Kapitel 6

Neugierig betrachtete Sezuna, wie Nemesis in einem der Regale nach etwas suchte.

Er hatte darauf bestanden, dass sie sich auf einen der weichen Sessel setzte und erst einmal einen Schluck trank, damit sie sich erholte. So ein Zauber war immerhin nicht so einfach.

Dann hatte er ihr sogar ein Glas Blutwein angeboten, was Sezuna gern annahm. Es war eine Mischung mit viel mehr Blut als Wein und trotzdem schmeckte er wunderbar. Als Itari brauchte sie Blut, wie jede vampirähnliche Rasse, denn aus diesem zog sie ihren Sternenstaub, den Menschen aus Nahrung zogen und zum Überleben brauchten. Der Wein war nur dazu da, um den Geschmack etwas zu ändern, denn der Alkohol würde bei ihr keine Wirkung zeigen, da ihr Körper diesen gar nicht aufnahm. Trotzdem wurde ihr solcher normalerweise nicht angeboten. Kinder von langlebigen Rassen wurden in ihren ersten Jahren in der Regel von allen verhätschelt und vor allen Gefahren, mögen sie auch noch so klein sein, geschützt. Daher bekamen sie den Blutwein mit Saft und ohne Wein. Der Name blieb jedoch gleich, was oft sehr irritierend sein konnte, da man das Etikett genau betrachten musste.

Sezuna beobachtete mit ihren goldenen Augen Nemesis genau und schließlich kam er mit kleineren Kristallen in den Händen zurück. Es waren genau zwölf Stück und Sezuna erkannte die Farben der Elemente.

Nachdenklich, was er damit wollte, legte sie den Kopf schief, während sie versuchte, geduldig zu sein.

»Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte er und mit einer Handbewegung holte er einen Tisch herbei, damit sich Sezuna nicht erheben musste. Dabei hatte sich diese schon aufgesetzt, um besser sehen zu können.

Der Höllenfürst legte die Kristalle nach und nach vorsichtig auf den Tisch ab. »Das sind reine Sternenstaubkristalle. Sie enthalten die Schuppen eines Sternenstaubdrachen«, erklärte er und Sezuna wurde hellhörig. Sternenstaubdrache? Er meinte sicher die Urdrachen, aber wie kam er an diese Stücke? »Jeder steht für ein Element. Ich möchte, dass du diese Kristalle zu einem Stab zusammenfügst«, wies er sie an.

»Zusammenfügen?«, fragte Sezuna zögerlich, aber auch unglaublich neugierig. Sie hatte noch nie mit so einem Material gearbeitet und es war wahrscheinlich sehr selten. Da die Drachen nicht mehr in der Welt weilten, konnte man es nicht einfach so finden. Gerade, weil es so wertvoll war, wusste sie nicht, ob sie wirklich damit arbeiten sollte. Was, wenn sie etwas falsch machte und die Kristalle zerstörte? »Wie soll das denn gehen?«, fragte sie, denn sie hoffte, dass er ihr den Zauber erklären konnte. Damit würde hoffentlich nicht zu viel schieflaufen können.

»Das wirst du herausfinden müssen«, meinte er lediglich und lächelte. Er schien nicht ansatzweise so besorgt darum, dass etwas schieflaufen könnte, wie es Sezuna war. Sein Vertrauen in sie rührte sie irgendwie. »Es ist wichtig, dass du so zauberst, wie du es für richtig hältst. Nur das Ergebnis ist wichtig. Es soll ein Stab werden, der dich und deine Magie widerspiegelt.«

Sie und ihre Magie widerspiegeln? Davon hatte sie noch nie gehört. Was sollte das bedeuten? Und wie sollte sie aus diesen Kristallen einen Stab erschaffen? »Kann dabei irgendwas schiefgehen?«, fragte sie, denn sie wollte sich nicht unbedingt in die Luft jagen.

»Einiges«, meinte Nemesis trocken. »Daher werden wir dich erst einmal sicher einkleiden, bevor du beginnen wirst«, entschied er.

Das verunsicherte Sezuna nun doch etwas und sie sah an sich hinab. Sie trug noch immer ihr zerrissenes Kleid und stellte fest, dass es wirklich besser war, passend gekleidet zu sein. Doch warum tat der Höllenfürst das alles für sie? Sie war immerhin einfach nur ein Besucher. Zumindest irgendwie. War er zu allen Besuchern in der Hölle so zuvorkommend oder lag es an ihrem Alter? Kinder wurden in fast jeder ihr bekannten Kultur recht zuvorkommend behandelt.

