassen. Vielleicht war er der bessere Gegenpol zu Shirin als Berkan? "Wie lange kommen wir damit aus?"
"Jahre", sagte Ubbo. Er überlegt kurz. "Jahrzehnte."
"Gut", sagte Najd. "Eine Sorge weniger: Wir haben Zeit."
"Toll", sagte Shirin. "Wir können jetzt ewig hier hocken, tote Leitungen ausmessen, Notfallprotokolle abarbeiten, uns von Berkan bekochen lassen, Ubbos Fitnessprogramm absolvieren und Däumchen drehen - bis ans Ende unserer Tage!"
"Bestimmt nicht bis ans Ende unserer Tage!", sagte Berkan. "Jemand wird uns finden und retten! Bis dahin mache ich uns jeden Tag ein Festessen! Oh, vielleicht reichen die Zusatzstoffe dafür nicht. Aber wir können tanzen!" Er simulierte die Instrumente seines Lieblingsliedes, schlug einen Purzelbaum und begann mit wilden Tanzbewegungen, wobei er Manoj beinahe in den Bauch trat.
"Halt deine verfluchten Gräten still, oder ich verwandle dich in eine Kabelrolle!", schimpfte Shirin.
Gräten? Das klang, als hätte zwar noch nicht Ubbos Naturell aber immerhin schon sein Wortschatz auf Shirin abgefärbt.
"Manoj", sagte Najd, "setz Notrufe ab. Ich weiß, wir empfangen nichts, aber vielleicht kann uns trotzdem jemand hören."
Manoj nickte.
Shirin schnaubte.
"Hat jemand Ideen, wie wir damit weiterkommen, den Antrieb wieder unter Kontrolle zu bringen oder wenigstens mehr über den Zustand des Schiffes herauszufinden?", fragte Najd.
Shirin rollte mit den Augen.
Manoj sah unglücklich auf das Notfallhandbuch.
Berkan fasste sich mit einer Hand ans Kinn und kratzte sich mit der anderen am Kopf.
"Bisher kann ich nur sagen, dass das Schiff sich um mehrere Achsen dreht", sagte Ubbo.
"Ach?", sagte Shirin. "Und woher willst du das bitte wissen? Verrat mir das mal!"
Ubbo zog eine kleine Dose aus der Tasche. Sie sah nicht aus wie ein Messgerät. "Shirin, fang. Alle anderen aufpassen."
Ubbo brachte die Dose in flacher Bahn auf den Weg. Shirin hielt mit spöttischem Gesichtsausdruck die Hand zum Auffangen hin. Die Dose flog jedoch nach kurzer Strecke nicht geradeaus, sondern wich immer mehr zur Seite ab. Shirin verzog das Gesicht, ihre Hand folgte dem Kurs der Dose. Die Flugbahn verzerrte sich aber immer mehr, und schließlich schnappte Berkan die Dose direkt vor Manojs Gesicht aus der Luft.
"Okay, du hast gewonnen, Schlauberger", sagte Shirin zu Ubbo. "Die Kollision hat uns also kräftig ins Trudeln gebracht. Ich dachte schon, der Schlag auf den Kopf hätte meine Koordination gestört. Das ist heftig. Dann sind wir auch ziemlich sicher deutlich vom Kurs ab."
"Können wir mit der Methode Genaueres herausfinden?", fragte Najd.
"Wir können die Ablenkung ausmessen und ein paar Berechnungen anstellen", sagte Berkan. "Aus der Ablenkung und dem Kollisionswinkel können wir Aufprallwucht und Kursablenkung berechnen. Jedenfalls ungefähr."
"Nicht nur Koch und Tänzer, sondern auch Mathe-Freak!", spottete Shirin.
"Versuche es, Berkan", sagte Najd. "Ubbo kann dir dabei vielleicht helfen?"
Ubbo nickte.
"Gut", sagte Najd.
"Das bringt doch alles nur die Hälfte", schimpfte Shirin. "Wir müssen irgendwie in die Maschinenräume kommen. Wenn wir Zugang zu einer Luftschleuse hätten, würde ich es sogar von außen versuchen."
"Davon wird dringend abgeraten", sagte Manoj.
