Kapitel 3.1

Sezuna krallte ihre Finger in das Fell des Hundes, als sich vor ihr, aber noch in weiter Ferne, ein Gebilde erhob, das aussah wie aus geschwärzten, riesigen Knochen errichtet. Man erkannte selbst von dieser Distanz, dass die Türme, die wie abgemagerte Finger in den Himmel ragten, von großen Knochen stabilisiert wurden.

Obwohl sie noch so weit davon entfernt waren, spürte sie die drückende Aura schon hier. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab und ließ sie schlucken. Das Gefühl war erschreckend und vertraut. Obwohl es wirkte wie eine Hand, die versuchte in den Himmel zu greifen, sah sie doch die bizarre Schönheit darin. Es war ein Kunstwerk und ein Wunder, dass dieses Schloss noch nicht eingestürzt war. Alles wirkte wirr angeordnet und als wäre es über Jahrhunderte hinweg von immer neuen Leuten erweitert wurden. Als hätte ein neuer Hausherr einen Turm angebaut, wo eigentlich kein Turm hätte sein sollen, dennoch sah es alles irgendwie ähnlich aus und passte so zusammen.

Cerberos wurde langsamer, als wäre auch er von dem Anblick überwältigt. Was nicht sein konnte, da die Hunde doch hier lebten. Er müsste doch schon daran gewöhnt sein. »Das ist das Knochenschloss des Höllenfürsten«, erklang Cers zittrige Stimme. Hatte sie etwa Angst? Sezuna konnte das durchaus verstehen. Es war schon irgendwie gruselig.

Sanft tätschelte Sezuna den Hund und versuchte sich so auch selbst zu beruhigen. Dabei klopfte ihr Herz heftig und sie spürte, dass der Sternenstaub, der durch ihre Adern rann, den der Umgebung anzog und sich bereits, wie ein Schild um sie legte. Das hatte ihr zwar bisher auch nichts gebracht, gab ihr aber immer ein Gefühl von Geborgenheit und Schutz. Es war ganz komisch, da sie bisher nur bei ihrer Schwester Yuna ähnliches beobachtet hatte. Daher sollte sie sich auch nicht beruhigt fühlen.

Yuna hatte es nichts gebracht. Im Gegenteil. Ihre Schwester hatte sehr darunter gelitten, denn durch den Sternenstaub, der ständig durch ihren Körper floss, hatte sie sich sehr verändert. Ihr Geburtselement war das Eis und dieses hatte sich bereits ihres Körpers bemächtigt. Nicht, dass die schneeweißen Haare, die ständig mit leichten Reif überzogen waren, nicht schön waren. Auch ihre Augen, die wie aus zerstoßenen Eis aussahen, waren wunderschön. Allerdings hatte Sezuna schon lange das Gefühl gehabt, dass ihr Herz gefroren war. Nicht direkt sichtbar, aber doch auf eine Art und Weise, die dafür sorgte, dass Yuna nicht mehr in der Lage war, Freude zu empfinden, wie es andere taten.

Langsam atmete Sezuna durch, um sich von diesen Erinnerungen und Gedanken zu distanzieren. Sie hatte andere Probleme. Ihre Aufmerksamkeit musste auf dem Hier und Jetzt liegen, sonst lief sie Gefahr, in Schwierigkeiten zu geraten. »Soll ich absteigen und allein weiter?«, fragte sie leise, denn sie war sich unsicher, ob der Hund willkommen war. Womöglich würde man sie mit ihm als eine Gefahr ansehen.

Cerberos schüttelte allerdings entschieden alle drei Köpfe.

»Wir lassen dich doch nicht allein«, knurrte Ros, der deutlich verstimmt klang.

Sezuna zeigte nicht, wie sehr sie diese Tatsache erleichterte. Stattdessen lächelte sie sanft. »Danke«, flüsterte sie und spürte, wie sich in ihrem Hals ein leichter Kloß bildete, während Cerberos mit zittrigen Schritten vorwärtslief. Direkt auf das Knochenschloss zu.

Schon von Weitem sah es aus wie das Knochengerüst eines Drachen. Es trug den Namen Knochenschloss auf alle Fälle nicht grundlos.

Sezuna erschauderte leicht. War es wirklich ein Drache gewesen aus dessen Überresten dieses Schloss erbaut worden war?

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie davor ankamen. Im Grunde gab es so etwas wie einen Vorgarten oder eine Einfahrt nicht. Lediglich eine breite Treppe führte hinauf zum Tor, das von zwei Dämonen bewacht wurde. Groß und mächtig standen die Wesen bewegungslos da und wirkten wie Statuen, wenn sie nicht ab und an die Schwänze bewegt hätten. Beide hatten Ähnlichkeiten mit Trollen, doch sie hatten seltsam schuppige Haut und Hörner, die sie von Trollen unterschieden. Zudem dicke, ebenfalls geschuppte Schwänze.

Was waren das für Dämonen und waren sie es, die diese drückende Aura verbreiteten?

Sezuna schluckte. Sie waren nur halb so groß wie das Eingangstor und trotzdem schon doppelt so groß wie Sezuna. Damit hatten sie fast die Größe des Cerberos. Das in Kombination machte das Eingangstor in seinen dunklen Farben und der Kälte, die es ausstrahlte, noch angsteinflößender. Allerdings musste Sezuna bei ihren Gedanken fast lachen. Sie neigte einfach dazu Dinge unnötig kompliziert zu betrachten, doch das war irgendwie ein Teil von ihr geworden. Zudem war es gerade recht gut, denn so fragte sie sich nicht, warum sie das Gefühl hatte, dass dieses Schloss lebendig war. Hatten ihre Augen ihr einen Streich gespielt oder hatte sich das Holz des Tores wirklich bewegt? War es überhaupt Holz oder ein ganz anderer Stoff, den sie gar nicht kannte?

Langsam rutschte sie von Cerberos Rücken, denn sie empfand es als unhöflich, auf einen Hund reitend in das Innere des Schlosses einzudringen. Zudem war sie sich nicht bewusst, ob das Tor sie überhaupt hineinlassen würde, wenn sie es so versuchte. Dass sie dem Tor einen eigenen Willen zuschrieb, machte sie nervös. Gebäude konnten keine Entscheidungen treffen, oder?

Unruhig strich sie sich das Kleid glatt. Am liebsten hätte sie sich noch etwas anderes angezogen, denn das halb zerfetzte Kleid aus dreckigem, ehemals rosafarbenem Stoff erschien ihr als unpassend und zu heruntergekommen für ein Schloss. Wenn sie allerdings daran dachte, dass sie sich in der Hölle befand und von Dämonen umgeben war, war ihr Aufzug vielleicht gar nicht so unpassend.

Sie schielte zu den Wächtern des Tores. Diese trugen so gut wie nichts und doch so etwas wie eine Rüstung. Es waren schwarze Teile, die ihren Intimbereich verdeckten. Dazu trugen sie unterschiedliche Arm- und Beinschützer. Als wäre bei jedem Dämon etwas anderes wichtig, das es zu beschützen galt.

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