Sezuna traute sich nicht, zu fragen. Immerhin sollte sie ein solches Angebot nicht hinterfragen, sondern nutzen. Trotzdem fühlte sie sich damit nicht so ganz wohl.

Aus den Augenwinkel bemerkte Sezuna, wie Nemesis seinen Kopf leicht zur Seite drehte. Er schien ins Nichts zu starren, doch Sezuna kannte diese Art. Wahrscheinlich nahm er gerade über den Sternenstaub Kontakt zu jemanden auf, um mit ihm zu sprechen. Ihre Mutter machte das manchmal mit ihrer Tante. Zudem versuchte sie es schon die ganze Zeit mit ihrer Schwester, doch so ganz funktionierte es nicht. Anders als mit Allan. Bei ihm hatte sie kaum ein Problem. Manchmal war es sogar so, dass sie ihn unwissentlich mit informierte. Fast so, als würde er ihre Gedanken einfach so lesen können, aber diese Gabe besaß er nicht. Zumindest hatte er das ihr immer wieder versichert.

Während Sezuna den Höllenfürsten beobachtete, kam ihr der Gedanke, dass sie gar nicht versucht hatte, Allan über diese Art zu erreichen. So könnte sie ihn wenigstens darauf hinweisen, dass es ihr gut ging. Also schloss sie kurz die Augen und versuchte, seinen Geist zu spüren. Da sie sich selbst nicht viel Hoffnung machte, war sie auch nicht verwundert, als sie nichts spürte. Dennoch schickte sie auf gut Glück einen Gedanken an Allan los und hoffte, dass er ankam. Er sollte Allan beruhigen, damit er sich nicht zu viele Sorgen machte. Sezuna erhoffte sich aber eigentlich nichts. Sie war immerhin in der Hölle. Wahrscheinlich also sehr weit weg.

»Wir bekommen gleich Besuch. Sie wird dir helfen, passende Kleider zu finden«, erklärte der Höllenfürst plötzlich und Sezuna fragte sich, ob er wohl einen Diener gerufen hatte. Hatte er so etwas überhaupt? Im Schloss war ihr niemand aufgefallen, sie hatte aber auch nicht sonderlich viel davon gesehen. Vielleicht war einfach nur dieser Bereich hier privat und deshalb war hier niemand unterwegs. Oder er war ungenutzt. So genau konnte Sezuna das nicht sagen. Sie wusste generell zu wenig darüber, wie es hier normalerweise zuging. Stellte sie viel auf den Kopf?

Als der Klang einer Tür ertönte, wurde Sezuna aus ihren Gedanken gerissen und sah auf. Das Mädchen, welches die Tür aufgerissen hatte, war definitiv keine Dienerin.

Ihre wundervollen pastellfarbenen Haare, die einen Wasserfall von Violett und Blau bildeten, waren teilweise hochgesteckt und fielen ihr dennoch in sanften Wellen über die Schultern. Die rosafarbenen Augen blickten Sezuna neugierig an und das weiße Kleid war voller Rüschen und Schleifchen. Sehr prunkvoll und edel. Fast schon ausladend. Dennoch passte es sehr zu dieser jungen Frau.

Sezuna hob den Kopf und erwiderte den Blick der Fremden. Das ließ sie nach Luft schnappen, denn plötzlich lag eine seltsame Spannung in der Luft. Macht füllte den Raum und ihr Körper reagierte automatisch darauf. Schützend legte sich ein Sternenstaubschild um sie und ihre Kraft trat aus, um sie zu verteidigen. Gleichzeitig war da aber auch eine Art Erkennen und Akzeptieren. Als würden zwei wilde Tiere umeinanderkreisen und sich zu einem Waffenstillstand einigen. So etwas war ihr noch nie passiert. War das normal?

»Das wäre nicht nötig gewesen Eve«, meinte Nemesis nüchtern und das Mädchen schenkte ihm ein Lächeln.

»Das war doch keine Absicht, Papa«, sagte sie empört und Sezuna atmete erleichtert aus, als der Druck weg war. Dann erst wurde sie sich der Worte des Mädchens gewahr. Papa? Der Höllenfürst hatte ein Kind? Und das war sie? Sie sah doch viel zu unschuldig aus. Eher wie ein Engel und nicht wie ein Dämon.