"Ach ja?", fuhr Shirin ihn an. "Vom Kollidieren mit unidentifizierten Objekten bestimmt auch!"
"Shirin, das ist nicht hilfreich!", sagte Najd. "Wir können keine Luftschleuse erreichen, oder?"
"Können wir Schott 7 öffnen?", fragte Manoj.
"Ja", sagte Berkan. "Aber gleich dahinter ist Schott 8, und laut dessen Statusanzeige ist dahinter bereits keine Luft mehr."
"Der Raum zwischen Schott 7 und Schott 8 kann zur Luftschleuse umkonfiguriert werden, wenn das Frachtgut im Laderaum drucklos transportiert werden muss", sagte Manoj.
Alle starrten ihn an.
"So steht es im Schiffshandbuch", sagte er wie zur Entschuldigung.
Shirin ballte die Fäuste, dann atmete sie tief durch. "Na schön. Ich mache mich sofort dran."
"Gut", sagte Najd. "Ich helfe dir."
Shirin setzte zu einer Erwiderung an, dann zuckte sie mit den Schultern. "Von mir aus..."
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"Kannst du mich hören?", fragte Najd Shirin, die bereits fertig im Raumanzug steckte, über ihren Kommunikator.
"Ja, alles klar", kam Shirins Stimme zurück. "Jetzt geh raus und schleuse mich aus. Ich habe keine Lust, im Anzug die Schalter zu bedienen. Ich spare mir das Gefummel für die Reparaturen auf."
Najd zögerte einen Moment, dann nahm sie Shirins dick behandschuhte Hand in den Freundschaftsgriff. "Viel Glück!"
Shirin presste die Lippen aufeinander und nickte.
Najd stieß sich ab, schwebte aus dem Raum, hielt sich an einem Griff neben der dem Schott fest und sah zu Shirin.
"Mach schon", sagte Shirin.
Najd drückte den Schalter. Das Schott schloss und verriegelte sich. "Kannst du mich noch hören?", fragte sie in den Kommunikator.
"Laut und deutlich."
"Ich pumpe jetzt die Luft ab."
"Wird auch Zeit."
Najd drückte einen weiteren Schalter. Ein Brummen und Stampfen ertönte.
"Alles OK?", fragte Najd. "Druck im Anzug stabil?"
"Alles super", sagte Shirin. "Hoffentlich dauert das nicht ewig."
Najd verfolgte die Anzeigen, bis das Brummen und Stampfen aufhörten. "Luft ist abgesaugt, Druck ist null. Bereit?"
"Klar."
"Ich öffne das Außenschott." Najd drückte einen weiteren Schalter.
"Kapitän?", kam Berkans Stimme in Najds Rücken. "Wir haben unsere Berechnungen fertig."
"Gleich, Berkan", sagte Najd.
"Schott ist offen", meldete Shirin. "Verdammt, ist das finster hier. Wo ist denn..."
"Ist Shirin schon draußen?", fragte Berkan.
Najd nickte und lauschte am Kommunikator.
"Hier", sagte Shirin. "Jetzt kann ich... Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße!"
"Shirin!", sagte Najd. "Bist du OK? Brauchst du Hilfe?"
"Ich?", fragte Shirin. "Das verdammte Schiff braucht Hilfe! Das Ex-Schiff! Das ist nur noch ein Trümmerfeld! Alles ist zerfetzt! Die Ladung ist weg! Ein Stück vom Antrieb hängt nur noch an einem Kabel, der Rest... Scheiße..."
"Ja", sagte Berkan, der jetzt direkt neben Najd schwebte und am Kommunikator mithören konnte. "Das passt zu unseren Berechnungen."
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Najd starrte durch das Fenster auf der Brücke. Vergeblich bemühten sich ihre Augen, die Unendlichkeit zu durchdringen. "Das kann nicht sein", sagte sie. "In diesem Zustand kann der Antrieb uns nicht im Hyperraum halten. Aber wenn wir im Normalraum wären, müssten wir irgendetwas sehen können. Irgendetwas. Fast das ganze Universum ist Dunkelheit, ihre Ausdehnung ist in jede Richtung endlos. Aber das Licht der Sonnen ist rein, flammend, gnadenlos. Es trägt unglaublich weit durch die Dunkelheit."
"Das ist so poetisch", sagte Berkan. "Ist das Sagan?"
"Können wir bitte beim Thema bleiben?", fragte Shirin. "Wenn du auch keine Erklärung hast..."
"Woher willst du wissen, dass ich keine Erklärung habe?", fragte Berkan.
"Weil du nur rumschwafelst! Sei einfach still!"
"Du kannst mir doch nicht..."
Najd wusste, dass sie dazwischen gehen sollte. Sie war schließlich der Kapitän, sie musste für Disziplin sorgen, Streitigkeiten schlichten, für einen reibungslosen Ablauf sorgen.
Aber es gab keinen Ablauf. Sie hingen irgendwo im nirgendwo fest, nicht hier und nicht dort, und konnten nichts tun. Najd ließ die hitzigen Worte zu Hintergrundrauschen werden. Sie konnte sich nicht losreißen vom Sog der Unendlichkeit, der den Verstand aus ihr heraussaugte. Es konnte einfach nicht sein.
Sie hob die Hand vor die Scheibe, um eine Reflexion abzublocken, die sich vom Rand ins Bild schob. Die Reflexion ging nicht weg.
Najd brachte ihr Gesicht näher an die Scheibe. "Da ist ein Licht!"
Vier weitere Köpfe drängten sich an die Scheibe.
"Das bilden wir uns nicht nur ein, oder?", fragte Shirin.
"Nein, es ist ganz deutlich", sagte Manoj.
"Aber - ein einzelner Stern? Wo gibt's denn sowas?", fragte Shirin.
"Da sind noch mehr", sagte Berkan. "Wir können sie nur nicht sehen."
"Was?", fragte Shirin. "Warum nicht?"
Najd musste plötzlich an ihren herumwirbelnden Tee denken. "Die Ladung! Die Ladung bildet eine Wolke um uns herum und versperrt die Sicht!"
"Genau!", sagte Berkan. "Ich habe es noch nicht durchgerechnet, aber mit dem Impuls vom Aufprall, den riesigen Löchern in den Außenwänden und unserer Trudelbewegung müsste sich die Ladung einmal um das Schiff herum verteilt haben. Das Apeirit ist so ein feinkörniges Erz, oder? Das hat sich wie Rauchschwaden um uns gelegt."
"Aber die Ladung war doch vorschriftsmäßig in Schwerlastsäcken verpackt!", sagte Manoj.
"Die sind geplatzt wie Seifenblasen", sagte Shirin. "Ich habe die Reste gesehen. Aber... Ey, verdammt, Berkan! Du hast das schon gewusst?!"
"Nicht gewusst, nur vermutet", sagte Berkan. "Ganz sicher können wir noch nicht sein. Die Wolke müsste langsam auseinanderdriften; dann sollten wir nach und nach mehr und mehr Sterne sehen können."
"Und dann können wir mit dem Sternenhandbuch unsere Position bestimmen!", sagte Manoj.
"Klingt gut", sagte Shirin. "Wie lange dauert das denn, bis die Wolke genug freigibt, Mathe-Genie?"
"Puh", sagte Berkan, "das kann ich nur schätzen. Eine ganze Weile, auf jeden Fall."
"Verdammt", sagte Shirin. "Ich habe keine Lust zu warten. Außerdem bringt das nicht viel. Nicht wir müssen wissen, wo wir sind, sondern jemand, der uns retten kann. Wir können immer noch niemanden zur Hilfe rufen! Oder hast du jemanden erreicht, Manoj?"
"Ich glaube nicht", sagte Manoj. "Wahrscheinlich ist die Funkanlage auch zerstört."
"Der Hyperraum-Transmitter wahrscheinlich schon", sagte Ubbo. "Normalraum-Funk müsste noch funktionieren."
"Normalraum-Funk - wer benutzt den denn heutzutage noch?", sagte Shirin.
"Ich habe alle Modi probiert, wie es im Handbuch steht", sagte Manoj. "Ich empfange nichts, höchstens Rauschen."
"Da habt ihr's!", sagte Shirin.
"Das könnte am Apeirit liegen", sagte Ubbo. "Das stört auch die Funkübertragung. Zumindest in einigen Frequenzbereichen."