Nemesis warf ihr einen tadelnden Blick zu, was das Mädchen lachen ließ. Es war eins ehr angenehmer Klang, der Sezuna sehr gefiel. Dann wandte sich das Mädchen an Sezuna. »Ich bin Eve Astreya Saytan. Es freut mich sehr«, stellte sie sich vor, wobei Sezuna ihre Stimme als pure Musik empfang. Sie hatte etwas Sanftes, Beruhigendes. Etwas, was bei Sezuna dafür sorgte, dass sie sich wohlfühlte. Das änderte aber nichts daran, dass sie sich von der Situation überwältigt fühlte.

Überfordert knickste Sezuna, auch wenn es weniger elegant wirkte als bei Eve. »S-Sezuna Kaya. Freut mich auch«, brachte sie hervor. So gehörte es sich immerhin, oder?

Eve lachte erneut. Es war ein sehr angenehmes Geräusch und ließ sie sehr jung wirken. Was sie wohl auch war, denn Sezuna konnte noch keine sonderlich ausgeprägten, weiblichen Rundungen erkennen. War sie etwa so alt wie sie? Alterten Höllendämonen überhaupt auf diese Art oder war das bei ihnen anders?

»Vater hat mich gebeten, dir dabei zu helfen, Kleidung für deine magischen Experimente zu bekommen«, erklärte sie gut gelaunt und sehr charmant. Sie schien eine wahre Frohnatur zu sein, was Sezuna sofort aufheiterte und erfreute. Gleichzeitig war sie davon aber auch irgendwie irritiert und fühlte sich hilflos, als Eve ihre Hand ergriff und sie mit sich zog. Hinaus aus dem Zimmer und die Flure entlang, die alle so fantastische Gemälde und Statuen enthielten, dass Sezuna sich am liebsten stundenlang umgesehen hätte, doch Eve ließ das nicht zu und zog sie unbarmherzig mit.

Das einzig Gute war, dass sie ebenfalls relativ kurze Schritte machte und es somit Sezuna nicht zu schwerfiel, ihr zu folgen. Trotzdem waren sie sehr schnell unterwegs. Somit gelang es ihr kaum, aus den Fenstern nach draußen zu blicken, um vielleicht die Hunde zu entdecken. Es gelang ihr nicht einmal wirklich sich zu merken, wo sie entlangliefen.

Eve zog sie Gänge entlang, die sie gar nicht kannte und das erste Mal, seitdem sie hier war, traf sie auf jemanden.

Es war ein Mann, den man nicht übersehen konnte. Er war sehr groß, fast monströs groß und eigentlich eher ein Berg aus Muskeln. Sein Haupt wurde von sechs mächtigen Hörnern gekrönt, welche nach vorn gedreht waren. Die Klauen an seinen Händen waren scharf und Sezuna glaubte, dass er damit mit Leichtigkeit Wesen häuten konnte. Dann waren da noch seine beeindruckenden, ledrigen Schwingen. Groß und mächtig bauten sie sich hinter ihm auf und verliehen ihm etwas sehr Erhabenes.

Sezuna war so, als würde sein feuriger Blick aus violetten Augen tief in ihre Seele sehen, als Eve sie an ihm vorbeizog. Obwohl sie seinen Blick nur ganz kurz erwidern konnte, reichte es aus, um sofort in seinen Bann zu geraten. Sie erfasste die ganze Schönheit seines Gesichts und musste gestehen, dass es sehr anziehend war, obwohl es eher kantig und kernig wirkte. Furchterregend und gleichzeitig ungemein attraktiv. So würde Sezuna ihn in Erinnerung behalten, auch wenn sie sich noch gar nicht auf diese Art für Männer interessierte.

»Wer war das?«, keuchte sie, als sie schon viel weiter waren. Erst jetzt fand sie ihre Sprache wieder.

»Bel'shamaroth«, erklärte Eve mit leicht gerümpfter Nase. Es hatte etwas eher Ablehnendes, was Sezuna nicht ganz nachvollziehen konnte. Hatte Eve etwa Streit mit ihm? »Der Stellvertreter meines Vaters«, fügte sie hinzu und ihr war anzuhören, dass sie den Mann nicht sonderlich mochte.

Kein einfacher Mann, wie sich Sezuna selbst korrigierte. Ein Dämon, wie es wohl auch die junge Frau war, doch warum sahen der Höllenfürst und seine Tochter so menschlich aus, während dieser Dämon selbst in seiner menschlichen Form noch so dämonisch anmutete? Oder war das seine Dämonenform?

Sezuna konnte es nicht sagen, doch sie war begierig darauf, das herauszufinden.

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