"Na toll!", sagte Shirin. "Dann müssen wir jetzt so oder so warten, bis diese dämliche Wolke sich verzieht! Ich hasse rumsitzen und warten!"
"Dann musst du rumtanzen und warten!", sagte Berkan und packte Shirins Hand.
"Untersteh dich!", sagte Shirin.
Sie hatte keine Chance; Berkan hatte seine Füße verankert und wirbelte Shirin herum, während er laut dazu sang.
Shirin kreischte.
Najd öffnete den Mund für ein Kapitänswort, aber dann sah sie Shirins Augen: Sie leuchteten. Najd schloss den Mund wieder und wandte sich dem Fenster zu. Kam vielleicht direkt noch ein Stern zum Vorschein? Wahrscheinlich war es noch zu früh dafür; nicht hinter jeder Lücke, die sich auftat, würde einer erscheinen.
Aber das machte nichts. Sie hatten Zeit. Und jetzt, wo das Universum wieder schlüssig war, konnte Najd auch warten.
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Vier Sterne waren es mittlerweile. Manoj hatte sogar schon damit angefangen, mögliche Positionen zu ermitteln. Mit so wenig Anhaltspunkten wurde die Liste der Kandidaten viel zu lang, aber das konnte ihn nicht stoppen.
Shirin hatte sich nach dem wilden Tanz zwar wortreich beschwert, dann Berkan aber sogar begleitet, als der sich auf zur Kombüse machte, um ein Festessen vorzubereiten.
Ubbo hatte es übernommen, die Sachen, die Shirin und Najd aus dem zur Luftschleuse umkonfigurierten Raum herausgeholt und eher provisorisch verstaut hatten, ordnungsgemäß zu sichern.
Najd übernahm die Wache auf der Brücke allein. Mehr als von Zeit zu Zeit einen neuen Notruf abzusetzen und auf eventuelle Antworten zu horchen war sowieso nicht zu tun auf einem Schiff ohne Antrieb und Steuerung. Und gelegentlich nach einem neuen Stern Ausschau zu halten.
Da, da war der fünfte. Najd lächelte. Sie genoss es einfach, ihn zu betrachten. Sie würde Manoj später Bescheid sagen, dass er seine Positionsermittlungen überarbeiten konnte. Mit etwas Glück tauchte schon so bald der sechste auf, dass es sich jetzt noch gar nicht lohnte.
"Najd?"
Shirin kam hereingeschwebt. Sie trug nur ein T-Shirt und eine kurze Hose; so ließ sie sich normalerweise nicht an Bord sehen. Den Verband hatte sie schon von Kopf genommen.
"Alles in Ordnung?", fragte Najd.
"Ich habe Berkan gefragt, wie lange es dauern kann, bis die Wolke sich genug verteilt hat. Tausendmal musste ich ihn fragen. Dann hat er immer noch keine Antwort gegeben, sondern mir seine Berechnungen erklärt. Der Typ ist verrückt; kein Schiffsingenieur braucht solche Berechnungen. Aber ich hab sie schließlich verstanden."
"Gut", sagte Najd.
"Gut?", sagte Shirin. "Weißt du was die Berechnungen ergeben?"
"Nein?"
"Es wird wahrscheinlich nicht Stunden oder Tage dauern, auch nicht Wochen - sondern Monate oder Jahre! Jahre! Verstehst du?"
Najd presste die Lippen zusammen. Sie hatte es geahnt, aber vermieden, zu genau darüber nachzudenken. Es war ja nicht so schlimm: Sie konnten so lange überleben. Und ändern konnten sie sowieso nichts daran.
"Ich halt das nicht aus!", sagte Shirin. "Jahre! Nur wir fünf! Hier eingepfercht!"
"Das wäre sonst auch nicht viel anders", sage Najd. "So sieht unser Job aus."
"Aber nicht ohne Pause!", sagte Shirin. "Nicht ohne mal vom Schiff runterzukommen, nicht ohne mal zwischendurch ein bisschen Schwerkraft, ein paar andere Gesichter, Neuigkeiten vom Rest der Welt! Und nicht ohne etwas Sinnvolles zu tun!"
Über den letzten Punkt hatte Najd schon nachgedacht. Shirin war von allen am schlechtesten, sich selbst zu beschäftigen, und dafür viel zu gut darin, den Sinn einer gestellten Aufgabe zu hinterfragen. Das konnte heikel werden.
"Najd, das sind Jahre meines Lebens, die ich nicht zurückbekomme! Soll ich die nicht leben?"
"Natürlich sollst du die Leben", sagte Najd. "Du wirst es eben hier tun."
"Hah!", machte Shirin und schlang die Arme um sich. "Hast du dir die anderen schon mal als Menschen angesehen? Ich weiß nicht, ob Manoj überhaupt ein Mensch ist! Der lebt doch nur für Handbücher! Berkan ist ein neunmalkluger Zappelphilipp, der sich der Realität verweigert. Und Ubbo..." Sie ruderte mit den Händen herum. "Der ist alt. Und nervtötend ruhig."
"Alle haben auch ihre guten Seiten", sagte Najd.
Shirin zeigte mit dem Finger auf sie. "Das eine sage ich dir: Dass du der Kapitän bist, heißt nicht, dass du über unser Privatleben bestimmst!"
Najd sah Shirin fest in die Augen. "Ich muss auf eine gewisse Disziplin bestehen. Es ist ein Wunder, dass wir alle noch leben. Ich werde dafür sorgen, dass das so bleibt. Für alles andere ist jeder selbst verantwortlich."
"Gut!", sagte Shirin. "Sehr gut!" Und damit schwebte sie von der Brücke.
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"Ablösung", verkündete Ubbo und kam zum Schott hereingeschwebt.
"Schon?", fragte Najd und gähnte.
"Häng dich in den Schlafsack", sagte Ubbo. "Es hat dich mitten aus deiner letzten Ruhephase gerissen. Trink vorher noch was. Und geh nachher eine Runde in den Fitnessraum."
"Aye, Doc", sagte Najd grinsend.
"Was dagegen, wenn ich den Notruf auch auf alten Frequenzen absetze?"
"Auf alten Frequenzen?", fragte Najd.
"Ja, auf denen, die nicht mehr allgemein Standard sind. Da horchen nicht mehr viele drauf, aber vielleicht geht eine von denen durchs Apeirit."
"Einverstanden", sagte Najd. "Probier, was immer dir einfällt."
"Aye,aye", sagte Ubbo. "Und ab mit dir."
Najd lächelte versonnen, als sie eine Drehung machte und sich im richtigen Moment Richtung Schott abstieß. Langsam gewöhnte sie sich an das Trudeln; sie schaffte es ohne Korrektur bis zur Abzweigung zur Kombüse.
Als sie die Tür öffnete, schlug ihr Musik aus der Messe laut entgegen. Es war Berkans Lieblingslied, und er tanzte mit geschlossenen Augen dazu. Najd fiel erst jetzt auf, dass sie das schon länger leise im Hintergrund gehört hatte. Es musste auf Endlosschleife laufen. Sie nahm sich einfach eine Tüte geschmacksneutrales Basisgetränk und verließ die Kombüse leise wieder.
Als sie um die Ecke kam, sah sie gerade noch Shirin zur Brücke schweben. Shirin trug ein enges Kleid und hatte ihre Haare kunstvoll aufgesteckt. Und war das Schminke, die Najd von halb hinten noch zu erahnen meinte? Shirin glitt durch das Brückenschott und schloss es hinter sich.
Manoj war in seiner Kabine und hatte die Tür offen gelassen. Er starrte auf eine Kolonne von Zahlen, die unendlich über einen portablen Bildschirm rauschte.
Najd schüttelte den Kopf und schlüpfte in ihre Kabine.
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Najd hatte gut geschlafen. Das normale Licht ging wieder. Jetzt fehlte nur noch ein Kaffeesurrogat, dann konnte sie der Mannschaft weiter mit gutem Beispiel vorangehen und die Nerven behalten.
In der Kombüse traf sie auf Shirin, die sich gerade mit einem Bündel Getränketüten auf den Weg machen wollte. Shirin trug wieder Arbeitskleidung und die Haare im Pferdeschwanz. In einem Augenwinkel war eine dezente Spur von verwischter Schminke.
"Hallo", sagte Shirin. "Du willst bestimmt frühstücken. Ich bringe Ubbo was zu trinken. Und den anderen." Sie zögerte. "Weißt du - Ubbo ist ein echter Kavalier. Von der ganz alten Schule. Solche gibt's eigentlich nicht mehr."
Najd nickte, da ihr keine Antwort einfiel.
"Ich bin dann auf der Brücke. Bis später", sagte Shirin und schwebte davon.
Ein Surrogat, ein Frühstück und ein Training später schwebte Najd frohgemut auf die Brücke - und erstarrte. Verkleidungen waren entfernt, Kabel quollen hervor und spannten sich quer durch den Raum, elektronische Bauteile hingen freischwebend an ihnen herum. Mittendrin schwebte Ubbo und versuchte, irgendetwas einzustellen, während sich Shirin und Berkan mit Werkzeugen und Manoj mit Handbüchern bereithielten.
"Was ist denn hier los?"
Shirin machte eilig einen Überschlag durch eine große Kabelschlaufe und landete zwischen Najd und Ubbo, als wollte sie sich schützend vor ihn stellen. "Unser Normalraum-Funkmodul kann von Haus aus nicht alle Frequenzen bedienen, also mussten wir ein bisschen improvisieren. Du hast Ubbo gesagt, er kann probieren, was immer ihm einfällt!"
Najd blickte auf das Chaos - und vier erwartungsvolle Gesichter. Sie nickte. "Weitermachen."
Es gab nichts, was sie zu der Aktion beitragen konnte, also suchte sie sich eine freie Ecke, hielt sich fest und sah zu.
Ubbo stellte ein, setzte Notrufe ab, horchte, sagte Manoj etwas an, was der pflichtbewusst notierte, bat Shirin oder Berkan, irgendetwas neu zu befestigen, was die in seltener Harmonie taten.
So ging es Stunden.
Schließlich rieb Ubbo sich die Augen und gähnte.
"Jetzt gehörst du mal in den Schlafsack, Ubbo", sagte Najd.
Die anderen protestierten wild durcheinander.
"Es kann ja nachher weitergehen", sagte Najd beschwichtigend.
Ubbo sah auf die Uhr. "Einen hab ich noch", sagte er, stellte neu ein, bat um eine kleine Veränderung. Dann lauschte er, die Uhr im Blick.
"Wir wären so weit", sagte Shirin etwas ungeduldig. "Du kannst jetzt senden."
Ubbo hielt die Hand hoch, lauschte angestrengt.
Die Uhr sprang auf die nächste Minute um.
Ubbo ließ die Hand langsam sinken. Er starrte auf die provisorischen Regler, justierte nach.
"Was ist denn?", fragte Berkan.
"Soll ich etwas notieren?", fragte Manoj.
Ubbo schüttelte den Kopf.
Es piepte.
Alle erstarrten.
Das Piepen hatte einen eigenartigen Rhythmus. Dann ertönte eine weibliche Stimme: "An alle Raumfunkstellen, an alle Raumfunkstellen, hier ist Nordstern Radio, Nordstern Radio. Warnmeldung, Warnmeldung. Eine Feststoffwolke im Normalraum an folgenden Koordinaten: ..."
Ubbo zeigte mit dem Finger auf Manoj, der sofort die Folge von kryptischen Buchstaben und Zahlen notierte. Es folgte eine Wiederholung, bei der Manoj alles gewissenhaft kontrollierte.
"Die Schiffsliste", fuhr die Stimme fort. Ein halbes Dutzend Namen mit Ursprungs- und Zielorten wurde angesagt. Bei zweien nickte Ubbo vor sich hin.
"Unterbrich sie!", rief Shirin. "Ein Notruf hat Vorrang!"
Ubbo hob wieder die Hand.
"Nordstern Radio, Nordstern Radio. Wir sind jetzt empfangsbereit auf Kanal fünnef. Over", sagte die Stimme.
Ubbo stellte etwas um, drückte die Sprechtaste. "Mayday, Mayday, Mayday. Hier ist der Frachter Infiniti, Rufzeichen Altair, Unuk, Nihal, Okab. Mayday, hier ist der Frachter Infiniti, Rufzeichen Altair, Unuk, Nihal, Okab. Vermutete Position ist..." Er sah zu Manoj, der ihm seinen Bildschirm hinhielt, so dass Ubbo ablesen konnte. "Das Schiff ist manövrierunfähig. Ich erbitte sofortige Hilfe." Er drückte mehrfach den Sendeknopf. "Over."
Alle hielten die Luft an.
Aus dem Funkgerät kam nur leises Knistern.
Shirin und Berkan fingen an, Verbindungen zu prüfen.
Manoj tippte eilig auf seinem Bildschirm herum. "Es könnte stimmen!", rief er. "Die Koordinaten passen zu den Sternen!"
Alle hielten wieder inne und lauschten weiter.
"Sie hören uns nicht", sagte Manoj schließlich.
"Abwarten", sagte Ubbo. "Wir haben wahrscheinlich eine Signallaufzeit von mehreren Minuten."
"Normalraumfunk!", sagte Shirin verächtlich. "Kein Wunder, dass den keiner mehr benutzt."
Sie warteten.
Ubbo hielt die Finger an der Sendetaste. Shirin ließ ihre Schultern kreisen. Berkan sang lautlos vor sich hin. Manoj starrte auf seinen Bildschirm, als könnte er die Koordinaten telepathisch übertragen.
Najd sammelte sich. Wenn die Antwort nicht mehr kam, wurde es kritisch. Sie legte sich einen Plan zurecht, wer welche weitere Aufgabe bekam, um es erneut zu versuchen. Als erstes...
"Infiniti, Infiniti, hier ist Nordstern Radio, Nordstern Radio. Die Funkpeilung passt zu ihrer vermuteten Position. Sind Sie mit der Wolke kollidiert? Over."
Ubbo drückte die Sprechtaste. "Nordstern Radio, Nordstern Radio - wir sind die Wolke!"
♾️
Zu fünft, Arm in Arm im Kreis, schwebten sie in der Fensterkuppel des Bergungsschiffes. Normalerweise wurde von hier der Kranarm gesteuert, aber sie genossen einfach nur die Aussicht auf Millionen von Sternen und ganz viel Dunkelheit dazwischen.
"Es gibt eine weite, gähnende schwarze Unendlichkeit", rezitierte Berkan. "In jede Richtung ist ihre Ausdehnung endlos. Das Gefühl der Tiefe ist überwältigend. Und die Dunkelheit ist unsterblich. Wo Licht existiert, ist es rein, flammend, gnadenlos. Aber Licht existiert beinahe nirgends, und die Dunkelheit selbst ist ebenfalls rein und flammend und gnadenlos."
"Das hast du vorhin nachgeschlagen", sagte Shirin. "Wie hieß der Typ? Segen?"
"Sagan", sagte Najd. "Carl Sagan."
"Klingt, als hätte er auch aus einem Fenster geguckt", meinte Shirin.
"Er ist nie ins All gekommen", sagte Ubbo. "Nur seine Botschaften fliegen noch auf alten Raumsonden durch die Unendlichkeit."
"Wenn die mal mit niemandem zusammenstoßen!"
"Die geben bestimmt ordnungsgemäße Warnsignale", sagte Manoj.
"Anders als Torpedos."
Ein Hyperraum-Torpedo aus dem Kolonien-Krieg, das war bisher die wahrscheinlichste Identifikation für das unidentifizierte Objekt. Er musste sein Ziel verfehlt haben und immer weiter geflogen sein, jahrelang. Eigentlich hätte er sich selbst zerstören oder zumindest in den Normalraum zurückspringen sollen. Entweder war er defekt gewesen, oder die Waffenhersteller hatten einfach gelogen, was diese Sicherheitsmechanismen anging.
Jetzt hatte der Zusammenstoß mit der Infiniti ihn aus dem Verkehr gezogen - hoffentlich. Die Infiniti und ihre Ladung wurden in einem riesigen Schleppnetz zur Raumstation Nordstern gezogen. Was aus dem Schiff werden würde, war noch ungewiss.
Für seine Besatzung ging das Leben weiter.
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